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Kapitel IV

Verblüfft öffnete ich meine Augen und sah mich um. Eine ganz normale Straße, nichts außergewöhnliches. Wieso hatte sich Derrick mit dieser Person getroffen? Und wieso hatte sie keinen Geruch?

Leider konnte ich nicht weiter nachforschen, weil die Sonne langsam aufging und ich so schnell es ging, zurück aufs Revier musste.

Ich drehte mich zum Vollblüter, aber der war schon weg, keine Spur mehr von ihm. Als wäre er vom Erdboden verschluckt worden. Nun, es konnte mir egal sein, ich hatte anderes zu tun.

Als ich beim Revier ankam, war das Fenster noch offen und ich sprang hinein. Auf einer der Stühle saß der Vampir aus Zelle 3 und las ein Buch, vom Kreuz auf dem Einband war es die Bibel. Von wo hatte er die?

Er sah zu mir hoch und mit einem breiten Lächeln sagte er: «Hallöchen. Wie war dein Ausflug? Ich habe mich hier zu Tode gelangweilt, deshalb habe ich mir das hier geschnappt. Ich dachte, es wäre etwas spirituelles, aber hier drin sterben mehr Menschen als bei einem meiner Familientreffen.»

Er legte das Buch dann zur Seite und kam auf mich zu. Er war eine skurrile Gestalt, aber irgendwie amüsant.

Ich holte den Peilsender aus meiner Tasche und zeigte es ihm. «Ich habe Derricks Peilsender gefunden.» Er machte plötzlich einen komischen Gesichtsausdruck. Als wäre er verwirrt. Er nahm es langsam aus meiner Hand und sagte leise. «Das ergibt keinen Sinn.» Als würde er mit sich selbst reden.

«Was meinst du?»

«Wieso hat er sich das rausgerissen, wenn er doch bei Nacht hätte abhauen können?» Sagte er und nahm den Peilsender besser unter die Lupe.

«Vielleicht hatte er nicht richtig nachgedacht und einfach per Instinkt gehandelt», sagte ich und hoffte, so etwas mehr über Derrick zu erfahren.

«Derrick würde nichts tun, ohne es richtig durchgeplant zu haben. Du warst nie draußen mit uns bei Nacht, daher kennst du ihn nicht, wie ich ihn kenne. Er hat oft über seinen Plan gesprochen. Er wollte es in der Nacht tun, und zwar dann, wenn er am Tag auf Patrouille gewesen war, damit es länger dauern würde, bis sie herausgefunden hatten, dass er weg war. Er hatte einen Plan. Das…» Er hob den Peilsender in die Luft und sah mich mit großen Augen an. «Das hier ist nicht der Derrick, den ich kenne.»

Mein Gefühl hatte also Recht, das war nicht normal. Was hatte es aber auf sich? Wieso hatte er sich so plötzlich anders entschieden?

Der Vampir zuckte in Richtung Tür und sagte: «Ich höre, wie das Auto des Bosses sich nähert, wir sollten zurück in unsere Zellen.»

Ich gab ihm Recht und wir eilten zurück in unsere Gefängnisse.

Ich wartete geduldig, bis ich gerufen wurde, aber es geschah erst am späten Nachmittag. Es klopfte an meine Tür und ich ging aufmachen. Der Teufel stand davor und bat mich, zu ihm herauszutreten. Ich war nicht die einzige, die gerufen worden war, der Vampir aus Zelle 3 stand auch draußen. Er sah anders aus als in der vergangenen Nacht, er sah kalt aus, emotional zurückhaltend.

Der Teufel fing an zu sprechen.

«Heute war ein anstrengender Tag für uns, daher will ich von euch keine Widersprüche oder Gemecker hören, haben wir uns verstanden?»

Wir nickten und er fuhr fort.

«Sie haben eine Leiche gemeldet, die auf die Beschreibung unseres vermissten Vampirs passt. Da er aber ohne Fangzähne aufgefunden wurde, müsst ihr ins Leichenhaus gehen und bestätigen, dass er es ist.»

Mein Herz blieb stehen und mein Blick wanderte zum anderen Vampir. Ich sah, wie seine Augen sich mit Schock und dann mit Tränen füllten. Er kämpfte krampfhaft dagegen an und starrte stier nach vorne, während er sich auf die Unterlippe biss. Es tat weh, aber was ich auch verspürte war Wut. Ich hätte ihn gestern besser suchen sollen, vielleicht wäre er jetzt noch am Leben.

«Draußen wartet ein Wagen auf euch.» Das waren die einzigen Anweisungen des Teufels.

Wir gingen hinaus und da stand ein Streifenwagen, in den wir schweigend einstiegen. Der Vampir saß am Fenster und starrte hinaus. Ich konnte die Trauer in ihm spüren, wusste aber nicht, wie ich ihm helfen konnte, daher sagte ich nichts. Die Fahrt war unerträglich still, nur mein Kopf war laut und überforderte mich mit Gedanken.

Wir hielten an einem schicken Krankenhaus an. Es war kein hohes, sondern ein breites Krankenhaus, damit Patienten wohl nicht zu viele Stufen machen mussten. Es war komplett weiß bemalt. Über dem Eingang war schön groß in Rot geschrieben: „Krankenhaus", damit es jeder lesen konnte. Wir stiegen aus und folgten den Polizisten hinein, aber wir blieben vor der Tür stehen. Er drehte sich zu uns und hetzte uns.

«Wir haben nicht all die Zeit der Welt, bewegt jetzt eure Ärsche.»

«Wir müssen ein-» «Statt dein scheiß Maul aufzumachen, um uns zu beschimpfen, versuch doch mal, dein Erbsenhirn anzuschalten und uns hinein zu bitten, du verficktes Arschloch.»

Ich sah erschrocken zum Vampir neben mir, der diese Worte ausgesprochen hatte, und dann zum Polizisten vor mir. Die Wut köchelte in beiden. Wenn es nicht ein paar Menschen gegeben hätte, die uns verwundert anstarrten und einige Krankenschwestern, die besorgt da standen, dann würden die zwei sich nun an die Gurgel gehen. Aber stattdessen kam der Polizist auf uns zu und, durch zusammengepressten Zähnen, sagte er: «Kommt herein»

Wir traten hinein.

Wir folgten einer verängstigten Krankenschwester, die uns einige Treppen hinunter führte und dann vor einer Tür anhielt. «Herein.» Flüsterte sie und öffnete sie für uns.

Die Leichenhalle stank vor Desinfektionsmittel, gemischt mit dem leichten Geruch von Tod. Der Vampir neben mir ging eng an mir gedrückt. Die Wand war gefüllt mit Schubladen. Es war schon beängstigend zu wissen, dass in dieser Wand etliche Tote drin lagen.

Hinter uns ging die Tür wieder auf und ein nerviger Geruch von verbrannt füllte meine Nase.

«Verzeiht die Verspätung.» Sagte er rasch und lief an uns vorbei. Ich musste aber schockiert erkennen, dass es nicht der Vollblüter war, sondern ein junger Mann, mit roten Locken und einem Unterschnitt, der seinen mit Sommersprossen bedeckten Nacken frei legte. Er trug einen langen weißen Kittel und lief direkt zu der Schubladenwand. Er öffnete eine und zog den Toten raus, nur um dann mit einem nervösen Lachen, ihn wieder rein zu schieben und zur nächsten Schublade zu gehen. Ich kannte mich mit all dem nicht aus, aber ich hatte so das Gefühl, dass er noch weniger darüber wusste.

«Hier ist er.» Sagte er dann und lächelte uns an. Seine weißen Zähne waren von einer glänzenden Zahnspange umschlungen. Auch sein Gesicht war mit Sommersprossen bedeckt und seine grünen Augen strahlten Freude aus. Wieso zum Teufel roch er aber wie der Vollblüter?

«Wenn ihr näherkommen könntet, würde ich euch nun bitten, die Leiche zu identifizieren.» Sagte er professionell und wir näherten uns. Er deckte die Leiche auf und ich blickte in Derricks friedliches Gesicht. Der Vampir neben mir wagte es nicht hinzuschauen. Er stand hinter mir und legte seine Stirn auf meine Schulter. «Ist er es?» Flüsterte er mir zu.

Ich bestätigte. Es war Derrick. Der Tote vor uns war wirklich Derrick.

Der Vampir hinter mir kam hervor und wagte einen Blick.

«Das kann aber nicht möglich sein. Das ergibt doch keinen Sinn.» Fing er an, mit Wut in seiner Stimme. Ich konnte das nicht abstreiten. Ein Vampir war tot, aber nicht durch Enthauptung.

Mein Blick schweifte zum "Arzt" vor uns und ich fragte ihn. «Was war die Ursache seines Todes?»

Er sah mich schockiert an, als hätte ich ihn auf frischer Tat ertappt. Er öffnete seinen Mund und fing an zu stottern. «Nun ja, die Ursache ist, also, lasst mich nachdenken…» Ohne ihm dazu Zeit zu geben, runzelte ich die Stirn und sagte. «Du bist kein Arzt, nicht wahr?»

Er sah empört aus, als er sagte: «Ich bin Arzt! Ich habe meinen Abschluss in der…» Er überlegte kurz und sagte dann weniger überzeugt: «Ich habe ihn in der Arztschule gemacht.»

Er war kein Arzt, nie im Leben.

Er fing an, Derrick wieder zu bedecken, aber ich packte ihn am Arm und hielt ihn fest. «Was hast du mit Derrick vor?» fragte ich ihn drohend. Er tat mir ein wenig leid, er sah wirklich verängstigt aus, aber ich schwankte nicht. Als er nicht antwortete, packte ich ihn über die Schublade hinweg, beim Kragen und zog ihn zu mir.

«Sag es mir oder du wirst in einer dieser Schubladen landen.» Er wurde ganz bleich, schüttelte seinen Kopf. Gut, dann auf die harte Tour. Ich schob ihn von mir, ging um Derrick herum und auf den Möchtegern Arzt zu. Er machte einige Schritte nach hinten und der Terror war auf seinem Gesicht geschrieben. Ich sagte nichts und drängte ihn gegen eine Wand.

«Sprich», befahl ich ihm, als sein Rücken die Wand traf, aber er presste seine Lippen zusammen und schloss seine Augen. Wieso musste er es so weit treiben? Als ich zuschlagen wollte, rief mich der Vampir. «Thana, schau mal.»

Ich überlegte es mir lange, ließ den Arzt aber in Ruhe und ging zurück zu Derrick. Der Vampir zeigte auf Derricks Brust. Es wurde etwas sorgfältig eingeritzt, aber ich verstand nicht, was es zu bedeuten hatte. «“Matthäus 6:14“ Was soll das heißen?» fragte ich, aber der Vampir zuckte mit den Schultern. Dann bemerkte ich etwas anderes, etwas Unwichtiges, aber trotzdem Komisches.

«Wieso kennst du meinen Namen?»

Der Vampir sagte leise: «Mein Gehör ist sehr gut.» Dann streckte er mir seine Hand aus und sagte: «Kalma. Freut mich.» Ich sah ihn nur verdutzt an, schüttelte aber trotzdem seine Hand.

«Mein Name kennst du schon.»

Er lächelte lieb, bis eine verunsicherte Stimme uns unterbrach. «Entschuldigung, aber wenn ihr fertig seid, solltet ihr gehen.» Ich runzelte die Stirn und starrte den jungen Mann fies an. «Wir werden nirgends hingehen.»

Er seufzte und sah nervös aus. Etwas lag hier im Busch, und bis ich nicht herausfand, was, würde ich mich nicht vom Fleck bewegen. «Hört mal, ihr solltet nur den Körper identifizieren, das war alles.» Erklärte er uns, aber da war sicher mehr. «Und was geschieht danach?» fragte ich, er konnte mir keine Antwort geben. Währenddessen untersuchte Kalma den Leichnam.

Der Arzt wollte das wohl nicht, er wollte dazwischen gehen, aber ich stellte mich vor ihn.

«Bitte geht!» Nun klang seine Stimme flehend, mir kam gar nicht in den Sinn, Mitgefühl für ihn zu haben. Ich verlängerte meine Nägel und hielt sie ihm drohend an den Hals.

«Seine Zähne wurden rausoperiert, nicht rausgerissen. Wer auch immer das war, wusste, was er tat.» Sagte Kalma plötzlich. Das wurde immer wie komischer.

Kalma kam dann zu mir und sagte besorgt: «Jemand kommt hierher, und dieser Jemand klingt angepisst.» Ich ignorierte es und hielt meine Nägel weiter am Hals des Arztes. «Soll er ruhig kommen, dann kann er unsere Fragen beantworten.» Ich näherte mich und die Spitzen meiner Nägel berührten sanft die zärtliche Haut des Halses des Arztes, der sich gleich in die Hose machte. Sobald mein Satz beendet war, knallte die Tür auf, aber ich zuckte nicht.

Der Geruch, der ins Zimmer strömte, war genau der gleiche des Arztes. Verbrannt. Und als er dann sprach, erkannte ich die Stimme sofort. «Krümme ihm nur ein Haar, e ti faccio a pezzi.»

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