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Kapitel V

«Wenn du mich schon beschimpfst, dann mach es in einer Sprache, die ich verstehe.» Sagte ich gereizt, aber ich drehte mich nicht um, ich behielt den jungen Mann vor mir im Blick. Der hob kurz die Hand und erklärte: «Eigentlich hat er dich nicht beschimpft. Er hat dir nur gesagt, dass er dich in Stücke reißen wird.» Ich hörte, wie der Vollblüter hinter mir seufzte und dann ein wenig genervt sagte: «Quante volte ti ho detto che non devi tradurre per me?»

Der junge Arzt lächelte entschuldigend und antwortete: «Ich weiß, ich weiß, aber ich wollte nicht, dass man dich falsch versteht.» Der Vollblüter hinter mir seufzte kurz und sagte immer noch in seiner eigenen Sprache «Lo apprezzo molto, ma non è necessario.» Er klang sanft.

Der Arzt nickte. Ich verlor langsam die Geduld und presste meine Nägel nun in die Haut, sodass kleine Tropfen Blut ihm den Hals runter rollten. Er machte ein schmerzerfülltes Gesicht, und der Vollblüter hinter mir rastete aus. «Lass ihn sofort los!» Schrie er.

«Erst will ich einige Antworten, ich habe es nämlich satt im Dunklen zu sitzen. Ich will wissen, was hier vor sich geht.» Ich ließ meine ganze Wut raus. Die Wut über das Unwissen, die Wut, die anfing zu wachsen, als mir bewusst wurde, wie viel Angst mir das alles machte.

«Wir wissen es nicht.» Sagte der Arzt leise, was mich noch wütender machte. «Rede kein Scheiß! Bei beiden Leichen ist dieser Vollblüter aufgetaucht, als wüsste er nach was er suchen müsste. Ich hab gehört, wie er etwas über ein Muster gesagt hat. Ich lass mich nicht für dumm verkaufen. Sagt mir also sofort was ihr wisst, oder ich bemale diese weißen Wände mit seinem Blut.» Es war mir bewusst, dass ich es wohl zu weit trieb, aber ich hatte es auch auf nette Art versucht.

«Wir werden dir alles erklären, versprochen, aber nicht hier, nicht jetzt.» Sagte der junge Mann. Er sah mich lange an und etwas in seinen Augen ließ mich glauben, dass ich darauf vertrauen konnte, dass er sein Wort hielt. Ich entfernte mich von ihm und ließ seinen Hals los.

Ich ging dann zu Kalma und, sobald ich weit genug war, raste der Vollblüter an mir vorbei zum Arzt. Er nahm sein Gesicht in seine Hände und fing an, seine Sprache mit ihm zu flüstern. Ihre Gerüche verschmolzen miteinander, als wären sie eins. Und dann verstand ich es. Dann verstand ich die Angst des Vollblüters. Sie waren Vigors.

Aber der Arzt sah aus wie ein Mensch. Er hätte wohl ein Mischling sein können, aber ein hochrangiger Vollblüter würde sich nie mit einem Mischling abgeben.

Ich fühlte, wie Kalma mich sanft am Arm zog und sagte: «Wir sollten gehen.» Ich stimmte ihm zu, aber nicht bevor ich mich zu den anderen zwei drehte und sagte. «Heute Nacht werde ich am Spielplatz auf euch warten. Falls ihr nicht auftaucht, sollt ihr wissen, dass ich euer Geruch in meiner Nase habe und euch überall finden kann. Ich werde euch jagen, und wenn ich euch erwische, dann werdet ihr euch wünschen, auf mich gehört zu haben.»

Wir wurden wieder ins Revier gebracht, nachdem wir aus der Leichenhalle gezerrt wurden. Anscheinend waren wir zu lange da unten gewesen und unser netter Chauffeur hatte anderes zu tun. Angekommen, wurden wir aus dem Wagen geschmissen und zurück auf unsere Zellen verdonnert. Das war mir Recht, ich brauchte nämlich Ruhe, um nachdenken zu können. Als allererstes, ließ mich das Eingravierte nicht los. „Matthäus 6:14“. Was bedeutet das? War es ein Code? Wer war Matthäus? Und wieso kam mir das bekannt vor?

Ich holte mir einen kleinen Schreibblock aus meiner Schublade und schrieb mir alles auf, was mir einfiel. Waren die Zahlen vielleicht die Uhrzeit in der der Mord geschah? Ich könnte nachfragen, wann Derrick gefunden wurde, dann könnte ich zurückrechnen, ob die Uhrzeit stimmt. Wenn ich nur die Eingravierung der ersten Leichen hätte sehen können, würde das mir vielleicht helfen zu verstehen, was das bedeutete. Ich schrieb mir dann auf, was Kalma über die Fangzähne herausgefunden hatte. Rausoperiert, nicht rausgerissen. Der Mörder wusste also, wie man nähte. Das könnte leider vieles bedeuten.

Ich seufzte und lehnte mich auf meinen Stuhl nach hinten. Ich hatte mir eigentlich gesagt, dass ich mich von solchen Sachen fernhalten wollte, meiner Gesundheit zuliebe. Weit entfernt vom eigenen Vigor wird ein Vampir zu einer tickenden Zeitbombe. Und all das half nicht, meine immer stärker werdende Wut zu dämpfen. Aber da saß ich nun, mit den Gedanken, zwei Leichen gesehen zu haben, von denen einer davon ein Vampir war, den ich kannte, und die Unwissenheit, warum es geschehen war.

Je näher die Zeit unseres Treffens kam, desto unruhiger wurde ich deswegen. Es gab vieles was mir durch den Kopf ging, und vielleicht ein paar Antworten zu bekommen, machte mich ganz kribbelig. Ich sah aus meinem kleinen Fenster und beobachtete, wie die Sonne langsam verschwand und der Mond ihren Platz einnahm. Ich ging zur Tür und benutzte mein feiner Geruchssinn, um herauszufinden wie viele Polizisten und Offiziere noch im Revier waren. Ich schloss meine Augen, ich konnte sehen wie vor mir einige Silhouetten auftauchten. Ich roch den jungen Offizier, der langsam zur Tür ging und dann auf jemanden zu warten schien. Dann kam die Silhouette des Teufels zu ihm und sie verließen gemeinsam das Revier. Als der junge Offizier die Tür abschloss, öffnete ich wieder meine Augen.

Vorsichtig öffnete ich meine Tür und trat hinaus. Im gleichen Moment kam auch Kalma aus seiner Zelle und winkte mir zu als er mich sah. Er sah aus, als hätte er kaum Energie, seine Augen voller Trauer, aber er lächelte mich trotzdem an.

Ich nickte nur und machte mich auf den Weg in die Cafeteria, um vom gleichen Fenster zu steigen wie gestern, doch ich hörte seine Schritte, wie sie mir geschwind folgten. Ich hielt an und drehte mich zu ihm. Er sah mich mit großen Augen an, lächelte aber dann.

«Wieso folgst du mir?» fragte ich ihn. Seine Antwort war simpel, aber nicht das, was ich hören wollte. «Du gehst dich doch mit diesen zwei Vampiren treffen, oder? Ich komme mit.»

Das war problematisch. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde, ich wusste nicht, wie die zwei waren, ich konnte nicht riskieren, ihn in Gefahr zu bringen.

«Du kannst nicht mitkommen.» Sagte ich so ernst ich konnte und wandte mich wieder zum Fenster, aber Kalma packte mich beim Arm und drehte mich zu ihm um. Seine gelben Augen sahen mich wütend an. «Ich lasse mich von dir nicht vorschreiben, wohin ich darf und wo nicht. Es geht hier nicht um dich, es geht hier um das Leben der anderen, es geht hier um Derrick.»

Ich sah ihn lange schweigend an.

«Okay.» Sagte ich schlicht und drehte mich wieder zum Fenster.

«“Okay“? Das war’s? Du hackst nicht nach?» Fragte mich Kalma verdutzt. Ich nickte und öffnete das Fenster, wie er es letzte Nacht getan hatte. Als die kalte Luft mein Gesicht streichelte, schauderte es mir ein wenig. Ich stieg dann über den Fensterrahmen und hielt Kalma meine Hand hin. Er nahm sie mit einem schüchternen Lächeln und ich half ihm hinaus. Nun, auf der Straße, gingen wir nebeneinander in kompletter Stille, es war eine schöne Stille. Die Art von Stille, die hin und wieder nötig war.

In kompletter Ruhe kamen wir recht schnell an, aber ich konnte von weitem riechen, dass wir nicht die ersten waren. Der starke Geruch von Verbrannt, schmerzte meiner Nase. Ich runzelte sie und erhöhte mein Tempo, bis wir sie endlich sahen.

Der junge Mann mit den roten Locken saß auf der Schaukel und er trug einen Mantel, der dem des Vollblüters sehr ähnelte. Es war höchstwahrscheinlich auch der des Vollblüters, denn seine Ärmel schienen zu lang für ihn zu sein. Der Vollblüter stand vor ihm, er trug einen schwarzen Pullover mit hohem Kragen und zerrissene Jeans. Es verwunderte mich immer noch, dass sie zwei Vigors waren. Wie kam so ein hochrangiger Vampir mit einem Mischling zusammen?

Sein Kopf drehte sich zu uns, als wir nahe genug waren, und seine weißen Augen glühten in der dunklen Nacht. «Da seid ihr endlich, ihr habt euch viel Zeit gelassen.» Zickte der Vollblüter herum. Der rothaarige Junge schubste ihn sanft und sagte: «Sei nicht so gemein Vale.» Der Vollblüter sah zu ihm runter und kniff ihm zärtlich in seine Wange, sagte aber nichts.

«Kommen wir schnell zur Sache. Und ich hoffe, was ihr mir zu sagen habt, ist es wert, hierher gekommen zu sein, sonst werdet ihr es büßen, meine Zeit verschwendet zu haben.» Sagte ich und verschränkte meine Arme vor meiner Brust. Vom Blick des Vollblüters konnte ich erkennen, wie sehr er mich nicht leiden konnte, aber es war mir egal.

«Erstens, du solltest dich glücklich schätzen, dass wir überhaupt gekommen sind. Zweitens, du hast von uns verlangt, hierher zu kommen weil DU etwas von UNS willst.»

Er näherte sich während er vor sich hin schnauzte bis er vor mir stehen blieb und mir tief in die Augen sah. Mir wurde in dem Moment klar, dass wir im Notfall, ein sehr schlechtes Team abgeben würden. Sein Vigor kam dazwischen, legte ihm eine Hand auf die Brust und schob ihn ein wenig nach hinten. «Nimmt es ihm nicht übel, er ist immer so, wenn er jemand Neues kennenlernt.» gab er als Erklärung und lächelte lieb. Ich konnte seine Zahnspange sehen und keine Fangzähne erkennen, was bei einem Mischling eigentlich normal war.

«Wir werden eure Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen, wir wollen nur ein paar Antworten.» Mischte sich auch Kalma ein. «Ich weiß das es anscheinend etwas ist, was ihr geheim halten möchtet, aber der Vampir, der getötet wurde, war jemand der mir sehr viel bedeutete, da möchte ich erfahren was geschehen ist.» Erklärte er den zwei Männern vor uns.

«Leider können wir euch nicht viel sagen. Das alles hat vor einigen Wochen angefangen, als Valerio die erste Leiche fand. Sie hatte Eingravierungen auf der Brust und die Fangzähne rausoperiert. Wir wussten nicht, was geschehen war. Dann fanden wir eine zweite. Es war eine junge Vampirin, kaum volljährig. Auch bei ihr das gleiche. Dann kam die dritte, die aber du fandest.» Er zeigte dann auf mich und ich nickte. Die Leichen schienen bis jetzt das gleiche Muster zu haben, aber was verband sie miteinander?

«Dann kam derjenige, den ihr Derrick nennt. Wir haben angefangen, die Leichen mitzunehmen, um sie zu untersuchen, deshalb traft ihr mich in der Leichenhalle. Es sind bis jetzt leider schon vier Leichen, und das einzige, was wir herausgefunden haben, ist, dass sie alle Halbblüter sind.»

Ich nickte wieder. Bedeutete das, dass der Täter es nur auf Halbblüter abgesehen hatte? Aber wieso?

«Mehr haben wir nicht, es tut mir leid.» Sagte der junge Mann entschuldigend und lächelte uns traurig an.

«Darf ich dir eine Frage stellen?» Sagte ich zu ihm und er nickte.

«Wieso tut ihr das? Seid ihr eine Art Vampir, Polizei oder Detektive?» Als Antwort bekam ich das laute Lachen des Vollblüters zu hören. Sein Vigor runzelte die Stirn und zwickte ihn in die Seite. «Sie hat eine ernste Frage gestellt Valerio, sein nicht so gemein.»

Der Vollblüter beruhigte sich allmählich und streichelte seinem Vigor die Wange. «Scusa, scusa. Ma finora nessuno ce lo ha chiesto in modo così stupido.» Sein Vigor runzelte immer noch die Stirn, da nahm ich an, das was auch immer er gesagt hatte, ihm nicht gefiel.

«Wir tun es, weil es sonst niemand anders tut. Niemand schert sich um einige tote Vampire, wir aber schon.» Seine Stimme zeigte kein bisschen Zweifel an seinen Worten und irgendwie erwärmten sie mir mein eingefrorenes Herz so sehr, dass ich etwas tat, was ich später bereuen könnte.

«Ich will euch helfen.»

Es war sehr lange, sehr still. Der Vollblüter, der anscheinend Valerio hieß, stand sprachlos da und sah mich verdutzt an. Langsam wuchs ein wunderhübsches Lächeln auf dem Gesicht des Mischlings und er sagte erfreut. «Das wäre großartig, je mehr Leute, desto besser.» Ich hatte keine sofortige Zusage erwartet, nun ja, vom Mischling hatte ich es irgendwie erwartet, er sah nach so jemandem aus. Aber der Vollblüter hatte die Reaktion, die ich von ihm erwartet hatte, vielleicht ein bisschen schlimmer. Er packte seinen Vigor am Arm und zog ihn weiter weg, um wohl unter vier Augen zu reden. Kalma tat das gleiche mit mir.

«Darf ich dich fragen, wie du dir das vorstellst? Ich meine, ich finde das toll, großartig, aber ich glaube nicht, dass wir auf irgendeine Weise hilfreich sein können.» Sagte er, und tippte sich dann an sein Halsband. «Wir können nicht vom Revier weg, und sicher keinen Mörder fangen.» Ich blickte zu den anderen. Der Vollblüter redete den jungen Mischling voll.

«Was sagen sie?» fragte ich Kalma, der ein wenig genervt antwortete. «Hast du gerade alles ignoriert, was ich gesagt habe?» Ich schüttelte leicht meinen Kopf und sagte: «Du glaubst nicht, dass wir hilfreich sein können. Was sagen sie?» fragte ich erneut und Kalma seufzte. «Valerio meint, dass er das nicht alleine entscheiden soll, da sie nicht alleine arbeiten.» Ich runzelte die Stirn, als Kalma ihr Gespräch wiederholte. Sie waren also nicht alleine, es gab noch mehr Leute.

«Nun sagt der Junge das wir aber Informationen sammeln könnten.» Ich nickte.

Sie kamen dann wieder zu uns, der Mischling mit einem lieben Lächeln, der Vollblüter mit bösem Blick.

«Wir sind euch sehr dankbar das ihr uns helfen wollt.» Sagte der junge Mischling und griff in die tiefen Taschen des Mantels und holte ein kleines Stück Papier heraus, das er uns entgegenhielt. Eine Adresse war darauf geschrieben.

«Falls ihr etwas herausfindet, werdet ihr uns hier finden.» Fügte er dann hinzu. Ich steckte mir das Stück Papier in meine Tasche und nickte ihm zu. «Wenn dann alles geregelt ist, können wir ja gehen.» Sagte der Vollblüter eindeutig angepisst. Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm er den jungen Mischling an die Hand. Der junge Mann konnte noch schnell winken, und schon zerrte ihn sein Vigor davon. Ich drehe mich dann zu Kalma. «Wir sollten auch gehen.» Er nickte und wir machten uns wieder auf den Weg zu unserem persönlichen Gefängnis.

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