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Wem gebührt das Urteil?

60.0K · Vollendet
Selena Pergola
26
Kapitel
742
Lesevolumen
9.0
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Zusammenfassung

Was könnte eine Vampirin glücklicher machen? Ihre verloren geglaubte Liebe wiederzufinden oder einen Mordfall zu lösen? Eins kann Thana mit Sicherheit sagen, keines von beiden war auf ihrer To-Do Liste.

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Kapitel I

Menschen. Es gibt sie seit Ewigkeiten und wird sie immer geben. Sie sind der Beweis dafür, dass Sturheit dich weit bringen kann, auch wenn es auf Kosten anderer ist. Sie haben die Gabe, ihre Umwelt so zu verändern, damit sie ihnen am besten dienen kann. Ihre Schlauheit wird mit Neid betrachtet, ihr Egoismus mit Missachtung.

Vampire. Es gibt sie seit Ewigkeiten und wird sie immer geben. Sie sind der Beweis, dass man trotz vieler Hindernisse weit kommen kann. Sie trinken Blut, um zu überleben, was nicht sehr gut angesehen wird, insbesondere bei den Menschen. Sie werden für ihre unsterbliche Schönheit geliebt und für ihren Hochmut gehasst. Sie leben länger als andere Lebewesen, konnten sich aber nicht in dieser von Menschen regierten Welt etablieren.

Diese zwei Wesen, wissen von der Existenz des anderen, haben es aber nie geschafft, in perfekter Symbiose miteinander zu leben. Wessen Schuld ist es aber? Ist es die Schuld der rücksichtslosen, selbstgefälligen, arroganten, selbstsüchtigen Monster? Oder ist es die Schuld der Vampire?

Wie dem auch sei, sie hassen sich. Menschen jagen Vampire, weil sie wiederum Menschen jagen, um sich zu ernähren. Wer ist im Recht? Gibt es eine Möglichkeit einen Kompromiss zu finden? Ob es den gibt oder nicht, haben alle aufgehört zu suchen. Nun hieß es „der Stärkere überlebt“, und das lief viele Jahre lang gut, zumindest für mich und meinen Lebenspartner. Nur damit ihr es wisst, eine Beziehung zwischen Vampire ist viel bedeutsamer und tiefer als die eines Menschen, die so tun, als würden sie sich lieben, nur um dann mit anderen ins Bett zu schlüpfen. Vampire lieben nämlich nur einmal. Wenn zwei Vampire sich miteinander verbinden, dann werden sie der „Vigor“ des anderen. Das bedeutet „Lebenskraft“ und heißt somit, dass der eine nicht ohne den anderen leben kann. Sie sterben nicht, wenn sie physisch voneinander entfernt sind, aber sie werden abhängig vom Kontakt zum eigenen Vigor.

Wir lebten gut und genossen, was wir uns aufgebaut hatten. Leider vergaßen wir, dass Menschen die dumme Angewohnheit hatten, sich weiterzuentwickeln. Es kam zum Fall unseres idyllischen Lebens, als sie uns eines Nachts durch einen Hinterhalt einfingen. Weil die Menschen so großzügig sind, gaben sie uns zwei Möglichkeiten, entweder getötet zu werden, oder für sie zu arbeiten. Da mir sehr viel an meinem Leben lag, entschied ich mich dafür, für sie zu arbeiten. Leider musste ich feststellen, dass Vigor sein, nicht unbedingt bedeuten muss, die gleichen Ideale zu haben. Mein Vigor wollte mit den Menschen nichts zu tun haben, und seit dem Tag haben sich unsere Leben getrennt. Ich weiß mit Sicherheit, dass er nicht tot ist, ich hätte es nämlich gespürt. Da meine Lebenskraft fort war, war jeder Tag eine Qual, aber ich musste weitermachen, sonst würde mein Kopf rollen. Nun sind viele Jahre vergangen und ich gehöre zu einer Sondereinheit der Polizei, die sich um die Entsorgung von Vampire kümmert, die gegen die Regeln verstoßen. Ich weiß immer noch nicht, wo sich mein Vigor befindet, aber solange er am Leben ist, ist es mir egal.

Mein Leben war reine Routine. Aufwachen, versuchen meine roten Haare zu bändigen, um es dann nach wenigen Minuten aufzugeben und sie einfach offen lassen. Mich im Spiegel betrachten und bemerken, dass die Ringe unter meinen Augen größer wurden, und meine roten Augen blutunterlaufen waren. Die enge Halskette an meinem Hals, die mir mein Boss aufgezwungen hat, damit er mich unter Kontrolle hat, an sehen, mich anzuziehen und warten. Meistens kam jemand und klopfte an die Tür meines kleinen Zimmer, das sie mir in der Polizeiwache gegeben hatten.

Und da war es schon. Zwei Klopfer.

Ich machte auf. Vor mir stand der Teufel höchstpersönlich, mein Boss. Derjenige, der nur mit einem Knopfdruck mir den ewigen Schlaf schenken könnte.

«Ein Fall für dich.» Sagte er kalt. Er war mittleren Alters, mit nach hinten gekämmten schwarzen Haaren. Man konnte in seinem Pony einige weiße Haare erkennen, genauso, wie in seinem Bart. Zudem roch er bitter. Jedes Mal, als ich neben ihm stand, musste ich mich zurückhalten, um nicht meine Nase zu runzeln. Er war ein riesiger Miesepeter, aber das könnte daran liegen, dass er dazu verdammt wurde,, sich um mich zu kümmern, denn er leitete meine Einheit. Das Problem lag auch daran, dass er Vampire hasste, und zwar wie die Pest. Das weiß ich, denn er hat es mir bei unserem ersten Treffen deutlich gemacht. Aber das war mir egal, eigentlich war mir alles egal, ich lebte von Tag zu Tag, ohne irgendein Ende in Sicht.

Ein junger Offizier kam auf uns zu, der uns aufgeregt ansah. Er schien erst vor kurzem angefangen zu haben, das konnte ich am Glänzen seiner Augen sehen. Er stank förmlich nach Erdbeeren. Er hielt bei uns an, richtete sich kurz seine blonden Haare und sagte dann ein wenig zu laut. «Melde mich zum Dienst Sir.» Der Teufel neben mir runzelte die Stirn und nickte nur. «Du kennst den Ort, wo der Aussetzer zuletzt gesichtet wurde?» fragte er ihn. Der junge Offizier nickte energisch. «Ja, Sir!» Er schmiss ihm einen Knopf, den der Offizier geschickt fing, und zeigte auf mich. «Benutze es im Fall, dass sie etwas anstellt.»

Ihr müsst wissen, bei jedem meiner Einsätze muss jemand mit, damit ich nicht auf den dummen Gedanken komme, abzuhauen. Heute schien der junge Mann an der Reihe zu sein. Er salutierte und der Teufel ging.

«Gehen wir, Vampir.» Ich hatte eigentlich einen Namen, aber ich habe seit Jahren aufgehört, darum zu kämpfen, dass man mich mit meinem Namen nannte.

Der Junge Offizier war voller Elan und summte den ganzen Weg. Vielleicht weil er wusste, dass wir es nicht so eilig hatten. Jedes Mal, als ein Vampir gesichtet wurde, der aus der Reihe tanzte, wurde der ganze Bereich zuerst evakuiert und der Vampir dann eingeengt, bis ich zum Zuge kam. Diesmal war es auf einem Spielplatz. Er war komplett leer geräumt und umzingelt von Polizisten, die bereit waren, loszuschießen. In der Mitte des Spielplatzes, saß eine Frau mit dunklen Haaren, sie trug ein blutbeflecktes weißes Kleid, Mitte zwanzig, in den Armen hielt sie ein verbluteter Mann, etwa im gleichen Alter. Ich konnte Angst und Verwirrung riechen, und es kam eindeutig von ihr.

«Los, Vampir.» Befahl mir der junge Offizier, und ich ging los. Die Polizisten sanken ihre Waffen und sahen zu, wie ich langsam auf sie zuging. Mit jedem Schritt, den ich mich ihr näherte, konnte ich hören, wie sie wiederholt zu sich flüsterte. «Ich wollte das nicht, ich wollte das nicht…» Ich seufzte, denn ich wusste, dass es nicht einfach werden würde. Sie hielt eine Hand auf den, mit Blut bedeckten Nacken des Mannes, als hätte sie in letzter Sekunde versucht, die Blutung zu stoppen, natürlich vergebens. Ich kniete vor ihr nieder und ihr Kopf schoss zu mir hoch. Ich konnte das frische Blut in ihrem Atem riechen und rutschte ein wenig nach hinten.

«Warst du das?» fragte ich sie. Sie schüttelte ihren Kopf, dann nickte sie, dann schüttelte sie ihn wieder. «Ich wollte nicht…» Sie atmete heftig. «Ich hatte mich nicht unter Kontrolle, ich wollte ihn nicht töten…» Jammerte sie. Ich sah auf die Leiche. Es sah aus, als ob ihm das ganze Blut, das er im Körper gehabt hatte, ausgesaugt worden wäre. «Aber du hast dir nichts dabei gedacht, ihn auszusaugen.» Sagte ich kalt, und sie sah mich schockiert an. «Ich wollte nicht-» «Du wolltest nicht, hast aber, und nun muss ich dich deswegen töten.» Ich stand langsam wieder auf, während ihre Tränen die Wangen runterrollen. Verzweifelt versuchte sie, nach meinem Bein zu greifen, aber ich zog es weg.

«Bitte nicht, ich schwöre auf alles, was ich habe, ich werde es nie wieder tun, bitte lass mich leben.» Ich schloss die Augen. Mir war bewusst, dass es schwierig werden würde. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn sie, nachdem sie die Tat schon vollbracht hatten, um ihr Leben bettelten, weil ihnen in den Sinn gekommen war, dass sie doch nicht so unsterblich waren, wie sie es sich erhofft hatten.

«Bitte, ich hab eine Familie, ich bin verbunden, denk doch an meinen Vigor.» Ich runzelte die Stirn. «Du hast aber nicht an deinen Vigor gedacht, als du dich zur Zielscheibe gemacht hast, oder?» Sie stand auf und ich konnte hören, wie alle Waffen wieder auf sie gerichtet wurden. Dann kam die befehlerische Stimme des Jungen Offizier. «Vampir, töte sie.»

Sie gingen mir alle so sehr auf die Nerven, all diese Möchtegern-Helden, die glauben, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, indem sie andere Wesen in die Enge drängten. Wäre jetzt Talon bei mir, würde er sicherlich einen dämlichen Witz reißen, so wie immer. Er war immer schon der Typ, der alles und jedem ins Gesicht lachen konnte, immer mit einem spitzen Kommentar auf der Zunge. Aber er hat mich ja verlassen, abgehauen ist er, nun muss ich jeden Tag ohne seine Berührung leben.

«Hör mal, entweder bringe ich dich um, oder…» Ich legte sanft meine Hand um die Halskette und flüsterte: «Oder die bringen mich um.» Sie sah sich panisch um, als würde sie nach einem Ausweg suchen. «Ich mache es so schmerzlos wie möglich.» Versprach ich ihr. Sie schüttelte ihren Kopf, doch bevor sie etwas sagen konnte, verlängerte ich meine Nägel und schnitt ihr schnell und geräuschlos die Kehle durch. Sie schnappte ein paar Mal nach Luft, dann fiel sie regungslos zu Boden. Ich schmiss mir ihren Körper über die Schulter und ging zum jungen Offizier.

«Gut gemacht, du hast dir heute deinen Blutbeutel verdient.» Sagte er erfreut, als würde er mit einem Hund reden, der brav Sitz macht und er ihm ein Leckerli versprochen hatte. Das, was er mit Blutbeutel meinte, ist meine Bezahlung. Jedes Mal, wenn ich einen Fall abschloss, bekam ich einen Blutbeutel, der mir ungefähr eine Woche lang reichte.

«Ich geh die Leiche entsorgen», sagte ich ihm, er sah mich skeptisch an, nickte aber. «Gut, komm aber sofort wieder zurück, ansonsten…» Er zog den Knopf raus und wedelte ihn in der Luft umher.

Ich ging eine Straße entlang, die in die entgegengesetzte Richtung führte, von der wir gekommen waren. Ich ging ohne mich groß umzusehen, es gab ja auch nichts zu sehen, nur viele Häuser, die sich so ähnlich waren, dass es schon langweilig war. Ich bog in einer dunklen Sackgasse ab und legte den Körper so hin, dass sie gegen die Wand lehnend am Boden saß. Ich hob ihren Kopf hoch und sah zu, wie der Schnitt, den ich ihr verpasst hatte, langsam heilte. Die Polizei und dieser junge Spund glaubten sich ja so schlau, aber sie, und der Großteil der Menschheit, wissen nicht, dass wir Vampire eine sehr schnelle Heilungskraft haben. Um uns zu töten, muss der Kopf ab.

Ihr Körper zuckte kurz, und dann öffnete sie ihre Augen. Sie fing an, nach Luft zu schnappen, als sie sich beruhigt hatte, sah sie mit großen Augen zu mir hoch. «Du hast mich am Leben gelassen…», flüsterte sie. Ich nickte. Tränen liefen ihr wieder die Wange runter, als sie mich anlächelte. «Danke, danke, ich stehe in deiner Schuld.» Ich half ihr hoch und sie richtete sich ihr mit Blut beflecktes Kleid. «Ich weiß nicht, wie ich mich bei dir revanchieren kann. Sag mir, wie ich mich bei dir bedanken kann!» Sie schien es wirklich ehrlich zu meinen.

«Ganz einfach, mach das nie wieder.» Sagte ich entschlossen, und sie nickte energisch. Wir hörten schnelle Schritte, jemand rannte die Straße runter. Lautes Keuchen erreichte meine Ohren. Dann sahen wir, wie ein Mann mit sehr kurz geschnittenen roten Haare am Eingang der Gasse anhielt und laut nach Luft schnappte. Sein, mit Piercing gefülltes Gesicht sah verängstigt aus, panisch. Das war ihr Vigor. Ich konnte es vom Geruch erkennen, denn wenn sich zwei Vampire verbinden, dann vermischt sich auch der Geruch, bis es eins wird. Dann rochen zwei Vampire so als wäre es nur einer.

Ohne Wörter auszutauschen, streckte er beide Arme aus und sie sprang ihm um den Hals. Er war wohl losgerannt, als er ihren momentanen Tod gespürt hatte. Er schlang einen Arm um ihre Hüfte und hielt mit der anderen Hand ihren Kopf an seinem Nacken. Der Ausdruck der kompletten Hingabe, den er auf dem Gesicht hatte, als er sie sah, erweckte Erinnerungen in mir, die ich seit Jahren unterdrückt hatte. Als er mich jedoch ansieht, sehe ich purer Hass. Mit gutem Grund, ich hatte seiner Lebenspartnerin die Kehle durchgeschnitten.

«Wenn ich euch wäre, würde ich wegziehen, denn sie wissen wie sie aussieht.» Ich zeigte auf die junge Frau und er zog sie näher an sich. «Wenn sie sie auf der Straße sehen, werden ganze drei Vampire ihr Leben verlieren.» Er nickte und bevor ich mich von ihnen verabschiedete, drehte sie sich ein letztes Mal zu mir. «Danke nochmals!» Ich nickte ihr zu und ließ sie hinter mir. Ich weiß dass ich sie nicht am Leben hätte lassen sollen, aber ich konnte nicht mit dem Gedanken leben, zwei Vigors getrennt zu haben, ich weiß nämlich, wie es ist, alleine zu sein. Und bei so einem Tot wäre ihr Vigor nicht lange am Leben geblieben.

Nun musste ich aber wieder zurück, bevor etwas Schlimmes passieren würde. Ich ging Gedankenverloren die Straße entlang, bog leider ein paar Mal falsch ab und hatte mich verlaufen. Leider war das eine schlechte Angewohnheit meinerseits, und zwar ein schrecklicher Orientierungssinn zu haben. Es geschah nämlich selten, dass ich alleine irgendwo hin ging, früher war es mit Talon, und jetzt war es mit irgendwelchen Offizieren.

Ich ging weiter, versuchte mich irgendwie zu orientieren, was praktisch unmöglich war, da alle Häuser gleich aussahen. Es roch auf einmal nach Verwesung, und zwar so stark, dass ich mir die Nase zuhalten musste. Ich folgte dem Geruch und erhöhte mein Tempo. Wenn das wieder ein Vampir war, der die Kontrolle verloren hatte, würde ich kurzen Prozess machen und dann wieder ins Revier. Was ich aber fand, als ich um die Ecke bog, war schrecklich.

Auf dem Boden lag eine Leiche, die, vom Gestank her, wohl seit langem da lag. Ich sah keine Verletzungen, der Körper war rein, fast schon zu rein, als hätte ihn jemand gereinigt, bevor er ihn liegen gelassen hatte. Es war ein Mann, Alter unbestimmt, seine Augen waren geschlossen, und seine Kleider sahen neu aus. Der Mund war offen und ich konnte hinein sehen. Das alles machte mir irgendwie Angst, und normalerweise tat mir der Anblick von Toten nichts, aber bei dieser Leiche war es anders. Mein Instinkt sagte mir, ich solle weglaufen, und als ich in seinen offenen Mund sah, verstand ich auf wieso.

Es war ein Vampir, und man hatte ihm die Fangzähne ausgerissen. Aber wieso war er tot? Wieso sind sie nicht nachgewachsen? Mein Blick wanderte nach unten zu seinem ordentlich aufgeknöpften Hemd. Auf seiner Brust war etwas eingeritzt. Meine Beine kribbelten, als würden sie mir sagen, dass ich abhauen sollte, aber ich konnte nicht. Ich erstarrte, als meine Ohren etwas von weitem hörten. Schritte, und sie kamen auf mich zu.