Kapitel II
Die Panik verging schnell, als der markante Geruch des jungen Offiziers in meine Nase gelangte. Ich blieb stehen und wartete, bis er bei mir war.
«Was zum Teufel machst du hier? Du hättest die Vampirin entsorgen sollen und dann zurückkehren müssen, aber stattdessen musste ich dich suchen kommen.» Er war ein wenig aufgebracht, aber ich glaube nicht, dass es meinetwegen war, sondern dass er schiss hatte, schon bei seinem ersten Tag den Jagdhund verloren zu haben.
Sein Blick wanderte dann zur Leiche neben mir und, ohne Vorwarnung, packte er mich an den Haaren und zog mich unsanft näher. «Deswegen hat es so lange gedauert, du musstest dir einen Snack hohlen.» Ich verzog keine Miene, auch nicht, als er mich ein wenig schüttelte. Ich war daran gewöhnt und es machte mich nichts mehr aus, auch wenn eine kleine Stimme, die schon längstens hätte sterben sollen, mir flüsterte.” Dreh ihm den Hals um, bring ihn um, saug ihn leer, du kannst der Aussetzerin die Schuld geben.” Ich schloss die Augen und atmete tief ein.
«Antworte mir, Vampir, sonst werde ich dafür sorgen, dass du deine Blutration erst nächsten Monat bekommst.»
“Töte ihn.”
Ich zeigte auf die Leiche, «Wie Sie sehen können, hat er keine Bissspuren.» Das war alles, was ich dazu sagte. Er ließ meine Haare los und schubste mich ein wenig, sodass ich nach hinten stolperte. Er beugte sich zur Leiche runter und nahm sie unter die Lupe. Genauso wie ich, sah er verwirrt aus, aber dann fragte er: «Ist das ein Vampir?»
«Ja.» antwortete ich. Er zuckte mit den Achseln und, während er weiterlief, sagte er gelassen. «Dann sagen wir der Mülldeponie Bescheid, und sie kommen ihn abholen.» Für ihn war die Sache damit gegessen. Es war ihm egal, dass ein toter Vampir vor seinen Füßen lag, er machte sich nicht einmal Gedanken, wieso er da lag, wieso er keine Fangzähne hatte, und dann das Eingeritzte in seiner Brust. Ich konnte nicht einmal nachsehen, denn ich wurde weggezerrt.
Ich konnte den Anblick der Leiche nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Sie erweckte ein sehr unangenehmes Gefühl in mir, etwas, was ich schon lange nicht mehr gespürt hatte. Angst.
Ich hatte Angst vor dem Unwissen, dass etwas geschehen war, das keinen Sinn ergab. Er sollte nicht tot sein, es gab keine Anzeichen von Gewalt, das einzig außergewöhnliche war das Eingeritzte. Als wir beim Revier waren, ging ich zum Teufel höchstpersönlich. Natürlich mit der Erlaubnis des jungen Offiziers. Ich klopfte an sein Büro und wartete. Seine Stimme ertönte. «Wer ist da?» Fragte er ein wenig gereizt und gestresst. Er benahm sich, als wäre er der einzige, der in diesem Revier arbeitete. Er war unser Abteilungsleiter, und er hatte außer mir zwei andere Vampire unter sich, daher war jeder Tag die Hölle für ihn. Ich durfte die anderen beiden nie zu Gesicht bekommen, denn die ängstlichen Menschen machten sich sonst Sorgen, dass wir uns gegen sie erheben würden. Aber der einzige Grund, wieso wir überhaupt hier waren, war unsere Unfähigkeit, für unser Leben zu kämpfen, daher würden wir sicherlich nicht jetzt damit anfangen.
«Es ist Thana, Sir.»
Stille.
«Wer?»
Ich seufzte. Deshalb hatte ich es aufgegeben , meinen Namen im Munde der anderen zu hören. Es ist schon lange her, dass mich jemand beim Namen genannt hatte, dass er schon für mich anfing, komisch zu klingen.
«Der Vampir aus Zelle 2.» Als ich das sagte, hörte ich schwere Schritte auf der anderen Seite der Tür, dann ging sie auf. Er trat hinaus und schloss sie hinter sich. Er hasste Vampire, aber er wusste mehr über uns als andere. Alle glauben es sein ein dummer Mythos, aber er wusste ganz genau, das ich ohne Einladung nirgends hinein durfte, deshalb fragte er immer zuerst wer es war, und kam bis hinaus zu mir um mich dann angewidert anzusehen, statt einfach zu sagen „Herein“.
«Was willst du? Ich habe den Bericht schon bekommen.» Er verschränkte die Arme und sah mich ungeduldig an. Ich nahm tief Luft und sagte. «Ich möchte auf Patrouille gehen.»
Diese Worte überraschten ihn sehr. Ich hatte mich noch nie freiwillig gemeldet, ich hasste es nämlich auf Patrouille zu gehen, ich hasste es alleine herumzulaufen, aber diesmal ging es um etwas Wichtiges.
«DU willst auf Patrouille? Und wieso das plötzlich?» Er war skeptisch, aber ich hatte keine Zeit dafür. Entweder ließ er mich gehen, oder ich würde einen Weg raus finden.
Als er keine Antwort von mir bekam und ich ihn nur stier ansah, kratzte er sich nachdenklich am Bart und sagte dann. «Gut, komm mit.»
Er ging an mir vorbei und ich folgte ihm. Er ließ mich vor der offenen Tür eines Zimmer warten, das aussah wie eine Abstellkammer für Waffen. Ich sah viele Gewehre, Schrotflinten und anderes, das ich nicht kannte. Er holte aber nichts von all dem. Was er mir brachte, war eine kleine Kiste, die er sorgfältig öffnete. Darin war eine kleine metallische Scheibe, die etwa so groß wie mein Daumen war.
«Dreh dich um.» Befahl er mir, und ich tat es. Ich spürte, wie er mir überraschend sanft die Haare zur Seite schob und dann das kalte Metallstück auf den Nacken legte. Als es meine Haut berührte, hörte ich ein kleines Klick und ein kurzes Stechen.
«Das ist ein kleiner Peilsender. So werde ich immer wissen, wo du bist, also komm nicht auf dumme Gedanken.» Sagte er kalt und schloss die Tür hinter sich. Ein Halsband und ein Peilsender, die wissen wirklich, wie man ein anderes Wesen gut behandelt.
Ich versuchte mich zu erinnern, wo ich die Leiche war. Der Offizier hatte gesagt, dass er der Mülldeponie Bescheid gesagt hätte, daher musste ich mich beeilen und vor ihnen angekommen. Ich erreichte den Spielplatz, wo ich die Aussetzerin getroffen hatte, und folgte dem gleichen Weg . Ich suchte die Sackgasse und hielt an. Nun musste ich von hier aus meine Nase anstrengen. Ich folgte dem leichten Geruch von Verwesung und ging schnellen Schrittes. Als er stärker wurde, vermischte sich plötzlich ein neuer Geruch mit ihm. Verbrannt.
Ich hielt an und beugte mich nach vorne um die Ecke, ich atmete kaum.
Die Leiche war an derselben Stelle, aber diesmal stand ein Mann vor ihr. Er trug einen langen schwarzen Mantel. Er hatte breite Schultern, dunkle Strähnen, bedeckten ihm leicht den Nacken. Dann merkte ich es. Der Geruch von Verbrannt kam von ihm.
Er beugte sich runter zur Leiche und nahm sie sich unter die Lupe. Er sah sich den Mund an und dann die Brust. Er schien zu wissen, wonach er suchen musste.
Er stand wieder auf und nahm ein Handy aus der Tasche seines Mantels. Er wählte dann rasch eine Nummer und wartete geduldig. Wer war dieser Mann? Was machte er hier? Wen rief er an?
Wer auch immer am anderen Ende war, nahm schnell ab und der Mann fing an zu reden. «Ich bin’s. Ich bin bei der Leiche. Ja, es ist das gleiche Muster.» Seine Stimme war leicht gereizt und tief, ich konnte einen Akzent hören, aber ich wusste nicht, was für einen. Ich rückte ein wenig näher, um besser hören zu können, aber leider war mein Gehör nicht so gut, dass ich hören konnte, was der auf der anderen Seite der Leitung zu sagen hatte.
«Ich nehme ihn mit, dann können wir ihn besser untersuchen.» Sagte der Mann dann. Er wollte auflegen, aber dann zuckte sein Kopf in meine Richtung. Ruckartig versteckte ich mich, aber er hatte mich wohl gesehen, denn er sagte. «C’è qualcuno che mi sta spiando.» Er wechselte plötzlich die Sprache und ich verstand gar nichts. Was hatte er ihm gesagt? Ging es um mich? Ich musste weg.
Ich rannte los. So schnell ich konnte, rannte ich die Straße entlang, bis ich wieder am Spielplatz war. Ich hielt an und nahm tief Luft. Ich roch niemanden mehr, was zum Glück bedeutete, dass er mich nicht verfolgte. Ich setzte mich auf eine Parkbank. Wer war dieser Mann? Und was meinte er mit Muster? War das nicht die erste Leiche? Ich musste nachdenken. Was sollte ich nun tun? Sollte ich etwas tun? Eigentlich ging es mich nichts an. Es gab anscheinend Leute, die sich darum kümmerten, wieso sollte ich also etwas tun?
Ich ging zurück ins Revier.
Drinnen, machte ich mich auf den Weg zu meiner Zelle, als ich vom jungen Offizier angehalten wurde.
«Mach deinen Mund auf.»
Ich sah ihn zuerst verwirrt an, aber als seine Hand sich meinem Gesicht näherte, gehorchte ich sofort und öffnete meinen Mund. Er nahm dann eine kleine Taschenlampe raus und leuchtete mit dessen violetten Strahl direkt in meinen Mund. Passierte das jedes Mal, wenn einer von uns auf Patrouille ging? Wie unangenehm.
«Keine Blutspuren, gut gemacht.» Er hatte ein sehr zufriedenes Lächeln, aber einen herablassenden Ton.
Ich schloss meinen Mund.
Dieser Junge hatte Glück, dass ich ihm zugewiesen wurde. Der Vampir aus Zelle 1 hatte einem Offizier die Nase gebrochen, nachdem er ihn beschimpft hatte. Gebrochen war vielleicht eine Untertreibung, er hatte sie ihm abgebissen. Man hatte ihm dann einen Maulkorb gegeben.
Wir hörten Schritte und wie gerufen, kam der Vampir auf uns zu, gefolgt von einem Offizier. Der Vampir war nicht sehr groß, vielleicht so groß wie der junge Offizier neben mir. Er hatte strohblonde Haare und gelbe Augen. Sein Gesicht war bedeckt mit Narben. Der Maulkorb saß eng auf seinem Gesicht, aber schien ihn kaum zu stören. Unter seinem schwarzen Hemd konnte man ein Tattoo sehen, das seinen Hals rauf wanderte. Der Offizier hinter ihm war kleiner als er und hatte keine Haare mehr, dafür einen schönen, üppigen, grauen Bart.
Er hielt bei uns an, der Vampir tat es ihm gleich. Die Offiziere fingen an, miteinander zu quatschen, es war mir egal über was, ich wusste nur, dass der Vampir neben mir, mich stumm anstarrte. Als mir das Gaffen zu viel wurde, sah ich zu ihm und fragte: «Brauchst du etwas?»
Als Antwort bekam ich ein spitzes Lächeln und die Frage: «Wie heißt du?»
«Thana.» Sagte ich und sah wieder nach vorne.
«Hübscher Name. Ich heiße Derrick. Warst du gerade auf Patrouille?» fragte er mich. Er klang netter, als er aussah. Ich nickte.
«Ich muss auch gehen. Welche Zone hattest du?»
Ich erklärte ihm ungefähr, welche Straße ich genommen hatte und er hörte mir aufmerksam zu. Er erzählte mir dann, welche Zone ihm zugewiesen wurde. Es tat gut, mal wieder mit jemandem normal reden zu können. Wenn sie uns doch nur erlauben würden, Zeit miteinander zu verbringen, wäre all das hier vielleicht gar nicht so schlimm.
Ich bemerkte, dass die Offiziere aufgehört hatten, erst als der junge mich beim Nacken packte und nach hinten zog. «Was wird das? Ich dachte, ihr wüsstet, dass wir das nicht dulden.»
Ich zuckte nicht einmal, aber Derrick verzog das Gesicht. «Was soll das? Behandelt man so eine Dame?»
Der junge Offizier runzelte die Nase und sagte. «Sie ist keine Dame, sie ist ein Vampir. Sie hat keine gute Behandlung verdient.»
Das war für Derrick zu viel. Er hob seine Faust und wollte zuschlagen, doch dann ertönte ein Piepen, als es nach wenigen Sekunden verstummte, fing er an, schrecklich zu zucken. Es war ein schrecklicher Anblick. Ich bewegte mich kaum, ich hatte aufgehört zu atmen. Nach einer unerträglichen Minute, konnte Derrick sich wieder aufrecht halten. Es war still, erstickend still zwischen uns, die Stimmung war angespannt, bis der ältere Offizier Derrick aus der Tür schubste und sagte: «Komm rechtzeitig zurück, sonst hetze ich die Hunde auf dich.»
Derrick zeigte ihm den Stinkefinger und ging los. Als er aus unserem Blickfeld war, befahl mir der junge Offizier mich umzudrehen. Dann hörte ich einige Klicks und er nahm mir den Peilsender vom Nacken.
«Du kannst wieder in deine Zelle.»
Ohne zweimal nachzudenken, ging ich.
Ich schloss die Tür hinter mir, und erfreute mich wie immer diese vier Wände um mich zu haben. Es war dunkel hier, praktisch leer, aber es war mein Rückzugsort. Ich hatte mein Bett, meinen kleinen Schreibtisch und eine kleine Lampe, die von der Decke hing, und eigentlich ausgewechselt werden sollte. Ich hatte auch ein kleines Bad zur Verfügung. Ich setzte mich hin und starrte die kahle Wand vor mir an. Meine Gedanken wanderten zurück zu dem unbekannten Mann, der so stark nach verbrannt roch. Aber nichts an ihm brannte, und er war auch kein Raucher, denn Zigaretten Rauch roch anders. Was bedeutete das wohl? Und wieso war er bei der Leiche?
Ich schüttelte meinen Kopf. Ich hatte mir gesagt, dass es mich nichts anging, und dennoch klammerte sich mein Verstand daran. Dieser Mann kümmert sich darum, ich muss mich nicht einmischen.
Ich versuchte mit diesen Gedanken zu leben, zumindest dachte ich, ich könnte es. Aber das Spiel hatte sich verändert, als ich zwei Tage danach, ein Gespräch zwischen zwei Offiziere belauschte. Es schauderte mich, als ich hörte, was geschehen war.
Derrick war nicht von seiner Patrouille zurückgekehrt.