K7 "Kyle is a nice guy"
Sonntag ist nicht viel passiert. Noah hat mir ein bisschen was über die Schule erzählt. Das meiste wusste ich aber schon von Lou, die die Schule auf ihrer Internetseite gestalkt hatte. Altbau mit hohen Decken, breiten Treppen und kleinen Räumen. Zwei Häuser. Das Haupthaus ist die Schule. Dieses Jahr 1209 Schüler. Direkt dahinter, damit die verwöhnten Jugendlichen nicht so weit laufen müssen, liegt das Intertatsgebäude. Um das Gelände herum ist eine große Wiese. Aktivitäten wie Golf, Reiten, Schwimmen, Rugby, Fußball und Orchester, sind Wahlmöglichkeiten zur "außerschulischen Freizeitgestaltung". Ich werde keine dieser Dinge machen. Noah hat auch keine Lust mit mir Golf zu spielen. Schade.
Heute ist Montag. Die Schule beginnt am Mittwoch, also haben wir noch zwei Tage frei. Leider müssen wir jetzt schon fahren, da mein Zimmer ja noch nicht "mein Zimmer " ist. Die Sekretärinnen legen viel Wehrt auf Individualität und wollen das man sich sein Zimmer gemütlich macht. Ist ja auch alles schön und gut, es steigert aber meine Nervosität. Es wird alles neu sein und ich hasse es, wenn alles neu ist. Ich brauche immer ein paar Stunden um mich in alles ein zu finden. Das sind zwei riesen große Gebäude und ich werde mich bestimmt mehrmals verlaufen. Wie man inzwischen gut gesehen hat, bin ich ziemlich oft orientierungslos.
Noah läd gerade die letzten Sachen ins Auto und dann fahren wir los. Ich kann morgens eh nicht viel essen, aber heute habe ich Angst, dass jedes Essen mir nach ein paar Minuten wieder hoch kommt. Es ist traurig wie sehr mich Veränderungen beeinflussen. „Es kann los gehen. Wo ist Finn?" Noah schlägt den Kofferraum zu und kommt zu mir in die Küche. Ich lehne an der Kücheninsel und male mir schon mal aus, wie ich vor Angst einen Herzinfarkt bekomme. Ich kann schon sehen wie die Ärzte über mir knien und mir einer mit einer kleinen Lampe in die Augen leuchtet. Sie rufen meinen Namen und stupsen mich an. „Étoile."
Ich gucke auf meinen Arm. Irgendjemand stups dagegen. Mein Blick wandert zu dem Besitzer des Armes und mein Tagtraum verschwindet. „Étoile?" „Ja, ich bin wieder da." Noah guckt mich nur fragend an. „Vorhersehung." Er nickt nur und zieht seine Jeansjacke an. Es liegt kein Schnee mehr und man kann schon bei vielen Pflanzen die Knospen sehen, aber die Luft ist trotzdem noch eiskalt. „Guckst du mal wo Finn bleibt?" Ich will eigentlich mit dem Kopf schütteln und wie ein kleines Mädchen einen Schmollmund ziehen, aber ich verkneife es mir und gehe stattdessen nach oben. Seit ich Noah von Finn und meinem Spaziergang erzählt habe, hat er die Sache mit Finn noch weniger ernstgenommen als vorher. Er sagt, zwischen mir und Finn sei jetzt alles geklärt, aber das sehe ich überhaupt nicht so.
Ich klopfe an Finn's Tür, aber ich bekomme keine Antwort. Ich überlege kurz wieder nach unten zu gehen und Noah einfach zu sagen, das ich ihn nicht finde. Bei der Größe des Hauses würde er es mir vielleicht sogar abkaufen. Ich reiße mich dann aber doch zusammen und öffne vorsichtig die Tür. Sofort kommt mir kalter Wind entgegen. Ich ziehe meinen Hoodie enger an mich. Erst denke ich, dass Finn nicht da ist, aber dann sehe ich ihn. Er liegt noch in seinem Bett und schläft. Langsam laufe ich zu ihm. Ungefähr so wie wenn man sich an eine Mücke anschleicht.
Sein Zimmer ist kleiner als ich gedacht habe. Große weiße Vorhänge wehen von den hohen Decken ins Zimmer herein. Ich hatte mir sein Zimmer ganz anders vorgestellt. Irgendwie dunkel mit zugezogenen Rolladen, schwarzen Möbeln und gruselig schwachen Lampen. Sein Zimmer ist ja das komplette Gegenteil. Die Fenster sind weit offen, helle Möbel bis auf ein dunkleres Palettenbett. Eine Wand hat Backsteine und eine ist grau gestrichen, aber alle anderen Wände sind strahlend weiß. Hier ist es wahrscheinlich heller als in meinem Zimmer. Natürlich hat das Ganze aber schon einen Tatsch von dem Finn, den ich jeden Tag sehen muss. An der Wand hängen Poster von mehr und manchmal weniger angezogen Models vor teuren Autos. Sowas gibt es wirklich? Wo hat er das denn gekauft? Dass er sich auch die Arbeit gemacht hat die aufzuhängen. Erstaunlich.
Als ich ein Model mit sonnengebräunter Haut und gelben Bikini ansehe, fällt mir plötzlich auf was ich eigentlich hier wollte. Ich drehe mich genervt zum Bett um. Verwundert über das was sich hier vor mir befindet. Finn schläft. Er schläft ganz friedlich. Das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Er hat seine Arme um sein Kopfkissen geschlungen und vergräbt sein halbes Gesicht rein als würde er ein Kuscheltier umarmen. Ich kann garnicht beschreiben wie süß er aussieht. So hilflos wie ein kleiner Junge. Ich hocke mich an sein Bett und nutze den Moment. Endlich kann ich ihn richtig angucken ohne Störungen. Seine Haare sind verwuschelt, was ihn nur noch süßer macht. Seine Decke ist ein bisschen nach unten gerutscht. Wieso trägt der kein Oberteil? Ist ihm denn garnicht kalt? Okay, da sollte ich echt nicht hingucken. Er hat die Decke generell ziemlich lustig um sich gewickelt. Ein Bein liegt oben drauf, das andere darunter. Er muss seine Bettdecke echt mögen so wie er sie kuschelt.
Ich gehe zum Fenster und schließe es. Ich kann mir das hier nicht antun. Ich hoffe das er wach wird und ich ihn nicht wecken muss. Ich bin extra laut, aber dieser Junge schläft noch tief und fest. So süß wie er gerade aussieht, kann ich ihm garnicht böse sein. Ich stupse ihn kurz an der Schulter an, aber er rührt sich kein Stück. Das geht ein paar mal so weiter, aber er bewegt sich nicht. Es ist irgendwie komisch ihn so anzufassen. Wäre er wach, hätte er das nie zugelassen.
Irgendwann überlege ich, ob er nicht vielleicht schon wach ist und mich nur verarscht, aber sein regelmäßiges Atmen sagt mir, dass er wirklich noch schläft. Der ist bestimmt betrunken oder so und schläft seinen Rausch aus. So tief kann niemand schlafen. Ich überlege kurz und fasse dann einen Entschluss. Schnell laufe ich ins Bad und schnappe mir einen Zahnputzbecher. Ich fülle ihn mit Wasser und schleiche zurück an Finn's Bett. Ich weiß, es ist voll das Klischee, wenn ich ihm den Becher jetzt einfach über den Kopf halten würde, sodass er direkt mal geduscht wird, aber das habe ich auch gar nicht vor.
Langsam knie ich mich vor sein Bett. Ein bisschen Abstand lasse ich, damit er mir nicht sofort eine runter hauen kann, wenn er wach wird. Ich halte den Becher auf ungefähr seine Höhe und schnippse dann vorsichtig etwas Wasser von der Oberfläche in Finns Gesicht. Ich hab das extra kalt gemacht. Er muss davon einfach wach werden. Er bewegt sich nicht, also schnippse ich einfach nochmal mit etwas mehr. Wieder nichts. Ist es komisch, dass ich ihn hier so beobachte? Was er wohl denken wird, wenn er aufwacht? Ich muss aber zugeben, dass ich es mag, hier so zu sitzen und machen zu dürfen, was ich will. Und Finn hat es eigentlich echt verdient, dass man ihn mal ordentlich wach duscht.
Ich stecke meine ganze Hand in den Becher und schleudere dann alle Wasser Tropfen von ihr in Finns schlafendes Gesicht. Tatsächlich er murrt irgendwas und dreht sich auf den Rücken. Ich stehe zufrieden auf. Der ist wohl ein Morgenmuffel. Langsam packt er sich ins Gesicht. Als er bemerkt, dass es nass ist, öffnet er mich mehr ganz so friedlich aussehend seine Augen. Als hätte er meine Präsenz gespürt, dreht er seinen Kopf zur Seite und sieht mich direkt an. Jetzt scheint er wach zu sein.
Ich rede schnell, damit die Situation hier nicht falsch verstanden wird. „Wir fahren. Du hast verschlafen. Noah ist schon im Auto. Beeil dich schnell." Dann laufe ich etwas unbeholfen zu seinem Schreibtisch, stelle den Becher ab, der eigentlich ins Bad gehört und verschwinde schnell. Finn hat mir zu hundert Prozent angesehen, dass ich nervös war. Das wird wohl einer dieser Momente werden, die ich immer wieder in meinem Kopf analysieren werde. Toll. Wenigstens habe ich auch noch ein nettes Bild von Finn im Kopf, wie er friedlich schläft.
Auf dem Weg zum Auto höre ich Finn leise fluchen. Ich strahle mein triumphierendes Lächeln und setze mich dann neben Noah auf den Beifahrersitz. Dieser lächelt so freundlich wie sonst auch. „Wo war er?" Ich seufze leise und sehe aus dem Fenster. „Der war noch am schlafen." Noah sieht mich überrascht an. „Und du hast es geschafft ihn wach zu kriegen?" Ich nicke langsam. „Ich hab ihm mehr oder weniger Wasser ins Gesicht gespritzt bis er aufgewacht ist."
Wie lange der jetzt wohl brauchen wird? Plötzlich kommt jemand aus der Haustür raus. So schnell? Finn steigt schlecht gelaunt ins Auto. Wenigstens ist er jetzt angezogen. Er sagt mir, dass er sich rächen wird und ich rolle mit den Augen. „Ich hätte dir auch gleich den ganzen Becher über den Kopf schütten können." Noah startet das Auto und fährt los. Ab da ist Finn dann auch leise. Wir fahren ungefähr zwei Stunden. Noah hat das Radio angemacht und ich summe leise vor mich hin. Finn sitz auf der Rückbank und schreibt WhatsApp. Seine Haare fallen ihm verstrubbelt ins Gesicht. Ich kann im Rückspiegel sehen wie ein Wassertropfen eine Strähne herunter fließt. Die Strähne hängt leicht in Finn's Gesicht, aber der Tropfen landet auf dem Display seines IPhones.
Finn wischt den Tropfen weg und fährt sich genervt durch die Haare. Als er von seinem Handy aufguckt, treffen sich unsere Blicke. Ich ignoriere es und gucke aus dem Fenster. „Wie weit ist es noch?" Noah lächelt so vor sich hin. Da er meine Frage nicht beantwortet, versuche ich es mit einer anderen Frage. „Woran denkst du gerade?" Er lacht. „Ja, immer wieder lustig, dass du das fragen musst." Ich finde es ziemlich nervig, dass ich seine Gedanken nicht lesen kann, aber bei seinem Grinsen brauch ich es auch nicht. „Ein Mädchen." sage ich gehässig. Er sieht mich verwirrt an. „Kannst du doch...? Hast du gerade...?" Ich schüttel nur mit dem Kopf. „Ne, so wie du grinst ist es irgendwie klar. Die von dem Date?" Er nickt und sein Lächeln strahlt weiter vor sich hin.
„Ich schreibe Stunden mit ihr. Das Date war super. Sie ist hübsch und lustig. Richtig klug." Da hat sich jemand aber schnell verknallt. Wenn das mal gut geht. „Du hast aber nicht vor es ihr zu sagen oder?" Ich rede von unserem süßen Geheimnis. Er schüttelt mit dem Kopf. „Nein, das würde nicht gut ausgehen. Besonders weil ich ständig so nervös bin und wissen will was sie denkt. Ich schummle." Ich lache nur. „Das wird schon." Noah grinst weiter vor sich hin.
Den Rest der Fahrt hab ich dann so ziemlich geschlafen. Ich dachte, ich schließe nur kurz die Augen, bin dann aber von Noahs Worten geweckt worden. „Wir sind da." Sofort bin ich hell wach und wieder nervös. Mein Magen kribbelt und ich habe erneut Angst mich vor Aufregung zu übergeben. Finn steigt zuerst aus. Er hat eigentlich kein Gepäck dabei. Noah hilft mir meinen silbernen Koffer aus dem Kofferraum zu holen. Plötzlich höre ich ein kreischen. Ich drehe mich um und sehe. Abigail, Mira, Vanessa, Lindsey, Tara oder wie auch immer diese Schlampe heißen mag. Sie schmeißt sich sofort an Finn ran und steckt ihm ihre Zunge in den Hals. Den scheint das nicht zu stören. Er grapscht ihr an den Arsch.
Erst ignoriere ich das, aber dann fällt mir etwas ein. „Noah, die Wette." Noah guckt zu Finn und lacht. „Dann werde ich ihn mal daran erinnern. Noah geht auf Finn zu und zieht ihn am Kragen nach hinten. Finn lässt den Schlampenarsch los und guckt Noah fragend und vielleicht auch etwas wütend an. Noah lächelt nur selbstgefällig. „Hast du etwa die Wette vergessen?" Erst guckt Finn einfach nur verwirrt, dann scheint ihm alles wieder ein zu fallen. „Verdammt!" Er sieht die Schlampe wieder an. „Verpiss dich Natalie, ich hab jetzt kein Bock." Sie scheint noch nicht einmal schockiert zu sein. Sie nickt nur, lächelt gekünstelt und geht. Armer Finn. Meine Laune hebt sich sofort.
Das Gebäude ist alt und von außen mit großen braunen Steinen belegt. Eine Treppe führt zu der höher gelegten Tür zum Haupteingang. Ich gehe über den Kieselweg entlang des Rollrasens zur Tür. „Fett." Noah lächelt wieder sein "Ich bin ein verliebter Volltrottel" Lächeln. Daran muss ich mich wohl jetzt gewöhnen. Er hält mir die Tür auf, sodass ich zuerst in den Eingangsbereich trete. Fast kommt mir noch ein "Fett." über die Lippen. Alles ist hier fett. Fett riesig, fett teuer oder wie die Frau am Eingang einfach so übergewichtig.
Ich habe das Gefühl in einem riesen Hotel zu sein. Man kommt mit Koffern an, geht zur Lobbi und holt sich seinen Zimmerschlüssel. Ich gehe erst mit Noah zu seinem Zimmer, damit ich weiß wo es ist und danach suchen wir zusammen mein Zimmer. Das Haus hat drei Stockwerke und einen Anbau. Jedes Stockwerk hat zwei Flure, welche parallel zueinander verlaufen. Einen links und einen rechts von der Treppe. Beide sind in der Mitte noch mit einem kleinen Durchgang verbunden, der mehr so einem Spalt ähnelt. Etage eins sind die Zimmer für die Jungs. Die Gänge sind nach Klassen eingeteilt. Etage zwei ist die der Mädchen. Wieder nach Klassen eingeteilt. Man kommt von Schulgebäude genau auf die zweite Etage, weil die Schule höher am Hügel liegt als das Internat. So muss man für die Jungs eigentlich in den Keller gehen. Im Anbau liegen die Zimmer der ältesten Schüler. Dazu zählen Elft- und Zweitklässler. Da werde ich dann wohl nächstes Jahr sein.
Noah zeigt mir noch schnell Etage drei. Es gibt dort Aufenthaltsräume mit Tischkickern und ein paar Sofaecken. „Wenn besondere Ereignisse anstehen, stellen uns die Lehrer einen Fernseher in den großen Aufenthaltsraum. Zum Beispiel, bei irgendwelchen Fußball spielen. EM und WM. Germanys Next Topmodel ist übrigens kein wichtiges Ereignis. Die Mädchen versuchen es zwar immer durch zu setzen, aber es ist der Schmitdt, der den Fernseher zur Verfügung stellt und er hat für solche Sachen wenig Verständnis."
Mein Zimmer ist eigentlich ganz schön. Meine ganzen Sache stehen in Kartons in der Mitte. Sie warten nur darauf ausgepackt zu werden, aber alles in mir sträubt sich dagegen. Es ist ein Viererzimmer. Alle anderen Betten sind leer nur auf meinem liegt ein Schild mit meinem Namen. Das heißt wohl, dass ich alleine in diesem Zimmer bin. Ich weiß nicht, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Das heißt, dass ich viel Privatsphäre habe, was mir nur recht ist, dass keine billige Bitch in meinem Zimmer pennt und ihre Lover mitbringt, es heißt aber auch, dass ich alleine hier bin, dass mich niemand weckt, wenn ich verschlafe und das mir wohl ziemlich oft ziemlich langweilig sein wird.
Ich hole er mal das nötigste aus meinem Koffer und verfrachte Shampoo, Duschzeug, Zahnbürste, Zahnpasta und sämtliche Make-up Produkte ins Badezimmer. Es gibt eine Dusche, ein großes Waschbecken und eine Toilette. Einfach, aber ausreichend. Jeder hat in seinem Zimmer ein Bad. Noch ein Vorteil allein im Zimmer zu sein. Ich hab ein Badezimmer ganz für mich alleine. Ich kann lesen so lange ich will ohne das andere Abends das Licht ausmachen. Ich kann in Ruhe schlafen ohne durch ein Schnarchen geweckt zu werden. Ich weiß nicht wieso ich Vorteile suche. Ich brauche doch niemanden davon überzeugen, dass es alleine besser ist. Oder versuche ich mich selbst davon zu überzeugen?
Ich habe ein Buch heraus gekramt und sitze auf meinem Bett. Irgendjemand klopft an die Tür, also stehe ich auf und öffne. Vor mir steht ein lächelnder dunkelblonder Junge mit grünen Augen. Seine Statur verrät schon, dass er viel Sport macht. Er lehnt lässig im Türrahmen. „Hey, ich bin Kyle. Du musst neu sein oder? Étoile Champagn richtig?" Er steckt mir die Hand entgegen und ich schüttel sie. „Ja genau. Erst vor ungefähr na Stunde angekommen." Er lächelt weiter und richtet sich auf. „Ich hab mich dafür gemeldet jemand neuem die Schule zu zeigen und hab dich zugewiesen bekommen. Also wenn du Zeit und Lust hast, zeig ich dir alles." Ich nicke.
„Jetzt oder später? Ist mir egal." Ich nehme meine Jacke und schließe die Tür hinter mir. „Jetzt. Ich bin bereit." Er guckt erstaunt und geht dann los. Wir laufen eine Zeit lang nebeneinander her und reden über die Fahrt hier hin und ich erzähle ein bisschen was. Wieso ich jetzt hier bin und ein paar unwichtige andere Sachen. „Du spielst Football oder?" Er sieht mich erstaunt an. „Ja. Woher weißt du das?" Ich lache nur. „Man siehts."
„Ich spiele Rugby und American Football. Die meisten Leute halten es für ein und die selbe Sache, aber das ist es nicht." Ich versuche mir das zu merken. „Ich hab leider keine Ahnung davon." Ich lächle nervös, aber das scheint ihn nicht zu stören. „Am Wochenende ist ein Rugby Spiel. So als Vorführung um neue Leute für die Mannschaft zu suchen. Eigentlich ist unsere Mannschaft voll. Es gibt sogar einen ziemlich harten Eignungstest, damit wirklich die besten Leute heraus gefiltert werden. Du kannst kommen und es dir ansehen. Wenn du magst gehen wir danach irgendwo was essen und ich erkläre dir das Spiel und den Unterschied zwischen den beiden Sportarten. Nur wenn du Lust hast natürlich. Ich vergesse manchmal, dass mich dieser Sport vielleicht mehr begeistert als andere." Er lacht.
„An deiner Stelle würde ich nicht mitgehen. Kyle labert nur Schwachsinn. Er ist die langweiligste Person, die ich kenne." Ich drehe mich um und sehe Finn, wie er ein paar Meter hinter uns hergeht. Ich ignoriere ihn und drehe mich wieder zu Kyle. Dabei entgeht mir aber nicht der stechende Blick von Kyle zu Finn. Okay, war auch immer zwischen den beiden läuft, ich will es wissen. „Ich komme gerne. Ich kann zwar nicht versprechen, dass ich es genauso toll finde wie du, aber ich werd's versuchen." Finn gibt nur ein genervtes Seufzen von sich. „Ich hab dich gewarnt." Ich drehe mich zu ihm um und laufe rückwärts weiter. „Ich hab's zur Kenntnis genommen." Kyle grinst nur dümmlich vor sich hin. Wenigstens ist er gut gelaunt, was man von Finn nicht sagen kann. Er schnauft nur vor sich hin und verschwindet in einem Zimmer.
„Die Neuen sind mir die liebsten. Die haben noch keine Angst vor ihm." Ich lache nur. Kyle lacht mit. „Du scheinst keine Angst vor ihm zu haben? Wieso sollte ich es?" Kyle sieht mich verwundert an. „Ich?" Er lacht leise und wir gehen wieder locker nebeneinander her. Wie alt Kyle wohl ist? Er sieht alt aus. So wie Noah fast schon. „Es gibt so zwei Gruppen hier. Die von Finn und meine. So Klicken. Finn's macht immer irgendeinen Mist und meine Klicke versucht das zu verhindern. Wir gehen uns hauptsächlich aus dem Weg, aber manchmal provozieren sie uns und dann gibts Stress." Ich gucke mir Kyle genau an. Er sieht nicht so aus als würde er andere schlagen. Bei seinen Muskeln könnte er es aber.
„So lange du in meiner Nähe bist, kann dir nichts passieren." Wir laufen über den Hof. „Gut zu wissen. Ich komm aber ganz gut klar." Kyle lacht. „Das denken sie am Anfang alle, aber dann lernen sie die Badboys kennen und..." Ich sehe ihn ernst an. „Und merken wie gefährlich die sind?" Kyle nickt. Er kann ja auch nicht wissen, dass ich bei Finn wohne und die Gefahr bereits eingeschätzt habe. „Ich werd aufpassen." Kyle nickt, aber ich sehe wie er mir nicht glaubt. Ob er so guckt, weil er mehr weiß als ich oder weil ich ein Mädchen bin?
Wir laufen durch das Gebäude. Die Schule ist riesig. Vor einer Tür im ersten Stock hält Kyle an. „Das ist deine Klasse. Leider auch die von Finn und seinen Freunden. Tyler aus meiner Klicke ist auch in deiner Klasse. Er passt auf, dass dir nichts passiert." Ich nicke nur. Ich brauche aber keinen Aufpasser. Ich komme gut alleine zurecht.
Auf dem Weg nach draußen zeigt mir Kyle noch den Parkplatz. „Hier hängen wir rum. Die Badboys auch. In der Cafeteria gibts ne Sitzordnung. Den Footballern ist der erste Tisch. Meiner Klicke. Der letzte Tisch ist den Badboys. Wir haben so viel Platz wie möglich zwischen uns gebracht. Pass auf wo du dich hinsetzt. Die Badboys lassen nicht jeden auf ihre Seite der Cafeteria." Ich lache nur. Wer hat sich das bitte ausgedacht? Die "Badboys " und die "Footballer". Ich sehe ihn belustigt an. „Ich fühle mich wie in diesen Highschool Filmen wo der Looser von irgendwelchen holen Typen ins Klo getunkt wird." Kyle lächelt leicht. „Du hast Torben noch nicht kennengelernt."
Auf dem Parkplatz stehen ein paar Jungs in dunklen Klamotten. Liam und den andern mit J...wie hieß der denn? Naja, die beiden kann ich erkennen, die anderen kenne ich nicht. Fast alle rauchen und ein paar haben Bierflaschen in der Hand. Es ist gerade mal früher Nachmittag? Durch die Kälte kann ich die Rauchschwaden noch besser sehen. Wenn die nicht alle Krebs kriegen.
Weiter weg von ihnen stehen ein paar andere Jungs. Kyle geht auf sie zu und ich folge ihm. Er begrüßt jeden mit einem Handschlag. „Leute, das ist Étoile. Sie ist neu. Ich zeig ihr die Schule. Tyler, sie geht in deine Klasse. Pass ein bisschen auf sie auf. Meiner Meinung nach ist sie etwas zu mutig." Ich begrüße kurz alle und gucke dann zu Tyler. Er hat dünne super hellblonde Haare, die zu allen Seiten abstehen. Ein paar feine Strähnen fallen ihm über die Stirn. „Du bist also jetzt mein Bodyguard?" Tyler mustert mich ernst. „Du bist wirklich zu mutig." Ich grinse nur wissend vor mich hin. Finde es besonders lustig, dass Tyler auf mich aufpassen soll. Wir haben so ziemlich die gleiche Statur, nur das er ziemlich groß ist.
„Ach, halt dein Maul!" Irgendjemand schreit laut und ich drehe mich nach der Stimme suchend um. Es ist irgend so ein Badboy Typ. Er hat zu uns rüber gesehen und bemerkt, dass ich mich zu ihm umgedreht habe. Jetzt pöbelt er mich an. „Was willst du?" Seine Freunde grölen vor sich hin. Kyle schiebt mich ein bisschen zurück. „Lass sie in Ruhe Sniper." Ich drehe mich zu dem blonden Lauch um. „Sniper?" Tyler stellt sich neben mich. „Wenn du ihn bei seinem richtigen Namen nennst, rastet er aus. Daniel hat ihn mal damit provoziert, wenn wir nicht da gewesen wären... wer weiß." Ich ignoriere Tyler's Blick auf mir und sehe mir Sniper genau an. Was ich damit meine wisst ihr ja schon. Er heißt eigentlich Sam. Irgendwas scheint ihn zu stören. Ich suche scheins zu lange denn Sam gibt seinen Kommentar dazu ab. „So wie du mich anstarrst, muss dir ja gefallen was du siehst." Ich stoße stark und abfällig etwas Luft aus und rufe genervt zurück. So nen Scheiß lasse ich mir nicht gefallen. „Hab mich gefragt was für ne Affenart du bist und wie du's aus dem Zoo geschafft hast." Seine Freunde lachen ihn belustigt aus. Ich hatte schon immer ne große Klappe.
Kyle zieht mich sofort wieder zurück. Ich sehe schnell zu seiner Hand an meinem Arm. Lass mich los! Jetzt! Ich atme unruhig ein und versuche die Panik unter Kontrolle zu halten. Drehe mich so zu ihm um, dass er mich loslassen muss. Dann sehe ich aber doch zurück zu Sniper. Ein Junge mit brauen, zotteligen Haaren ist zu ihm gekommen und redet auf Sniper ein. Er trägt einen großen Pullover und eine viel zu große Lederjacke. „Und wer ist das?" Es ist wohl gut, wenn ich hier so viele wie möglich kenne und weiß mit wem sie befreundet sind. „Das ist Finns Bester Freund Matt." Matt also? Er schafft es wirklich, dass Sniper die Flasche aus seiner Hand abgibt und sich beruhigt. Kurz sieht er zu uns rüber, sieht mich an, sagt aber nichts. Dreht sich einfach wieder zu seinen Freunden und ich beschließe mich auch weg zu drehen.
Sehe wieder Kyle an. „Ich geh mal wieder in mein Zimmer. Wenn irgendwas ist, klopf einfach." Kyle nickt einfach und lächelt mich freundlich an. Ich lächle kurzangebunden zurück und verschwinde dann. Muss aus der Situation raus bevorgestanden mir noch schlechter geht. Möchte jetzt nicht in irgendwas reingeraten indem ich Sniper Wiederworte gebe. Manchmal muss man sowas ignorieren und der erwachsenere sein. Vielleicht bin aber auch einfach feige. Kyle ist glaube ich auch froh, dass ich gehe. Er möchte wohl wirklich sicher gehen, dass mir nichts passiert und auch wenn das ein bisschen altmodisch ist, finde ich das eigentlich ganz lieb. Ich habe nicht darum gebeten, aber hier scheint es auch ein paar nicht so uunterentwickelte Typen zu geben. Hoffentlich bleibe ich bei denen und komme den anderen nicht in den Weg.
Langsam trotte ich zurück zu meinem Zimmer. Das hier ist alles ziemlich neu mal wieder. Ich bin es satt, dass ständig alles neu ist. Erst die ganze Sache mit Noah und Finn und dann der erste Umzug, jetzt noch der zweite. Ich brauche glaube ich mal eine Pause davon andere kennenlernen zu müssen. Ein paar bekannte Gesichter wären jetzt schön. Wäre Lou doch bloß hier. Vielleicht hätte sie bei mir im Zimmer geschlafen? Ich vermisse sie wirklich und dabei schreibe ich doch regelmäßig mit ihr. Es ist wohl einfach nicht das Selbe jemanden zu sehen oder nur über Textnachrichten zu kommunizieren. Wie es Noah wohl damit geht? Er muss Lou doch auch vermissen oder? Vielleicht hat er sich auch schon daran gewöhnt, sie so selten zu sehen. Ich habe ihn seit unserer ersten Begegnung nicht mehr auf Lous und seine Beziehung angesprochen, denn das Ganze scheint viel komplizierter zu sein als ich es erahnen könnte und ich wollte ihn nicht traurig machen. Vielleicht wäre er auch genervt gewesen und das kann ich im Moment nicht riskieren. Er ist die einzige Person hier der ich vertraue. Ich brauche ihn, auch wenn sich das egoistisch anhört.
Langsam komme ich vor meiner Zimmertür an. Am Anfang der Treppe direkt. Wie ich das jetzt schon hasse. Wirklich jeder kommt hier vorbei. Langsam drücke ich die dunkelgrüne Holztür auf und betrete mein neues Zuhause. Ich mochte es immer auf Klassenfahrt zu gehen auch wenn ich oft im Zimmer mit Leuten war, die ich nicht wirklich mochte. Auch wenn ich nachts in der neuen Umgebung nie gut geschlafen habe, mochte ich es mit anderen spät wach zu bleiben und zu quatschen. Auf solchen Fahrten kamen oft die größten Geheimnisse raus. Jetzt bin ich ganz alleine hier. Ich setze mich stumm auf mein Bett und starre auf das leere Bett vor mir. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass ich jetzt wieder neue Freunde finden muss. Die ganzen Jahre über hatte ich einfach Freunde. Das ist irgendwie passiert. Jetzt sind sie plötzlich alle weg. Fast so als wären sie ein Traum gewesen.
Seufzend greife ich wieder nach meinem Buch. Lesen kann man schließlich am besten alleine.