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K5 "chocolate girl"

Lou ist weg. Sie wurde vor vielen Wochen abgeholt. Morgen werde ich auch fahren. Ich habe Weihnachten noch bei meinen Eltern verbracht. Die Schule meinte, dass nach den Weihnachtsferien viele Schüler wieder in das Internat kommen und sie so kurz nach Weihnachten Heimweh haben würden und so alle Neuen mit ihrem Heimweh nicht alleine wären. Ich finde zwar, dass das Quatsch ist, aber ich akzeptiere es. Was bleibt mir auch anderes übrig? Wann ich des nächste Mal nach Hause komme weiß ich auch nicht. Ich werde meine Freunde vermissen. Unsere Gespräche vermissen. Ich werde keine neuen Dinge mit ihnen Erleben. Werde sie vielleicht nie wieder sehen.

Ich habe die letzten Wochen so sehr an meiner Entscheidung bezweifelt. Noah hat mich immer wieder aufgebaut. Wenn er die einzige Person auf dieser Welt ist, die es auch kann, dann dürfen wir uns nicht aus den Augen verlieren. Ich werde etwas verlieren. Egal wie ich mich entscheide. Ich habe Noah über mein ganzes bisheriges Leben gestellt. Wenn er da ist, werde ich nicht alleine sein. Trotzdem macht mir das alles Angst. So sehr Angst. Einen Rückzieher kann ich nicht mehr machen. Ich muss Noah vertrauen, dass alles gut geht. Das erste Mal in meinem Leben muss ich mich bewusst auf jemanden verlassen. Ich bin nicht mehr klein. Es kann eben nicht alles für immer so bleiben wie es jetzt ist. Ich habe keine Zaubererbsen wie Pippi Langstrumpf, die mich für immer jung bleiben lassen.

Ich werde morgen schon nicht mehr hier sein. Habe noch eine letzte Nacht zu Hause. Erst hatte ich noch einen letzten Monat. Dann eine letzte Woche. Wo sind sie hin? Die Zeit ist gerannt und sie reißt mich mit. Diese Nacht werde ich ein letztes mal zu Hause träumen. Das letzte Mal in meinem Bett aufwachen. Ein letztes letztes Mal. Das ist so surreal. Es gefällt mir ganz und garnicht.

++++

Ich sitze im Auto. Fahre und fahre und fahre. Wir sind schon mehrere Stunden unterwegs und kommen einfach nicht an. Noah und Finn sind schon eine Stunde früher los gefahren. Sie waren in den letzten Tagen schon ein paar Mal gefahren um alles rüber zu bringen. Meine Eltern haben ihnen dann immer ein paar Kartons von mir mit gegeben. Im Internat werde ich nicht viel Platz für meine Sachen haben, aber bei Noah zu Hause habe ich ein eigenes Zimmer mit viel Platz. Noah tut schon die ganze Zeit davon reden, will mir aber keine Fotos schicken oder mir erzählen wie es aussieht. Er sagt nur pausenlos, dass es mir gefallen wird. Das sehen wir dann. Wenn ein Bett, ein Tisch und ein paar Schränke drinne stehen, reicht mir das komplett aus. Mein Zimmer zu Hause kann man einfach nicht ersetzen. Ich habe es selbst gestrichen und alle Möbel selbst ausgesucht. Alles ist farblich aufeinander abgestimmt. Ich werd's schrecklich vermissen.

Wir machen jetzt schon am dritten Rastplatz halt, weil Mom schon wieder auf Toilette muss. Ich lasse mir von Paps ein bisschen Geld geben und kaufe mir ein Sandwich. Du bist nicht du wenn du hungrig bist. Noah hat mir ne Nachricht geschrieben. Ich hab kein W-lan und mache deswegen nur ab und zu Mobile Daten an. Sad life. Sie sind schon da.

Wir fahren weiter und nach zwei Stunden Fahrt und sechs Kilometer Stau sind wir auch da. Das Haus ist wunderschön. Es sieht aus wie eine kleine Villa. Eine große Rasenfläche drum herum. Vielleicht ein kleines bisschen zu groß für meinen Geschmack, aber Noahs Eltern würden meinen Geschmack wahrscheinlich auch einfach nur als ‚arm' beschreiben. Ich gehe auf den Eingang zu und klingel.

Noah öffnet uns die Tür. Seine Haare stehen wie immer etwas unbeholfen nach oben ab. Er trägt eine hellblaue Jeans und ein graues T-Shirt. Ach, mein Lieblingslauch. Er lächelt mich wissend an. „Stau?" Ich nicke nur und rolle mit den Augen. Meine Eltern stellen sich vor und Mom fängt an Noah kritisch zu mustern. Bitte nicht. Hoffentlich bleibt Finn in seinem Zimmer. Noah lädt sie noch ein herrein zu kommen, aber sie lehnen ab. Wenn sie nicht bald wieder los fahren, kommen sie erst spät in der Nacht wieder an.

Mein Vater klopft mir zum Abschied auf die Schulter und ruft mir noch ein „Ruf mal an." entgegen. Mom erdrückt mich fast bei einer Minuten langen Umarmung. Ich hasse Umarmungen. „Pass gut auf dich auf. Soll ich dich noch segnen?" Meine Mutter ist nicht streng gläubig. Sie gehört eher zu den Leuten, die nur an Weihnachten, Ostern und besonderen Feiertagen in die Kirche gehen. Das Segnen ist eigentlich eine Tradition vor Klausuren, aber ich glaube dieses Mal will sich meine Mutter nur versichern, dass mir nichts passiert. Irgendwann gehen sie dann. Ich sehe ihnen noch hinterher und winke meiner Mutter zu, die extra das Fenster runter gekurbelt hat. Mein Vater fährt aus der Einfahrt und der grüne Golf ist weg.

Ich drehe mich zu Noah um.„Dann zeig mir mal das Haus." Noah greift nach meiner Hand und zieht mich los. Wir gehen durch den Flur zur offenen Küche. Der Boden ist wieder Mamor und ich ziehe meine Schuhe aus um bloß nichts zu verkrazen. Marmor ist wohl deren Lieblingsgeldverschwendung. Im Esszimmer steht ein großer Ahorn Holztisch. „Das ist echt schön." Noah sieht mich länger an. Ich habe mich nicht besonders überzeugend angehört. „Was ist? Schon Heimweh?" Ich denke wirklich nach. Ich dachte nicht, dass ich so schnell Heimweh bekomme. Die Aussicht darauf, meine Freunde, meine Schule und mein zu Hause nicht mehr zu sehen, macht mich vielleicht etwas sentimental. „Wenn du jetzt schon Heimweh hast, hättest du lieber zu Hause bleiben sollen." Echt jetzt? Er ist auch hier? Finn lehnt sich an die Tischkante. „Das ist Ahorn Holz." Ich zeige auf den Tisch. „Du solltest vorsichtig damit sein." Finn stößt sich vom Tisch ab und mustert ihn. „Wenn er kaputt geht, kaufen wir halt nen neuen." Ich sage dazu nichts. Er weiß garnicht wie wertvoll so ein Tisch ist. Für ihn ist Geld unwichtig. Seine Eltern haben genug Geld und hundert Tische zu kaufen.

Ich seufze leise. Hätte nicht gedacht, dass Finn sich heute schon blicken lässt. Wir haben uns ziemlich lange nicht gesehen. Wenn dann nur flüchtig im Flur, wenn ich Noah besucht habe. Dieser zieht mich jetzt auch weiter. „Kino Raum." Ich ziehe die Vorhänge zur Seite. Wow. Es ist wie ein Kinosaal in Mini. Ungefähr 15 Stühle, die aussehen wie dunkel blaue große Sessel. Sie stehen auf einem dunkelroten Samtteppich vor einer großen Leinwand. Ich laufe durch die Reihen bis nach ganz vorne zu den dunklen Vorhängen. Das ist so cool. Ich stelle mir vor, wie ich hier sitze und alle Folgen How I met your mother hintereinander gucke. Das würde zwar mehrere Tage dauern, aber ich bin mir sicher, dass ich bei diesen gepolsterten Sesseln wahrscheinlich noch nicht mal Rückenschmerzen hätte. „Gut das ich mit dir befreundet bin. Falls du Mal was blödes machst, kannst du es mit nem Kinoabend wieder gut machen." Ich grinse ihn frech an.

Noah läuft aber einfach zügig zu mir runter zieht mich dann wieder die Treppe hoch. Er ist ja heute richtig aufgeregt. Hat der sich wirklich so darauf gefreut mich zu sehen? Süß. Das hier ist alles viel zu krass um wahr zu sein. Schnell biegen wir rechts zur Treppe ab. Ich sehe enttäuscht nach unten zu meinen Füßen. Kein Teppich. Da liegt nur weißer rau aussehender Naturstein. Oben gehen wir durch den Flur und Noah zeigt auf jede Tür. „Mein Zimmer, Arbeitszimmer meines Vaters, Arbeitszimmer meiner Mutter." Er zeigt auf sie gegenüber liegende Seite. „Finn's Zimmer, dein Zimmer, Badezimmer, Schlafzimmer meiner Eltern, Gästezimmer." Das Gästezimmer liegt ganz am Ende des Flures. „Ok. Ich versuche mir das jetzt mal zu merken." Finn kommt die Treppe hoch. „Merk dir bitte nicht wo mein Zimmer ist." Ich ignoriere ihn und gehe zu meinem Zimmer. Was macht er eigentlich hier? Hat er nichts besseres zu tun?

Ich gucke mir erstmal die Tür an. Noah kennt mich inzwischen ziemlich gut. Er wartet geduldig. Finn leider nicht. „Gehst du jetzt rein oder starrst du noch länger die Tür an?" Ich ignoriere ihn erneut. Der ist ja nerviger als ein Erstklässler. Die Tür ist weiß mit einer verschnörkelten Türklinke. „Nicht dein Erst? Du hast die extra eingebaut?" Ich hatte Noah Mal erzählt, dass ich gerne eine geschnörkelte Türklinke an meiner Zimmertür hätte und das ich, wenn ich auf's Internat gehen würde, meine Tür für immer ohne geschnörkelte Türklinke bleiben würde. Es war ein schwaches Argument gegen das Internat, aber das war am Ende einer langen Diskussion und ich war müde.

„Du hast gesagt, dass dein Zimmer so nie fertig werden wird. Das hier ist dein neues Zimmer und die Klinke ist der Anfang." Ich lächle ihn so dankbar wie ich nur kann an. Es ist verdammt süß, was er das für mich gemacht hat. Ich umarme ihn feste und lange. „Danke, danke, danke." Noah lacht nur. Er schließt seine Arme nicht fest um mich, damit ich keine Panikattacke bekomme obwohl ich ihn schon für meine Verhältnisse lange umarme.

Ich lasse ihn los und öffne die Tür. „Du hast sie ja nicht mehr alle. Jetzt bist du verrückt. Eindeutig." Das Zimmer ist groß und schön. Dunkler Parkettboden und weiße glatte Wände. Eine Wand ist pastellorange gestrichen, eine andere hat eine helle Tapete mit Rosen in dem selben Farbton drauf, eine Säule in der Mite des Zimmers ist ganz schwarz. Es sieht echt ziemlich gut aus. Die Möbel sind alle schwarz und weiß. Alles passt perfekt zu einander.

Ich laufe durch den Raum und gucke mir alles an. Das Bett steht vor der Säule in der Mitte. Es ist riesig und hoch. Es gibt einen Schreibtisch, einen Schminktisch, einen großen Kleiderschrank und ein paar Regale und Kommoden. „Das war bestimmt teuer." Ich laufe zum Fenster und gucke raus. Der Garten ist auch riesig. Gibt es hier Irgendwas, was nicht riesig oder teuer ist? „Es ist ein Geschenk." Noah stellt sich zu mir ans Fenster. „Das hab ich niemals verdient. Selbst wenn man alles was ich bis jetzt gutes getan habe zusammen zählen würde, wäre es immer noch viel zu wenig, um mir so etwas großes geben zu können."

Ich sehe mich weiter im Zimmer um. Wow. „Ich bring dir jetzt mal deine Sachen hoch, dann kannst du sie einräumen." Noah geht nach unten um alles zu holen. Ich laufe im Zimmer herrum bis Finn die Tür schließt. Leider hat er sie von innen geschlossen. „Du bist mir erfolgreich aus dem Weg gegangen. Bis jetzt. Wie willst du das jetzt machen?" Ich lehne mich an die Fensterbank. „Ich gehe niemandem aus dem Weg." Finn sieht mich ungläubig an. Ich muss mit Finn reden. Allein dieser Gedanke. Ich kann sehen wie mein Kopf eine Facepalm macht. Mein Bauch sagt mir aber, dass ich es tun muss. Ich wohne jetzt hier. Ich muss mit ihm auskommen. Vielleicht hab ich Glück und wir können Freunde sein. Irgendwie hoffe ich das.

„Okay. Du hast ja Recht." Finn zieht überrascht seine Augenbrauen hoch. Das ich das mal sagen würde. „Wir können uns weiter aus dem Weg gehen, wenn du das willst, aber glaubst du nicht es wäre besser, wenn wir lernen mit einander auszukommen. Das wir wenigstens zusammen in einem Raum sein können ohne das ich mir Sorgen machen muss?" Frage ich ihn vorsichtig. Er lehnt sich an die Tür und dreht den Schlüssel um. Wieso schließt er uns ein? „Es ist mir scheiß egal ob du dir Sorgen machst." Ich weiß. Er verschränkt gelassen seine Arme vor seiner Brust. Heute hat er ein schwarzes T-Shirt an und ich muss schon sagen, dass es ihm verdammt gut steht. „Du bist betrunken." sage ich. Man sieht es ihm an. Wie kann er heute am Morgen schon betrunken sein?

„Na und?" Ich frage mich wieso er jetzt schon getrunken hat. Ist sein Leben wirklich so schlimm, dass es sich nur betrunken aushalten lässt? „Geh mit mir in die Stadt heute. Ich kenne hier noch nichts und will es mir angucken. Gib mir wenigstens ne Chance." Finn lacht spottend. „Klar doch. Noch mehr wünsche?" Dann macht er immer noch lachend die Tür auf und verschwindet. Das war ja gerade Mal garnicht merkwürdig und unlogisch. Versteh Mal bitte einer die Jungs. Ich packe alle Sachen aus und lege sie auf mein Bett. Mein Bett, mein Zimmer... Das hört sich alles so unwirklich an.

Ich räume meine Klamotten ein. Handy kommt ans Ladekabel. Ich hab WhatsApp seit Weihnachten nicht mehr aufgemacht. Es sind 600 Nachrichten. Alle warten nur darauf gelesen zu werden. Ich kann es aber nicht. Ich weiß schon was da steht. Die werden sich von mir verabschieden und das verkrafte ich noch nicht. Ich möchte nicht am ersten Tag schon Heimweh bekommen. Ich werde sie vermissen. Besonders Sam. Sie ist echt klasse. Ich kenne sie erst seid einem halben Jahr. Sie hat die Schule gewechselt und ist in meine Parallelklasse gekommen. Ich hab sie auf einem Austausch kennengelernt. Wir hatten ein Wahlfach zusammen. Ich hab sie in mein Herz geschlossen. Ich brauch ihren Chat nicht zu öffnen um zu wissen, dass sie mir jeden Tag geschrieben hat. Ich weiß, dass die meisten Nachrichten von ihr kommen.

Schnell schließe ich meinen Koffer. Ich räume den Rest später ein. Ablenkung, ja die brauch ich jetzt. Vor meiner Zimmertür falle ich fast über einen Karton. Ach ja, Noah wollte mir ja noch meine Sachen hochbringen. Ich laufe die Treppe herrunter. Er ist in der Küche und macht sich was zu essen. „Was gibt's?" Der Braune fährt erschrocken zusammen. Ups. Er dreht sich um und sieht mich wütend an. „Musst du mich so erschrecken?" Ich hab mit seiner Wut nicht gerechnet und entschuldige mich sofort. „Schon in Ordnung. Ich muss mich erst daran gewöhnen, das du da bist. Bei Finn hört man sogar im Keller, wie er die Treppe herrunter stampft." Er lächelt mich entschuldigend an und ich verzeihe ihm sofort. Das alles hier ist für ihn bestimmt nicht einfach. Das hätte ich fast vergessen. Er ist der Älteste, der mit der Verantwortung.

Ich hab schon oft Leute erschreckt. Meine Mutter wird das bestimmt vermissen. Es kommt immer auf meine Stimmung an, wie ich die Treppe hoch gehe. Wenn ich sauer bin oder einfach nur voller Energie, dann bringe ich die Treppe zum beben. „Was kochst du?" Ich stelle mich neben Noah und gucke in den großen Topf, der auf dem Herd steht. „Chilli?" Ich gucke mich in der Küche um. Sie ist weiß mit einer großen Kücheninsel. Eins bisschen wie die im anderen Haus nur das die Ablagen dunkel grau, fast schwarz sind. „Ja. Deswegen muss ich dich auch noch was fragen. Finn isst das immer übelst scharf. Ich mach deswegen immer zwei Töpfe voll. Einen für mich und einen für Finn. Du willst es wahrscheinlich auch nicht so scharf oder?" Ich lache. Ich esse am liebsten scharf.

Noah geht einen Schritt zur Seite und ich sehe den zweiten Topf. „Darf ich Mal probieren?" Noah holt aus der Schublade neben sich einen Löffel herraus. „Hier." Er nimmt den Deckel vom Topf und ich lade mir etwas von dem heißen Chilli auf den Löffel. Es riecht ziemlich gut. Ohne zu zögern, stecke ich mir alles auf einmal in den Mund. „Warte, das ist noch heiß." Noah sieht mich nur geschockt an. Es schmeckt gut. Wirklich, aber scharf ist es nicht wirklich. „Ok. Jetzt will ich Finn's Chilli probieren." Noah sieht mich verwirrt und ich glaube auch ein bisschen geschockt an. „Das war Finn's Chilli." Ich denke erst, er verarscht mich, aber er meint es ernst. Ich lache. „Das nennst du scharf? Darf ich auch nen eigenen Topf?" Noah holt noch einen Topf herraus und schiebt Finn's auf eine Platte dahinter. Er fängt an etwas von dem großen Topf um zu füllen. Ich nehme mir etwas von dem Gemüse und fange an es zu schneiden. Mal sehen, ob ich das so gut, wie Mom es macht hinkriege. Ein Versuch ist es wert. „Hast du Musik?" Noah nickt. „Laptop." Ich gehe zum Esstisch. Ein MacBook steht am Rand. War ja wieder klar. Immer das teuerste. Ich klicke die Kochseite weg. Noah ist also ein "Ich nehme Rezepte aus dem Internet und koche sie nach" Typ. Irgendwie hätte ich das nicht von ihm gedacht.

Ich gehe auf den Homebildschirm. „Audi R8?" Noah dreht sich zu mir. „Ja. Woher weißt du das?" Ich zucke nur mit den Schultern. Muss ja niemand wissen, dass ich Fanfictions gelesen habe, wo dieses Auto drinnen vor kam und ich es dann gegoogelt hab. Ich öffne Spotify und gehe zu den Playlists. „Welche Playlist?" Noah kommt wieder ein Stück vom Herd weg. „Keine Ahnung. Das ist Finn's Laptop. Nimm einfach „dein Mixtape." Ich gehe zurück und wähle das Mixtape aus. Panic at the Disco? „Geschmack hat er." Ich schütte das Gemüse in den Topf und singe mit.

Es klingelt an der Tür und ich lege den Löffel hin. „Was machst du?" Noah sieht mich verwirrt an. Will er jetzt die ganze Zeit in der ich hier bin so gucken? „Ich geh die Tür aufmachen. Ich wohn jetzt hier. Du musst dich echt daran gewöhnen." Noah lacht. „Endlich ist jemand da, der auch was macht. Freiwillig." Ich lache und öffne die Tür. Vor mir stehen drei Mädchen. "Mädchen" hört sich so unschuldig an. Schlampen ist das richtige Wort. Sie sehen alle nicht mehr normal aus. Unter dem vielen Make-up müssen sich doch normale Menschen befinden. Leider kann ich sie nicht sehen. Eine zupft an ihrer viel zu kurzen Hose herrum. Ich nenne sie die ‚Zupftussi'.

Ich hab sie wohl zu lange angestart, denn eine fängt an zu reden. Sie hat lange dichte Haare. Ich wette trotzdem auf Extensions. Die waren bestimmt teuer. Sie wickelt sich eine Haarsträhne um den Finger. So lange Fingernägel. Das sie damit nicht in den Haaren hängen bleibt ist erstaunlich. Naja, jeder hat seine Talente. Die ‚Extensiontusse'. „Wir wollten zu Finn." Ich kann nicht anders als zu lachen. War ja Irgendwie klar. Ein Player ohne Bitches ist wie ein Oreo ohne Füllung. Scheiße. Obwohl das "Scheiße" sich wohl eher auf den Oreo bezieht. Denn Finn ist auch mit Bitches scheiße.

„Wieso lachst du denn so?" Die dritte kann also auch reden. ‚Quatschi'. „Wieso redest du so als ob du Kreide gefressen hättest?" Ich machte ihre ekelhafte Stimme nach und lächelte sie mit meinem unechtesten Lächeln an was ich habe. „Finn ist nicht da. Verpiss dich oder ich kick dich." Ich machte die Tür mit einem lauten Knall zu. Ein Lachen kann ich mir nicht verkneifen. Das gerade war einfach zu geil. Ich wollte das schon immer mal sagen. Noah steht inzwischen auch im Eingang. Er muss alles mit angesehen haben. Er lacht und ich klatsche bei ihm ab. „Endlich musste ich die mal nicht abwimmeln." Ich sehe ihn ungläubig an. „Das passiert öfters?".

Finn kommt die Treppe herrunter. „Was gibt's zu essen?" Noah und ich werfen uns einen vielsagenden Blick zu. Wir werden ganz sicher nicht erwähnen, dass die Plastikdinger vorne vor dem Haus stehen. Weil wir unaufmerksam waren, öffnet Finn meinen Topf und probiert das Chilli. „Bä. Verdammt, wieso ist das so scharf. Noah!?" Finn macht den Wasserhahn auf und trinkt das Wasser direkt aus dem Wasserhahn. Ohne Becher. Ich lasse eine Arme wieder fallen und gehe zum Kühlschrank. Noah steht nur herrum und guckt geschockt auf Finn, der jetzt im Raum herrum hüpft und hächelt wie ein Hund.

Ich nehme genervt die Milchtüte aus dem Schrank und Frage Noah nach den Gläsern. „Mittlerer Schrank. Oben." Ich nehme ein großes Glas herraus und fülle es mit Milch. Finn ist stehen geblieben und will mir das Glas aus der Hand reißen. Ich ziehe es schnell genug weg. „Du kriegst es, wenn du was versprichst." Finn sieht mich erst sauer an, dann die Milch. Er nickt unzufrieden. „In der Zeit, in der ich hier bin, gibt es keine Bitches in diesem Haus. Ich will nicht im 12 Stunden Hostel für sträunende Schlampen wohnen." Finn sieht mich erst nur sauer an. Er versucht Irgendwas zu sagen, aber schafft es nicht. Ich sehe ihn abwartend an. „Ich hab Zeit. Milch ist eines der wenigen Dinge, die helfen." Ich gebe das Glas Noah und fülle ein zweites Glas mit Fanta. Finn versucht Noah das Glas aus der Hand zu nehmen, aber Noah zieht es weg. Gut das Noah größer als sein Bruder ist. „Entweder, du machst den Deal, oder du trinkst das hier, um zu zeigen, dass du den Deal auf keinen Fall machst." Ich halte ihm die Fanta hin.

Finn nimmt sofort die Fanta und trinkt sie schnell aus. Erst atmet er erleichtert ein und aus. Ich denke für einen kurzen Moment, dass es nicht funktioniert hat, aber dann fängt er nur noch mehr an zu röcheln. Vielleicht hätte ich ihm sagen sollen, dass manche Dinge es auch schlimmer machen. Er geht zu Noah. „Ok. Ist ja gut. Versprochen. Gib mir die..." Weiter kommt er nicht da Noah einfach geht und sich neben mich stellt. Dann trinkt er fast in einem Schluck das Glas leer. „Noah!" Finn ist sauer. Richtig sauer. „Gib ihm die Milch." Noah grinnst mich nur frech an. Er wird Finn niemals die Mich geben. Er empfindet Genugtuung darin. Er will Finn für das, was er getan hat bestrafen. Das mit Lou, das er einfach weg war, das er keine Verantwortung übernommen hat und für wahrscheinlich noch vieles mehr, von dem ich keine Ahnung habe.

Ich nehme ein zweites Glas mit Milch und gebe es Finn. „Hier. Ich halte meine Abmachungen." Finn trinkt schnell das ganze Glas aus. Ich nehme noch etwas Brot aus dem Kühlschrank. Noch etwas, was gegen die Schärfe hilft. Finn sieht mich erst wieder misstrauisch an. Vielleicht wartet er auf den selben Effekt wie bei der Fanta. „Hier. Das hilft auch." Ich gebe ihm eine Scheibe Toast und Finn ist sie ohne zu zögern. Der ist so kindisch und blöd, ich kann es nicht fassen.

Noah trinkt in der Zeit den kleinen Rest der Milch. Sein zufriedenes Lächeln kann man bestimmt sogar aus mehreren hundert Metern Entfernung noch sehen. Irgendwie freu ich mich darüber Noah so breit grinsen zu sehen. So glücklich hab ich ihn am Anfang, als ich ihn kennen gelernt habe, nicht gesehen. Er war viel verschlossener und ernster. Wie ein Erwachsener der fünf Tage die Woche von 7 bis 19 Uhr im Büro sitz.

Finn hat sich wieder beruhigt. „Das war scheiße und unfair." Er sieht erst mich an und dann Noah. „Besonders von dir." Noah scheint Finn's miese Laune nicht zu stören. Er lächelt weiterhin wie ein kleiner Junge, der seinen lieblings Lego Stein wiedergefunden hat. „Was hast du in mein Chilli gemacht?" Ich mache einen Schritt nach vorne, damit Finn's Aufmerksamkeit wieder bei mir liegt. „Das..." Ich zeige auf den Topf. „... war nicht dein Chilli, sondern meins."

Finn sieht mich ungläubig an. Dann guckt er wieder zu Noah, der nur bestätigend nickt. Finn gibt ein spottendes „Ha." von sich. „Das kannst du nicht essen. Das ist viel zu scharf." Ich sehe ihn herausfordernd an. „Wollen wir wetten?" Finn grinst jetzt genauso wie ich. „Wette bloß nicht mit ihm. Er hat noch nie verloren." Noah sieht mich streng an. „Dann wird es ja mal Zeit, ihm zu zeigen, wie das geht." Finn sieht mich siegessicher an.

„Du musst eine ganze Schale mit dem Zeug essen. Wenn du es schaffst, was ich zwar nicht glaube, aber..." Ich verstehe nur die Augen. „Komm zum Punkt Wettkönig." Finn sieht mich kurz genervt an, redet dann aber weiter. „Wenn du es schaffst, wählst du für mich eine Strafe aus. Die Strafe ist beschlossen und unveränderbar. Jeder muss seine Strafe akzeptieren." Ich nicke. Noah sieht mich warnend an. Ich hab das Chilli abgeschmeckt, ich weiß worauf ich mich da einlasse. „Wenn du es aber nicht schaffst. Was wohl wahrscheinlicher ist. Dann darf ich dir eine Strafe auswählen. Du musst sie annehmen. Egal was es ist."

Bei der Vorstellung, was Finn sich ausdenken wird, falls ich verliere, bekomme ich etwas Angst. „Wie groß ist die Schale, deren Inhalt ich essen muss?" Finn nimmt eine normale Schale für Joghurt oder Suppe herraus. Ich nehme sie aus seiner Hand und fülle Chilli hinein. „Wenn ich gewinne, gibt es für dich eine Woche keine Schlampen. Garnicht. Ohne irgendwelche Ausnahmen. Du bleibst ganz weg von ihnen. 7 Tage lang und du gehst heute mit mir in die Stadt." Finn sieht mich geschockt an, fängt sich dann aber wieder.

„Einverstanden. Wenn ich gewinne, machst du eine Woche lang, alles was ich will. Alles." Er sieht mich herraus vordernd an. Er will nicht wirklich wetten. Für ihn ist das eigentliche Gewinnen, wenn ich mich nicht traue die Wette an zu nehmen. Noah sieht mich warnend an. „Sorry Noah. Ich bin einverstanden, die Wette gilt." Ich Spucke in meine Hand und halte sie ihm hin. Finn guckt mich erst nur erstaunt an. „Du weißt aber schon, dass du ein Mädchen bist oder? Mädchen machen so was nicht." Ich gucke ihn sauer an. Diese Klischees. „Schlag ein oder ich schmier dir meine Spucke in die Haare." Finn liebt seine Haare. Er spuckt in seine Hand und schlägt ein. Mit einem Hände Druck ist es besigelt. Ich muss gewinnen. Ich muss es einfach. Meine Hand fühlt sich ekelhaft an und ich gehe erstmal zum Waschbecken und wasche sie mit Spülmittel ab.

Danach gehe ich zu meinem Handy und öffne meine Einkaufsapp. Man schreibt Sachen auf und wenn man sie anklickt verschwinden sie. Dahinter ist meistens ein kleines Bild. Die Sachen werden automatisch geordnet. Obst zu Obst und Gemüse zu Gemüse. So läuft man nur einmal durch den Laden und nicht ständig hin und her. Man kann nichts vergessen. „Noah, du musst dir später noch diese App laden. Dann hast du meinen Einkaufszettel immer sichtbar und kannst dierekt alles mitbringen, wenn du zufällig am Supermarkt vorbei kommst." Noah nickt und lächelt mich fröhlich an. „Ihr benehmt euch wie ein Ehepaar." Finn lehnt sich wieder an den Tisch. Ich bin mir sicher, das er das extra macht.

Ich ignoriere ihn und fülle mein Chilli zu Ende in die Schale. Dem werd ich's zeigen! Ich setze mich an den Tisch. Irgendwie mag ich's hier. Bis jetzt. Es ist lustig. Ich bin nicht so oft alleine und es ist immer was los. Finn setzt sich mir gegenüber. Er sieht mich neugierig und gleichzeitig abwertend an. Man merkt aber, dass er nur so tut. Diese Wette macht ihm genauso viel Spaß wie mir. Ich nehme den ersten Löffel. Es ist wirklich scharf geworden. Durch die Hitze. Nicht scharf genug um mich von meinem Sieg ab zu halten. Ich nehme den Zweiten Löffel. Finn sieht mich geschockt an, während ich triumphierend auf mein Chilli schaue. Noah steht lächelnd in der Ecke. Ihm scheint das Geschehen langsam doch auch zu gefallen. Nach kurzer Zeit, habe ich meine Schale leer gegessen. „Fertig." Finn sieht mich ungläubig an. Er nimmt die kleine Schüssel und guckt hinein. In seinem Gesicht kann ich sehen wie ihm langsam klar wird, was das jetzt für ihn bedeutet. Sieben Tage ohne Schlampen. „Du...Du hast irgendwie geschummelt." Ich sehe ihn ernst an. „Sei ein echter Verlierer und nimm's wie es ist. Du hast verloren. Jetzt kriegst du deine Strafe und Noah und ich, kriegen unsere Belohnung. 7 Tage keine Schlampen abwimmeln." Ich klatsche bei Noah ab und bringe meine Schale in die Küche.

Finn füllt sich was von seinem Chilli ab und verschwindet in sein Zimmer. Ich sehe Noah dabei zu wie er sich auch einen Teller voll macht. „Gehst du mit mir raus, wenn du gegessen hast? Finn wird's eh nicht machen." Er blickt überrascht zu mir hoch, aber schüttelt dann mit dem Kopf. „Ich kann nicht. Wir hatten über die Weihnachtsferien ein Projekt auf und ich hab mal wieder noch nichts gemacht. Ich muss heute daran arbeiten, sorry." Dann hat Noah genauso wie Finn sein Chili genommen und ich hochgegangen. Der fängt beim essen schon an zu arbeiten. Motiviert wo er doch vorher nichts gemacht hat.

Ich wollte mir alles angucken. Die Stadt und was man hier so machen kann, aber stattdessen sitze ich auf meinem Bett und höre Musik. Es ist einfach einer dieser Tage, an denen man nichts und alles will. Das ist nervig, aber für eine pubertäre Sechzehnjährige wahrscheinlich normal. Wäre Noah mitgekommen, wäre ich besser drauf. Ich will nicht alleine gehen. Irgendwie ist das alles hier so fremd. Vielleicht ist es schlimmer, weil ich weiß, dass ich so schnell nicht wieder nach Hause kommen werde. Ich habe keine Angst vor dem Fremden. Ich bin neugierig und möchte so viel Neues erleben wie es geht, aber alleine sein ist nicht schön. Schlussendlich ringe ich mich dann doch dazu durch das Haus zu verlassen. Die Stadt ist nicht weit von hier und ich kann ein paar Minuten an die frische Luft gehen, auch wenn es ohne Noah nicht so viel Spaß macht. Ich habe ja nur noch wenige Tage bevor die Schule anfängt und die sollte ich wirklich nutzen.

Ich nehme mir meine Vans und verlasse das Zimmer. Irgendwie muss ich ja mal hier raus. Soll ich nochmal zu Finn und fragen ob er mit geht? Wohl ehr nicht. Der wird bloß wütend. Auf dem weg in die Stadt kommen mir ein paar betrunkene Jugendliche entgegen. Haben die mal auf die Uhr geguckt? Es ist gerade mal kurz nach zwei. Ich hab keine Ahnung ob sie noch oder schon wieder betrunken sind. Es interessiert mich aber auch nicht. Ich verstehe nur nicht was daran lecker sein soll. Die meisten Jugendlichen trinken eh Wodka wegen den 40% Alkohol.

Ich gehe kurz in den Drogeriemarkt und kaufe mir ein neues Shampoo. Der Laden ist riesig. Ich hab das Shampoo Regal gefunden, aber ich bin bei so was sehr wählerisch. Ich mag Sachen mit Frucht und mit Vanille, aber ich mag nicht diesen künstlichen Duft. „Nimm das." Ich sehe zur Seite und wer steht da? Irgendwie mag ich Zufälle nicht. Neben mir steht Finn. Immer noch sichtlich betrunken. „Hast du durchgemacht oder bist du schon wieder betrunken?" Er nimmt das Shampoo aus dem Regal und geht zur Kasse. Ich folge ihm. „Ja." Er legt es auf das Fließband und ich suche mein Portemonnaie. ‚Ja' auf eine entweder oder Frage zu antworten... ganz toll gemacht Finn.

Kennt ihr diese Taschen, die alles verschlucken? Meine Mutter hat so eine. Sie sucht ständig was. Lustig ist nur, dass ich die Sachen immer mit nur einem Griff finde. Meine Mutter. Ja die könnte ich mal anrufen, aber irgendwie will ich nicht. Wie gesagt, diese Tage an denen man zu allem und nichts Lust hat. Finn holt sein Portemonnaie heraus. „Was machst du? Ich bezahle." Ich will der Kassiererin mein Geld geben, aber Finn drückt meinen Arm herunter und gibt der Kassiererin sein Geld. „Es sind nur drei Euro und ich will hier nicht bleiben bis ich alt bin." Ich Rolle nur mit den Augen und packe das Shampoo in meine Tasche. Die Kassiererin lächelt mich an und zwinkert. Okay. „So ein Gentleman. Da hast du echt nen tollen Freund." Die hat wohl nicht gehört was er zu mir gesagt hat. Gut okay. Ganz ruhig.

Nicht ausrasten und die Kassiererin anschreien. Finn legt dann auch noch seinen Arm um meine Schultern um mich absichtlich noch was mehr zu provozieren. Jetzt reicht es! „Er ist nicht mein Freund." Ich füge noch ein leises „zum Glück" hinzu. Finn lässt mich nicht los und zieht mich einfach aus dem Laden. „Danke für's Bezahlen." Dann hebe ich angeekelt seinen Arm von meiner Schulter. Er sieht mich nur verwirrt an. „Es gibt so viele Girls, die gerne meine Freundin wären." Ich lache nur. „Ja, wenn du unbedingt eine willst, dann nimm doch eine von denen."

„Gehst du jetzt nach Hause?" Ich frage Finn eigentlich nur um mich von der Tatsache, dass Finn wirklich neben mir läuft ab zu lenken. Ich hab einfach Probleme mit Körperkontakt oder wenn jemand meine unsichtbare Mauer durchbricht. Besonders wenn es Finn ist und ich ihm nach der Begegnung am Abend erfolgreich aus dem Weg gegangen bin. „Ja. Kommst du mit?" Ich überlege. „Ja." Ich kenne mich hier eh nicht so gut aus und früher oder später hätte ich mich verlaufen.

Was macht er eigentlich hier? Ich dachte er würde sich nicht an die Strafe halten. Vielleicht hätte ich ihm doch Bescheid geben sollen, dass ich gehe. Wäre ich nur mutig genug gewesen... und motiviert genug. Wir laufen einfach so durch die Stadt. Eine Sache ist aber ungewöhnlich. Egal wo wir hin gehen, wir werden immer beobachtet. Hauptsächlich von anderen Jugendlichen. „Wieso gucken uns alle an?" Frage ich leise und folge Finn nach links in die nächste Straße. „Wie ich schon gesagt habe. Viele Mädchen wollen an deiner Stelle sein." Ich muster Finn noch mal genau. Dunkelbraune Haare die Abends sogar schwarz aussehen. Eisblaue Augen mit vollen Wimpern. Ich kann es mir nicht verkneifen und hebe kurz meine Hand und fahre mit meinen Fingern durch seine Haarspitzen. Finn bleibt verwirrt stehen und guckt mich fragend an. „Sorry, ich wollte nur mal gucken ob da Haargel drinnen ist." Finn guckt mich erst sauer an. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich bin crazy oder? Was war das bitte für ein Reflex, dass ich einfach in seine Haare gepackt habe? Ich kann's nicht erklären. Da ist einfach so ein Drang über mich gekommen. Plötzlich fängt er an zu schmunzeln und läuft weiter. Mit so einer Reaktion habe ich nicht gerechnet.

„Die stehen echt alle auf dich?" Finn nickt und guckt aber auch etwas überheblich. „Daran musst du dich gewöhnen, auf dem Internat ist das nicht anders." Ich lache ungläubig. So gutaussehend ist er jetzt auch wieder nicht. Klar, er könnte schon ein Model sein, aber haben die mal seinen Charakter gesehen? ich würde den nicht mal mit OP Handschuhen und Atemschutzmaske anfassen. „Verteilst du auch Autogramme?" Er lacht und ich vergesse fast, dass er betrunken ist. „Ja manchmal schon." Er grinst betrunken vor sich hin, aber ich glaube er meint das ernst.

Wir gehen weiter nach Hause. Ich sehe einen Starbucks und tippe Finn an der Schulter an. Er sieht mich kalt an. Er scheint wohl wieder schlechte Laune zu haben. Vielleicht kommen auch langsam die ersten Katersymptome bei ihm an. „Komm. Ich lad dich ein." Ich zeige zum Starbucks und er nickt akzeptierend. Es wäre schön gewesen, hätte er etwas geantwortet, aber Finn wird wohl noch lange mir gegenüber verschlossen sein. Uns verbindet eben nichts wie mich und Noah. Er scheint auch generell nicht besonders offen zu sein, ist mehr misstrauisch. Vielleicht muntert ihn ein Getränk wenigstens ein bisschen auf. Besser wär's, schließlich kostet der Spaß zusammen schon fast 10 Euro.

Ich drücke die Tür auf und halte sie dann noch ein bisschen länger für Finn fest. Die Schlange ist kurz und so bin ich schnell dran. „Einen Chocolate Frappuchino in Tall bitte." Der Junge, der meine Bestellung auf nimmt lächelt mich freundlich an und beschriftet meinen Becher. Er hat Haselnuss braune Augen und verwuschelte Haare. Er sieht richtig süß aus. „Und wie heißt du?" Ich überlege kurz. „Schlag was vor." Er lacht und schreibt etwas auf den Becher. Dann wandert sein Blick weiter zu Finn.

Es ist als hätte der Wolf das Schaf in die Enge getrieben. Der nette Starbucks Typ lächelt gezwungen und weicht Finn's Blicken aus. Ist Finn wirklich so bekannt oder liegt es bloß ein seinem warnenden Blick, den er plötzlich dem Kassierer zuwirft. Das muss wohl der Alkohol sein. Finn bestellt dann und weil es so leer ist, können wir unsere Getränke schnell abholen. Der mürrische Finn hat einen Cold Brew Tonic genommen. Das ganze hört sich echt bitter an, aber wenn es ihm schmeckt. Ich nehme meinen Becher und gehe nach draußen. „Frappuchino im Winter?" Finn sieht mich wieder gleichgültig wie sonst auch an an und ich versuche es einfach zu ignorieren. „Sagt der mit dem Cold Brew." Ich sehe fragend zurück. Er guckt weiter in die Ferne. Wir stehen noch vor dem Starbucks und der Starbucks Typ lächelt mich durch das Fenster an. Ich lächele zurück und gucke, was er mir für einen Namen auf den Becher geschrieben hat. Das ist so süß. Er hat einfach ein Herz gemalt und dann seine Nummer und seinen Namen drunter geschrieben. Alex heißt er also. Ich kicher so vor mich hin und gebe die Nummer schnell in mein Handy ein. Vielleicht werde ich ihm später wirklich schreiben. Früher hätte ich das nicht gemacht, aber hier ist irgendwie alles möglich. Ich lächel ihn noch mal an und er lächelt freundlich zurück. Vielleicht war es mit dem Umzug doch gar keine so schlechte Idee.

Plötzlich reißt Finn mir den Becher aus der Hand und liest was Alex geschrieben hat. „Rufst du den wirklich an?" Er sieht richtig skeptisch aus. „Vielleicht mach ich es und vielleicht auch nicht. Ich guck mal." Muss wohl an Finn's Ego kratzen, dass ich den Typ von Starbucks attraktiver finde als ihn. Er holt einen Kulli aus seiner Jackentasche. War der für die Autogramme? Nimmt den Kulli und streicht Alex Nummer durch. „Wirst du nicht." Ungläubig nehme ich meinen Becher wieder. Wie dreist ist das denn? Ich bin froh darüber, dass ich Alex Nummer schon eingesperrt habe. Beschließe mich schon alleine aus Trotz bei ihm zu melden. Tief durchatmen. „Ich hab seine Nummer schon eingespeichert und wäre es nicht so, wäre ich einfach wieder rein gegangen und hätte erneut danach gefragt, du Dummkopf." Genervt drehe ich mich um und gehe los. Finn folgt mir mit etwas Abstand. Will er mir die Zeit hier wirklich maximal unerträglich machen? Ich habe ihm gerade noch was gekauft und jetzt ist er trotzdem so unhöflich? Zu sowas wäre ich gar nicht in der Lage.

Zu Hause gucke ich mir dann doch meine WhatsApp Nachrichten an. Ich habe auf dem ganzen Weg kein Wort mehr mit Finn gesprochen. Wir haben uns zwar nicht wirklich gestritten, aber ich hatte keinen Redebedarf mehr. Dazu war Finns Verhalten einfach nur inakzeptabel! Was fällt ihm ein? Ist er wirklich so verbittert, dass keine Schlampen hier sein dürfen, wegen der Wette, dass er mir jetzt nicht erlaubt Alex einzuladen? Als würde ich den auch direkt treffen. Ich muss ihn ja erstmal kennenlernen. Um ehrlich zu sein, war er zwar ganz süß, aber nicht hundertprozentig mein Typ. Ich bin auch nicht an was festem interessiert. Eigentlich bin ich an gar nichts interessiert. Der ganze Umzug ist jetzt erstmal genug Aufregung.

Ich lese dann die verpassten Nachrichten auf meinem Handy und je mehr ich lese, desto größer wird mein Heimweh. Nachrichten wie: „Étoile, HDL. Bitte melde dich!" Diskussionen im Klassenchat. Wie es jeden Tag mehr Nachrichten geworden sind. Ich will sie alle umarmen obwohl ich Umarmungen hasse. Ich will ihnen sagen, wie schön die Zeit mit ihnen war. Ich will über so viel noch mal reden. Letze Streitigkeiten klären. Meine Adresse verteilen. Ich will noch Zeit. Ich will noch mal zurück und mich verabschieden. Ich merke erst zu spät wie mir die Tränen über die Wangen laufen. Mann muss Leute erst verlieren um zu bemerken wie wichtig sie einem eigentlich sind. Ich schreibe eine Nachricht in den Klassenchat und noch ein paar kleine Texte an meine engsten Freunde. Als ich mich dann ausgeheult habe gehe ich nach unten. Wenn ich mich jetzt nicht ablenke, dann packe ich es hier nicht. Hier ist alles so fremd und Finn macht alles nochmal um einiges schlimmer.

Ob er schon wieder da ist? Ich lege kurz mein Handy weg und gehe im Flur nachsehen. Hier müssen doch seine Schuhe stehen oder nicht? Ob er wütend ist, weil ich nichts mehr gesagt habe? Habe ich mich zu sehr aufgeregt? Hoffentlich habe ich nicht alles zwischen uns kaputt gemacht. Jedes bisschen Hoffnung was überhaupt da war, war ja schon so unerwartet und schwer überhaupt zu erklangen. Er wollte mir ja eigentlich gar keine Chance geben. Er war heute eh ungewöhnlich nett zu mir. Wollte für mich bezahlen? Ob seine Eltern ihm wohl Druck gemacht haben, dass er gefälligst nett zu mir ist? Das ganze könnte ich mir richtig vorstellen. Hätte er mich sonst nicht schon heute morgen in meinem Zimmer erneut attackiert?

Ich gehe ins Wohnzimmer und suche mein Handy. Ich hab das hier irgendwo hingelegt. Ich gucke unterm Sessel und auf den Kommoden. Wie dumm kann man eigentlich sein? Von eins bis Étoile? Ich hatte das doch gerade noch in der Hand? Finns Schuhe waren übrigens nicht da. Er muss noch unterwegs sein. „Suchst du das hier?" Ich drehe mich um und sehe irgendeinen Typen in der Tür stehen. Fast so wie Finn trägt er nur schwarz. Er hat aber einen langen Mantel an, der ihn ziemlich groß und breit erscheinen lässt. Es sieht teuer aus, wie von einem Model. Er hat mein Handy in der Hand und wackelt damit vor seinem Gesicht herum. „Jip. Wieso hast du es?" Er lächelt mich hinterhältig an. „Es lag hier und ich habe es mir ausgeliehen." Ich komme auf ihn zu und strecke meine Hand aus. „Gut das ich für solche Fälle einen Sperrcode habe. Gib her." Er sieht auf meine ausgestreckte Hand und lacht. „Babe. Ein bisschen Respekt bitte." Ich lese schnell seine Gedanken und schüttel den Kopf. „Jason, gib mir mein Handy." Ich verschränke meine Arme vor der Brust und lehne mich an die Sofalehne. Zu meinem Leid kommt Jason näher und legt seine Hände links und rechts auf die Lehne des Sofas.

Er ist also genauso wie Finn. Muss direkt auf Konfrontation gehen. Wenigstens sieht er gerade nicht so gruselig ernst aus. Ich hab gar keine Angst vor ihm. „Ein Kuss und du bekommst dein Handy wieder." Ich mache ein würge Geräusch und tue so als ob ich kotzen würde. „Lieber lecke ich den Boden ab." Er sieht mir warnend an. „Übertreib es nicht." Ich lache. „Wenn du mir mein Handy gibst und mich nie wieder Babe nennst, dann verspreche ich etwas netter zu sein." Ich lächle ich unecht an und gucke wieder auf mein Handy. „Du hast keine Ahnung wer ich bin oder?" Jetzt ist er ernster, aber immer noch locker. Ich lese wieder seine Gedanken und sehe genauso ernst zurück. „Ich weiß mehr über dich als du denkst." Ich nehme mir mein Handy und schlüpfe unter seinem Arm durch.

Ich bin nicht so dumm wie ich mich vielleicht manchmal verhalte. Er kommt mir gelassen hinter her gelaufen und sein Mantel schwingt hypnotisierend hinter ihm mit. Super. „Du weißt wohl offensichtlich die wichtigen Dinge nicht." Ich drehe mich um und sehe ihn verwirrt an. „Ach ja?" Er verschränkt seine Arme und sieht mich wieder mit diesem "Ich bin so viel besser als du" grinsen an. „Sonst würdest du nicht einfach weggehen, wenn ich mit dir rede."

Ich lache und Finn kommt die Treppe herrunter. „Hey Babe." Er telefoniert. „Lad sie bloß nicht hier hin ein." Kommt schnell von mir. Man muss ihn ja an die schlampenfreie Woche erinnern. Finn schenkt mir kurz einen Blick, der ungefähr sowas sagt wie „Wenn du nicht sterben willst, hältst du lieber deine Klappe." und verlässt dann gefolgt von Jason das Haus. Ich höre nur noch wie die Haustür zufällt. Ist der ernsthaft mit seinen Straßenschuhen durchs Haus? Über die teuren Fliesen? Schnöselsöhnchen.

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