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K4 "funky lunch"

Als ich aufwache ist Noah schon weg. Da hat er Glück gehabt. Hätte er mich geweckt wäre er nicht so leicht davon gekommen. Ich grinse breit. Hab ich wirklich jemanden gefunden der ist wie ich? Das ganze kommt mir immer noch so surreal vor. Wieso ausgerechnet jetzt? Ob das was zu bedeuten hat?

Ich gehe ins Bad. Dabei hängt mein Kopf hauptsächlich zum Boden runter, weil ich morgens noch nicht die netteste Person bin. Langsam komme ich bei den hellen Fliesen an. Sie sind mit goldenen Adern durchzogen. Wie viel das wohl gekostet hat? Langsam sehe ich in die Spiegel. Wow. Ich sehe ja mal wunderschön aus. Schnell gucke ich mich um und nehme mir Lou's Bürste, bürste mir meine Haare, wasche mein Gesicht und benutze etwas von Lou's Wimperntusche. Ich schlafe nie besonders gut bei Fremden und Noah kenne ich ja eigentlich kaum.

Ob das ne gute Idee war, dass ich so einfach bei ihm geschlafen habe? Wahrscheinlich nicht. Zu gerne würde ich auch ihren Concealer benutzen, weil ich ziemlich schlecht aussehe, aber leider hat Lou eine wunderschöne braune Haut -im Herbst, dass muss man erst mal schaffen- und ich bin weiß wie eine Wand -auch im Sommer. Ich hoffe, dass es für sie okay ist, dass ich einfach ihr Zeug nehme. Vielleicht hätte ich das lassen sollen.

Ich mach mich auf den Weg nach unten. Dieses Mal ist mein Kopf schonmal auf Höhe von nem kleinen Hund und nicht mehr so niedrig, dass ich nur den Boden sehen kann. Noch etwas müde laufe ich die mintfarbene Treppe herunter. Ich brauche auch so nen Teppich. Plötzlich reißt mich jemand am Arm herum und mein Rücken kollidiert unsanft mit dem Treppengeländer. Ich erschrecke mich und hebe meinen Kopf. Mich starren zwei ziemlich blaue Augen an. Blaue Augen ist alles was ich sehe. Augen die für meinen Geschmack etwas zu nah vor mir sind.

Finn! Von einer Sekunde zur nächsten rauschen tausend Gedanken durch meinen Kopf. Werde schneller wach als jeder Kaffee mich hätte wecken können. So sieht er also aus, wenn er richtig wütend ist. Beängstigend. Als wir uns das letzte Mal beim Essen mit seinen Eltern gesehen haben, da sah er alles andere als besonders gruselig aus. Geheimnisvoll vielleicht, aber nicht so das einem die Arme kalt werden. Damals hat mein Herz nicht plötzlich angefangen laut bis in mein Ohr zu schlagen und meine Lungen wollten sich nicht schmerzhaft zusammen ziehen. Angst. Langsam stellen sich die kleinen Härchen auf meiner Haut auf und ich schlucke trocken. Drücke meinen schmerzenden Rücken gleich noch etwas mehr an die Wand. Was will er denn von mir? Ich habe doch gar nichts gemacht. Ich wollte gar nicht in seine Gegenwart gelangen.

Seine Augen starren dunkel in meine. Ganz genauso stelle ich mir den Blick eines Adlers vor, wenn er seine Beute anvisiert. Finns Hand umschließ meinen Arm wie eine Kralle, aber den Schmerz spüre ich kaum. Er steht nämlich so nah vor mir, dass ich gar nicht wegsehen kann. Finn Harris steht direkt vor mir. Was soll ich jetzt tun? Was hat er denn vor? „Du wirst mir jetzt gut zuhören! Du verschwindest hier! Jetzt sofort, nicht gleich, nicht irgendwann, sondern jetzt und du kommst nicht mehr wieder. Sehe ich doch nochmal hier, lernst du mich kennen!" Seine Stimme ist rau, noch kälter als gestern. Ich dachte es wäre beängstigend, wenn er einen anschreit, aber jetzt wo er jedes Wort voller Wut zwischen seinen Zähnen hindurch presst, da weiß ich, dass es so noch schlimmer ist. Es ist als würden scharfe Rasierklingen über seine Lippen kommen und aus seinem Mund fallen. Es ist still, aber ich höre das warnende Klingen als sie matt auf den Boden fallen.

Er sieht mich an als hätte ich gar keine Wahl und damit hat er auch Recht. Es würde mir nicht mal für eine Sekunde einfallen ihm zu wiedersprechen. „Hast du mich verstanden?" Als er wieder anfängt zu reden erschrecke ich mich erneut. Als er dies bemerkt, drückt er mich an meinen Schultern noch fester gegen das Geländer und die Wand dahinter. Langsam kann ich den Schmerz deutlich spüren. Habe Angst das meine Knochen brechen. Ob er das schon mal getan hat? Jemandem was gebrochen? Seine Augen sind vor Wut tief Blau. So ist das also, wenn man auf dem offenen Meer ist und ein Sturm aufzieht. „Ich weiß nicht wo du gerade mit deinen Gedanken bist, aber das du nicht mit mir redest ist nicht vorteilhaft für dich. Ich frage dich noch ein letztes Mal. Hast du mich verstanden?" Er presst die Wörter zwischen seinen Zähnen hervor als könnte er jeden Moment die Kontrolle verlieren. So hatte ich mir den Morgen nicht vorgestellt. Meine Schultern schmerzen und Finn steht so nah vor mir, dass ich seinen Atem spüren kann. Wie kann er nur mit 17 so erwachsen aussehen? So anders als alle die ich kenne?

Ich sollte was sagen, aber ich kann nicht. Ich bin vor Angst einfach gelähmt und ich glaube ich fange gleich an zu heulen. Oh man. Er steht auf der selben Stufe wie ich aber er hat sich nach vorne gelehnt, sodass wir ungefähr gleich groß sind, trotzdem fühle ich mich vor ihm doch so klein. Ich bin wie ein Stück Papier in seinen Händen. Schwach. Nur ganz selten habe ich solch eine Angst, dass ich wie in meinem Körper eingeschlossen bin. Nicht sprechen kann. Ich tue das einzige was mir noch möglich ist. Ich versuche seine Gedanken zu lesen. Ich sehe trotz meiner Angst tief in seine Augen. Ob das mir überhaupt helfen wird? Vielleicht machen mir seine Gedanken auch gleich noch mehr Angst.

———————-

Hätte ich sie damals wirklich gelesen, hätte ich ihn früher verstanden, aber nie kennengelernt.

———————

Als ich schon merke wie meine Augen anfangen zu glänzen, werde ich aus meiner Starre gerissen. „Étoile. Tu es nicht!" Mein Kopf schnellt zur Seite zum Ende der Treppe. Ich spüre sofort Erleichterung in mir auflodern. Sie bewegt sich wie ein warmer Wind durch jede Stelle meines Körpers. Noah sieht mich und dann Finn an. Sein Gesicht ist entspannt, ganz anders als meins. Noah glaubt wohl wirklich, dass Finn mir nicht weh tun wird. „Finn lass sie in Ruhe. Sie ist nicht wegen Lou hier." Finn sieht mich ein letztes Mal an. Ich atme erschrocken ein. Er wird mich definitiv schlagen, wenn nicht noch schlimmeres tun. Dann lässt er mich wie aus dem nichts einfach los. Erst jetzt wird der Schmerz, den sein fester Griff verursacht hat erst richtig schlimm. Ich zische gequält auf. Atme tief durch um ihn weg zu atmen. Langsam dreht Finn sich zur Seite und ich beobachte noch wie er die Treppe nach oben geht und mir ein leises „Glück gehabt." zu flüstert. Trotzdem bin ich mir sicher das Noah es gehört hat. Ich beobachte Finn noch um sicher zu gehen, das er sich nicht plötzlich umdreht und zu Ende bringt was er gerade aufgefangen hat. Seine Worte hallen dumpf in meinen Ohren wieder. Ich hatte Glück. Soviel Glück werde ich nicht nochmal haben oder? Er verschwindet ohne sich noch einmal umzudrehen und ich kann endlich zu Noah sehen.

Dieser steht inzwischen neben mir. „Alles in Ordnung?" Ich gucke ihm kurz verwirrt an bis ich verstehe was er meint. „Ja alles gut." Ich fühle mich gerade ziemlich verwirrt. Gucke nochmal zur Treppe rauf. Er ist wirklich weg. Nach dem Schock überwiegt nun langsam die Erleichterung. Ich atme tief durch. „Du wirst nicht immer hier sein um aufzupassen." Noah geht langsam die Treppe runter und ich drehe mich wie in Trance zu ihm zurück. „Glaub mir, er hat mehr Angst vor dir als du vor ihm haben musst." Was? Frustriert folge ich Noah die Treppe herunter. Ich glaube ihm kein Wort. Mehr noch bin ich enttäuscht, dass er all das hier einfach so hinnimmt. Er scheint gar nicht zu verstehen wie unangenehm das alles hier für mich ist. Ob Finn was planen wird? Er wird bestimmt nicht einfach so locker lassen. Er scheint mir dafür zu versessen zu sein.

Noah dreht sich am Fuß der Treppe zu mir um. Er sieht mich kurz an und lächelt dann aufmunternd. „Ich lebe seit 18 Jahren mit ihm und du kennst ihn gerade mal ein paar Minuten. Wer hat wohl Recht? Du oder ich?" Vielleicht hat er Recht. Was sage ich da? Er hat Recht. Ich hab wahrscheinlich absolut keine Ahnung und soviel wie Noah mir von Finn erzählt hat, reichen ein paar Minuten wirklich nicht aus um ihn zu verstehen. „Lass uns frühstücken." sage ich einfach. Es geht mir wieder besser. Ich kann nicht sagen das ich Sorglos bin, aber ich will mir von der ganzen Sache nicht die Vorfreude aufs Internat nehmen lassen. Gestern habe ich mich so darauf gefreut mehr Zeit mit Noah verbringen zu können, das ganze soll jetzt nicht einfach vorbei sein. Ich lächle zufrieden. „Ich habe Hunger".

„Du scheinst ja richtig gut drauf zu sein heute. Hast wohl gut geschlafen." Noah zwinkert mir zu, lacht, nimmt meine Hand und zieht mich nach hinten in die Küche. Tja der Morgen macht den Tag. Wie ich dieses Sprichwort doch manchmal hasse. Dabei bin ich mir so sicher, dass ich heute mit dem richtigem Fuß aufgestanden bin.

Ich mache mich auf den Weg zum Kühlschrank und gucke was sie so alles haben. Ich nehme mir einen Joghurt herraus und durchsuche die Schränke nach einem Löffel. Noah legt seinen Kopf schief und lächelt mich an. Der große steht belustigt neben mir und lehnt sich an die Mamorablage. Er kommt näher und nimmt aus der Schublade direkt neben mir einen kleinen Löffel herraus und hält ihn mir hin. Ich folge ihm ins Esszimmer um mich an den Tisch zu setzen.

Wie soll ich diesen Raum bloß beschreiben? Der Tisch ist aus Glas. Eine drei Meter lange Glasplatte, welche sie wohl an einem Stück hier rein getragen haben. Anders als sechs normale Tischbeine, hängen Acht verwirrend durchsichtige Ovale von der Platte herunter und verbinden den Tisch mit einer 3 Meter langen Marmorplatte, die direkt auf dem nackten genau gleich gemusterten Boden liegt. Die Küche und alle Möbel sind wohl vom Architekten designed worden. Wie teuer sowas wohl ist? Sollte ich Noah darauf ansprechen wieso alles hier so abgestimmt ist? Wäre das unhöflich? Ich mache es besser nicht. Stumm sehe ich zu ihm rüber. Ich sitze an der Seite des Tisches auf einem unbequemen ovalen Stuhl und er sitzt vor Kopf.

Er sieht heute mal wieder richtig gut aus. Trägt einen dunkel grünen Markenpullover und eine dunkle Jeans. Seine Haare sehen heute ein bisschen ordentlicher aus als gestern Nachmittag. Der hat sich wohl Mühe gegeben. Hätte ich vielleicht auch mal machen sollen. „Bedienst du dich immer einfach so in fremden Häusern selbst? Öffnest einfach Schränke und Haustüren?" Ich sehe ihn erst verwundert an, aber verstehe dann was er meint. „Zu meiner Verteidigung, dass ich dir gestern die Tür aufgemacht habe, war reiner Zufall. Lou wollte eigentlich die Tür öffnen." Noah sieht mich ungläubig an. „Ja klar. Reiner Zufall."

Ich sitze unheimlich gerne im Schneidersitz, obwohl meine Knie total im Arsch sind und der Schneidersitz das nicht wirklich besser macht. Noah scheint sich auch zu wundern das ich nicht so wie seine Schwester, gerade und lieblich dar sitze sondern meine Ellenbogen auf dem Tisch habe und mir den Joghurt rein schaufel. „Da hat aber jemand ganz schön Hunger." Noah sagt das mit dieser Vater Stimme die gerade mit einem Baby redet. „Halt die Fresse, ich hab kein Abendessen bekommen." Noah sieht mich belustigt an und ich esse einfach weiter. Er ist irgendwie einer dieser Menschen bei denen man sich direkt wohl fühlt.

Und dann betrit das genaue Gegenteil von ihm die Küche. Finn Harris. Ein ungutes Gefühl breitet sich soweit in mir aus, dass ich fast den Appetit verliere. Wieso muss er genau jetzt nach unten kommen? Ob er das absichtlich macht um zu zeigen das all das hier ihm gehört? Das er runter kommt wann immer er will, weil das hier sein Zuhause ist und niemals meins werden wird? Ich lächle Noah kurz an und wittme mich wieder meinem Joghurt. Aus dem Augenwinkel beobachte ich Finn der durch die offene Küche geht und alles mögliche in eine Schüssel wirft. Er ist wie ein Löwe in seinem Revier und ich bin wie die Gazelle, die immer nach ihm Ausschau halten muss.

Ich gucke wieder zu Noah und gucke dann wieder auf meinen Joghurt. Wie kann er so ruhig bleiben? Finn wirklich wie seine Familie ansehen und dabei ist er ein verdammt gruseliger Typ. Im Augenwinkel habe ich ihn immer noch im Blick, weil ich sicher gehen muss, dass er nicht zu uns kommt. Zum Glück ist das Haus groß und die Küche weit genug weg, damit er uns nicht hören kann.

„Okay, was machen wir heute?" Noah sieht mich fragend an. Stumm bedanke ich mich bei ihm für das Wechseln das Themas. „Mmmmm. Wir fahren zu mir, ich gehe Duschen und packe mein Zeug für morgen, du fragst mich alles was du wissen willst und wenn du Glück hast beantworte ich dir auch ein paar Fragen." Noah rollt nur mit seinen Augen. Er hatte sich wohl einen Tag der ein bisschen spannender ist vorgestellt. Ich mir auch, aber nach der Sache eben auf der Treppe hab ich es mir anders überlegt. Der Tag war schon zu aufregend. Ich löffle nachdenklich meinen Yogurt. „Wo ist Lou?" Noah lehnt sich zurück. „Ballett." Ich nicke einfach. Ich hatte gehofft, dass sie mit uns kommt. Es war eigentlich zu erwarten, dass sie keine Zeit hat. Eigentlich sollte ich nach unserer Absprache auch schon zuhause sein. Ich hab bisschen lang geschlafen.

„Gehen wir nach dem Frühstück?" fragt er mich und ich nicke bestätigend. Ich will einfach nur raus hier. So weit weg von Finn wie nur irgendwie möglich. Ich beschleunige das Ganz, indem ich schneller esse. Dann fällt mir auf, dass Noah gar nichts vor sich stehen hat. „Isst du nichts?" Er schüttelt mit dem Kopf und sieht kurz zur Küche rüber. „Hab schon bevor du wach geworden bist." Ich hab also wirklich um einiges zu lange geschlafen, na toll. Wann Finn wohl nach Hause gekommen ist? Mitten in der Nacht oder als Noah heute Morgen aufgewacht ist? Ob Lou ihn noch gesehen hat? Ob es ihr besser geht als gestern Abend? „Wie gehts Lou? Hast du sie heute morgen gesehen?" Noah steht auf und ich folge ihm vorsichtig zu Finn in die Küche. Dabei wage ich es nicht für eine Sekunde Finn anzusehen. Ein Blick von ihm und ich bin bestimmt wieder wie gelähmt. „Hab sie verpasst, aber ihr gehts bestimmt gut." Ich nicke besorgt. „Wann kommt sie wieder?" Noah zeigt mir den Müll und ich werfe den Joghurtbecher weg. Normalerweise spüle ich ihn vorher mit Wasser aus, aber Finn steht vor der Spüle. Ich kann aus meinem Augenwinkel seine Füße sehen und wenn ich auf ihn zu gehe, wird er mir sicher keinen Platzt machen. „Erst heute Abend." Ich nicke enttäuscht.

„Ich wusste nicht, dass sie so früh weg muss. Glaubst du ich kann sie heute Nachmittag mal anrufen? Ich meine, die müssen beim Ballett doch auchmal Pausen machen." Ich sehe zu Noah hoch, aber dieser schüttelt mit dem Kopf. „Das kannst du vergessen, ihre Lehrerin hat den fettesten Stock im Arsch. Die dürfen nicht telefonieren." Langsam sehe ich auf den Löffel in meiner Hand und Noah nimmt ihn mir ab. Er läuft damit weg, aber ich sehe nicht hin, weil er in Finns Richtung geht. „Finn." Aus dem Augenwinkel bewegen sich beide. Finn macht Platzt, damit Noah an die Spülmaschine kann. Ich gehe schon mal zum Flur raus, denn näher will ich Finn nicht nochmal kommen.

Ich höre den beiden beim Gespräch zu, weil ich einfach nichts besseres zu tun habe. „Sag mir bitte, dass ein Wagen da ist." sagt Noah. Ich runzle verwirrt meine Stirn. Ein Wagen? Wie viele haben sie denn? „Nope Werkstatt und einen hab ich verliehen." Noah seufzt leise. „Was ist mit dem BMW, der auch weg?" Wir könnten uns nie so ein Auto leisten und die haben gleich mehrere. „Die Ranzkarre haben die Alten fürn Flughafen genommen." kommt nur genervt von Finn. Ich kann es nicht lassen und sehe vom Flur aus doch zu ihm in die Küche.

Finn steht an die Ablage gelehnt da und sieht auf sein Handy während er irgendwas ekliges aus einer Schüssel isst. Jetzt wo ich nicht super weit weg von ihm stehe, aber auch nicht viel zu nah dran bin, erkenne ich die Wunden an seinen Handknöcheln. Sowas habe ich bis jetzt nur ganz selten gesehen, aber ich erkenne es trotzdem. Seitdem die Kriminalitätsrate in den letzten Jahren so drastisch bei uns im Dorf gestiegen ist, kann sogar ich verstehen was diese Wunden zu bedeuten haben.

Noah ist inzwischen auch in den Flur gekommen und hält mir meine Sachen hin. „Dann lass uns mal zum Bus." Er lächelt mich an, aber ich merke das er etwas angespannt ist. Er hat vielleicht auch an Finn gedacht. Als sein Bruder macht er sich bestimmt Sorgen. Schnell ziehe ich meine Schuhe an. Einfach raus hier zu mir nach Hause. Finn darf einfach niemals erfahren wo ich wohne, dann bin ich dort wenigstens sicher.

Erst als wir aus der Tür sind, löst Noah sich aus seinem Zustand. Er ist wohl wirklich besorgt um seinen kleinen Bruder. „Finn macht sowas oder? Illegales?" Noah sieht mich lächelnd an. „Du bist ziemlich neugierig das weiß du schon oder?" Ich lächle ihn an und gehe ein kurzes Stück rückwärts die Einfahrt hinunter. „Jip, das weiß ich." Ich drehe mich wieder um und stappfe davon. „Manchmal ist es besser nicht immer alles zu wissen." Sagt er ernst, aber ich bin ziemlich ratlos was er damit meint.

„Ich weiß gerne Dinge." Langsam sehe ich zu ihm rauf. Heute sieht er lauchiger aus als gestern. Ich schmunzle leicht. „Machst du eigentlich Sport, Noah?" So durchtrainiert wie sein Bruder ist er definitiv nicht. „Was soll das denn für ne Frage sein? Guck mich doch mal an." Er sieht empört aus und ich muss anfangen zu lachen. „Genau deswegen frage ich doch." Seine Augenbrauen schießen wie zwei Raketen nach oben. „Das hat sie nicht gesagt." Ich beiße auf meine Unterlippe um hin nicht noch mehr auszulachen, aber es ist zu spät. Er kommt bereits auf mich zu gerannt. „Ahhhh!" Ich renne um mein Leben Richtung Bushaltestelle um dem Riesen Kohl zu entkommen, aber Noah ist um einiges schneller als ich und da ich die bin, die keinen Sport macht, hat er mich schneller als mir lieb ist eingeholt.

Er schlingt seine Arme von hinten um mich, damit ich nicht mehr weglaufen kann, aber wenn ich ehrlich bin, wäre mir eine Sekunde später eh die Puste ausgegangen. „So ne große Klappe, aber selbst langsamer als ne Schildkröte." Er hat nicht ganz unrecht, ich bin schon wirklich langsam. War ich schon immer. „Ich ergebe mich. Jetzt lass mich schon los, bevor ich Panik bekomme." Noah lacht leise und nimmt dann wirklich seine Arme weg. Ich drehe mich sofort zu ihm um. „Was bist du so schnell?" Er schüttelt mit dem Kopf und läuft weiter zur Haltestelle. Mit Seitenstechen folge ich ihm. Der Typ ist nichtmal außer Atem und dabei sind wir ganze 10 Meter gerannt. Naja, er ist mehr so gejoggt während ich los gesprintet bin. „Ich gehe zwei mal die Woche ins Gym und Laufe für meine Schule bei Wettkämpfen, du Schnecke." Er also auch? Lou macht so viel Sport und geht auf Tounire und Noah auch? Finn sieht so aus als wäre der auch ständig im Gym. Vielleicht sollte ich auch mal was für meine Gesundheit tun? Ach was, ich hatte gerade nen Joghurt. Da war Obst drinnen. Das wird wohl für diese Woche reichen.

An der Haltestelle bleiben wir stehen und ich hoffe, dass der Bus kommt. Es sieht nur leider nicht so aus. „Ich glaube, die streiken immer noch." Das tuen sie jetzt schon seit Wochen. Manchmal spontan und manchmal angekündigt. Sie fordern Kameras in allen öffentlichen Verkehrsmitteln für die Sicherheit der Busfahrer. In letzter Zeit wurden immer mal wieder welche von Jugendbanden oder besoffenen Männern überfallen, verprügelt und ausgeraubt. Soviel zur Sicherheit in unserer Stadt. Noah hat wahrscheinlich Recht. Sie streicken schon wieder oder immer noch. Wer weiß das inzwischen überhaupt noch.

„Lass uns wieder zurück gehen." Sagt Noah, nimmt meine Hand und zieht mich wieder zurück zum Haus. Er hat meine Hand genommen und es hat mich garnicht gestört. Es ist nicht so wie sonst, wenn jemand meine Hand nimmt. Ich hab nicht gleich diesen Drang meine Hand wegzuziehen. Es fühlt sich einfach anders an. Vertraut und nicht so fremd. Irgendwie macht die Tatsache, dass er es auch kann, es mir viel leichter ihm zu vertrauen. Wenn ich die Gedanken von anderen Leuten lese, komme ich irgendwann immer bei den schlimmen Sachen an. Dinge, die ich in meinem Alter einfach nicht wissen will. Bei Noah sehe ich rein gar nichts, wenn ich ihn ansehe. Nicht eine Erinnerung, nicht ein Gedanke. Das ganze sollte mich eigentlich beunruhigen, aber es macht einiges einfach leichter.

Mir fällt plötzlich was ein. „Noah, was meint Finn, wenn er sagt, dass er euer Auto verliehen hat?" Noah lacht belustigt als wäre es witzig, dass sein Bruder einfach das Auto nimmt. „Wir haben im Moment nur zwei, weil meine Eltern das dritte genommen haben. Eins ist in der Werkstatt, weil Finn es  gegen nen Baum gefahren hat. Naja, nicht er hat es gefahren, sondern sein Freund Jayden, aber wegen den beiden Helden gibt es heute kein Auto. Dazu hat er wahrscheinlich Jayden jetzt den Audi geliehen, was uns dann nächste Woche wahrscheinlich auch den in der Werkstatt antreffen lässt, aber okay." Wie Finn hat das Auto genommen? Und wer ist Jayden? „Ist Jayden denn schon 18 oder wieso fährt der einfach Autos gegen Bäume?" Wenn er bei Finn in der Stufe ist, muss er doch 16 oder 17 sein? Noah schüttelt mit dem Kopf. „Das Alter hält sie schon lange nicht mehr davon ab zu fahren und Jayden wird wahrscheinlich mit 40 noch nicht ordentlich fahren können."

Da die Bushaltestelle ja nicht weit vom Haus entfernt ist, sind wir schnell wieder da. Noah öffnet wieder die Haustür und geht vor ins Wohnzimmer. Er bleibt in der Tür stehen, was mich etwas wundert, weswegen ich mich neben ihn stelle und mich an den Türrahmen​ lehne. Im Wohnzimmer sitzen zwei Jungs. Finn und irgend jemand anderes. Leider sind alle Blicke auf mich gerichtet. „Was macht ihr denn schon wieder hier?" Finn hat wohl wieder schlechte Laune. Der hat aber auch Stimmungsschwankungen, als hätte er seine Tage. Wenn er später noch heult, wird mir das hier etwas zu verrückt. „Ja. Die Busse streicken immer noch." Noah redet mit dem selben genervten Ton in der Stimme, den Finn gerade auch drauf hat. Super.

Ich beachte die beiden eher weniger und sehe lieber den Neuen an. Der ohne Name hatte mich angesehen als ich zur Tür kam, guckt jetzt aber wieder auf sein Handy. Ich bin wohl nicht spannend genug und das ist mir gerade recht. Er ist eindeutig größer als Finn, selbst im Sitzen. Auch im Gesicht sieht er älter aus. Seine Haare sind strohblond und sehen ziemlich trocken und wild aus. Er trägt ein weißes T-Shirt und eine dunkle ausgewaschene Jeans, welche zu den alten abgetretenen Sneakern passen und ihm einen alten Vibe verleihen. Nur seine Haare sehen modern aus. Sie sind kurz geschnitten und zusammen mit seiner Lederjacke passen sie genau zu seinem Badboy Look. Langsam sieht er von seinem Handy auf, sieht erneut zu Noah und dann zu mir. „Deine Freundin?" Ich werde also einfach ignoriert?

„Nein." Noah hat wohl selten Mädchen zu Besuch, dass gleich gedacht wird ich wäre mit ihm zusammen. Das ist meine Chance. „Ich steh nicht so auf Lauch." Meine Chance Noah zu mobben. Dieser lacht empört auf, genauso wie eben vor der Tür. „Hey, ich dachte das hätten wir geklärt." Ich sehe ihn scheinheilig an. „Komisch, daran kann ich mich nicht erinnern." Er atmet ungläubig ein und ich beschließe, das es Zeit ist zu gehen. Belustigt ziehe ich Noah an der Hand wieder in den Flur. „Du bist echt gemein. Mein Ego verträgt das nicht." Ich rolle mit den Augen. Sein Ego hat noch viel mehr verdient so wie er gestern noch mit mir geredet hat, aber ich will mal nicht so sein. „Du bist super heiß und sexy und schön, hübsch, fantastisch, unwiderstehlich und so weiter." Ich sehe ihn provozierend an. „Reicht das?" Noah verschränkt seine Arme vor der Brust. „Wenn du es ernst meinen würdest schon, aber das tust du nicht." Tue ich wirklich nicht. Ich grinse unschuldig, kann mir dann aber einen frechen Kommentar nicht verkneifen. „Ich hatte halt Mitleid mit dir." Noah starrt mich an als wäre er noch nie von nem Mädchen geroasted worden. Das kann doch nicht wahr sein. „Kommst du jetzt du Schönling oder willst du warten bis die anderen Lauchs fürs jährlichen Lauchtreffen hier auftauchen?" Noah schüttelt belustigt mit dem Kopf und folgt mir dann nach oben. „Ich bin kein Lauch. Du bist viel dünner als ich."

Ich drehe mich langsam zu ihm um. „Ja, ich dachte das Lauchtreffen fängt früher an und bin deswegen schon hier." Noah lacht leise und zieht mich dann in sein Zimmer. Dort lege ich mich quer auf Noahs Bett, sodass nur noch meine Beine herunter baumeln. Bequem muss es ja wohl sein. „Kennst du Finns Freunde, so abgesehen von Jayden?" Ich weiß nicht wieso ich diese Frage stelle. Wieso ich Interesse an Finns Leben haben sollte, aber ich tue es trotzdem. Ob Jayden der aus dem Wohnzimmer ist? Ich meine, heute streiken doch die Busse und der Typ da unten ist trotzdem hier? Ob er mit dem Auto hier hin gefahren ist? „Nicht alle, aber viele von ihnen. Liam schon." Noah setzt sich auf sein Bett und ich klopfe abwartend neben mich. Liam schon? „Liam ist der aus dem Wohnzimmer?" Noah nickt bestätigend. Dann habe ich Jayden wohl doch noch nicht kennengelernt. Glaube das will ich auch nicht. „Ist er auch so?" So wie Finn? „Muss ich bei ihm auch vorsichtig sein?" Etwas beschämt sehe ich zu Noah und warte auf seine Antwort. Dieser schüttelt aber mit dem Kopf. „Liam hat seine Probleme, aber er ist der vernünftigste von ihnen. Er wird dich ignorieren, wenn Finn nichts anderes von ihm verlangt." Langsam legt Noah sich endlich neben mich, aber ich sehe hoch an die Decke. Verlangt? Das ist aber ne interessante Wortwahl. „Finn verlangt?" Erst sagt Noah nichts. Dieses Mal scheint er nicht besonders gerne antworten zu wollen. Dann gibt er mir zwei nichts sagende Sätze. „Es ist kompliziert, aber wenn du aufs Internat kommst, wirst du es erleben. Sie hören fast alle auf ihn."

Finn ist also nicht nur ein Löwe mit Revier, sondern auch noch ein Rudelführer wie ein Wolf? Fantastisch, ich kann also gleich nach mehreren Raubtieren Ausschau halten. „Kannst du mir was über seine Freunde erzählen? Ich möchte nicht ganz so unvorbereitet sein." Nicht, dass ich ihnen einfach so über den Weg laufe und keine Ahnung habe zu was sie eigentlich fähig sind. Halb so gruselig wie Finn wäre schon schlimm genug. „Liam da unten ist 18, einmal sitzen geblieben, wohnt alleine. Die Jungs zocken oft bei ihm und Finn pennt die meiste Zeit in Liam's Wohnung. Schlechtes Verhältnis zu seinen Eltern, aber ein gutes mit seinem 14 jährigem Bruder, der von der ganzen Scheiße die Liam baut nichts mitbekommt." Ich sehe Noah überrascht an. Liam wohnt alleine? Jetzt schon? „Wenn er sitzen geblieben ist, geht er dann bei Finn in die Stufe?" Noah nickt. „Ja, genauso wie du." Ich atme tief durch, denn das hatte ich komplett verdrängt. Ich werde wahrscheinlich Kurse mit ihm haben. Mit Liam und Finn und wer weiß mit wem noch. Jayden vielleicht.

„Wie viele sind denn da von ihnen?" Ich sehe Noah besorgt an. Er sieht einfach an die Decke. „Den Badboys?" Er macht belustigt Anführungszeichen in die Luft als er sie so nennt. Vorgestern Abend hätte ich das auch getan, aber jetzt finde ich das ganze nicht mehr ganz so lustig. „Ja." Noah dreht sein Gesicht zu mir und er weiß genau was ich gerade denke. Ich mache mir Sorgen. Mehr als ich je gedacht hätte, wären nötig bei diesem Umzug. Vielleicht ist das alles eine ganz dumme Idee. Vielleicht sollte ich es lassen. Naja, eine Wahl habe ich gar nicht. Ich muss gehen, ob ich will oder nicht. Noah lächelt mich aufmunternd an. „Es gibt auch nette Leute auf der Schule, Étoile. Sogar welche die es sich persönlich zur Aufgabe gemacht haben Finn und seinen Freunden manchmal ordentlich in den Arsch zu treten. Dir kann nichts passieren."

Ich nicke kurz. Noah hat Recht. Ein paar Jungs auf einer riesigen Schule. Das kann doch nicht so schlimm sein. „Dazu gehörst du zu mir und Finn wird das akzeptieren. Gib ihm ein bisschen Zeit dich kennenzulernen. Du wirst schon sehen. Irgendwann ignoriert er dich einfach. Hat er doch heute auch hauptsächlich schon." Ich seufze leise. „Ich will nicht, dass er mich ignoriert. Ich will, dass er mich mag." Fast alle mögen mich. Ich mag Konflikte nicht. Ich bin zu sensibel für sowas. Das geht mir immer zu nahe. Ich kann nicht damit leben, wenn ich grundlos ignoriert werde. Noah sieht mich ernst an. „Lass ihn in Ruhe, Étoile. Bitte." Ja, aber ich soll mir keine Sorgen machen? Was denn jetzt.

*********

Finns P.O.V

Ich verabschiede mich von allen und gehe nach Hause. Ist nicht weit von hier. Hätte Jayden nicht meine Karre zu Schrott gefahren, müsste ich jetzt nicht laufen. Vielleicht hätte ich den Audi nicht auch noch verleihen sollen. Mir kommen ein paar Besoffene entgegen. Ha, die sind ja noch dichter als ich. Einer kotzt sogar. Manche kommen mit dem Trinken einfach nicht klar.

Irgendwann finde ich dann auch das beschissene Schlüsselloch und schließe die Tür auf. Ich bin nicht wirklich gut darin, besoffen leise zu sein. Lou hab ich wohl schon geweckt, denn plötzlich steht sie vor mir. „Finn." Ich sehe sie sauer an. Was macht sie denn hier unten. Ich hätte ein Einbrecher sein können. „Geh ins Bett." Ich geh in die Küche und Lou folgt mir. „Hast du getrunken?" Ich drehe mich schnell zu ihr um. Zu schnell. Ich lehne mich kurz an den Kühlschrank. „Lou. Es geht dich nichts an. Geh ins Bett, bevor ich was tue, was ich morgen bereuhe." Sie sieht mich traurig und verletzt an. Man, ich kann aber wirklich nichts richtig machen.

Plötzlich kommt die Bratze die Treppe herunter. Total verschlafen läuft sie zu Lou hin. Man sieht die scheiße aus. „Danke." Sie lächelt mich verschlafen an. Ups. Hab ich das laut gesagt? Egal. „Gegen wir hoch?" Sie sieht Lou fragend an. Lou sieht kurz zu mir und nickt dann. Sie geht die Treppe hoch und ich sehe ihr nach. Als ich mich wieder um drehe steht die Hässlige immer noch da. „Was willst du?" Ich gehe zum Esstisch und setzte mich. Hässlon bleibt in der Küche. Ich kann sie von hier aus gut beobachten. Sie ist wieder wach. Bedient sich am Kühlschrank und holt Milch herraus. Sie schließt den Kühlschrank mit dem Ellenbogen und geht zu den anderen Schränken. „Teller." Sie zeigt auf den ersten Schrank. „Gläser." Sie zeigt auf den zweiten Schrank. „Becher und Schalen." Sie zeigt auf den dritten Schrank. „Töpfe." Sie zeigt auf den vierten Schrank. „Pfannen." Sie zeigt auf den fünften Schrank. „Tassen und Untersetzer." Sie macht den Schrank auf und holt zwei Tassen herraus. Die Untersetzer beachtet die nicht.

Sie nimmt die Milch und schüttet sie in die Tassen. Die traut sich aber mal wieder einiges. Hab ich wohl nicht klar genug gemacht, dass sie hier nicht zu suchen hat. Sie öffnet die Mikrowelle und tut beide Tassen rein. „Wo warst du?" Sie fragt es mehr gleichgültig. „Feiern." Sie drückt auf Start und die Tassen beginnen sich in der Mikrowelle zu drehen. Man hört nur das leise Rauschen der Mikrowelle bis sie "Ping" macht und Étoile mir die Tasse vor die Nase setzt. Entweder habe ich kurz die Augen geschlossen oder sie ist verdammt schnell. Fuck. Sie geht noch mal in die Küche und holt Honig. „Hier." Sie nimmt einen Löffel und lässt etwas Honig in meine Tasse fließen. Ich beobachte das ganze, bis sie fertig ist. Sie ist schnell und ich hatte wohl bisschen zu viel. Ooopsi.

Mürrisch sehe ich auf die Tasse herunter. Was soll der Mist? Ich sehe wieder zu ihr rauf. Die hat immer noch Angst. Wenigstens etwas. „Noch was oder gehst du jetzt endlich?" Sie sieht herunter auf die Brühe und lächelt. „Wir sollten reden." Ach, sollten wir das? Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. „Ich dachte das haben wir schon, aber ich kann es auch gerne nochmal deutlicher machen." Wie bescheuert ist die eigentlich? Dem Mädchen muss man mal in die Fresse hauen, damit die ihr Maul hält. Sie schluckt trocken. Hat wohl gemerkt, dass mich ihr kleiner Talk nen Dreck juckt. Vorsichtig zeigt die auf die Tasse. „Probier wenigstens." Ich sehe runter. Da sie am anderen Ende des Tisches sitz, kann ich ihr den heißen Müll wohl nicht in die Fresse schütten. Probier ich halt. Kann es immer noch ausspucken, wenn's sein muss.

Ich nehme einen Schluck. Fast haue ich mir die Tasse gegen die Zähne. Liam hat mich fast unter den Tisch gesoffen. Sowas von typisch. Ich hätte gar nicht mal versuchen sollen so viel zu trinken wie er. Hatte ne schlechte Woche. Nen schlechten Monat. Dachte es hilft. Hat es nicht. Die Milch ist ganz okay. Schmeckt süß und sonst nach nichts. Passt schon. Als ich die Tasse wieder absetzte kommen schon wieder Worte aus ihr raus. „Wenn du mir sagst, was ich getan habe, dass du mich nicht leiden kannst, dann könnte ich mich entschuldigen." Ich lache bitter auf. Entschuldigen? Du glaubst ernsthaft das ein beschissenes Wort alles wieder gut macht? Entschuldigen ist nicht echt. Ich könnte ‚Mülltonne' oder ‚Fuck' sagen und das hätte genauso viel wert wie ein dummes Sorry. Menschen sind so beschränkt, es tut richtig weh.

„Du kannst dir deine Entschuldigung in den Arsch schieben." Sie seufzt leise. „Okay." Langsam steht sie auf und läuft mit ihrer Tasse in der Hand zu mir und nimmt mir meine Weg. Sie scheint ernsthaft enttäuscht über meine Antwort zu sein. Wie naiv ist die denn? Kaum zu glauben, dass ich sie heute Morgen nicht erwischt habe.

Sie bringt unsere Tassen in die Küche und ignoriert einfach meine Antwort. „Ich geh jetzt wieder schlafen. Nimm dir noch ein Aspirin mit und leg es neben dein Bett, dann kannst du es morgen früh direkt schlucken." Sie dreht sich um und will gehen. Ich ergreife schnell meine Chance und stehe auf. Wow. Ich fahre mal wieder in Alkkarussell. Egal. Was du heute kannst besorgen... Ich wollte sie mir ja eigentlich später krallen, aber wenn sie schon da ist. Why not?

Ich nehme schnell ihren Arm und drehe sie um. Sie sieht mich erst nur erschrocken an, bis sie versucht sich los zu reißen. Ich lege meine andere Hand an ihre Schulter um sie gegen die Wand zu schieben. Beim Berühren ihrer Schulter schreit sie kurz auf. Ich handle schnell und lege ihr meine Hand auf den Mund. „Sei leise." Ich gucke mir ihre Schulter an und grinse. Jip. Sie hat aufgeschrien, weil sich inzwischen ein blauer Fleck gebildet hat. Habe ich heute morgen also wenigstens etwas erreicht.

Ich drücke sie gegen sie Wand, aber lasse meine eine Hand auf ihrem Mund. Wenn sie jemanden weckt, ist das nicht so gut für mich. „Keine Angst, ich tuh dir nichts." Ich setze mein bestes Pedogrinsen auf. Ihre Augen weiten sich und ich kann ihr Schlucken hören. Sie hat Angst. Fantastisch. Kurz halte ich Inne. Denke an Noah. Er kann sie wohl aus irgendeinem Grund leiden. „Willst du was von meinem Bruder?" Ich kann Noah nicht immer leiden, aber an seine Freundin würde ich mich trotzdem nicht ran machen. Da sie nicht reden kann, schüttelt sie nur leicht mit dem Kopf. Ich komme ihr näher und flüster ihr ins Ohr. „Gut, denn ich will dich." Ich atme kurz ihren Geruch ein. Perfekt. Sie verkrammpft total und ich kann ihren schnellen Atem gegen meine Hand spüren. Ich hab nicht vor ihr wirklich was zu tun. Zumindest heute Abend nicht. Ich will nur, dass sie endlich geht.

„Du bist ganz schön frech, weißt du das?" Ich sehe sie kurz an. Ich nehme meine Hand von ihrem Mund und lege ihn an ihre Taille. Ihre Augen leuchten ein bisschen bläulich, was gar nicht mal so hässlich aussieht. Ich nehme kurz meine Hand von ihren Taille und streiche ihr eine Strähne hinters Ohr um ihre Augen besser sehen zu können. Sie guckt sofort zum Boden. Noch ein Zeichen von Angst. Es ist verwirrend, dass sie sich immer noch von mir weg gegen die Wand presst. Normalerweise überwiegt bei ihnen immer die Neugierde. Normalerweise hätte sie schon längst einen Schritt in meine Richtung machen müssen. Wenn sie also wirklich so ängstlich ist, dass sie heute morgen schon so erschrocken war, dann wird sie bald so sehr Angst haben, dass sie verschwindet.

„Wieso bist du noch hier unten?" Viele Mädchen würde viel geben um nur neben mir zu sitzen, aber sie sah so aus als hätte sie zu viel Angst von mir. Sie antwortet nicht und sieht weiter zum Boden. Ich werde langsam ungeduldig. Ruckartig ziehe ich sie an ihrer Taille gegen mich. Sie gibt einen erschrockenen Laut von sich, aber es ist zum Glück viel zu leise um Noah aufzuwecken.

Ich will das sie mich wieder ansieht! Ich hab nicht erlaubt, dass sie weg sehen kann! Langsam nehme ich meine andere Hand und greife nach ihrem Kiefer. Sie zischt schmerzlich auf, aber das ist mir ziemlich egal. Sofort schnellen ihre beiden Hände zu meinem Arm herauf um meine Hand von ihrem Knochen zu ziehen. Als sich unsere Blicke dann aber endlich wieder treffen, lässt sie ihre Hände sofort wieder eingeschüchtert fallen. Gut so.

„Bin ich so heiß, dass du so leichtsinnig bist?" Ich grinse belustigt. Jetzt wo ich so betrunken bin, ist das auch ganz leicht. „Oder ist es das Geld meiner Familie? Deswegen bist du doch hier." Ich drücke ihren Kopf noch etwas weiter in den Nacken. Ich bin doch einiges größer als sie und sie steht so nah vor mir, dass sie nach oben sehen muss. Weil wir uns so nah sind, spüre ich wie ihre Beine zittern. „Was willst du?" Ich streichle ihre Taille rauf und runter. Die meisten Mädchen werden schon schwach, wenn ich ihnen nur näher komme. Ich kann sehen wie sie versucht sich zu beruhigen. So wird das nichts. Sie hat zu viel Angst um mit mir zu reden. Wie nervig.

Ich versuche es anders. Ich bin vorsichtiger und fahre mit meinem Zeigefinger kleine Kreise auf ihrer Taille. „Du bringst mich ganz schön durcheinander." Ich hauche gegen ihren Hals. „Hast du nen Freund?" Ich frage eigentlich damit sie glaubt ich sei ehrlich an ihr interessiert. Will, dass sie sich schleunigst was einbildet. Aus irgendeinem Grund hoffe ich aber, dass sie keinen hat. Keinen Freund. Sie schüttelt wieder vorsichtig ihren Kopf. „Ab jetzt, gehörst du mir." Sie fängt an noch stärker zu zittern. Ich lege schnell meinen Arm stärker um ihre Taille um sie zu halten. „Du gehörst mir." Ich muss besoffen grinsen. Die nächsten Begegnungen mit mir werden ihr nicht fallen. „Ich lass dich jetzt los. Für heute reicht das mir." Sie zieht stark die Luft ein und richtet sich wieder etwas auf. Ich verstärke noch mal kurz den Griff um ihre Taille. „Du wirst niemandem etwas davon erzählen." Ich fahre kurz mit einer Hand den Rand ihrer Jeans entlang. „Sonst, bin ich anders. Glaub mir." Ich sehe sie kurz eindringlich an und sie nickt ängstlich, dann lasse ich sie los.

Langsam drehe ich mich um und will gehen, da passiert etwas womit ich nicht gerechnet habe. „Du hast dein Aspirin vergessen." Ich sehe sie also nochmal an. Hat sie gerade wirklich mit mir gesprochen? Nach der Situation gerade? Die hat vielleicht Eier. Ich gehe wieder auf sie zu, schneller als eben. Schon drückt sie sich wieder an die Wand. „Musst du mir gleich wieder Angst machen?" Ich sehe verwundert herunter in ihre Augen. Woher kommt der plötzliche Mut? „Weiß nicht. Wirst du wieder frech?" War sie je frech zu mir? Eigentlich nicht. Stört mich ihre Anwesenheit trotzdem? Definitiv.

Sie sieht langsam wieder herunter. „Ich hab nicht vor dir irgendwelche Probleme zu machen, Finn. Ich wäre nicht hier, wenn ich eine andere Wahl hätte." Ach nein? Das sagen sie alle. Wütend mache ich wieder einen Schritt auf sie zu. Sie sieht erschrocken wieder hoch. „Finn bitte. Ich will Noah nicht verlieren!" Ich bleibe stehen. Noah? Verlieren? Ob ich ihr das glauben soll?

„Du kannst mir antun was du willst, wenn ich dir Probleme mache, aber ich brauche eine Chance um zu beweisen, dass ich keine schlechten Absichten habe. Bitte." Sie sieht mich unsicher, aber bittend an. Ich überlege was ich für Möglichkeiten habe, aber richtig denken kann ich so zugesoffen wohl nicht mehr. „Jetzt geben sie sogar inzwischen schon ne Einverständniserklärung ab, dass man ihnen weh tun kann. Das wird ja immer besser."

Sie sieht müde wieder zum Boden. Ich kann es nicht leiden, wenn sie mich ansieht, aber das sie immer auf den Boden starrt ist noch nerviger. „Wenn du mir ein einziges Mal im Weg stehst. Mir Probleme machst, Lou enttäuschst, Noah verletzt, bist du tot. Hast du das verstanden?" Sie sieht langsam wieder hoch. Macht einen Schritt auf mich zu. Was hatte die heute morgen im Frühstück, dass die so mutig ist? Leise spricht sie aber trotzdem. „Klingt fair."

Sie atmet tief durch, als müsste sie ihren Mut erst zusammen kratzen um das auszusprechen was jetzt kommt. „Aber bleib bitte von mir weg." Ich mustre sie stumm. Ja, sie ist ängstlich genug. „Mit Vergnügen doch." Denn ich würde echt niemals freiwillig mit der Zeit verbringen, würde sie nicht hier sein. Niemals. Davor kotze ich lieber. So übel wie mir gerade ist, wird das gleich auch passieren.

Ohne noch ein Wort zu sagen, lasse ich sie stehen und gehe in mein Zimmer. Versuche mich selbst zu verstehen. Das ich wirklich mit einer wie ihr nen Deal gemacht habe. Das sie sich das getraut hat. Was ist das bitte für ein Mädchen?

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Gute Frage.

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Étoile's P.O.V.

Langsam sehe ich dabei zu wie er verschwindet. Erst als er weg ist rutsche ich an der Wand herrunter und schließe meine Augen. Was war das? Erschrocken starre ich vor mich hin. Ich fühle immer noch Finn's Hand an meiner Taille. Ich spüre noch seinen ekeligen Alkoholatem gegen meinem Hals. Meine Beine und Hände zittern noch. Ich hätte mit Lou rauf gehen sollen. Ich berühre kurz meine Schulter. Autsch. Tief durchatmen.

Ich nehme die Strähne, die Finn hinter mein Ohr gestrichen hat wieder hervor. Meine Augen haben wieder angefangen zu leuchten. Das war so verdammt knapp. Hätte ich nicht zum Boden geguckt hätte er es gesehen. Wieso bringe ich mich in solche eine Situation? Wer weiß was er eigentlich vor hatte. Langsam richte ich mich auf. Ich kann hier nicht so sitzen bleiben. Ich bin extra für Lou geblieben und Finn darf mich so schwach auch nicht sehen. Vorsichtig schleppe ich mich zur Treppe.

Meine Eltern konnten nach der Arbeit vorbei kommen und haben mir frische Sachen gebracht. Sie sind froh, dass ich mich mit Noah verstehe und waren einverstanden, dass ich noch eine Nacht hier bin. Es ist gut, wenn ich mich schon mal daran gewöhne ohne sie zu wohnen. Ich bin eigentlich nicht wegen Noah, sondern wegen Lou geblieben. Wenn sie nach England geht werde ich sie nicht mehr sehen und ich hatte sie ja heute morgen schon verpasst. Ich wollte sie wenigstens heute Abend sehen und wissen ob es ihr gut geht nach der Sache von gestern. Genau deswegen bin ich auch runter gegangen als Finn nach Hause kam. Konnte sie nicht schon wieder alleine gehen lassen. Wollte sicher gehen, dass sie heil wieder mit nach oben kommt.

Dann als Finn betrunken war und deutlich komprimiert, habe ich meine Chance gesehen mit ihm zu reden. Es lief nicht so wie ich es geplant hatte, aber zum Glück konnte ich meine Angst ein Stück mit Hilfe des Adrenalins überwinden und mit ihm reden. Jetzt lässt er mich vielleicht wirklich in Ruhe und das ist Laut Noah wohl auch alles wonach man fragen kann. Ich habe es geschafft. Ich hatte Angst und Panik und ich habe es trotzdem geschafft. Wow.

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