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Sie haben es verdient kleines

Keira war die letzten zwei Tage durch die Hölle gegangen. Abgesehen davon, dass sie die meiste Zeit nur geweint hatte, musste sie ständig an diesen Stalker denken. Egal wohin sie ging, immer wieder drehte sie sich panisch um und suchte nach etwas oder jemandem. Aber nach was eigentlich? Nach einem verdächtigen Typen, der sie verfolgte? Sie lebte in New York, da gab es solche Typen an jeder Straßenecke. Zumal dieser Stalker vermutlich nicht so dumm war sie auf offener Straße zu verfolgen.

Anrufe hatte sie in den letzten zwei Tagen auch keine bekommen. Naja tatsächlich war da einer gewesen. Ihre Mutter hatte sie angerufen, jedoch konnte Keira nicht rangehen. Alleine der Gedanke daran, dass sie ihrer Mutter ins Gesicht lügen müsste, ohne in Tränen auszubrechen, schien ihr vollkommen unmöglich.

Nervös lief sie in ihrer Wohnung auf und ab. Zwei Tage waren vergangen, was bedeutete, dass sie heute die Anweisungen bekommen würde. Vorsichtshalber hatte sie bereits einen Zettel und einen Stift neben das Telefon gelegt, falls er ihr einige Aufgaben diktieren würde. Vermutlich musste sie Geld an einen bestimmten Ort bringen. Das war die einzig, normale Lösung an die sie denken konnte und wollte. Ihr Gehirn ließ es nicht zu, dass sie sich schlimmere Szenarien ausdachte, da sie sonst sofort begann zu weinen.

Um sich etwas abzulenken, lief sie in ihr Wohnzimmer. Dort schnappte sie sich ihr Handy, welches sie auf dem Sofa liegen gelassen hatte. Als sie es anschaltete, leuchtete sofort eine neue Nachricht auf dem hellen Bildschirm auf. Sie war von Marie, einer Arbeitskollegin. Keira war Kellnerin in einem Café um ihre Wohnung finanzieren zu können. Gestern hatte sie bei der Arbeit zwei Drinks auf Gäste verschüttet, Bestellungen falsch aufgenommen und ähnliche Dinge, so dass ihr Chef sie nach Hause schicken musste.

"Alles okay Keira? Du warst gestern so durcheinander..." lautet die Nachricht, die den Chat zwischen ihr und Marie, nach ganz oben auf WhatsApp brachte. //Shit// fuhr es ihr durch den Kopf und sie hob die Hand an ihr Kinn. Mit ihrem Daumen und Zeigefinger spielte sie nervös an ihrer Unterlippe herum. Was sollte sie ihr nur sagen? Das ein Verrückter ihren Bruder entführt hatte und sie nun stalkte? Ihr Gehirn ratterte und schnell hatte sie eine Ausrede parat, auch wenn diese wohl ziemlich schlecht war.

"Jaja, Keine Sorge. Ich hab nur viel Stress in der Schule" antwortete sie schnell. Keira ging in die zwölfte Klasse und somit war das eine recht glaubwürdige Ausrede. Zumindest hoffte sie das... Sobald sie die Nachricht abgeschickt hatte, erschienen erst zwei graue Häkchen, die nach einer halben Minute blau wurden. "Sicher, dass er nur Schulstress ist? Du hast dich so nervös umgesehen" schrieb Marie und schien ihr nicht im geringsten zu glauben. Warum auch? Schließlich war das eine wirklich schlechte Ausrede.

Sie begann bereits eine weitere Nachricht einzutippen als sie plötzlich zusammenzuckte und das Handy fallen ließ. Es rutschte ihr einfach aus den Händen und kam auf dem Holzboden auf. Das Display sprang mit einem lauten krachen, doch das realisierte Keira überhaupt nicht. Ihre Ohren begannen zu klingeln und ihr wurde schlagartig schlecht.

"Hallo Keira" sagte eine dunkle Stimme. Aber nicht nur irgendeine Stimme, sondern die Stimme aus dem Telefon. Er war hier. In ihrer Wohnung. Eine eisige Gänsehaut breitete sich auf Keiras gesamten Körper aus. Sie spürte wie sie begann leicht zu zittern und völlig erstarrte. Als könnte sie sich nicht mehr bewegen. Oder besser gesagt... sie wollte es gar nicht. Sie wollte einfach so tun als wäre das alles hier nicht echt und sie würde gleich aufwachen aus diesem schrecklichen Alptraum.

Die bedrohlichen Schritte, die sich von hinten auf sie zubewegten, holten sie jedoch schnell in die harte Realität zurück. Der Kidnapper stand nun direkt hinter ihr, was unter anderem sein schwerer Atem verriet. Sie spürte ganz deutlich seine erdrückende Präsenz hinter ihr. Fast wie ein Raubtier, dass kurz davor war seine Beute zu zerfleischen. Mit jeder Sekunde schlug ihr Herz etwas schneller, so dass sie das Gefühl hatte, es würde ihr gleich aus der Brust springen.

"Was denn? Hast du etwa Angst vor mir kleines?" fragte er in einem rauen aber vor allem amüsierten Ton. //Dieser verdammte Mistkerl// dachte sie und ihre Hand ballte sich zu einer Faust. Es machte sie sauer, dass er sie so behandelte. Er tat was er wollte und würde ihr wahrscheinlich gleich irgendwelche ekligen Aufgaben stellen. Er wollte doch wohl nicht... Was wenn er sie schon länger stalkte? Was wenn er das alles tat, weil er sie auf eine kranke, verdrehte Weise ins Bett kriegen wollte?

Dieser Gedanke ließ sie schwer schlucken. Ihr rasendes Herz schien die erdrückende Stille einfach zu durchbrechen und sie war sich sicher, dass er es ganz genau hören konnte. Das laute, panische Pochen, welches in ihren Ohren widerhallte. Warum sagte er denn nichts? Wartete er auf eine Antwort von ihr? Gut. Die würde er kriegen. Noch immer war sie ängstlich und schockiert zugleich, doch diese Gefühle wurden von einer Wut, die sich über die letzten zwei Tage angestaut hatte, einfach übertönt. //Wenn ich gleich schreckliche Dinge tun muss, kann ich ihm vorher auch noch eine knallen// dachte sie fest entschlossen sich zu wehren. Höchstwahrscheinlich war das eine sehr, sehr dumme Idee aber das war ihr gerade sehr egal.

Flink wie Keira nun mal war drehte sie sich um und hob die Faust. Sie hatte erwartet, dass sie ihm problemlos ins Gesicht schlagen konnte, jedoch war alles was sie sah, eine breite, muskulöse Brust, die von einem schwarzen Shirt bedeckt wurde. Sie hatte aber nicht mehr genug Zeit um diese Information zu verarbeiten, denn wie auf Autopilot schnellte ihre Faust nach vorne. Sie spürte die Muskeln in ihrem rechten Arm, wie sie sich anspannten, um einen möglichst harten Schlag zu landen und tatsächlich, ihre Fingerknöchel trafen auf die harten Muskeln. Der Mann, der nebenbei gesagt sehr groß war, regte sich allerdings kein Stück. Als hätte er den Schlag nicht mal gespürt. Noch immer sah Keira nur seine Brust an, welche plötzlich zu vibrieren begann. Er schien zu lachen. Sie schlug ihn und er lachte? Ernsthaft?

"Du Mistkerl..." presste sie zwischen ihren Zähnen hervor. Es klang alles andere als bedrohlich oder mutig. Nein. Sie klang einfach nur verzweifelt, ängstlich und hilflos. Sie dachte an die Zeit mit ihren Eltern zurück, wo sie sich ständig so gefühlt hatte. Als hätte sie kein Recht über ihr eigenes Leben zu bestimmen aber musste trotzdem all die Schmerzen selbst ertragen. Als hätte jemand anders die Fäden in der Hand, doch sie war die Puppe über die alle lachten.

Endlich schaffte sie es den Kopf zu heben. Sofort trafen ihre hellgrünen Augen auf seine dunklen, kalten Augen. Auf seinem Gesicht war ein gemeines Grinsen zu sehen und er schaute auf sie herab, als wäre sie weniger Wert als er. Wie ein reiches, verwöhntes Kind, das auf eins aus der Gosse hinabschaut. Doch plötzlich änderte sich dieser Ausdruck. Das Grinsen verschwand und jeder Muskel in seinem Gesicht schien sich zu entspannen, um so neutral wie möglich auszusehen. Als wollte er, dass sie auf jeden Fall sieht, dass er es ernst meint. Todernst.

"Schlag mich nochmal und dein Bruder verliert ganz schnell ein Bein" drohte er in einer völlig emotionslosen Stimme, welche die Luft regelrecht durchschnitt. Diese Drohung wirkte bei Keira innerhalb von Sekunden und die ganze Kraft, welche sie für einen weiteren schlag verwenden wollte, verließ schlagartig ihren Arm. Wie weggefegt war ihr Wille gegen ihn zu kämpfen. Es war ja sowieso nutzlos. Sie hatte keine Chance gegen ihn und das wusste sie.

Mittlerweile hatte sich ihr Körper ein wenig verkrampft, was wohl der Anspannung zuzuschreiben war. Ihre Augenbrauen waren zusammengekniffen und ihre Zähne zusammengepresst, während ihre Hände noch immer zu Fäusten geballt waren. Trotzig hatte sie das Kinn erhoben und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er sie eigentlich ziemlich einschüchterte. Er hatte eine Ausstrahlung, die einfach nur Gefahr schrie. Ein Typ bei dem man die Straßenseite wechselt aber gleichzeitig nicht wegsehen kann. Vermutlich war er der Traumtyp der Mädchen, die auf Bad Boys standen.

"Was willst du, Arschloch? Komm schon, stell deine blöden Forderungen und dann verpiss dich" knurrte sie ihn an und ihre Augen funkelten dabei vor Wut. Dieser Typ machte sie einfach so sauer. Was erlaubte der sich eigentlich?

Als sie so in seine Augen starrte, bemerkte sie plötzlich wie sich diese wieder veränderten. Sie füllten sich mit Arroganz. Vermutlich würde er gleich mit irgendeiner komischen Forderung versuchen seine "Macht" zu beweisen. Sie hatte eine Freundin, die Psychologie studierte und diese hatte ihr mal erklärt, dass Menschen sich oft aufbauten und arrogant wirken wollten, wenn sie eine wichtige Forderung stellen wollten. So wollen sie sicherstellen, dass diese Forderung auch erfüllt wird.

"Du wirst einige Leute für mich töten" sprach er die Worte aus, als wäre es der normalste Satz der Welt. Keira wurde schlecht. Ihre Augen weiteten sich und sie konnte für einige Sekunden nicht atmen. Ihr Hals war wie zugeschnürt, während sich langsam tränen in ihren Augen bildeten. "N-Nein..." stotterte sie und ihre Stimme überschlug sich. "D-Das ist ein kranker Scherz oder?" fragte sie mit purer Verzweiflung in ihrer Stimme. Sie konnte doch niemanden töten. Das ging nicht. Sie war ein guter Mensch und keine Mörderin.

Sie hielt sich eine Hand vor den Mund, da sie das Gefühl hatte, sie müsste würgen. Sie hatte nie ein Problem mit Blut gehabt, doch gerade wurde ihr allein vom Gedanken daran übel. Das konnte er einfach nicht ernst meinen. Nein. Nein, Nein, Nein. In ihren Augenwinkeln bildeten sich Tränen, welche nach kurzer Zeit ihre heißen Wangen hinunterliefen. //Verdammte Scheiße//.

Ihr Blick war mittlerweile auf den Boden gerichtet. Er sollte nicht wissen, was gerade in ihr vorging, auch wenn das vermutlich mehr als offensichtlich war. Sie versuchte ihren Atem irgendwie zu regulieren und sich zu beruhigen, doch sie stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Normalerweise hätte sie sowas ja niemals geglaubt, doch bei diesem Typen...

Plötzlich spürte sie etwas warmes an ihrem Kinn und sie wurde gezwungen ihm in die Augen zu sehen. Er hatte ihr zwei Finger unters Kinn gelegt und nun sah er ihr in die ängstlichen, panikerfüllten Augen und für einige Sekunden rührte er sich nicht. Er sah sie einfach nur an. Der Mann schien jeden Zentimeter ihres geröteten Gesichts zu studieren und sich alles einzuprägen. Krank. Einfach nur krank.

"So schwer ist es gar nicht kleines" flüsterte er leise und seine rauen Finger strichen ihr über die Wange. Ihre Haut war noch immer heiß und seine Berührung verursachte ein unangenehmes Gefühl auf ihrer Haut. Sie wollte die Hand wegschlagen, schreien oder zumindest weggehen, doch ihr Körper war wie gelähmt. Alles was sie tun konnte war dazustehen und in diese dunklen Augen zu blicken.

Ein Duft stieg ihr in die Nase, der scheinbar von ihrem Gegenüber auszugehen schien. Er roch nach einem verregneten Tag, an dem man im Wald spazieren ging. Wie feuchtes Moss und altes Holz. Sie mochte diesen Geruch irgendwie. Ein Geruch, der dafür sorgte, dass man sich sicher fühlte. Aber da war noch ein weiterer Geruch, den sie nicht ganz zuordnen konnte. Irgendwie verbrannt und metallisch. War das etwa... der Geruch von Schießpulver? Sie hatte das noch nie zuvor gerochen, doch so in etwa hatte sie es sich immer vorgestellt. Also hatte er eine Waffe? Na super.

Mit einem funkelnden Ausdruck in den Augen, lehnte er sich so weit runter, dass sie beinahe auf Augenhöhe waren. "Weißt du wie das ab heute ablaufen wird? Alle... sagen wir mal vier Tage, komme ich vorbei. Ich gebe dir eine Adresse, einen Namen und wenn du ganz brav bist auch eine Waffe. Du wirst dann zu dieser Adresse gehen und drei mal darfst du raten, was du da tun wirst" erklärte er ihr, in einer amüsierten Stimme. Ihn amüsierte es über das töten zu sprechen? Ja, es schien ihn fast schon zu erregen. Als hätte er Freude daran, darüber nachzudenken.

Er meinte es also Todernst. Sie sollte Leute töten und das alle vier Tage? "Nein. Nein, ich kann niemanden töten. Warum sollte ich das tun? Nur damit du deine kranken Fantasien befriedigen kannst? Du bist einfach nur ein perverser Hurensohn!" spuckte sie ihm förmlich entgegen. Natürlich war ihr klar, dass sie tun musste was er verlangte, denn sonst würde er Sebastian etwas antun aber in diesem Moment schien ihr Hirn das einfach zu ignorieren.

Der griff an ihrem Kinn wurde fester und sie konnte ihr Gesicht jetzt nicht mehr bewegen. Sein Blick verdunkelte sich und sie musste erneut schlucken. Hatte sie es übertrieben? War er jetzt etwa angepisst? Von so ein paar leeren Worten?

"Keira, vertrau mir." seine Stimme war so eisig, dass es bei ihr für einen kalten Schauer auf ihrem gesamten Körper sorgte. "Die Leute, die du töten wirst, haben es mehr als verdient" fuhr er fort und schien dabei wirklich ehrlich zu sein. Er schien es wirklich so zu meinen und das gab ihr in dieser angsteinflößenden Situation irgendwie Sicherheit. Ihr Körper hatte langsam begonnen sich etwas zu entspannen und sie hatte nicht mehr das Gefühl sich gleich übergeben zu müssen, auch wenn sie sich noch immer hilflos fühlte. Sie konnte nichts gegen ihn tun und das wusste sie.

Nochmal strich er ihr über die Wange, bevor er sie losließ und einen Schritt zurückging. Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe von 1.86 auf und spannte die Schultern an. Sie beide schwiegen einfach. Keira wusste nicht, was sie hätte sagen sollen und für ihn war vermutlich alles gesagt. Sie würde Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten und zu verstehen, erst dann konnte sie darüber nachdenken, was sie tun sollte.

Der Mann war an der Tür angekommen und Keira stand noch immer mitten im Raum. Plötzlich fiel ihr eine Frage ein, die sie unbedingt beantwortet haben wollte. "Wie heißt du?" fragte sie und ihr Blick fiel erneut auf den gutaussehenden Fremden. Dieser drehte sich zu ihr und schien kurz zu zögern, ob er antworten sollte, doch dann strich er sich durch die dunklen Haare und grinste. "Thiago" meinte er und verschwand durch die Tür. Thiago also? Das war der Name des Mannes der sie von nun an quälen würde?

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