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Ich hab es dir gesagt

Keira hatte diese Nacht kaum geschlafen. Die meiste Zeit hatte sie über die Begegnung mit Thiago und seine Forderung nachgedacht. Sie sollte Menschen umbringen? Einfach so ein unschuldiges Leben nehmen? Die junge Frau hatte jedes Mal angefangen zu weinen, als sie sich vorgestellt hatte, wie ein armer Familienvater um sein Leben betteln musste, nur weil dieser Arsch fand er hatte es verdient. Nur weil Thiago fand, dass diese Menschen es verdient hatten zu sterben, hieß das nicht, dass sie der selben Meinung war. Vermutlich hatten sie sehr verschiedene Vorstellungen von "den Tod verdienen". Die wenigen Stunden, in denen Keira tatsächlich geschlafen hatte, wurde sie von schrecklichen Alpträumen gequält, welche Blut, Messer und viel Leid enthielten.

Dementsprechend sah Keira jetzt auch sehr fertig aus. Sie hatte tiefe, dunkle Ringe unter den Augen und ihre braunen Haare waren nur lasch durchgekämmt. Sie hatte nur ganz leichtes Make-up aufgetragen und trug dazu einen dunklen Hoodie, mit einer lockeren Jeans. Gerade war die junge Frau auf dem Weg zu ihrer Arbeit und einige Leute, an denen sie vorbei lief, warfen ihr mitleidige Blicke zu. Vermutlich dachten sie, dass Keira einfach nur zu lange feiern gewesen war und nun einen Kater hatte. Was allerdings wirklich mit ihr los war, wusste niemand von ihnen.

Nach einem zehn-minütigen Weg durch die vollen, lauten Straßen von New York, kam sie bei ihrem Arbeitsplatz an. Es war ein recht beliebtes Café namens Blue Plate, welches seit circa 2 Jahren in New York war. Anfangs war es nur klein und  unbekannt, doch langsam aber sicher hatte es sich hochgearbeitet und nun war es sehr beliebt bei vielen Amerikanern.

Sie wusste, dass viel los sein würde. Genau das hatte ihr jetzt noch gefehlt. Einen volles Café, mit jede Menge Menschen, die alle ihre volle Aufmerksamkeit forderten. Am liebsten wollte sie direkt wieder umdrehen und sich zuhause unter der Decke verkriechen. Jedoch musste sie wohl oder übel heute arbeiten, denn sie hatte ja erst neulich nach Hause gehen müssen, da sie nicht bei der Sache war. Heute musste sie sich konzentrieren.

So schnell wie möglich ging sie durch die Glastür, welche in den Eingangsbereich des Cafés führte. Dort gab es viele Tische, manche rund, andere quadratisch oder etwas höher gebaut. Überall gab es Blumen und süße Deko, gepaart mit weichen Kissen, auf denen die Gäste platz nahmen. Diese Gäste waren gerade alle am plaudern, essen und lachen. Hier war oft eine sehr gute Stimmung, was unter anderem der Grund dafür war, dass Keira ihre Arbeit eigentlich sehr liebte.

Heute allerdings nicht. Sie versuchte jedoch das ganz gekonnt zu überspielen, in dem sie ein falsches Lächeln aufsetzte und sich durch ihre braunen Haare fuhr. Sie beeilte sich trotzdem durch den Vorderbereich zu kommen, um in die private Umkleide der Mitarbeiter zu kommen. Dafür musste sie nur eine dunkle Tür aufmachen, auf der in Großbuchstaben das Wort "PRIVAT" zu lesen war. In dieser Umkleide wartete bereits ihre Freundin Marie auf sie. Diese hatte ein liebevolles Lächeln auf ihrem blassen Gesicht, welches dafür sorgte, dass Keira zumindest für einige Sekunden diesen ganzen Alptraum vergessen konnte.

"Hallo Süße, wie geht's dir?" begrüßte ihre Freundin sie und kam mit schnellen auf die braunhaarige zu. Was sie dabei vermutlich nicht bedacht hatte, war, dass die Tür noch einen Spalt offen war und Marie gerade nur einen BH anhatte. Diese jedoch schien das nicht im geringsten zu stören, denn sie umarmte Keira stürmisch. Logisch, die beiden hatten sich zwar erst vorgestern gesehen, doch da war sie abwesend, zumal sie Marie dann später einfach so abgewürgt hatte. Es war also nicht sonderlich verwunderlich, dass sich die blonde, junge Frau Sorgen machte.

"Alles gut, wirklich. Ich habe einfach viel Stress in der Schule... Du weißt schon, die Lehrer drücken uns zu dieser Zeit des Jahres immer besonders viele Hausaufgaben rein" erklärte sie ihr und versuchte dabei ihre Stimme so ruhig und gelassen wie möglich klingen zu lassen, allerdings klappte das nicht so ganz. Ihre Stimmlage erhöhte sich etwas, da sie an gestern Nachmittag denken musste. Ihr passierte das immer, wenn sie nervös oder bedrückt war. Kurz dachte sie an ihr Handy, welches noch immer Risse auf dem Display hatte und sie somit ständig an des gestrigen Vorfall erinnerte.

Marie warf ihr noch einen besorgten Blick zu, jedoch nickte sie dann, als wäre sie mit der Erklärung zufrieden. Dann ging sie zu ihrem blauen Spint zurück, welcher voll gehängt mit kleinen Bildern war. Ihre Familie, ihre Freunde und ihr kleiner Hund war darauf zu sehen. Sie liebte den kleinen Racker mehr als alles andere und das erzählte sie auch gerne jedem. Keira musste schmunzeln als sie darüber nachdachte.

Beide zogen sich schnell ihre Arbeitskleidung an, welche aus einer schwarzen Jeans, einer weißen Bluse und einer blauen Schürze Bestand. Dazu banden sich beide Frauen die Haare hoch, da es viel praktischer war. Dann gingen sie zurück nach vorne. Marie musste an den Tresen und Keira bediente die Leute und nahm Bestellungen entgegen. Das taten die beiden für zwei Stunde ohne, dass irgendwas spannendes passierte. Keira hatte die ganze Zeit ein falsches Lächeln aufgesetzt, um zu verbergen was wirklich los war. Glücklicherweise konnte sie sich heute deutlich besser konzentrieren als vorgestern und versaute keine einzige Bestellung.

Doch dann passierte etwas, woran Keira zwar gewöhnt war, was ihr aber keines Wegs gefiel.

Die junge Frau kam zu einem Tisch, der direkt an der großen Glasfront des Cafés stand. Dort saßen zwei ältere Männer, beide um die vierzig. Der eine hatte einen drei-Tage-Bart und etwas längere, dunkle Haare. Der andere Mann hatte eine Glatze und war etwas dicker. Sie rochen nach Rauch und schienen sich angeregt über Football zu unterhalten. Jede Bedienung wusste, dass die beiden vermutlich ärger machen würde, doch sie mussten sie bedienen, ob sie wollten oder nicht.

Keira kam zum Tisch, ein freundliches Lächeln auf ihren Lippen und in ihrer Hand ein grauer, kleiner Notizblock. "Was darf ich den Herren bringen?" fragte sie höflich und ihre olivgrünen Augen musterten die beiden Männer. Sie hatte eigentlich nie Angst vor Männern gehabt, auch wenn sie ihnen immer mit einem gewissen Abstand gegenübertrat. Das war, besonders als Bedienung, einfach sicherer.

Wie erwartet begann der eine ihr dreist in den Ausschnitt zu schauen, wobei seine Augen lusterfüllt funkelten. //Schwein// dachte sie angeekelt, doch sie verzog keine Miene. "Für mich einen schwarzen Kaffee, Toast mit Spiegeleiern und deine Nummer süße" meinte er und zwinkerte ihr mit einem dreckigen Grinsen zu. Dabei bildeten sich einige Falten auf seiner Stirn und unter seinen Augen, was die Situation noch unangenehmer machte. Sein glatzköpfiger Freund begann zu lachen und schien darauf zu warten, dass der bärtige Mann weiter machte. Als würde er es genießen, wie er sie belästigte.

Keira versuchte ihre Fassung zu wahren und sagte in einem ruhigen Ton "Sir, bitte lassen sie das. Ich werde ihnen nicht meine Nummer geben und sie sollten mir auch keine Spitznamen wie Süße geben" erklärte sie ihm und musste dabei einen würgereiz unterdrücken. Als ob sie sich jemals mit so einem Typen einlassen würde. //Der baggert wahrscheinlich alles an, was nicht hässlich ist und Brüste hat// dachte sie genervt.

Der Mann ließ sich jedoch nicht im geringsten beeindrucken. Stattdessen stichelte er weiter. "Ohhhh Sir also? Sieh mal die kleine weiß schon mal was sie später zu mir sagen wird. Was denn? Bist du etwa verklemmt? Jetzt sei nicht so, eine Schönheit wie du sollte nicht in so einem Café arbeiten. Es gibt Orte an denen du deine Zeit viel besser nutzen könntest, um Geld zu verdienen" erklärte er ihr und dabei grinste er weiterhin dreckig. Es war offensichtlich, dass er auf ein Bordell anspielte. Wie eklig.

Weiterhin versuchte Keira einfach ruhig zu bleiben und sich zu beherrschen, doch sie konnte ihre Wut nur schwer im Zaum halten. Etwas genervt grub sie ihre weißen Fingernägel, der linken Hand in den Notizblock und mit der rechten hielt sie den Bleistift immer fester, so dass man angst haben musste, dass er gleich zerbrechen könnte.

Nun drehte sie sich zu dem glatzköpfigen Mann. "Und sie? Kann ich ihnen irgendwas bringen?" fragte sie den Mann, noch immer recht höflich. Dabei ignorierte sie den ekligen Kommentar des anderen einfach gekonnt. Sie musste sich ja nicht unnötig aufregen.

Nach einem etwas unsicheren Blick zu seinem Freund bestellte er dann ebenfalls einen Kaffee und dazu ein Stück Schokoladentorte. Keira nickte freundlich und es war ihr anzusehen, dass sie froh war aus der Situation fliehen zu können, also drehte sie sich um und wollte gerade gehen, als sie etwas sehr unangenehmes spürte. Eine starke Hand war auf ihren Hintern gewandert und packte zu. Ohne sich umzudrehen wusste sie, dass das der eklige Mann gewesen war. Sie war Belästigung in jeglicher Art eigentlich gewöhnt, doch das war nicht erlaubt. Niemand durfte sie so anfassen.

Sofort spürte Keira ein unangenehmes Gefühl in ihrer Magengegend. Es war jedoch kein Unwohlsein, sondern ein Gefühl, welches Wut zwar ähnelte, doch es war etwas anderes. Etwas viel, viel dunkleres und stärkeres. Jedoch hatte Keira keine Zeit darüber nachzudenken, denn sie drehte sich auf dem Absatz um und knallte ihm hart eine. Ihre Handfläche traf genau auf seine Wange, was ein schallendes Geräusch erzeugte. Jeder in dem Café drehte sich zu ihnen. Selbst die Kollegen, welche Keiras Charakter kannten, sahen sie geschockt an. Noch nie hatte sie jemanden geschlagen, vor allem nicht in aller Öffentlichket.

"Fassen. Sie. Mich. Nie. Wieder. An. Sie perverses Schwein!" fuhr sie ihn, mit einer lauten und selbstbewussten Stimme. Sie würde sich nicht von so einem Idioten unterkriegen lassen. Dieser Idiot schaute sie jedoch genauso geschockt an wie alle anderen, was ihr doch etwas Genugtuung brachte. Sie hatte das Gefühl, dass sie sich seit Tagen endlich mal wieder wehren konnte.

Sie hob den Kopf und sah kurz aus dem Fenster. Es war nur ein unaufmerksamer Blick, doch sie entdeckte etwas, dass ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dort draußen stand Thiago, welcher sie mit einem musternden Blick ansah. Er trug eine schwarze Lederjacke und eine passende Hose. Hinter ihm stand ein schwarzes Motorrad, an welches er sich locker anlehnte. Dabei hatte er eine Zigarette zwischen seinen vollen Lippen. Sein Blick war noch immer genau auf sie gerichtet und dann begann er einfach zu grinsen. Er nahm die Zigarette zwischen Zeigefinger und Mittelfinger und dann begannen seine Lippen Worte zu formen. Natürlich konnte sie nicht hören was er sagte, doch nach einigen Sekunden hatte sie es verstanden.

"Hab ich es dir doch gesagt"

Auf einmal wurde ihr klar, was das für ein Gefühl war, dass sie vorhin gehabt hatte. Ein Gefühl, welches sie von nun an verfolgen würde und vermutlich nicht mehr los lassen würde. Etwas das sie zerfressen könnte, wenn sie es nicht verhinderte. Etwas, dass alles in ihrem Umfeld zerstörte.

Sie wollte ihn töten.

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