Princess kill
Natürlich hatte Keira versucht Thiago zu finden, doch als sie das Café verließ und ihn konfrontieren wollte, konnte sie nur ein schwarzes Motorrad erkennen, welches die Straße, die aus der Stadt raus führte, entlangfuhr. Er war weg. Schon wieder. Allerdings diesmal nicht ohne Spuren, denn auf dem grauen, dreckigen Bordstein lag etwas, das sofort ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. So sehr, dass sie die vorbeifahrenden Autos kaum bemerkte. Dort auf dem Boden lag ein Messer. Es war circa 12cm lang und eher dünn. Soweit Keira auf die Entfernung erkennen konnte, hatte es eine geschwungene Klinge, welche am unteren Teil schwarz war. Es war ein mattes schwarz, genauso wie an dem eher kurzen Griff. Perfekt für ein Mädchen wie Keira. Handlich und dennoch tödlich. Hatte er es dort platziert? Für sie?
Keira hatte es schnell aufgehoben und unter ihrem Shirt in die Garderobe geschmuggelt. Dort bewahrte sie es auf, bis sie nach ihrer Schicht nach Hause gehen konnte. Zuhause hatte sie eine Inschrift auf dem Messer bemerkt. "Princess Kill" stand in schnörkeligen Buchstaben auf der glänzenden Klinge. Da Keira sich unsicher gewesen war, was sie damit machen sollte, hatte sie es einfach in eine Schublade in der Küche gesteckt und seit dem nicht mehr hinausgenommen. In dieser Schublade lag es noch immer, vier Tage später. Thiago würde heute wiederkommen. Zumindest, wenn er sich daran hielt, was er sagte.
Heute jedoch war die junge Frau vorbereitet. Sie wusste wer sie erwarten würde, auch wenn es das Ganze nicht weniger furchtbar machte. Thiago wusste, wie er sie einschüchtern konnte. Durch diese ständigen Halbwahrheiten und dunkle Versprechungen wollte er vermutlich dafür sorgen, dass sie irgendwie unsicher wurde oder ängstlicher wurde. Vielleicht genoss er es auch einfach sie zu quälen mit der ganzen Zeit, die sie wartend verbringen musste.
Keiras Wecker zeigte gerade mal 8:23 an, als sie die Augen aufschlug. Ihre Haaren waren verwuschelt und sie trug nur ein großen Schlafshirt gepaart mit einer kurzen Hose. Sie hatte heute Nacht nicht sonderlich gut geschlafen, was die dunklen Ringe unter ihren Augen und die verwischte Mascara verrieten. Immer wieder war sie schweißgebadet aufgewacht und ihr wurde erneut klar, dass sie heute jemanden töten musste. Sie, ein normales Mädchen, sollte einfach ein unschuldiges Leben nur weil so ein Psychopath das verlangte. Das war doch krank.
Langsam streckte sie ihren schlanken Körper und versuchte die Gedanken an das Bevorstehende zu verdrängen. Sie setzte sich auf, wobei sie spürte wie ihr weiches Bett etwas nachgab. Es war ein Doppelbett, welches sie von ihren Freunden zum Einzug geschenkt bekommen hatte. Ihr altes war viel zu kaputt gewesen, um vernünftig darin schlafen zu können.
Ihre Decke hatte sie in der Nacht vom Bett gestrampelt, weshalb diese nun neben einigen Kissen auf dem Boden lag. Keira war jedoch nicht in der Stimmung, um aufzuräumen, weshalb sie es einfach liegen ließ. Sie stand auf und blickte kurz zu ihrem Fenster herüber. Sie hatte den Rollladen unten, da sie sonst einfach nicht schlafen konnte. Ständig verfolgte sie der Gedanke, dass er sie beim Schlafen oder umziehen beobachten könnte, was sie unfassbar nervös machte.
Auch wenn ihr klar war, dass sie heute Abend vermutlich wieder duschen müsste, lief sie in Richtung des Bades, welches sich gegenüber von ihrem Zimmer befand. Unter ihren Arm geklemmt hatte sie eine frische Unterhose und einen Sport-BH, dazu eine schwarze Jogginghose und ein weißes Top. Sie hatte sich gestern Abend bereits damit beschäftigt was sie anziehen sollte. "Das klingt als würde ich auf eine Party gehen" fluchte sie leise. Ihre Stimme war kratzig und man konnte hören, dass sie gestern Abend mehr als einmal geweint hatte. Auch wenn sie sich langsam damit abgefunden hatte, dass sie dieser... Sache nicht entgehen konnte, hasste sie es dennoch. Sie fühlte sich schwach und hilflos. Zudem wurde sie von diesem Typen beobachtet, was ihr das Gefühl gab keine Privatsphäre mehr zu haben. Zur Polizei konnte sie nicht und erzählen konnte sie davon auch niemandem. Es war die pure Folter und es fing gerade erst an.
Keira öffnete die Tür zu dem Bad, welches mit weißen Fliesen ausgekleidet war. Die Wände waren in einem schlichten Baby blau gehalten, welches perfekt zu den dunkelblauen Teppichen auf dem Boden. Die Dusche war relativ schlicht und nicht sonderlich groß. Neben der Dusche, welche rechts hinten war, befand sich ein Waschbecken, das ebenfalls weiß war. Über dem Waschbecken war ein runder Spiegel, den man durch einen Lichtschalter zum leuchten bringen konnte. Rechts neben dem Waschbecken und damit hinter der Tür befand sich ein dunkelbraunes Holzschränkchen in dem Keira allerlei Zeugs wie Handtücher, Schmuck und Schminke aufbewahrte. Die Toilette befand sich in der linken, hinteren Ecke des Bades. Es war also auch eher klein und nicht sehr luxuriös.
Auch in diesem Zimmer waren die Rollladen unten, denn sie wollte ungestört duschen. Sie wollte sich einfach sicher fühlen und das ging nicht, wenn sie wusste, dass dieser kranke Typ dort draußen sein könnte und sie beobachtete.
Nun streifte sie also ihre Hose ab und zog sich das Shirt über ihren Kopf. Auch ihre graue Unterhose fand ihren Weg auf den Boden, bevor sich Keira vor den Spiegel stellte. Für einige Sekunden blickte sie sich selbst einfach in die grünen Augen. Sie war blass, so dass ihre Sommersprossen deutlich stärker hervorstachen als sonst. Noch immer hatte sie tiefe Schatten unter ihren Augen, welche perfekt zu ihren aufgeplatzten Lippen passten. Sie war ein Wrack und das konnte jeder sehen.
"Scheiße..." fluchte sie leise und nahm sich ihre Haarbürste. Langsam begann sie ihr braunes Haare durchzukämmen, bis es nicht mehr so verknotet war. Auch wenn sie nicht viel Kraft hatte, wusste sie, dass sie weitermachen musste. Sie durfte sich wegen so einem kranken Schwein nicht hängen lassen. Auch wenn es nur Haare kämmen war, bedeutete es doch einiges an Stärke für Keira.
Als ihre Haare durchgekämmt waren, öffnete sie die Tür der Dusche und stieg hinein. Sie drehte das warme Wasser an, welches sofort für eine angenehme Gänsehaut auf ihrem ganzen auslöste. Ihre Muskeln begannen langsam sich zu entspannen und sie schloss für einige Sekunden die Augen, um diesen Moment einfach zu genießen. Für diese paar Sekunden war ihre Welt in Ordnung.
Sie wusch sich und rasierte sich, bevor sie das Wasser wieder abstellte und sich ein Handtuch schnappte. Dieses benutze sie um ihren nassen Körper abzutrocknen. Als sie wieder trocken war stieg sie aus der Dusche heraus. Ihren braunen Haare waren nun um einiges dunkler, da sie nass waren und reichten ihr bis knapp zu den Brüsten.
Der Spiegel in ihrem Bad hatte beschlagen, wodurch sie ihren nackten Körper nur verschwommen erkennen konnte. Wie die meisten Mädchen hatte auch sie einige Unsicherheiten, die sie versuchte zu verstecken. Ihr Bauch war nicht flach genug, ihr Hintern nicht prall genug und ihre Brüste nicht groß genug. Sie hatte auch die typischen Gedanken, wenn sie sich selbst im Spiegel ansah, jedoch längst nicht mehr so wie früher. Sie konnte sich selbst ansehen ohne Ekel oder Selbsthass zu empfinden und darauf war sie mehr als stolz.
Genug Selbstzweifel" brummte sie und konnte ein sanftes grinsen nicht unterdrücken. Als wäre ihr Bauch gerade ihr größtes Problem. Sie schnappte sich die Unterwäsche und die Jogginghose und zog sich an. Dann griff sie nach einer Creme, die im Schränkchen neben dem Waschbecken stand. Diese öffnete sie, welches ein leises Click Geräusch machte und dann strich sie mit ihrem Finger über die kalte Creme. Als sie genug auf ihrem dünnen Finger hatte, führte sie ihn zu ihrer Schulter und trug die Creme auf die Haut auf. Schon lange hatte sie ein wenig Akne auf den Schultern, weshalb sie sich immer gut darum kümmerte.
Sie zog sich ebenfalls ihr top an und nahm dann erneut die Haarbürste um vorsichtig ihre nassen Haare etwas zu entwirren. Als das auch geschafft war, cremte sie noch schnell ihr Gesicht ein und trug etwas Mascara auf. Würde sie nun zur Arbeit gehen oder so, dann würde sie sich mehr Schminken aber naja... sie hatte ja heute etwas anderes als arbeiten vor. Ständig kreisten ihre Gedanken darum. Sie sollte jemanden töten... Erneut schaute sie sich selbst tief in die Augen. Sah so eine Mörderin aus? Eine kaltblütige Killerin die Unschuldigen das Leben nimmt?
Sie ließ die Frage unbeantwortet und schüttelte den Kopf. Auch wenn es schwer war, wollte sie zumindest so wirken, als wäre sie gelassen und das ging nur dann, wenn sie aufhörte ständig darüber nachzudenken. "Reiß dich zusammen. Ich lass mir doch nicht von so einem Arsch alles kaputt machen, nur weil der seine kranken Fantasien an mir ausleben möchte" ermahnte sie sich selber durch den Spiegel.
Keira griff sich ihre dreckigen Klamotten und schmiss sie in den Wäschekorb, der neben der Waschmaschine vorne links im Zimmer stand. Dieser war schon recht voll mit alten Klamotten. Eigentlich müsste sie mal wieder Wäsche waschen, doch sie hatte die letzten Tage einfach keine Nerven dazu gehabt. Auch ihr Geschirr stand teils noch ungewaschen in der Küche, weil sie sich nicht dazu aufraffen konnte eine solche Kleinigkeit zu tun.
Fest entschlossen, dass sie heute zumindest vernünftig frühstücken würde, machte sie sich auf den Weg in die Küche. Die Tür zum Badezimmer schloss sie wie immer hinter sich, denn sie hasste es total, wenn es nach dem Duschen kalt im Raum war. Sebastian machte sich immer darüber lustig, weil sie auch Gäste oft ermahnte, dass sie die Tür geschlossen halten sollten. Das war ihr einfach sehr wichtig.
In Gedanken versunken betrat Keira die kleine Küche, als sie plötzlich etwas sah, das ihren Atem stocken ließ. An IHREM Tisch, auf einem IHRER Stühle, mit einer Kaffeetasse von IHR saß Thiago. Auf seinem markanten Gesicht war ein freches, fast schon amüsiertes Grinsen und er schien es zu genießen, wie sie geschockt ansah.
Seine tiefe Stimme klang arrogant und mindestens genauso provokant. "Entschuldige liebes, ich wollte dich nicht beim duschen stören, auch wenn ich zugeben muss, dass der Anblick sicher sehr angenehm wäre" meinte er während er ganz ruhig und gelassen die weiße Tasse zu seinen vollen Lippen führte. Er nahm einen Schluck von dem Kaffee und setzte die Tasse dann weiter ab auf dem Tisch.
Sofort spürte Keira wieder dieses beklemmende Gefühl der Hilflosigkeit. Sie war so unfassbar sauer auf diesen Typen und dann wagte er es auch noch darüber zu reden, dass sie nackt sicher gut aussähe? Innerlich kochte sie, doch sie konnte nichts tun. Gar nichts. Sie musste ihm gehorchen wie ein Hund an der Leine.
Genervt knirschte sie mit den Zähnen bevor sie ihm eine doch recht zickige Antwort gab. "Nur weil du es nicht hinkriegen würdest mich auf normalem Wege dazu zu bringen mich dir nackt zu zeigen" knurrte sie und man konnte ihrer Stimme entnehmen, dass alleine der Gedanke daran sie ekelte. Schon seit dem Tag an, als er ihr klargemacht hatte, dass er sie beobachtete, hatte sie so ein ekliges Gefühl. Ständig dachte sie darüber nach, dass er sie jederzeit sehen könnte.
"Oh sieh mal an, das Kätzchen fährt die Krallen aus" antwortete er, noch immer total gelassen. Als würde es ihn nicht im geringsten interessieren, dass Keira ihm gerade die Augen auskratzen wollte. //Arrogantes Arschloch// dachte Keira und versuchte ihre Wut zu unterdrücken.
"Aber darum soll es ja heute gar nicht gehen. Es sind vier Tage vergangen, was bedeutet heute ist es soweit. Ich nehme an du hast das Messer gesehen? Es war wirklich mühevoll die Inschrift eingravieren zu lassen" fuhr er fort. Scheinbar... freute er sich? Wie konnte er sich auf so etwas freuen? Sie würde jemanden töten müssen.
Ohne es zu wollen musste sie zu der Schublade hinüber zu sehen. "Ahhhh da hast du es also versteckt" meinte er und stand auf. Er wirkte noch immer groß und bedrohlich, jedoch keineswegs schwerfällig. Langsam ging er zu der Küchentheke hinüber und öffnete die hellbraune Schublade. Diese knarrte ein wenig, da sie schon etwas älter war. Mit seiner von Adern durchzogenen Hand nahm er das elegante Messer hinaus. Es glänzte im Sonnenlicht, welches durch das Fenster herein scheinte.
"Tsk Tsk Tsk" machte er bloß, als er auf Keira zukam. Diese beobachtete ihn nur stumm. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Hätte sie etwas erwidern sollen? Ihm sagen, dass er ihr Leben zur Hölle gemacht hatte? Dass sie ihn mehr hasste als alles andere?
Wortlos hob sie den Kopf etwas, um ihm in die Augen sehen zu können, als er ihr näher kam. Er hielt das Messer in seiner linken Hand, als er direkt vor ihr stehen blieb. Er blieb allerdings nicht so still wie sie, sondern er bewegte seinen muskulösen Arm nach vorne. Seine rechte Hand griff nach ihrer. Sobald sich ihre Hände berührten, bekam sie eine unangenehme Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper. Dieser verdammte Arsch. Am liebsten hätte sie die Hand wieder zurückgezogen...
Problemlos öffnete er ihre Hand und legte das Messer hinein. Es war kalt an ihrer Haut und sorgte erneut für eine unangenehme Gänsehaut. Jedoch war das Messer nicht das einzige. Dabei fand sich ein kleiner Zettel, welcher zusammengefaltet war. Ein Zettel? Verwirrt hob Keira den Kopf erneut zu ihm hoch. Was wollte er nun mit so einem Zettel?
"Öffne ihn" sagte Thiago daraufhin in einer kalten und befehlenden Stimme. Keira gehorchte und entfaltete den Zettel langsam. Dort stand ein Name und eine Adresse, welcher in ihr viele Erinnerungen auslöste. Sie kannte den Mann, den sie umbringen sollte. Nicht nur kennen... sie hasste ihn mehr als alles andere.