Mach Sitz, Hündchen
Wie viele Tage waren mittlerweile vergangen? Vermutlich einer oder zwei. Sebastian hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Noch immer war er in diesem dunklen Raum gefangen, jedoch hatten sich einige Dinge geändert. Der Kidnapper, den er bisher noch immer nicht zu Gesicht bekommen hatte, schien gnädiger zu sein als er dachte. Nachdem er einige Stunden auf diesem Stuhl gesessen hatte, war er doch tatsächlich eingeschlafen. Natürlich war es kein sehr erholsamer Schlaf gewesen, aber er hatte ja eigentlich nichts besseres zutun.
Jedenfalls war der 21-jährige ohne Fesseln wieder aufgewacht. Statt eines komplett dunklen Raumes, war jetzt eine kleine Lampe angebracht worden, die vermutlich mit einem Lichtschalter irgendwo in diesem Zimmer verbunden war. Man hatte ihm eine Matratze in eine Ecke des Zimmers gelegt, welche bereits etwas vergilbt aber dennoch recht gemütlich war. Immerhin besser, als ein harter Holzstuhl. Neben der Matratze war eine dunkelbraune Tür, welche ziemlich quietschte beim öffnen. Dahinter befand sich ein kleines Bad mit Toilette und sogar einer Dusche. Diese war jedoch alles andere als groß und warmes Wasser schien hier auch ein Fremdwort zu sein. Alles in allem war es eher schlecht als recht aber genug um zu überleben. Essen bekam er zwei mal täglich durch eine Klappe an der anderen Tür. Um diese zu erreichen musste man eine Betont Treppe hochsteigen. Als er bemerkt hatte, dass er keine Fesseln mehr anhatte, war das erste was er getan hatte, diese Treppe hoch zu rennen und wie verrückt gegen die Tür zu hämmern. Natürlich war diese nicht aufgegangen aber einen Versuch war es Wert gewesen.
Er vermutete, dass diese dicke Stahltür zum Rest des Hauses führte. Sebastian hatte schon vor einigen... Stunden? Tagen? die Theorie aufgestellt, dass er im Keller eines Hauses war. Außerdem war es ziemlich wahrscheinlich, dass er erstmal nicht sterben würde. Er erfüllte wahrscheinlich die Rolle einer Geisel. Doch warum, dass wusste er noch immer nicht. Genau wie Keira hatte er auch den Gedanken gehabt, dass die beiden weder viel Geld noch Macht hatten, um dem Kidnapper irgendwas zu geben. Auch Feinde hatten sie eigentlich keine. Wer also würde sowas tun und vor allem warum?
Seine Gedanken drehten sich meistens um Keira. Warum kidnappt jemand ihn und nicht seine Schwester? "Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder er hält sie hier irgendwo anders gefangen..." der Gedanke machte ihm unfassbar Angst. Was wenn der Kidnapper eigentlich ein kranker Vergewaltiger war, der an Keira seine perversen Fantasien auslebte? Vielleicht musste sie leiden, nur damit er verschont blieb.
"Oder sie ist zuhause und er erpresst sie." überlegte er laut. Gerade stand er in dem kleinen, dreckigen Bad welches nur durch ein spärliches Fenster beleuchtet wurde. Er sah in den verstaubten Spiegel. Viel von sich selbst konnte er nicht erkennen, nur die blonden Locken stachen hervor. Sie waren noch nass, doch man konnte bereits die wellige Struktur seiner Haare erkennen. Sie hingen ihm in sein markantes Gesicht und verdeckten seine schönen braunen Augen.
Als er sich sein Shirt über die muskulöse Brust zog, überlegte er weiter und schnell wurden seine Gedanken düsterer. Noch immer brachte ihn der Gedanke daran, dass jemand Keira weh tun könnte, zur Weißglut. "Dieser kranke Hurensohn" knurrte er in einer fast schon animalischen Stimme. Er war schon immer Keiras Beschützer gewesen und die Vorstellungen davon, dass dieser Mann seine kleine Schwester anfasste war grausam. Sebastians Blick war noch immer stur auf den Spiegel vor sich gerichtet und er spürte die Wut in sich hochkochen. Sein Atem wurde schwerer und seine Augen verdunkelten sich. Seine Hände krallten sich in das veraltete, graue Waschbecken, welches leise knarrte und er versuchte irgendwie die Kontrolle zu behalten. In seinem Kopf spielte sich ein Szenario immer wieder ab. Keira lag verletzt auf dem Boden, flehte um Hilfe aber er konnte sie nicht retten. Er versagte als Bruder weil dieser Bastard ihn hier festhielt. Die Wut übernahm seine Gedanken und er konnte nicht mehr klar denken.
Aus einem Impuls heraus ballte er die rechte Hand zu einer Faust und schlug kräftig zu. Ein lautes klirren war zu hören und sofort spürte er den stechenden Schmerz in seinen Fingerknöcheln. Eine warme Flüssigkeit lief ihm über die Finger und er keuchte schmerzerfüllt auf. Sebastian hatte den Spiegel eingeschlagen. Die Splitter waren überall im Waschbecken verteilt und jetzt konnte man in den wenigen Teilen, die noch an der Wand hingen, nur noch ein verzerrtes Bild, des verzweifelten Mannes sehen.
"Scheiße" fluchte er, als er sich das Handgelenk hielt. Er drehte den rostigen Wasserhahn auf, welcher nach einem lauten Knarren, einen dünnen Wasserstrahl ausspuckte. Langsam hielt er seine Hand unter das Wasser und sofort übertönte ein stechender Schmerz, das Pochen der Wunde. Er biss die Zähne zusammen und versuchte ruhig zu atmen. "Einatmen. Ausatmen." wiederholte er wie ein leises Mantra für sich selbst und langsam beruhigte er sich wieder. Die ganze angestaute Wut hatte sich, zumindest ein wenig, entladen und er konnte wieder halbwegs klar denken.
Er spülte die Wunde eine halbe Minute lang aus, wobei sich das Waschbecken für eine kurze Zeit rot färbte. Nun waren die meisten Splitter weg und auch der Schmerz ebbte langsam ein wenig ab. Mit seiner linken, unverletzten Hand drehte er den Wasserhahn wieder zu und griff dann nach einem Handtuch. Sebastian wickelte das Handtuch um die Wunde als er plötzlich ein Geräusch hörte. Es klang wie eine sich öffnende Tür. Um genau zu sein wie eine Stahltür, die geöffnet wurde. Das Geräusch war zwar dumpf aber dennoch sehr markant, weshalb er es selbst im Bad noch hören konnte.
Ohne groß zu überlegen stürmte er aus dem kleinen Bad, zurück in den größeren Raum. Seine Augen musste sich kurz an das helle Licht der Lampe gewöhnen. Momentmal. Er hatte das Licht vorhin doch ausgemacht also war jemand hier. Sofort richtete sich der etwas verwirrte Blick des Jungen Mannes in Richtung der Tür. Tatsächlich, dort stand jemand. Es war ebenfalls ein Mann, circa 20 Jahre alt, welcher mit einem amüsierten Grinsen auf ihn hinuntersah. Sein Blick war voller Arroganz und noch etwas, dass er nicht ganz einordnen konnte. War es Boshaftigkeit? Oder war es etwas anderes?
"Ich fände es sehr freundlich von dir, wenn du mein Mobiliar nicht mutwillig zerstören würdest" begann der Mann, in einer übertrieben höflichen Art. Seine Stimme war tief und rau. Fast wie Schleifpapier. Außerdem hatte er einen englischen Akzent, was hier in New York durchaus ein wenig auffiel.
Der fremde Mann kam die Treppe hinunter und bewegte sich dabei unglaublich leichtfüßig. Genau wie eine Raubkatze, die sich an ihre Beute anschlich. Auch seine dunklen Augen waren die einer Raubkatze. Das war es gewesen, was er in seinem Blick nicht hatte erkennen können. Er hatte ihn von der ersten Sekunde an aufmerksam beobachtet und analysiert.
"Was willst du von mir, Arschloch?" rief Sebastian und sein Gesicht verzerrte sich wuterfüllt. Wie konnte dieser Dreckskerl es wagen, jetzt so höflich mit ihm zu sprechen als wäre er hier freiwillig sein Gast. "Du warst das stimmts? Du hast mich gekidnappt und hältst mich jetzt hier fest!" machte er erzürnt weiter. Seine Stimme wurde lauter und aufbrausender. All die Wut und die Angst die sich die letzten Tage angestaut hatte, entlud sich jetzt schlagartig.
Sein Gegenüber schien jedoch nicht im geringsten beeindruckt zu sein. Er war ein Stück größer als Sebastian und mindestens 1.86 groß. Er musste zugeben, dass ihn das noch ein wenig respekteinflößender machte. Die breiten Schultern des Mannes halfen dabei auch ziemlich.
Auf dem gebräunten Gesicht des Mannes erschien erneut das amüsierte Grinsen und er lachte trocken. //Ernsthaft? Der fängt jetzt auch noch an zu lachen?// dachte Sebastian und spürte das Verlangen ihm dieses Grinsen aus dem Gesicht zu boxen. Er war durchaus kein schlechter Kämpfer und hatte schon die ein oder andere Barschlägerei gewonnen. Keira sagte immer er sollte sich nicht mit jedem anlegen aber Sebastian genoss eine gute Prügelei einfach.
"Witzig... du reagierst genau wie deine niedliche Schwester" meinte der fremde Mann und fuhr sich durch seine schwarzen Haare. Jegliche Höflichkeit war verschwunden und seine Stimme war voll von boshafter Provokation. Vermutlich wusste er genau, was er damit auslöste, denn Sebastian zögerte keine Sekunde und stürzte sich sofort auf ihn. Mit seiner linken Hand griff er den Kragen des Mannes und mit der rechten Hand, um die noch ein Handtuch gewickelt war, schlug er ihm hart in sein attraktives Gesicht. Es machte sofort Knack und Blut spritze aus der Nase des Kidnappers. Er hatte ihm die Nase gebrochen.
Die dunkelrote Flüssigkeit verteilte sich überall auf Sebastians Shirt und auch auf dem des Kidnappers. Dieser wehrte sich allerdings nicht. Noch immer hatte Sebastian ihn fest am Kragen seines schwarzen Shirts gepackt und hielt ihn fest. Als er die Hand erneut hob, um ihn nochmal zu schlagen, trafen sich die Blicke der beiden. Der Mann jedoch grinste weiterhin böse. Das Blut lief ihm aus der Nase und bedeckte seine Lippen, genauso wie die weißen Zähne. //Warum grinst dieses Schwein?//. Der Fakt, dass der Mann die Situation noch immer amüsant fand, machte ihn noch wütender.
"Fass mich noch mal an und deine kleine Schwester stirbt" drohte ihm der Mann selbstsicher. "Wenn du mich tötest kommst du hier nie raus und Keira wird ganz alleine sein... sie sieht doch so unfassbar verzweifelt aus, wenn sie weint... das willst du doch nicht oder?" fragte er. Über Keira redete er in einer fast schon theatralischen Stimme, doch am Schluss kehrte die Provokation zurück.
"Wehe du wagst es ihr auch nur ein Haar zu krümmen" knurrte Sebastian. Seine Hand zuckte mehrfach nach vorne, als wollte er ihn erneut schlagen aber es ging nicht. So langsam realisierte was hier los war. Dieser Mann hatte ihn voll und ganz in der Hand und konnte mit ihm machen was er wollte, er musste es ertragen, wie ein Hund an der Leine. "Du verdammter Hurensohn" spuckte er ihm förmlich ins Gesicht, bevor er ihn langsam wieder los ließ. Seine Stimme klang wütend und verzweifelt zu gleich.
Der fremde Mann richtete sich langsam auf und wischte sich mit dem Handgelenk das Blut aus dem Gesicht. Dabei tropfte noch etwas mehr Blut auf sein eigenes, dunkles Shirt. "Tsk tsk tsk" machte er und es klang so verdammt verächtlich und zugleich arrogant. Wer war dieses Arschloch nur?
"Ich werde Keira nicht anfassen. Unter einer Bedingung. Du machst brav das was ich dir sage und verhältst dich ruhig. Du interessierst mich nicht im geringsten Sebastian Harper also wirst du hier auch irgendwann wieder lebend rauskommen" erklärte der Fremde ihm gelassen. Seine Stimme war deutlich ruhiger und weniger arrogant als vorher. Dann strafft er die schultern und dreht sich um. Mit leisen, bedachten Schritten bewegt er sich zurück in Richtung der Tür.
Sebastian sieht ihm nach. Er will ihm nichts tun? Und Keira auch nicht? Sollte er ihm das wirklich glauben? Vermutlich war das bloß ein Trick, um ihn ruhig zu halten. Das würde er sicher nicht einfach so glauben aber eigentlich hatte er keine große Wahl... er musste sich ruhig verhalten, sonst würde er Keira wirklich etwas tun und das durfte nicht passieren. Niemals.
Der Kidnapper schien sich einen Dreck um Sebastians Verzweiflung zu scheren, denn so schnell wie er gekommen war, verschwand er auch wieder hinter der Stahltür. Nun war Sebastian wieder alleine mit all seinen Gedanken und Fragen.