Kapitel 06
"Bereit!", flüsterte ich mit zittriger Stimme, auch wenn es nur eine weitere Lüge war und trat langsam ins Licht. Kurz musste ich aufgrund der plötzlichen Helligkeit blinzeln, doch schon bald gewöhnten sich meine Augen an die Sonne. Aus wagen Umrissen wurden Häuser, dicht standen sie nebeneinander und sahen alles andere als einladend aus. Die grauen Fassaden wirkten lieblos und der Putz blätterte an einigen Stellen bereits ab. Wenn ein Garten vorhanden war, so sah dieser ungepflegt aus und war mit Pflanzen überwuchert. Es war merklich still, nichts regte sich. Die Gasse, in der wir nun standen, war verlassen und ziemlich verdreckt, so hatte ich mir die Stadt sicherlich nicht vorgestellt.
"Wir müssen weiter, es ist noch nicht vorbei. Alfost hat seine Männer auch in die Stadt ausgesandt, wir müssen zum Institut, erst dort sind wir sicher."
"Wer zum Himmel ist Alfost? Wo sind wir gerade? Und welches Institut meinst d-!"
"Schon wieder zu viel Fragen Honey!" unterbrach mich Bale, so langsam ging mir das auf die Nerven. Ich wollte gerade erneut ansetzen und ihn mit Fragen löchern, als er mir mit einer deutlichen Geste gebot, still zu sein. Auch das ging mir auf die Nerven, der Dämon behandelte mich wie ein unwissendes Kind.
"Folg mir! "seine Stimme hatte wieder diesen befehlerischen Ton an sich und ich wagte nicht zu widersprechen.
Wir überquerten verlassene Straßen, gingen durch enge Gassen, und kamen schließlich an einem Wald an.
Immer wieder bildete ich mir ein, Schatten zu sehen die uns verfolgten, doch wann immer ich mich umdrehte, sah ich keine Engelsseele. Ich hatte mir die Stadt immer anders vorgestellt, mehr Leben, mehr geschäftliches Treiben, doch niemand begegnete uns.
Die Bäume ragten bedrohlich in die Höhe, nur wenige Sonnenstrahlen konnten sich durch das dichte Blätterdach des Waldes kämpfen und so wurde es mit jedem Meter, den wir hinter uns ließen, dunkler.
Ich fragte mich, warum ich nicht weglief. Nicht das ich weit gekommen wäre, aber warum verspürte ich nicht einmal den Drang, mich der Nähe des unbekannten Dämons zu entziehen?
Vor allem beschäftigte mich allerdings die Frage woher ich seine Augen kannte und das war vermutlich gut so, denn ich hatte Angst vor dem was mich erwartete wenn sich der Strum in meinem Kopf legte.
Das Gewitter tobte immer noch, immer wieder durchzuckten Blitze den kalten Nachthimmel und erhellten für einige Sekunden den schmalen Pfad dem wir folgten.
Auch die drückende Stille wurde nur ab und zu von einem lauten Donnergrollen unterbrochen. Trotz des Wetterleuchtens, wehte kein Wind, nichts rührte sich, nur meine Schritte waren zuhören, Bale verursachte kein einziges Geräusch, fast schien er über dem Waldboden zu schweben.
Der Blick des Dämons war stur geradeaus gerichtet, während meine Augen aufmerksam nach links und rechts ins Dickicht wanderten.
Die Nacht war schwül, trotzdem zitterte ich leicht, die Kälte in mir bereitete sich wie ein rasendes Feuer aus. Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz wie ein zu Boden gefallener Spiegel in Tausend Scherben zersprungen war.
Plötzlich blieb Bale stehen, seine Augen suchten erstmals die Umgebung ab und seine rechte Hand griff zum Knauf seines Schwertes. Diesmal benutze er keine Schatten, er schien auch erschöpft zu sein, wenngleich seine Haltung immer noch Stärke ausstrahlte.
Auf einmal spürte ich einen kurzen Luftzug und ein zischendes Geräusch.
"Bleib hinter mir!", flüsterte der Dämon mit erhobenem Schwert und wachem Blick.
Dann geschah alles ganz schnell, vier Gestalten stürmten plötzlich aus dem Gebüsch, drei davon umzingelten Bale während sich der letzte an mich wandte. Vermutlich dachten sie, dass von mir keine größere Gefahr ausging, da hatten sie sich aber gewaltig geirrt.
Die Angreifer trugen lange schwarze Umhänge und ebenso schwarze Masken, die ihre Gesichter verbargen.
Meine Hand glitt zu dem Schwert, welches ich immer noch bei mir trug, während meine Augen zu Bale wanderten, welcher bereits einen Gegner ausgeschaltet hatte.
Mein Blick traf für wenige Sekunden auf seinen, Grün traf Blau und in seinem Gesicht konnte ich die stumme Frage, ob ich Hilfe bräuchte erkennen.
Schnell schüttelte ich den Kopf und konzentrierte mich wieder auf meinen Gegner, welcher immer näher trat.
In seinen Händen hielt er eine lange Klinge, die sich bedrohlich meinem Gesicht nöherte.
Das Schwert fühlte sich angenehm warm in meiner Hand an, den ersten Schlag blockte ich reflexartig. Metall auf Metall, doch die Kampfgeräusche wurden von einem weiteren Donnergrollen übertönt.
Der zweite Schlag traf mich vollkommen unvorbereitet, gerade noch rechtzeitig konnte ich meine Waffe gegen die seine halten. Der Mann war natürlich viel Stärker als ich, er war sogar viel stärker, als ein Engel eigentlich sein durfte, es war also vermutlich seine Kraft.
Das Schwert glitt mir aus der Hand und ich musste mich ducken, als die Klinge wieder durch die Luft peitschte, den nächsten tödlichen Hieb ausführend.
Ich war am Ende meiner Kräfte, erschöpft schloss ich die Augen und wünschte mir verzweifelt, ich sei in einer Blase, irgendwo sicher bei meinen Eltern, ohne Gefahr und nur mit dem Wissen das mir nichts Böses dieser Welt etwas antuen konnte.
Als Kind war es immer genau das was ich wollte, ein Abendteuer erleben, doch jetzt wünschte ich mir nichts seehnlicher als meine kindliche Naivität zurück.
Plötzlich prickelte es auf meiner Haut, überall um mich herum konnte ich Magie spüren. Als ich die Augen wieder öffnete, hatte sich um mich ein schützendes Schild aufgebaut. Es funkelte bläulich und hielt meinen Gegner auf Abstand, allerdings wurde es schon nach einigen Sekunden wieder schwächer.
Bevor das Schild ganz verschwand, tauschte Bale, schwer atmend hinter meinem Gegner auf und schlug ihn mit einem gezielten Schlag ohnmächtig.
Gerade als ich mich bei ihm bedanken wollte, spürte ich plötzlich einen stechenden Schmerz an der Schulter, ich merkte noch, wie ich auf den Waldboden sank und Bale mich entsetzt musterte, dann wurde alles schwarz.