Kapitel3
12.März, 9:13 Perm
Es war knapp nach 9 Uhr, als ich mich in den Mercedes setzte, welcher vor dem Flughafen organisiert gewesen war.
Vasily zwinkerte mir in dem gemieteten Wagen zu, während er seine Kalaschnikov neben sich verstaute.
«Und, Arbeit geschrieben, Rede überlegt? Geschenk gefunden?»
«Jap, aber nur teilweise»
«Ich will nicht wissen, was davon noch fehlt.»
«Naja, die Arbeit muss ich noch abgeben, Rede überlege ich mir spontan und Geschenk muss ich kaufen.»
Vasily fuhr sich nachdenklich durch das kurze, hellblonde Haar.
«Ich kann ihr einen Jet anbieten, ist zwar auch nicht meiner, aber die Oligarchin neben mir hat fix nichts dagegen.»
«Ja, du Pilot, jetzt fahren wir zum Juwelier und kaufen meiner Schwester, wie echte Öloligarchen, etwas mit Diamanten»
Ich klopfte ihm neckend auf die Schulter. Wir konnten offen über unser Geld und unseren Status reden, ganz im Gegensatz zu unserer Beziehung. Vermutlich würde ich mit 80 mich immer noch fragen, wer er für mich war.
Meine Hand abstreifend, startete er den AMG.
«Wenn du mir sagst wohin wir fahren sollen, dann machen wir es.»
«Ich bin nicht dein Co-Pilot», warf ich ironisch ein.
«Zum Glück. Ansonsten wären wir schon gegen diese Wand gefahren.»
Sarkasmus gehörte in meinem Leben wohl zur Tagesration dazu. Beleidigt war ich durch seine Aussage allerdings nicht. Mein Orientierungssinn war tatsächlich nur sehr bedingt.
Nach einigen Minuten hatte ich mich zumindest so weit an alles erinnert, dass ich meinen General in die Richtung eines Juwelier Geschäfts lotsen konnte. Nicht nur einmal war es vorgekommen, dass ich mit Nastja, Lena oder Alina, meiner älteren Schwester, hier gestanden war und wir sehnsüchtig auf die im Schaufenster ausgelegten Schmuckstücke gestarrt hatten.
In dem Wissen, sie uns aus dem teuersten Geschäft der ganzen Stadt niemals leisten zu können.
Vasily machte sich einen Spaß daraus bei jeder Anweisung «jawohl», oder «auf Befehl» zu sagen. Während der mindestens halbstündigen Fahrt, die vor allem wegen einem Stau um etwas verlängert wurde, folgte ich Alexeys, welcher auch in Kürze hier landen würde, Anweisung, ein zweites Bild zu posten.
Im Gegensatz zum vorigen, machte Vasily während einer roten Ampel ein Foto, wie ich aus dem Fenster blickte. Dabei waren besonders meine Ohrringe und der Kragen des Mantels im Fokus, aber auch die Aussicht aus dem Fenster war geboten.
Mein Spruch lautete diesmal nach dem dritten Versuch: «This streets will never change.»
Wir hielten einige Straßen vor dem Laden und legten den Rest zu Fuß zurück. Vasily fiel zwar auf, aber ein Soldat war nicht gerade mit einem Wunder zu vergleichen. Die Reaktionen könnte man etwa wie mit einem Polizisten vergleichen. Während die Hälfte nicht einmal von ihren Handys aufsah oder den Blick vom Boden hoben, blickten die anderen ihn mit Ehrfurcht und Respekt an. Wir betraten das Geschäft, welches im Moment ziemlich belebt war und ich sah mich als Erstes nach etwas um, was Lenas Geschmack entsprach.
Schließlich war es Vasily, der auf ein paar langer Ohrringen aus Rosègold mit Amethysten in Violett und Rubellit in Rot, sowie mit kleinen Diamanten wies. Und genau diese wurden es dann auch. Zum ersten Mal seit langer Zeit, hatte ich das Gefühl meiner Familie etwas Gutes zu tun, als ich an der Kassa den stolzen Preis von 4050224.50 Rubel, also cirka 45000 Euro, wie es auch in Perm, einer typischen beliebten Touristenstadt, angegeben wurde, bezahlte.
«Jetzt müssen wir es noch irgendwie einpacken», meinte ich zu Vasily, als wir wieder hinaus auf die Straße traten.
«In Geldscheine», war seine spöttische Antwort, weil er noch immer über mich lachte, wie ich von der Kassiererin während dem Bezahlen angestarrt worden war.
Aber mein Auftreten und seine Präsenz hatten sie davon abgehalten, mich danach zu fragen.
Daraufhin schlug ich ihn auf den Arm, worauf er mich zu sich zog und mir einen schnellen Kuss auf die Lippen drückte. Obwohl die Straße relativ ruhig erschien, war mir bewusst, dass irgendwo auf einer Terasse oder in einem Fenster jemand stand, der uns fotografieren konnte. Jedoch war unsere Beziehung - obwohl sie weitaus komplizierter war als man es vermuten konnte - kein Staatsgeheimnis. Meine Eltern lasen gerade auch nicht Boulevardpresse, die sich hauptsächlich solchen Themen widmete.
«Jetzt ins Hotel, oder gleich zu dir nach Hause?», erkundigte er sich, als wir wieder in dem AMG Mercedes saßen.
Die Frage hörte sich dermaßen zweideutig an, dass ich mich zusammenreißen musst, um nicht loszulachen.
«Wie war die Frage jetzt noch einmal gemeint?»
Vasily, schüttelte, die Augenbrauen, hochziehend, den Kopf.
«Genau anders herum als du es jetzt verstanden hast, aber deine Art zu Denken gefällt mir sehr. Ich sollte dich übrigens erinnern, die Arbeit an Jana zu schicken.»
«Hotel, weil ich mich ja mit Alexey treffen muss. Außerdem ist es ja erst 10 Uhr, glaubst du, die feiern schon? Sie muss ja irgendwie in die Schule!»
«In deiner Familie haben Leute einen Schulabschluss?»
Eine glatte Anspielung auf meine noch unvollständige Ausbildung in einem dermaßen hohen Amt.
«Manche ja, manche nein; manche sind Minister, andere Architekt. Der Rest lebt unter der Brücke.»
Währenddessen packte ich meinen Laptop aus und erledigte die Abgabe. Hoffentlich war die Aufgabe nicht bis 9 Uhr abzugeben gewesen.
«Falls ich die Abgabe verpasst habe, bist du schuld», grinste ich ihn schelmisch an.
«Und was sagst du dann? General Titarenko hat mich von der pünktlichen Abgabe abgehalten und wird dafür als treuer Diener des Staates zur Rechenschaft gezogen?»
«Jap.»
«Alles klar.»
Mein vibrierendes Handy unterbrach die darauf folgende Stille.
«Nachrichten aus unter der Brücke?»
Vasily hatte anscheinend den Namen meiner Mutter am Bildschirm gesehen, die ihre dramatische Nummer immer mehr steigerte.
«Lea, bitte, schreib ihr! Nur drei Wort reichen, aber bitte, mach es. Wir haben heute am Abend eine Party und ich werde mich schämen, wenn sogar die Großeltern ihres Freundes kommen und ihre eigene Schwester für sie sich keine halbe Minute nehmen kann!»
Ich antwortet mit einem leicht genervten: «Mach ich ja schon.»
In Wirklichkeit würde ich es nicht tun, aber dafür hatte ich ja schon ein Erscheinen auf der besagten Party geplant.
Im Hotel angekommen, war meine erste Priorität, Alexey zu finden und einige politischen Aspekte zu diskutieren.
Also schrieb ich ihm: «Lyoscha, kannst du mir bitte sagen, wo du bist, oder ob du wissen willst, wo ich bin oder ob du dich draußen treffen willst? Ich muss um spätestens 17 Uhr von hier los.»
«Draußen geht klar, wenn du nicht wieder mit einem halben Bataillon ankommst. Es ist erst 11 Uhr, glaubst du ernsthaft, dass wir sechs Stunden brauchen werden?», meinte er.
Also trafen wir uns eine Viertelstunde später vor der Lobby des fünf Sterne Hotels. An meiner Seite war nur ein einziger Soldat, der mir nicht weiters bekannt war und dessen Namen ich auch nicht kannte. Dafür zeigte er auch wenig Interesse an mir, was ab und zu eine nette Abwechslung war. Daran, dass er mich im Zweifelsfall beschützen würde, zweifelte ich nicht, dafür musste er mich nicht wie Andrey über mein Privatleben ausfragen.
«Leandra!»
Alexey kam mit einem Grinsen auf mich zu und umarmte mich neben der stark befahrenen Straße. Heute würde die Boulevardpresse eine Menge zu schreiben haben, das stand fest. Aber auch unsere Beziehung, die für mittlerweile fast täglich neue Skandale sorgte, war kein Geheimnis mehr.
Ich wusste nicht wie meine Eltern es nicht mitbekommen hatten, aber in den letzten drei bis vier Monaten hatte es nur so an Fotos im Internet gewimmelt. Sie alle waren handfeste Beweise dafür, dass ich nicht mehr so unschuldig war, wie vor wenigen Jahren. Obwohl ich mich für viele von ihnen schämen musste, tat ich es nicht. Alles nicht schlimmer als die Nacht in Österreich. Wie viel Glück hatte ich gehabt, nicht ein weiteres Mal erwischt zu werden? Das hatte zumindest noch einen moralischen Hintergrund. Es war meine Meinung, mein Land und mein freier Wille. Ich war die Regierung, die sich der Opposition zugewandt hatte. Fälschlicherweise, wie ich es in weniger als einem Jahr erfahren würden.
«Ab heute regieren wir das Land», zitierte Alexey meinen berühmt skandalösen Spruch, welchen ich vor einigen Wochen gebracht hatte.
Throwback Anfang:
17.Dezember, 22:10 Moskau
«Es ist nicht in euren Händen, aber es ist verdammt noch mal in meinen. Schmeißt die Regeln aus dem Fenster, ab heute regieren wir das Land.»
.ein Atem müsste nach über einer halben Stunde Reden nur noch schwer gehen, aber er tat es nicht. Weder meine Stimme war gebrochen, noch gestottert hatte ich. Die Augen der Journalisten waren geweitet. Für sie war alles nur ein weiterer Skandal mit welchen sie Geld verdienen würden, alles nur Worte einer, im Rampenlicht stehenden, Person. Ich stand auf.
Durch den Adrenalin, welcher in meinen Adern floss, fühlte ich mich schwerelos. Meine Beine trugen mich in die Richtung des Ausgangs. Kameras blitzten und ich schloss für wenige Sekunden meine Augen.
Die kalte Nachtluft streifte meine Wangen. Mein Pelzmantel schien mir zu warm. Ich öffnete diesen. Nun konnten sie mein kurzes schwarzes Kleid sehen. In den Tiefen meines Bewusstseins verstand ich, dass morgen die ganze Welt darüber sprechen würde, aber es war mir egal. Das Gefühl der Unbesiegbarkeit schoss durch meinen Körper. Was hatte ich schon zu verlieren? Zu gewinnen hatte ich einen ganzen Staat!
«Das war ja mal was», Alexey trat hinter einer Säule hervor und legte einen Arm um mich, «du hast sie fertig gemacht.»
«Miss Vorobjowa, was haben Sie an den Staatsoberhaupt zu sagen?», rief eine Reporterin.
Ich drehte mich in die Richtung der besagten Frau um und blickte geradewegs in die Kamera, welche ihr Kollege trug.
Alexey neben mir atmete schwer ein und berührte meinen Arm beruhigend, als ob er meine nächste Tat ahnen würde. Statt auch nur ein Wort zu verlieren, hob ich meinen Mittelfinger. Die Ringe auf der Hand glitzerten in dem Scheinwerferlicht, während um mich herum Pfiffe ertönten. Mein Gesicht blieb ausdruckslos. Ich fühlte mich wie in einer anderen Dimension.
Der Wind ließ meine Haare flattern, aber mir wurde immer heißer. Wann hatte ich mich zum letzten Mal so in meinem Element gefühlt? Wann war das letzte Mal, dass ich so überzeugt von dem war, was ich tat?
Wir überquerten den von Kameraleuten und Wachen umgebenen Parkplatz. Es war mir egal, dass hunderte Sender ihre Kameras auf mich gerichtet hatten.
«Alexey», ich zog ihn an dem Kragen seiner Jacke an mich heran.
«Leandra?», er hob fragend die Augenbrauen, «was ist...?»
Doch bevor er noch ein Wort sagen konnte, stellte ich mich auf die Zehenspitzen meiner High Heels und legte meine Lippen auf seine. Weitere Ausrufe der Journalisten und politisch Interessierten ignorierend, küsste ich ihn immer inniger.
Mein Körper presste sich gegen seinen. Dieses Gefühl, dass alle Fasern in mir brennen würden, erfüllte mich. Das kalte Metall des Autos, gegen welches meine rechte Hüfte gepresst war, konnte keine Linderung verschaffen. Die Blitze der Kameras gaben mir nur noch mehr Antrieb weiterzumachen.
Jede Bewegung des Oppositionärs ließ mich nur noch mehr an ihn heran. Mit meinen Beinen umschlag ich seine, während ich mich an seinem Hals hochzog. Es fühlte sich so richtig an. Wer würde eine Statement setzen, wenn nicht ich? Wer würde zeigen, dass Regeln gebrochen werden konnten, wenn nicht die Opposition?
Eine Sirene erklang viele Straßen weit entfernt und auf einmal spürte ich wieder die Kälte. Die Lichter blendeten mich und die Geräusche der Umgebung waren zu laut. Meine Lippen lagen immer noch an seinen. Seine Arme waren um meine Taille geschlungen. Der Mantel war an einer Seite hochgerutscht und der Anblick auf meine Beine und das kurze Kleid perfekt. Ich löste mich von Alexey. Er blickte mich mit erschrockenen Augen an.
«Es tut mir Leid», war das Einzige, was ich zusammenbrachte.
Er schüttelte mit dem Kopf und zog mich mit einem Handgriff in das Auto hinein, wo er mich halb auf seinen Schoß zog. Diesmal war er derjenige, der seine Lippen gegen meine drückte. Wir fuhren los und die Lichter der Großstadt verschwammen vor mir. Was hatte ich getan? Was würde ich noch tun?
Throwback Ende
«Wir müssen darüber reden. Nicht nur wir, wir müssen es mit unseren Anhängern diskutieren. Verstehst du, wir können nicht so einen Skandal verursachen und dann schweigen!»
Wir blieben an einer roten Ampel stehen.
Unbewusst war ich in die Richtung meiner Schule gelaufen und versuchte mich nun krampfhaft zu erinnern, wo wir hingehen konnten ohne dort zu landen. Es war für mich schwer genug, dass ich morgen vor Menschen treten musste, die ich fast ein Jahr nicht gesehen hatte. Mit den meisten hatte ich während dieser Zeit auch kein einziges Wort getauscht.
Längst hatte ich den Überblick über meinen Kurs verloren und wer diesem verlassen hatte, genauso auch, wer wen datete, verloren. Kurzgefasst, ich gehörte nicht mehr dazu und würde es auch niemals wieder tun.
«Dann drehe halt ein Video», war meine etwas geistesabwesende Antwort, während ich auf eine Frau starrte, die mir bekannt vorkam.
«Das reicht nicht, wir müssen eins gemeinsam drehen. Sie wollen dich als Person kennenlernen, wissen, wer du bist, wie du bist, was deine Ziele sind. Sie kennen dich nur von General Titarenkos Seite. Du musst ihnen zeigen, dass du für dasselbe kämpfst wie wir.»
Während er sprach, versuchte ich die Dame, welche schlichte, schwarze Jeans und eine dunkelrote, elegante Jacke trug, zu identifizieren.
Sie strich mit einer Hand über ihr schulterlanges blondes Haar und fischte nach etwas in ihrer dunklen Handtasche. Plötzlich drehte sie sich um und ihr Blick blieb direkt an mir hängen.
Ich spürte, wie es mir abwechselnd kalt und warm wurde. Sie war Larissa Petrova, die beste Freundin meiner Mutter. Seit deren Kindheit waren die beiden unzertrennlich und in den ersten Monaten meiner Abwesenheit war sie, soweit ich es wusste, eine sehr große mentale Unterstützung gewesen.
«Alexey, verdammt!», zischte ich, «das ist die beste Freundin meiner Mutter. Ich wollte heute doch eine Überraschung sein!»
Bevor er mir antworten konnte, rief diese schon enthusiastisch:«Leandra, bist du das?! Du hast dich ja unglaublich verändert!»
Sie kam auf mich zu, als ob sie mich umarmen wollte, aber ich trat einen Schritt zurück. Davon lies sie sich keinesfalls irritieren und öffnete ihre Arme breit.
«Deine Mutter wird ja überglücklich sein, zu erfahren, dass du wieder da bist. Komm, lass dich knuddeln! Du kommst doch heute auch zu Lenas Feier? Hast du schon ihren neuen Freund kennengelernt?»
Mein Wache trat an sie von hinten heran, aber blieb stocksteif stehen. Mit verwirrten Augen musterte er ihren Rücken ohne etwas zu tun. Wer diesen Typen eingeteilt hatte, würde von mir massivst Ärger bekommen.
Was war sein Sinn, wenn er nicht einmal eingreifen konnte?
Während sie es dennoch gegen meinen Willen schaffte ihre Arme um mich zu legen, griff ich nach dem Gürtel des Wachsoldaten und zog seine Pistole heraus. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich sie draußen und drückte sie mit der Seite an die Jacke der Frau.
Sie stolperte sofort zurück, worauf sie gegen den Soldaten stieß. Er griff nach ihren Schultern und fixierte sie vor sich, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Die Waffe hatte ihren Zweck erfüllt, vor Schock stand sie nun wie eingefroren. Sie öffnete den Mund, aber schloss ihn dann wieder.
«Siehst du die Makarov?», begann ich. «Siehst du sie? Wenn du nur ein Wort an jemanden verlierst, dass du mich hier heute getroffen hast, dann...», ich wies mit dem Kopf in Richtung der besagten Waffe.
Sie krächzte: «Ja», und versucht sich aus dem Griff zu befreien. Ich senkte meine Hand und gab dem Soldat ein Zeichen mit meinem Kopf. Der Frau schickte ich ein trauriges Lächeln nach. Sie hatte Recht, zehn Monate hatten mich verändert.