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2. Kapitel

ARTEMISIA

„Dieses ganze Geschrei passt nicht zu einer hübschen Frau.“ Mein Bruder kichert, als er mein Schlafzimmer betritt.

Ich verdrehe die Augen und schmolle weiter, während ich aus dem Fenster starre. „Es ist einfach nicht fair.“

„Viele Dinge sind es nicht!“ sagt er gelassen und bringt mich dazu, mich umzudrehen und ihn anzuschauen.

„Willst du als neuer Alpha nicht etwas ändern? Wirst du zulassen, dass sie weiterhin tun, was sie wollen?“ frage ich ihn und klammere mich an die glänzende Oberfläche des Sideboards, auf dem ich sitze.

„Missy“, seufzt er und steckt die Hände in die Taschen. „Es gibt nicht wirklich etwas, was wir tun könnten.“

Giorgio macht einen Schritt nach vorne und neigt seinen Kopf zu mir. „Gibt es etwas, das dich stört? Dass du so aufgewühlt bist?“

Kopfschüttelnd hebe ich den Blick zur Decke: „Hast du gehört, dass sie vor ein paar Tagen eine wolfslose Wölfin hingerichtet haben?“

„Ja“, antwortet er, wobei sich seine Mundwinkel nach unten verziehen. „Aber es ist nur ein Gerücht, das die Runde macht. Der Hohe Rat hat nichts darüber herausgefunden.“

„Aber sie ermitteln doch noch, oder?“ Meine Stimme erreicht einen hohen Ton, der sie beinahe versagen lässt.

Giorgio verlagert sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, „Ja, aber...“

„Nichts aber!“ schreie ich und springe von dem Möbel. „Sie sind Bestien. Wir sollten aufhören zu tun, was sie wollen und uns wie Marionetten zu verhalten, mit denen sie eine Show abziehen können.“

Im Handumdrehen steht Giorgio vor mir und packt mich unsanft am Arm. „Du wirst dich beruhigen und so etwas nie wieder laut sagen! Hast du mich verstanden?“

Ich wimmere und ziehe meinen Arm hoch, um mich vor seiner einschüchternden Wut zu schützen. Als ich schüchtern nicke, knurrt er, was mich zusammenzucken lässt. „Ob du mich verstanden hast, habe ich gefragt!“

„Ja, Alpha.“ sage ich leise und bringe ihn endlich dazu, mich loszulassen.

Ich reibe die schmerzhaft pulsierende Stelle an meinem Arm und schmolle. „Es geht nicht nur um uns, Missy.“

Als ich zu ihm aufschaue, sehe ich, dass sich sein wutentbrannter Gesichtsausdruck in den üblichen fürsorglichen Ausdruck verwandelt hat, den ich normalerweise von meinem großen Bruder kenne. „Es ist wichtig, dass du weißt, dass wir alle in Gefahr sind. Selbst wenn wir sie alle zusammen angreifen würden, wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie uns mit einem müden Lächeln im Gesicht vernichten würden. Du kannst die Dinge, die wir gesehen haben, nicht begreifen, also bitte. Riskiere nichts so leichtsinnig. Schon gar nicht in deinem Zustand.“

„Meinen Zustand“, murmle ich niedergeschlagen, während ich noch immer mit dem Daumen meinen Arm streichle.

Er zeigt mir seine Eckzähne als er mich angrinst. „Willst du das Thema wechseln und dich wie die schüchterne, schwache und feige Schwester verhalten, für die dich jeder hält?“

Ich kichere und räuspere mich, als ob ich eine Schauspielerin auf der Bühne verkörpern würde.

„Auf einer Skala von eins bis zehn, wie nervös bist du?“ Giorgio wirkt nachdenklich, während er tief seufzt.

„Vielleicht eine acht?“ antwortet er unentschlossen, was mich zum Kichern bringt.

„Was fragst du mich?“ Ich setze mich wieder auf das Sideboard, während er sich neben mich stellt, und wir schauen aus dem Fenster, um die Krieger, die unten auf dem Gelände trainieren zu beobachten.

„Diana hat ein wirklich schönes Kleid ausgesucht, das muss ich dir sagen“, bemerke ich flüsternd, den Blick ins Leere gerichtet.

Als ich ihn in der Spiegelung des Glases lächeln sehe, ist mein Herz so glücklich, dass es zerspringen könnte.

„Neun, in diesem Fall.“

„Mama nennt sie bereits Luna.“

„Das ist wirklich süß.“

„Ja.“

Giorgio dreht sich langsam um, sein schüchternes Lächeln immer noch auf seinem Gesicht. „Du kommst doch, oder?“

Ich rümpfe die Nase und zucke mit den Schultern: „Klar, ich würde es auf keinen Fall verpassen.“

„Danke. Ich werde Zeno und Zack an deine Seite stellen. Auf diese Weise wird er es nicht wagen, sich dir zu nähern.“

„Das ist lieb, danke. Aber ich kann mich auch selbst wehren. Er ist nur ein Weichei, lass die Zs ihren Abend mit ihren Freundinnen genießen.“

Er seufzt erneut und hält mich an den Schultern fest. „Wir sind eine Familie, und sie werden es verstehen. Er muss lernen, dass er dich verloren hat und dich in Ruhe lassen muss.“

Ich schüttle den Kopf und grinse ihn an. „Du bist schon jetzt so ein sturer Herrscher. Mach dir keine Sorgen. Ich bin unverpaart, und deshalb gibt es wohl noch ein paar Rest-Emotionen unserer Bindung.“

„Trotzdem kein Grund, ein Arschloch zu sein“, grunzt er und lässt mich mit einem letzten Klaps los.

Mir blutet das Herz, wenn ich daran denke, wie dumm ich gewesen bin und jetzt sogar meine Familie beunruhige. Sie wissen über alles Bescheid, weil ich es ihnen erzählt habe.

Nun, fast alles.

Nur meine Brüder und meine Schwägerinnen wissen, dass er immer noch von mir besessen ist, und wann immer er mich sieht, versucht mir nahe zu kommen.

Meine Eltern wissen nur, dass es mir immer noch weh tut ihn zu sehen, und das ist nicht einmal eine Lüge.

Aber nur meine beste Freundin weiß, dass ich mich vor ein paar Jahren von ihm um den Finger wickeln ließ und sogar die Nacht mit ihm verbrachte. Dass er seine Familie mit mir betrogen hat, hat mich tagelang krank gemacht. Und bis zum heutigen Tag fühle ich mich wie ein Stück Scheiße für mein Verhalten.

Zumindest war das eine Lektion für mich, denn seither fühle ich mich nicht mehr zu ihm hingezogen.

Der Ekel war einfach zu stark.

Göttin sei Dank.

„Ich komme schon klar. Mach dir keine Sorgen!“ sage ich mit einem Grinsen.

Er nickt und steht schon an der Tür, als er sich umdreht. „Du bist nicht wolflos, Missy! Bestrafe dich nicht für etwas, das du nicht kontrollieren kannst.“

Ich blicke weiterhin auf den Trainingsplatz, während ich seufze und die ersten Tränen fallen.

***

Glückliches Gelächter erfüllt die Luft, während aus den Stockwerken unter uns ein Rauschen ertönt. Die Vorbereitungen für die Zeremonie verlaufen reibungslos, und trotzdem schafft es meine Mutter wegen der Gäste, die jeden Moment eintreffen müssen, ständig zu hyperventilieren.

„Fühlst du dich wohl?“ frage ich Diana, während sie mit den Händen auf dem Bauch tief einatmet.

„Ja. Aber nein. Göttin, ich glaube, ich werde ohnmächtig.“

„Beruhige dich. Aaaaatme“, schreit Caterina von dem Schminktisch aus, während sie sich darauf konzentriert, ihren Lidstrich gerade zu ziehen. „Alle haben dich bereits als ihre neue Königin akzeptiert. Es wird alles gut gehen.“

„Ich bin nervöser als an meinem Hochzeitstag“, atmet Diana aus. „Ist dieser Scheiß normal?“

Ich kichere, während ich an der Schleppe ihres Hochzeitskleides zupfe. „Ich denke schon.“

Mit einer schnellen Bewegung dreht sie sich um und fasst mit ihren Händen sanft an meine Wangen. „Bist du nicht ein wunderschönes Geschöpf?!“

Sie drückt mir einen Schmatzer auf die Wange, was mich zum Ächzen bringt. „Deine roten Lippen werden mein Make-up zerstören!“

Ich erhebe mich aus meiner Sitzposition und stelle mich hinter Caterina, um in den Spiegel zu schauen. „Du grausame Frau. Ich habe Stunden dafür gesessen.“

Diana und Caterina lachen, und Caterina steht auf, um die Spuren des Lippenstifts von meiner Wange zu entfernen. Ich schmolle, als sie mit ihrem Daumen über mein Gesicht reibt und die Stelle vorsichtig mit einem Kosmetikschwamm abtupft, damit mein Make-up wieder makellos ist.

„Alles fertig!“ ruft sie fröhlich, als die Stimme meiner Mutter in unseren Köpfen erklingt.

„Meine Damen und Herren. Lasst uns mit den Feierlichkeiten beginnen.“

Ich befreie mich aus der Gedankenverbindung und wende mich mit einem Lachen an Diana. Ich drücke ihre Hand, wünsche ihr viel Glück und versichere ihr noch einmal, dass alles in Ordnung sein wird, bevor ich mit Caterina den Raum verlasse.

„Man sollte sie nicht allein lassen“, flüstert sie, während wir die Treppe hinunterhuschen.

„Ich weiß, aber es wird schon gut gehen. Die Tradition sieht vor, dass sie erst zum Zeitpunkt der Krönung zu uns stößt.“

Als wir das Erdgeschoss erreichen, bleibe ich direkt hinter meiner Mutter stehen und spüre, wie Zeno seinen Arm um meine Schultern legt.

Ich spüre, wie alle aufgeregt sind, aber auch extrem begeistert. Meine Brüder und ich stehen da und schauen den ersten Gästen lächelnd entgegen, während meine Eltern sie offiziell auf dem Gelände unseres Rudels begrüßen. Ich staune, als die Vertreter der anderen Rudel in eleganter Kleidung hereinspazieren.

Heute Abend scheinen wirklich alle zu arbeiten. Die Organisation der Wachen, die Eskorten von den Grenzen und die Logistik für die Party zeugen von den Fähigkeiten meiner Mutter als Luna.

Wir beschließen, uns mit der Menge zu bewegen und gehen zur Rückseite des Hauses. Der große Innenhof, der auf eine große Wiese führt, ist jetzt liebevoll mit Girlanden und Blumen geschmückt. Am Ende der mit Rosensträuchern eingezäunten Wiese ist eine große Bühne aufgebaut, auf der die Krönung stattfinden wird.

Aufgeregt folge ich Zeno zu ein paar Stehtischen, die noch frei sind und nasche von den Vorspeisen, die gerade serviert werden.

Zaccaria erreicht uns mit schnellen Schritten und ich stöhne auf.

„Wirklich, ich brauche euer Mitleid nicht. Lass mich einfach in Ruhe und genießt den Abend mit euren Freundinnen.“

Zeno grinst und knabbert an den Brezelstangen. „Das geht nicht, Schwesterherz.“

„Ich habe dir Champagner mitgebracht.“ Zaccaria strahlt, während er seinen Arm ausstreckt, um mir mein Glas zu übergeben.

„Danke, Zack.“

Noch bevor Zeno sein Glas aus dem Griff unseres Bruders nehmen kann, verfinstert sich seine Miene.

„Die Arschlöcher sind hier.“

Zaccarias und mein Kopf schnellen zum Eingang zum Innenhof, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie fünf Mitglieder des Blutigen Reisszahn Rudels die Menge mit einem Stirnrunzeln mustern.

Nun, nein, da muss ich mich korrigieren.

Einer von ihnen trägt eine finstere Miene. Ich kann bei bestem Willen nicht erkennen, was die anderen machen.

Und was für eine finstere Miene.

Seine kräftige Statur lässt alle anderen im Vergleich dazu verblassen. Selbst umgeben von den stärksten Wölfen der südlichen Hemisphäre scheint er alle zu überragen. Mit seinem kantigen Kiefer starrt er auf uns niedrige Geschöpfe mit seinen eisigen Augen herab, und ich glaube, ich könnte mich an seinen hohen Wangenknocken schneiden, wenn ich sein Gesicht berühren würde.

Und warum zum Teufel sollte ich sein Gesicht anfassen wollen?!

Zum ersten Mal nach einer gefühlten Ewigkeit spüre ich, wie sich meine Wölfin regt, und ich schnappe nach Luft, um mich aus meiner Trance zu reißen.

Meine Brüder sehen mich besorgt an, während ich nach dem Stoff meines Kleides greife.

„Was ist los?“

„Cassy... Sie... Ich glaube, sie hat sich gerade bewegt.“

„Wirklich?“ Ihre funkelnden Augen lassen mein Herz bluten, wenn ich daran denke, dass es aus einem völlig falschen Grund passiert sein könnte.

„Ja“, sage ich kichernd und richte mich mit einem tiefen Atemzug auf.

Als meine Brüder sich wieder spielerisch zanken, riskiere ich einen weiteren Blick auf den Adonis, der sogar meinen Wolf zum Reagieren gebracht hat und Röte schiesst mir ins Gesicht als sich unsere Blicke treffen.

Oh, meine Göttin.

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