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Kapitel 6: Besuch aus der Zukunft, 2050/ Die totale Erinnerung, 1993

BESUCH AUS DER ZUKUNFT

Leipzig, 2050

Ich erwache in meinem Bett und schaue sogleich auf die Uhr. Es ist halb vier nachmittags. Erstaunt springe ich auf. So spät schon? Wann bin ich eingeschlafen? Verdammt, ich wollte mich doch heute mit Tommy treffen. Es ist schon ewig her, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben. Ein erwartungsfrohes Grinsen umspielt nun meine Lippen. Schnell schnappe ich mir meine Kleidung. Er hat das Treffen vorgeschlagen. Das ist sehr ungewöhnlich. Sonst bin ich diejenige, die danach verlangt. Bestimmt geht es um die vielen Todesfälle in den letzten Jahren. Oder vielleicht klärt er mich auch darüber auf, warum er mir die Lebensmittelpakete jeden Monat schickt.

Mitten beim Anziehen meiner Hose komme ich plötzlich ins Stocken und runzle die Stirn.

Stimmt, er schickt mir diese Pakete überhaupt nicht. Doch woher weiß ich das? Ich habe schon seit Langem nichts mehr von ihm gehört? Was ist hier los?

Plötzlich werde ich von Erinnerungen überflutet. Ich laufe vor einer Drohne davon… da ist Tommy … Ich umarme ihn … überall Polizisten, die mich umzingeln …

Völlig perplex von all dem Erinnerungswirrwarr laufe ich zur Kaffeemaschine. Wenn ich jemals einen Kaffee dringend nötig hatte, dann ja wohl jetzt. Doch bevor ich auch nur auf den Knopf drücken kann, klingelt es an der Eingangstür. Zunächst bleibe ich wie angewurzelt stehen. Sind das die Polizisten? Nein, Quatsch. Das ist ja gar nicht passiert. Noch nicht …

Ich laufe zum Tisch und aktiviere die Außenansicht. An meiner Wand kommt der Hausflur zum Vorschein. Dort stehen ein Mann und eine Frau mittleren Alters mit blonden Haaren. Sie sind beide ziemlich groß, schätzungsweise an die eins achtzig. Sie wirken äußerst gepflegt und gutaussehend. Ihre schlanken Körper stecken in weißen, enganliegenden Overalls. Der Mann trägt einen schwarzen Koffer in der rechten Hand. Sie sehen schon echt merkwürdig aus, doch irgendwie sagt mir meine Intuition, dass sie nichts Schlechtes wollen. Mittlerweile habe ich gelernt, auf meine Intuition zu vertrauen. Ich bezeichne es gerne als sechsten Sinn. Das ist etwas, was nur noch sehr wenige Menschen da draußen besitzen.

Erwartungsvoll öffne ich die Tür.

„Hallo Lena!“, säuseln die zwei, freundlich lächelnd, im Gleichklang.

„Was wollt ihr?“, frage ich, den Weg zu meiner Wohnung versperrend.

„Wir müssen mit dir sprechen. Es ist sehr wichtig“, erklärt die Frau und mustert mich dabei sehr genau.

Ich seufze und mache den Weg frei. „Ich weiß zwar nicht, was für Wesen ihr nun wieder seid, aber dass ihr die Lautsprache verwendet, macht euch schon mal sympathisch.“

Die zwei treten ein und nun richtet der Mann das Wort an mich: „Wir sind Menschen.“ Zweifelnd mustere ich ihn. Er sieht vielleicht aus wie ein Mensch, doch seine Mimik und Gestik, die Art, wie er sich bewegt, wirkt keineswegs menschlich. Die Beiden erinnern mich vielmehr an Tommy. Der blonde Mann geht zum Tisch und legt einen etwa zehn Zentimeter großen Metallring darauf.

„Was ist das?“, frage ich.

„Ein Dämpfungsfeld, es ist hier nicht sicher.“

Ein Dämpfungsfeld? Und das sollen Menschen sein? Wo haben sie diese Technologie her? Das konnte doch eigentlich nur von der WSA stammen. „Wo kommt ihr her?“

„Aus einer anderen Zeit. Mehr Fragen können wir dir leider noch nicht beantworten.“

Das klingt völlig abgedreht, doch aus irgendeinem Grund glaube ich ihnen. Anders kann ich mir beim besten Willen auch nicht erklären, warum ich gerade denselben Tag noch einmal erlebe. Über diese vielen neuen Informationen nachdenkend, gehe ich zur Kaffeemaschine. Nun brauche ich aber so was von einem Kaffee. „Ich würde euch ja gerne etwas anbieten, aber es ist ja eh alles euer Zeug.“

Die beiden lächeln amüsiert über meine Aussage. Sie waren es tatsächlich.

„Lena, hör zu, du weißt, was morgen passieren wird“, begann der Mann und öffnet auf meinem Wanddisplay eine Landkarte. „Du musst hier weg, heute noch. Lass deine Verabredung ausfallen.“ Ein Ort auf der Karte wird herangezoomt. „Da musst du hin. Dort wird man dich ausbilden. Deinen Call Strap lässt du hier. Nimm nur das Nötigste mit.“

Verdutzt starre ich ihn an. Ausbilden? Wofür wollen die mich denn in meinem Alter noch ausbilden?

Nun zieht er einen weißen Overall aus der Tasche. „Ziehe diesen unter deine Kleidung. Das macht dich für Drohnen unsichtbar.“

Die Frau nickt mir zu. „Wir müssen jetzt weiter. Wenn das wahr ist, was wir über dich gehört haben, wirst du das schaffen“, sagt sie und geht in Richtung Ausgang.

„Äh, was ... ihr habt von mir gehört?“, frage ich unsicher.

Doch der Mann lächelt mich lediglich verschmitzt an und nimmt seinen Ring vom Tisch. Er ruft „Bis bald“ über die Schulter und folgt der Frau nach draußen.

Schnell laufe ich ihm hinterher auf den Flur und rufe: „He, warte, wofür werde ich denn überhaupt ausgebildet?“, doch als ich aus der Tür hinaustrete, sind sie einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt. Nachdenklich starre ich ins Leere. Sie sind bereits die Zweiten, die mir sagen, dass ich wegmuss. Nun muss ich wohl oder übel in den sauren Apfel beißen.

DIE TOTALE ERINNERUNG?

Stuttgart, 1993

Meine Oma und ich saßen auf der Couch in Dr. Müllers Büro. Er schenkte uns Tee ein und hörte aufmerksam zu, was meine Oma zu sagen hatte. Sie erzählte ihm ausführlich, was mit uns geschehen war. „…und deshalb sind Lena und ich zu dem Schluss gelangt, dass es so nicht weitergehen kann. Es muss doch eine Möglichkeit geben, sich an das Geschehene auch ohne Ihre Hilfe zu erinnern. Oder vielleicht sogar gar nicht erst zu vergessen.“

Als sie fertig war, blickte Dr. Müller uns nacheinander forschend an. „Ich kann verstehen, dass ihr durch die Geschehnisse aufgebracht seid, und ja, es ist möglich. Jedoch ist es eine schwere Bürde, sich an jedes Detail erinnern zu können. Das muss Ihnen klar sein. Wir filtern hier lediglich die Dinge heraus, an die sich ihr Unterbewusstsein erinnern möchte. Sind Sie dazu bereit, ihre psychische Gesundheit zu riskieren?“

Meine Oma nickte. Und ich sagte mit selbstbewusstem Gesicht: „Es ist schlimmer, einen ganzen Tag verloren zu haben. Das möchte ich auf keinen Fall ein Leben lang.“

Meine Oma blickte mich überrascht an. Ich hatte ihr noch immer nicht von dem Mal erzählt, als die Wesen mich alleine entführt hatten.

Doch zumindest Dr. Miller hatte ich von meiner psychischen Verfassung überzeugt. Er erwiderte in anerkennendem Ton: „Okay, ich kenne Menschen, denen das gelungen ist. Eine Schärfung der inneren Wahrnehmung ist dafür nötig und man muss es wirklich wollen. Angst ist dabei äußerst hinderlich.“

Meine Oma schnaubte. „Na, Sie sind ja lustig. Das Mädchen ist zwölf Jahre alt. Natürlich hat sie Angst.“ Das stimmte. Ich hatte Angst. Aber ich war auch neugierig. Ich wollte es wissen, komme was wolle. Meine Neugier wurde schon sehr viel schneller befriedigt, als ich geglaubt hatte. Und zwar während Dr. Müllers Hypnosesitzung am nächsten Tag.

Irgendwie verschwammen die Erinnerungen ineinander. Ich wusste nicht mehr, was ich bei welcher der beiden Entführungen erlebt hatte. Doch das war auch erst einmal egal, denn dieses Mal sah ich etwas Unglaubliches …

Tonbandaufnahme Sitzung Nr. 7:

~

Ich: „Ich liege auf einem metallenen Tisch. Ich kann mich nicht bewegen. Es ist so hell und über mir steht wieder dieses graue Wesen. Sein Mund besteht lediglich aus einem Strich. Aber das ist eher unwichtig, denn es redet nicht mit mir. Es ist in meinem Kopf.“

Dr. Müller: „Was tut es?“

Ich: „Es tastet meinen Körper ab. Ich weiß nicht, was es da macht.“

Dr. Müller: „Was hast du an?“

Ich: „Ich trage ein weißes Kleid. Meine Oma liegt neben mir. Sie weint. Der größere Graue spricht mit ihr.“

Dr. Müller: „Sie haben unterschiedliche Größen?“

Ich: „Ja.“

Dr. Müller: „Wie viele sind es?“

Ich: „Zwei. Nein. Da ist noch jemand. Er will nicht, dass ich ihn sehe, also sehe ich ihn auch nicht. Er beobachtet.“

Dr. Müller: „Warum siehst du ihn dann jetzt?“

Ich: „Er will nun, dass ich ihn sehe. Er möchte, dass ich mit ihm gehe.“

Dr. Müller: „Wie sieht er aus?“

Ich: „Irgendwie wie ein großes Insekt. Er hat große schwarze Augen und trägt so etwas wie einen Mantel. Wir gehen aus dem Raum hinaus.“

Dr. Müller: „Redet er?“

Ich: „Ja, aber nicht mit dem Mund. Er sagt, sie brauchen meine Hilfe. Na ja, er sagt es nicht direkt. Er schickt mir Bilder. Es ist wie eine Welle schrecklicher Szenarien.“

Dr. Müller: „Was für Bilder siehst du?“

Ich: „Da sind Atombomben, die die Erde zerstören. Alles stirbt. Doch es geht ihm gerade um etwas anderes. Jetzt sind wir angekommen. Es sieht aus wie ein Wohnzimmer mit einer Couch, einem Wohnzimmertisch und einem Fernseher. Ich soll hineingehen. Kinder kommen herein.“

Dr. Müller: „Was für Kinder?“

Ich: „Sie sehen menschlich aus, bis auf zwei.“

Dr. Müller: „Wie sehen die zwei aus?“

Ich: „Ein kleiner Junge hat sehr große schwarze Augen. Und ein anderer hat zu kleine Ohren für seinen großen Kopf. Letzterer kommt auf mich zu und zeigt auf die Couch. ‚Wofür ist das?‘, fragt er. Ich will ihm gerade antworten, da zeigt er bereits auf den Fernseher. ‚Und das?‘ “

Ich: „Die anderen reden nun auch auf mich ein. Doch ich brauche ihnen nicht zu antworten. Sie sehen die Antworten schon vorher. Es ist sehr anstrengend für mich und ich bekomme Kopfschmerzen.

Er bemerkt es und sagt den Kindern, dass sie gehen können. Sie gehorchen sofort.“

~

Dr. Müller führte nach unserer Hypnosesitzung noch ein paar Übungen mit mir durch, um meine Wahrnehmung zu schärfen. Bei der nächsten Entführung wollte ich mich unbedingt von selbst erinnern. Als wir fertig waren, musterte er mich eine Weile, was ungewöhnlich war. Normalerweise war er stets kurz angebunden und musste schnell weiter.

Doch dieses Mal fragte er: „Was denkst du, wollen sie von dir?“

„Na, sie wollen, dass ich ihre Kinder unterrichte“, antwortete ich frei heraus. Ich dachte das zu dem Zeitpunkt tatsächlich.

Dr. Müller wirkte nicht ganz so überzeugt wie ich und sagte nur: „Vielleicht.“

Bitterfeld, 1995

In den vergangenen zwei Jahren hatte ich durch Dr. Müllers Hilfe große Vorschritte gemacht, was die Schärfung meiner Wahrnehmung anbelangt. Ich schaffte es nun eigenständig, mich an vorangegangene Entführungen zu erinnern. Bestimmt würde ich es beim nächsten Mal schaffen, die Erinnerung gar nicht erst zu verlieren. Zumindest hoffte ich das. Sie hatten mich seitdem nicht wieder entführt. Schon komisch, dass ich mittlerweile sogar darauf wartete.

Momentan saß ich zusammen mit meiner Mutti im Wartezimmer der Gemeinschaftspraxis meines HNO-Arztes und wartete, dass ich hereingerufen wurde. Ich hatte in letzter Zeit sehr häufig mit Kopfschmerzen zu kämpfen und mich deshalb in Behandlung begeben. Einem MRT habe ich mich bereits unterzogen und heute sollte die Auswertung erfolgen. Und gerade heute waren meine Kopfschmerzen wieder unerträglich.

Mit leidendem Blick schaute ich meine Mutter an. „Ich muss an die frische Luft. Kannst du mich rufen, wenn wir endlich dran sind?“

Liebevoll streichelte sie meine Wange und nickte. „Natürlich, mein Schatz.“

Ich ging hinaus auf den Parkplatz. Die Helligkeit machte es zwar nicht unbedingt besser, doch zumindest bekam ich wieder etwas Luft. Mit geschlossenen Augen atmete ich tief ein und aus.

„Hey, Alien-Mädchen!“, ertönte plötzlich diese unglaublich überhebliche Stimme, die ich im Moment am allerwenigsten hören wollte. Als ich meine Augen nun langsam wieder öffnete, sah ich einen süffisant grinsenden Sandor vor mir stehen.

Wütend funkelte ich ihn an: „Was ist? Nutzt du deine Freizeit, um dich über Kranke lustig zu machen, weil dir die Zeit in der Schule nicht ausreicht?“ Ich verabscheute diesen Typen. Er nutzte jede freie Minute, um mich zu verspotten. Wegen ihm nannte mich die ganze Schule Alien-Mädchen, obwohl ich seit diesem einen Ausrutscher niemals wieder etwas über Aliens erzählt hatte. Wegen ihm war es nie in Vergessenheit geraten.

Sandor lachte amüsiert auf, scheinbar belustigt über meinen Hass ihm gegenüber. „Du hast völlig recht. Und du? Lässt du dich nach Borg-Implantaten absuchen?“ Sich selbst feiernd für seinen Witz, gluckste er auf.

„Halt die Klappe!“, war leider die einzige Antwort, die mir in diesem Moment einfiel. Gerne hätte ich etwas Schlaues, Schlagfertiges gesagt, doch mein Kopf dröhnte und etwas Kluges war da einfach nicht mehr drin. Nun musterte ich Sandor etwas genauer. Er sah natürlich wie immer aus, wie aus dem Ei gepellt mit seiner völlig übertriebenen Geltolle und seinem John-Travolta-Gedächtnis-Outfit, samt Lederjacke. Allerdings war er auch unwahrscheinlich blass. War er vielleicht ebenfalls krank? Doch warum war er alleine hier? Er war noch minderjährig. Wäre er krank, hätte ihn ein Elternteil begleiten müssen.

„Warum bist du wirklich hier?“, fragte ich nun neugierig.

Schlagartig fiel Sandors Grinsen in sich zusammen und ein finsterer Blick kam zum Vorschein. „Das geht dich einen Scheiß an. Kümmere dich lieber um dein Borg-Implantat, Alien-Mädchen!“ Schnurstracks drehte er sich um in Richtung Eingang und ging hinein. Der Typ hatte sie nicht alle. Jetzt machte er wieder einen auf obercool.

Die Tür öffnete sich nun und meine Mutter spähte hinaus. „Es ist soweit!“ Wir gingen zusammen durch den Wartebereich in Richtung Behandlungszimmer. Ich hielt Ausschau nach Sandor, doch er war nirgends zu sehen. Eigenartig. Wir hatten Stunden hier draußen gewartet und er kam einfach so herein. Unverschämtheit!

Als wir das Behandlungszimmer betraten, lächelte uns der Arzt freundlich an und deutete auf die zwei Stühle vor seinem Schreibtisch. „Setzen Sie sich doch.“

Dies taten meine Mutti und ich, gespannt, was er uns zu sagen hatte. Der Arzt legte die MRT-Bilder auf den Tisch und deutete auf eine Stelle oberhalb meiner Siebbeinplatte. Zumindest weiß ich das jetzt. Damals hatte ich keine Ahnung. Ich sah lediglich einen kleinen weißen Punkt inmitten meiner Stirnregion.

„Was ist das?“, fragte ich verwirrt.

„Wie es scheint, ist das eine Verkapselung irgendeines metallenen Gegenstands“, erklärte er daraufhin.

Dann schaute er meine Mutter an: „Hat Ihre Tochter sich früher öfter etwas in die Nase geschoben?“

Meine Mutter runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf: „Nein, nie.“

„Hat Ihre Tochter schon einmal eine OP in der Region gehabt?“

Abermals schüttelte sie den Kopf.

Der Arzt schien dies nicht zu glauben und hielt noch einmal das MRT-Bild hoch. „Das ist nicht möglich. Es sind Vernarbungen erkennbar, die nur von einer Operation stammen können.“

Nun sprang meine Mutter auf. Wild gestikulierend schrie sie den Arzt an: „Ich kenne meine Tochter und weiß, dass sie definitiv noch nie irgendwo operiert wurde. Sie war in ihrem ganzen Leben noch nicht einen Tag im Krankenhaus. Niemals!“

Mir stockte der Atem. Was bedeutete das? Was war das in meinem Kopf? Wenn ich nie operiert worden bin, waren es dann vielleicht diese … Wesen? Doch das war noch nicht alles. Der Arzt würde gleich etwas sagen, was alles, an das ich bisher geglaubt hatte, in sich zusammenfallen lassen würde: „Warum lügen Sie mich an? Natürlich wurde Ihre Tochter schon operiert. Scheinbar wissen Sie nicht, dass man während des Medizinstudiums in verschiedenen Fachrichtungen unterrichtet wird. Das ist eindeutig eine Narbe einer Knochenmarkpunktion, welche Ihre Tochter am rechten Schienbein hat.“

Erschrocken schaute ich hinunter und betrachtete mein Bein. Ich wusste nicht, woher ich diese Narbe hatte. Eigentlich dachte ich, sie wäre schon immer da gewesen. Zumindest konnte ich mich an keine Zeit erinnern, in der sie fehlte. Sie war schon immer ein Teil von mir. Waren die das etwa? Die Vorstellung, dass mich jemand aufgeschnitten hatte, ohne dass ich es gemerkt hatte, ließ mich erschauern.

Zum Glück zog meine Mutter in diesem Moment an meinem Arm und führte mich in Richtung Tür. „Komm, mein Schatz, wir gehen. Dieser Quacksalber wird dich nicht länger behandeln.“ Ich war unheimlich erleichtert, als wir endlich aus der Praxis heraus waren. Endlich konnte ich wieder atmen. Und auch meine Kopfschmerzen waren aus irgendeinem Grund plötzlich verschwunden. Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass dieser Arzt recht hatte. Diese Wesen hatten das mit mir gemacht …

Als wir nach Hause kamen, rannte meine Mutter sofort ins Haus und telefonierte alle möglichen Ärzte nach einem Termin für mich ab. Ich hingegen saß noch immer im Auto auf dem Beifahrersitz. Meine Gedanken überschlugen sich geradezu. Bis jetzt war ich eigentlich voller Hoffnung gewesen, dass diese Wesen vielleicht doch nicht so schlimm waren. Ich hatte darauf gefiebert, dass sie mich endlich wieder entführen würden. Ich hatte gehofft, dass ich mich dann endlich an alles erinnern würde. Doch nun hoffte ich das nicht mehr. Wollte ich mich tatsächlich an so etwas Schreckliches erinnern? Vielleicht hatte Dr. Müller recht und es wäre besser, wenn ich es vergessen würde. Ich stieg aus dem Auto aus. Mein Vater arbeitete im Garten. Ich ging zu ihm. Doch als ich sah, woran er arbeitete, erschrak ich für einen Moment. Es war die Stelle mit dem verbrannten Gras. Die Stelle war ein paar Tage später komplett abgestorben, und zwar in einem absolut geometrischen Kreis von ungefähr zweieinhalb Metern Durchmesser.

„So ein Mist. Ich versuche, seit zwei Jahren diesen verdammten Rasen zum Wachsen zu bringen, doch er weigert sich strickt“, fluchte mein Vater, eher an sich selbst gerichtet.

Bedrückt schaute ich ihn an. Doch er war viel zu beschäftigt, um es zu merken. Seit wir diese verbrannte Stelle im Garten hatten, mieden Tiere diesen Ort. Meine Freundin Eva hatte einen Hund, den sie früher immer mit hierhergebracht hatte. Doch er flippte seit dem Vorfall jedes Mal völlig aus. Deshalb gingen wir nun immer zu ihr nach Hause.

Nein, es konnte nicht so weitergehen. Ich musste einfach wissen, was sie wollten. Auch wenn es nichts Gutes sein sollte ...

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