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Kapitel 3: Unbekannter Helfer, 2050

UNBEKANNTER HELFER

Leipzig, 2050

Was ist nur mit Tommy los? Ich habe ihn mit den vielen toten Menschen, aufgrund der kontaminierten Nahrung konfrontiert und nun liest er meine Gedanken. „Was ist los?“, flüstere ich. Langsam macht mir sein Schweigen Angst. Einerseits hilft er mir, aber andererseits will er mir nicht sagen warum. Er schickt mir bereits seit einem Jahr wöchentlich Nahrung und Getränke in mein Postfach. Darin enthalten war stets ein Zettel, auf dem stand, dass ich nur im Notfall Nahrung aus meiner Level-Zuteilung essen soll. „Sie haben rausbekommen, dass du mir unbehandelte Nahrung zukommen lässt. Habe ich recht?“, frage ich ihn bedrückt. Doch Tommy runzelt lediglich die Stirn und schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst. Ich schicke dir keine Nahrung.“ Augenblicklich fällt meine Kinnlade nach unten. Meint er das ernst? Natürlich tut er das. Witze lagen ihm noch nie besonders. „Wa… Was? Aber wer ist es dann?“

Er zuckt mit den Schultern. „Ich habe gestern erst erfahren, dass dieses Wohngebiet überwacht wird.“ Fassungslos starre ich ihn an. Die ganze Zeit über dachte ich er sorgt sich um mich und möchte nicht, dass ich genauso verrecke, wie die anderen Menschen in den unteren Leveln. Enttäuschung macht sich in mir breit. „Und was soll ich jetzt tun?“, rufe ich ihm angesäuert entgegen.

„Halte dich einfach von jeglichen Erregern fern“, entgegnet er kühl und hebt dabei seinen Arm samt Call Strap hoch. Normalerweise kann dieses Gerät Hologramme erzeugen. Jeder hat mittlerweile so eines. Ohne geht es nun nicht mehr. Die Hologramme konnte man bis zu einem halben Meter groß werden lassen, doch dies taten nur die wenigsten. Der Energieverbrauch wäre viel zu hoch. Naja, und dann gab es noch die Personen wie Tom Reinhard, welche etwas zu verbergen hatten und deshalb nur äußerst selten mit Bildern arbeiteten.

„Ich muss jetzt wieder los“, fährt er emotionslos fort. Er gibt irgendetwas in seinen Call Strap ein. „Die Drohnen werden dich nun in Ruhe lassen. Ich habe sie informiert, dass du nun nach Hause gehst.“ Nachdenklich betrachte ich ihn. Er würde mir niemals etwas sagen. Es gibt einen Grund, warum er bei denen ein derart hohes Ansehen genießt. Er darf es mir nicht sagen und sie wüssten sofort, wenn er es doch täte. Ich seufze betont laut und frage mit extra traurigem Augenaufschlag: „Kannst du Jane bitte sagen, dass sie mich anrufen soll?“

Für einen Moment blitzt ein zartes Lächeln auf Tommys Gesicht auf. „Ja, ich werde es ihr ausrichten.“

Bedauernd schaue ich ihm in die Augen. Leider ist er die einzige Verbindung, die ich noch zu meiner Tochter habe. Soviel ich weiß, steht sie auf Level fünf, wie ich es ebenfalls einmal war. Ich muss sie unbedingt fragen, ob sie mir die Vorräte geschickt hat.

„Übrigens, ich habe gehört auf dem Land ist es ganz schön“, erklärt Tommy plötzlich und wendet sich bereits wieder zum Gehen in Richtung seines Shuttles. Mit überraschtem Blick schaue ich zu, wie er sich immer weiter von mir entfernt. Okay, das heißt in Tommy-Sprache definitiv, dass ich untertauchen muss. Zutiefst verwirrt mache ich mich nun ebenfalls auf den Weg.

Langsam wird es immer dunkler. Ich bin nur noch zwei Straßen von meinem Wohnhaus entfernt, als ich etwas ungewöhnlich Großes auf dem Fußweg liegen sehe. Ich laufe dorthin. Es ist eine ältere Frau. Eine Spur getrockneten Blutes zeichnet sich an ihrer Nase ab. Natürlich ist sie tot. Sie sind immer tot. In den letzten Jahren habe ich das schon viele Male erlebt. Sie sieht aus wie ein Mensch Level zwei. Es sind immer nur Menschen von Level eins bis drei, die so versterben. Mittlerweile erkenne ich sie auf den ersten Blick. Sie tragen eigentlich immer neutrale Kleidung und gehen stupide ihrem Tagewerk nach. Die höheren Level sind meist auffälliger und sehr viel ordentlicher gekleidet, so wie Tommy. Außerdem haben viele der niedrigeren Level ihren Call Strap bereits unter die Haut implantiert bekommen. Es vereinfacht die Dinge ungemein, da das Gerät mit dem Gehirn in Verbindung steht und all das tut, was der Träger will. Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, was manche Menschen bereit sind, für ihre Bequemlichkeit zu opfern. Mit meinem Call Strap rufe ich einen Medtransporter. Rettungswagen wäre mittlerweile definitiv der falsche Begriff dafür. Sie retten niemals jemanden von diesen Leuten.

Es dauert gerade mal eine Minute bis der Medtransporter eintrifft. Völlig lautlos und ohne Sirene kommt er vor mir zum Stehen.

Zwei automatisierte Einheiten kommen herausgelaufen. Im Gegensatz zu den Servicerobotern bestehen diese nicht nur aus Metall. Man hat ihnen einen Monitor als Kopf gegeben, welcher ein lächelndes Gesicht simuliert. Wortlos und ohne den Versuch der Wiederbelebung packen sie die Frau in den Transporter.

„Woran ist sie gestorben?“, rufe ich den Einheiten wütend entgegen. Das Gesicht von einer der Einheiten verschwindet kurz und geschriebener Text kommt auf dem Monitor zum Vorschein. Ein monotones „Gehen Sie bitte weiter“ schallt mir entgegen. Dann erscheint sogleich wieder das lachende Gesicht der Einheit und sie steigt in den Medtransporter ein.

Ab und zu ist auch schon ein Mensch dabei gewesen, wenn der Medtransporter gekommen ist. Doch diese reagieren meist nicht sonderlich anders als die Einheiten. „Herzversagen“, ist die Standardantwort der Menschen, gepaart mit einem Verdrehen der Augen. Als der Medtransporter weg ist, gehe ich weiter. Mittlerweile ist es dunkel geworden und es fängt an zu regnen. Die Wege, auf denen ich entlanglaufe, leuchten nun hell auf. Ich muss noch eine Straße weiter, bis ich an der Tarostraße ankomme. Damit ich nicht zu nass werde, laufe ich schneller. Prüfend schaue ich auf meinen Call Strap. Die App wird hochgezoomt. Über meinem Arm erscheint eine hell erleuchtete Abbildung meines leeren Nachrichteneingangs. Jane hat noch keine Nachricht für mich hinterlassen. Vielleicht hatte Tommy zu viel zu tun und konnte noch nicht mit ihr sprechen. Bestimmt hat sie mir die Vorräte geschickt. Wer sollte es sonst sein? Nun erreiche ich mein Wohnhaus. Mit meinem Call Strap öffne ich die Tür. Ich steige in einen klapprigen, alten Fahrstuhl ein und fahre in den elften Stock. Ein muffiger, altbekannter Geruch steigt mir in die Nase. Renoviert werden diese alten Bauten nicht mehr. Damals, als noch Überbevölkerung herrschte, hat man viel gebaut. Doch das ist lange her. Nun gibt es mehr als genug Wohnungen. Ich öffne die Tür meiner Wohnung und laufe schnurstracks zu meinem Esstisch. Ich streiche darüber, um mein Infocenter zu öffnen. Bei nochmaligem Streichen erscheint an meiner Wohnzimmerwand dieselbe Displayanzeige als Hologramm. Es zeigt mir mein Briefkastenfach. Doch außer einem kleinen Päckchen befindet sich nichts darin. Morgen könnte eine neue Vorratslieferung kommen. Diesmal werde ich beobachten, wer es bringt. Sendungen per Drohne werden stets von ihnen überwacht. Doch Jane könnte dies mit ihrem hohen Level veranlassen. Wenn jedoch jemand mit einem niedrigeren Level dahintersteckt, kommt er vermutlich persönlich, um seine Spuren zu verwischen. Ich bin schon sehr gespannt, wer mein geheimnisvoller Wohltäter wohl ist...

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