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Kapitel 4

Während ich dieses Bild weiter in den Händen hielt und es einfach nicht realisieren konnte, spürte ich Alexanders warme Hand auf meinem Rücken. Ich wusste nicht, ob er mir etwas sagte. Wenn ja, dann hörte ich es nicht. Alles was ich hörte war ein Rauschen, während die schwarzen Punkte langsam aber sicher mein Blickfeld einnahmen. Ich durfte jetzt nicht das Bewusstsein verlieren, ich musste mich zusammenreißen. Zittrig zwang ich mich einen tiefen Atemzug zu nehmen um wieder den Sauerstoff in meine Lungen zu lassen. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich die Luft angehalten hatte. Wie konnte das sein? Wie konnte meine Mutter unter den Opfern sein? Durch das Band konnte ich spüren, wie sehr mein aufgewühlten Zustand Alexander sorgen bereitete und das rüttelte mich noch zusätzlich wach. Die Wärme meiner Wölfin breitete sich in mir aus und ich wusste, sie lieh mir jetzt einen Teil ihrer Kraft um das hier durchzustehen. Ich erinnerte mich nicht wirklich an meine Mutter, doch ich wusste noch klar, dass die Zeit mit ihr die Schönste in meiner Kindheit gewesen war. Als sie noch gelebt hatte, war mein Vater ebenfalls liebevoll mit mir umgegangen. Sie hatte mir immer wunderbare Geschichten vorgelesen und mir gesagt, dass ich jemand besonderes war. Als Kind hatte ich ihr geglaubt und jetzt glaubte ich dank Alexander auch wieder daran. Mein Vater hatte immer mir die Schuld an ihrem Tod gegeben, obwohl ich bis heute nicht wusste, weshalb. Jetzt machte das Ganze sogar noch weniger Sinn. Was war mir ihr passiert? Wer hatte ihr das Ganze angetan?

»Bitte kleine Wölfin, rede mit mir«, drang endlich auch wieder Alexanders dunkle sorgenvolle Stimme zu mir durch. Blinzend sah ich ihm in die bronzenen Augen und griff nach seiner Hand, um sie fest in meiner zu halten. Das Bild hatte ich immer noch nicht loslassen können. Ich hatte in meiner Wohnung keine Bilder von meiner Mutter gehabt. Nach ihrem Tod hatte mein Vater beinahe jede Erinnerung an sie ausgelöscht. Aber ihr Gesicht hatte ich dennoch nie vergessen. Vor allem nicht, nachdem Charlotte ihr exaktes Ebenbild war. Isabell Scott war eine wunderschöne Frau gewesen und wie ich von Alexander erfahren hatte auch noch jung für eine Werwölfin. Sie hatten sie in so jungen Jahren einfach aus ihrem Leben gerissen. Von ihrem Gefährten und ihren Kindern. Ihrer Familie.

»Das ist meine Mutter«, schaffte ich es endlich leise zu flüstern und konnte nun doch nicht mehr von dem Bild wegsehen. Ein Tropfen fiel auf die Wange meiner Mutter und ich realisierte erst jetzt, dass ich weinte. Ich weinte und während immer mehr Tränen flossen, entkam mir jetzt auch ein leises Schluchzen aus der Kehle. Beinahe sofort spürte ich Alexanders schützende Arme um meine Schultern, während sich der kleine Körper von Mila an mich drückte. Alexander legte seine Stirn an meine und ich spürte durch unser Band, wie er versuchte mich zu beruhigen. Meine Wölfin nahm die Unterstützung unseres Gefährten mit Freuden an. Auch für sie war diese Gesamtsituation überfordernd und anstrengend. Ich hatte in der letzten Woche viel an ihren Kräften gezerrt und sie war aufgewühlt. Sie wollte rennen. Auch ich wollte einfach nur raus aus meiner Haut. So als wüsste Alexander ganz genau, wie es mir ging - wahrscheinlich tat er das auch – löste er sich leicht von mir.

»Komm, wir gehen rennen. Das wird dir gut tun.«

Wie gelähmt bekam ich mit, wie Alexander meine Hand nahm und mich mit sich zog. Dabei spürte ich den Blick der kleinsten Wölfin auf mir. Sie war durch den ganzen Trubel wieder aufgewacht und schien auch nicht zu wissen, wie sie mit diesen Situation am besten umgehen sollte.

»Wir können jetzt nicht gehen«, protestierte ich schwach, obwohl ich es nicht wollte. »Wir müssen zu Agatha.«

»Agatha kann warten.«

Alexanders Stimme klang bestimmend und auch wenn ich nicht derselben Meinung war, hatte ich nicht die Kraft etwas dagegen zu sagen. Ich konnte die Blicke der Werwölfe spüren, an denen wir im Haus vorbeiliefen. Niemand hielt uns auf, natürlich nicht. Wer würde sich Alexander schon in den Weg stellen? Nicht einmal Hogan sagte etwas, als wir ihn einfach stehen ließen. Er nickte Alexander einfach nur zu und senkte schließlich respektvoll seinen Kopf. Kurz hielt mein Gefährt inne und schien zu zögern.

»Hier, nimm das Kind.« Er übergab Mila, die die Gesamtsituation verwirrt beobachtete, sich aber nicht dagegen sträubte. Sie schien zu spüren, dass sie bei diesem Alpha genauso sicher war, wie bei Alexander. Währenddessen hatte ich einfach nur dastehen können, ohne etwas zu tun. Was war nur los mit mir? Ich konnte Hogans besorgten Blick auf mir spüren, ebenso wie die der anderen Wölfe und ich fühlte mich einfach nur egoistisch. Hier ging es nicht um mich. Wir waren hier um diesem Rudel zu helfen ihre Luna wiederzufinden. Dennoch konnte ich mich immer noch nicht gegen Alexander wehren. Etwas tief in mir ließ mich nicht. Meine Wölfin wusste, dass ich es brauchte. Als ich das Gesicht meiner Mutter gesehen hatte, war etwas in mir zerstört worden und ich musste es rauslassen. Irgendwie. Die Wölfe draußen verschwanden, sobald sie uns sahen und es war mir lieber. Ich wusste, dass es Alexander egal war, wenn ihn andere nackt sahen, aber mir war es nicht egal. Ich konnte es noch nicht. Keine Ahnung ob ich es jemals könnte. Wie in Trace zog ich meine Kleider aus und warf sie einfach auf den Boden.

Die Verwandlung lief diesmal einfacher ab als meine Erste. Ich schloss einfach die Augen und ließ meine Wölfin komplett übernehmen. Sie wusste, was ich brauchte. Sie wusste, was sie tun musste, damit es uns besser ging. Während ich tief durchatmete spürte ich den nicht mehr unbekannten Schmerz durch meinen Körper wandern und hieß ihn willkommen. Er lenkte mich von dem ab, was ich gesehen hatte. Keine Augenblicke später öffnete ich meine Augen wieder und sah den Wald durch die Augen meiner Wölfin. Ich konnte es nicht verhindern, dass es mich einmal schüttelte, bevor ich mit wackligen Beinen aufstand. Als ich meinen Kopf leicht drehte, stand ich Schnauze an Schnauze mit Alexander. Seine Augen waren wunderschön, ein tiefes Gelb, dass alles einzunehmen schien. Während meine erste Verwandlung spielerisch abgelaufen war, war hierbei rein gar nichts mehr spielerisch. Alexander wusste, wie es in mir aussah, obwohl ich es selbst nicht sagen konnte. Er verpasste mir einen sanften aber bestimmten Schubser näher hinein in den Wald und das war Aufforderung genug für mich. Ich lief los ohne mich umzudrehen und ohne genau zu wissen wohin. Es interessierte mich auch nicht. Innerlich kapselte ich mich vollkommen ab und ließ mich von der Sicherheit und Geborgenheit meiner Wölfin einnehmen. Sie schaffte das alles. Sie war stark und würde durchhalten. Alexander war nie weit entfernt von mir, denn ich konnte ihn immer nahe an mir spüren, obwohl er mich in Ruhe ließ. Ich konnte nicht sagen, wie lange ich rannte. Es hätten Tage sein können. Irgendwann war meine Energie schließlich aufgebraucht und ich ließ mich hechelnd auf die Erde plumpsen. Der Wald um uns herum war immer dichter geworden und ich hatte vollkommen die Orientierung verloren. Aber das war egal, denn Alexander ließ sich neben mich auf dem Boden nieder. Während ich komplett erledigt war, schnaufte er nicht einmal, sondern behielt einfach nur die Umgebung aufmerksam im Auge. Sein Wolf sah einfach nur wunderschön aus und ich war mir unsicher, wie viel Mensch und wie viel Wolf momentan in ihm war. Göttin, ich wusste nicht einmal, wie viel Mensch ich gerade war. Die Tatsache, dass meine Wölfin sich jetzt mit dem Rücken an ihn schmiegte und angestrengt ausatmete, sagte mir, dass meine Wölfin eher die Kontrolle über diesen Körper hatte. Alexander sah mich nur kurz von der Seite an und wandte sich dann wieder der Umgebung zu. Das gefiel meiner Wölfin überhaupt nicht, denn sie schnaubte und rappelte sich wieder auf die Beine. Sie schien aufgebracht darüber, dass ihr Gefährte ihr so wenig Aufmerksamkeit schenkte. Auch ich wunderte mich, denn das war untypisch für Alexander. Normalerweise ließ er keine Möglichkeit aus, um mich irgendwie zu berühren. Meine Wölfin fiepte diesmal laut auf und gab ihrem Gefährten einen Stups mit der Nase gegen den Kopf. Und tatsächlich bekam sie auch eine Reaktion, aber nicht die, die sie erwartet hatte. Alexander knurrte leise und zeigte deutlich seine Zähne. Was war nur los mit ihm? Früher hätte mir dieses Verhalten vielleicht Angst gemacht, aber jetzt nicht mehr. Vor Alexander fürchtete ich mich nicht, ich war eher besorgt. Durch das Band spürte ich keine Wut von seiner Seite aus, eher eine tiefe Unruhe. Verwirrt über sein Verhalten knurrte ich leise zurück, weil ich sonst nicht wusste, was ich tun sollte. Ungläubig sah Alexander mich an und ich konnte sehen, wie seine Augen sich verdunkelten. Wieder kam ein tiefes Geräusch aus seiner Kehle und während mein erster Gedanke war, dass er mich wieder anknurrte, lachte der Mistkerl. Ich konnte den Funken von Heiterkeit deutlich spüren. Beleidigt über sein Verhalten ließ ich mich ein paar Schritte von ihm weg wieder auf den Boden plumpsen. So sehr es mir auch gefiel eine Wölfin zu sein, wollte ich jetzt einfach nur meine menschlichen Arme um Alexander legen und mein Gesicht in sein Fell vergraben. Also begann ich mich zurück zu verwandeln. Die Verwandlung von Wolf zu Mensch war genauso unangenehm wie umgekehrt, aber ich hatte schon schlimmere Schmerzen ertragen müssen. Während ich also spürte, wie sich mein Fell zurück in Haut verwandelte, spürte ich auch Alexanders glühenden Blick auf mir. Ich wusste nicht, ob er sich auch zurückverwandeln würde, aber es schien nicht danach auszusehen. Nein, er lag einfach nur da und beobachtete mich, während seine Ohren aufmerksam hin und her zuckten. Keuchend lag ich schließlich auf der weichen Wiese und unterdrückte ein frösteln. Es war zwar etwas wärmer geworden am Nachmittag, aber meine Haut fühlte sich so wund an, dass jeder Windhauch zu viel war. Alexander hatte mir schon letztes Mal erklärt, dass es nicht so bleiben würde, nichtsdestotrotz war es unangenehm. Während ich mich zittrig aufsetzte, beobachtete Alexander mich einfach weiterhin und schien keinen Anstalt zu machen, sich vom Fleck zu bewegen. Sollte mir recht sein. Irgendwie schaffte ich es tatsächlich aufzustehen und stolperte auf ihn zu. Bevor ich endgültig fallen konnte, kam Alexander mir mit seinem Körper auf halben Weg entgegen und ich landete in seinem weichen Fell. Er roch so wunderbar nach Wolf und Wald und ich seufzte zufrieden auf. Alexander ließ sich wieder auf den Boden sinken und zog mich mit sich. Und während ich so an ihn gekuschelt da lag, schloss ich meine Augen und lauschte einfach nur den Geräuschen des Waldes. Am liebsten würde ich für immer hier bleiben.

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