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Kapitel 5

Ich wusste nicht, wie lange ich so dalag, mit meinem Gesicht in Alexanders Fell vergraben. Innerlich war ich nun endlich etwas ruhiger und mein Kopf klarer. Der Schock über das Bild meiner Mutter war zwar noch da, aber nicht mehr so überwältigend wie zuvor. Alexander atmete ruhig ein und aus und ich war mir sicher, dass ich, dank ihm, ein kleines Nickerchen gemacht hatte. Währenddessen hatte mein Gefährte auf mich aufgepasst. Es war schön nicht mehr in Angst vor dem eigenen Schatten leben zu müssen, obwohl ich im Hinterkopf doch noch die Befürchtung hatte, dass mich jemand aus diesem Leben reißen könnte. Doch ich wusste auch, so lange Alexander bei mir war, musste ich mir keine Sorgen machen. Gähnend setzte ich mich auf und strich mir ein paar verirrte Haare aus dem Gesicht. Es war jetzt doch recht frisch geworden und eine Gänsehaut breitete sich über meinen Körper aus. Die Sonne war über die Bäume gesunken und hüllte den Wald nun in sanftes Dämmerlicht. Wir hatten Mila bereits viel zu lange bei Hogan gelassen und mussten langsam wieder zurück. So gerne ich mich auch verwandeln wollen würde, alleine könnte ich es wahrscheinlich nicht, aber wir mussten langsam los. Es war noch so viel zu erledigen heute. Den Besuch bei Agatha müssten wir auf morgen früh verschieben, doch bevor ich wirklich schlafen gehen konnte, musste ich mit Alexander ein Gespräch über meine Mutter führen. Ich konnte immer noch nicht verstehen, was sie mit diesen Leuten zu tun haben konnte. War sie damals auch ein Opfer gewesen? War sie deswegen gestorben? So viele Fragen und der Einzige, der mir einen Teil davon beantworten konnte, war mein Vater. Mit vorsichtigen Fingern strich ich über das weiche Fell meines Gefährten und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

»Alexander, kannst du dich bitte zurück verwandeln? Ich würde gerne mit dir reden«, murmelte ich leise, wusste aber, dass er mich hören würde. Ich hatte jetzt genug in Selbstmitleid gebadet, es gab wichtigere Dinge zu tun. Meghan finden und die anderen Opfer befreien. Doch ich brauchte meinen Gefährten um mich wieder in meine Wölfin zu verwandeln. Alexander hatte mich gehört, da war ich mir sicher, doch die Einzige Reaktion, die ich von ihm bekam war ein tiefes Brummen. Dennoch blieb er so wie er war. Stirnrunzelnd setze ich mich auf und versuchte meinem Gefährten in sein Gesicht zu sehen, aber Alexander sah einfach weiter stur in den Wald. Was war nur los mit ihm?

»Alexander?«

Langsam stand ich auf und kniete mich vor sein Gesicht. Immer noch sah er mich nicht an und langsam machte mir das Sorgen. Ich nahm sein Gesicht zärtlich in meine Hände und versuchte in seine gelben Augen zu sehen. Endlich sah auch er mich an und lächelnd drückte ich ihm einen Kuss auf die feuchte Nase.

»Was ist los? Verwandle dich doch bitte zurück, ich muss mit dir reden.« Zwar sah Alexander mir jetzt ins Gesicht, es schien aber nichts menschliches mehr in seinen Augen zu sein. Hatte sein Wolf vollkommen die Kontrolle über ihn übernommen? Ich horchte in mich hinein und auch meine Wölfin schien derselben Meinung zu sein. Das war nicht gut. War irgendetwas passiert, als ich geschlafen hatte? Nein, ich hätte sicher mitbekommen, wenn er sich bewegt hätte. Seufzend lasse ich sein Gesicht wieder los. Wenn er sich nicht verwandeln wollte, musste ich es selbst probieren. Ich bin zu weit in meiner Wolfsgestalt gerannt, um zu Fuß wieder zurückgekommen und ich hatte keine Ahnung, wo ich mich momentan befand. Tief atmete ich durch und schloss die Augen. So schwer konnte es nicht sein sich zu verwandeln, schließlich war es etwas vollkommen natürliches. Aber so sehr ich auch versuchte, meine Wölfin aus mir raus zu kitzeln, sie weigerte sich. Nach mehreren Minuten, in denen ich dastand wie ein nackter Depp, gab ich es schließlich auf und öffnete wieder meine Augen. Es hatte keinen Zweck, ich brauchte Alexander. Der hatte mich derweil nicht aus den Augen gelassen und seine gelben Augen funkelten wölfisch. Ich versuchte nicht rot zu werden, aber es war sinnlos. Die Hitze schoss durch meinen Körper und ich war mir sicher, dass sich die röte bis zu meinen Zehen ausgebreitet hatte. Ja, er hatte mich schon nackt gesehen, aber ich hatte mich noch nie so ausgeliefert gefühlt. Beschämt verschränkte ich die Arme vor der Brust und ging in die Hocke. Weiterhin beobachtete mich Alexander ausdruckslos und ich versuchte wenigstens durch unser Band seine Gefühle zu identifizieren, aber ich spürte nur Entschlossenheit. Entschlossenheit wofür? Was war nur in ihn gefahren? »Alexander komm schon, ich brauche hier wirklich deine Hilfe. Wir müssen zurück und du siehst doch, dass ich es, ohne dich, nicht schaffe mich zu verwandeln. Bitte, reagier irgendwie. Du machst mir langsam ziemlich Angst.«

Ich konnte selber hören, wie weinerlich meine Stimme klang, aber das war mir jetzt egal. Ich wollte mir meinen Gefährten reden. Alexander schien mich zwar anzusehen, aber nicht wirklich wahrzunehmen, jedenfalls reagierte er nicht auf meine Worte. Stattdessen richtete sich sein Blick wieder zurück zum Wald. Okay, irgendetwas musste dort sein. Irgendetwas war dort, dass dafür sorgte, dass er sich so verhielt. Ich musste nachsehen, was dort los war. Zwar schämte ich mich ein wenig für mein nicht vorhandenes Outfit, aber das war jetzt nicht wichtig. Nach einem letzten Blick in Richtung des schwarzen Wolfes erhob ich mich wieder und ging, mit meinen Armen vor der Brust, in Richtung des Waldes. Oder eher wollte ich es. Alexander schien von meinem Plan weniger angetan zu sein, denn bevor ich auch nur einen Schritt tiefer in den Wald, weg von unserem Platz, machen konnte, stand Alexander schon vor mir. Er war ein sehr großer Wolf und selbst im Stehen überragte er mich um weiten. Alexander versperrte mir eindeutig den Weg, was einfach nur lächerlich war. Er wollte nicht mit mir reden, also musste ich selbst nachsehen. Während ich also einen Schritt zur Seite machte, um an ihm vorbeizugehen, machte Alexander ebenfalls einen Schritt. Seine gelben Augen hielt er weiterhin auf mein Gesicht gerichtet und ich hob provozierend das Kinn.

»Lass den Kindergarten. Ich will doch bloß nachsehen, was dich so aufregt.« Konnte er mich denn gar nicht verstehen? Langsam aber sicher wurde ich unruhiger. Es wurde immer dunkler und wir mussten dringend zurück. Mila wartete auf uns und auch Hogan hatten wir mit seinen Problemen alleine gelassen. Oh Göttin, wie egoistisch von mir. Während Hogan zusammen mit unserer Kleinen im Rudelhaus gewesen war und überlegt hatte, wie wir seine Gefährtin wiederfinden konnten, hatte ich hier ein Schläfchen gehalten. Beschämt schloss ich die Augen und um-armte mich selbst. Wie konnte ich mich nur so egoistisch verhalten? Und auch Alexander scheint keinen weiteren Gedanken an die anderen verschwendet zu haben. Sein Fokus lag gerade nur auf mir und ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte, um das zu ändern. Nachdenken Elisabeth. Es musste einfach ein Möglichkeit geben Alexander wieder aus dem Wolf herauszubekommen. Die Idee die mir kam war vielleicht nicht die klügste, aber eine bessere hatte ich nicht. Wir konnten schließlich nicht ewig hier bleiben und ich wusste auch nicht, wann Alexander sich doch dazu entschließen würde, sich zurück zu verwandeln. Also tat ich etwas sehr dummes. Ich drehte mich um und begann zu rennen. Weg von Alexander, tiefer in den Wald. Mir war klar, dass er das nicht erwartet hatte und es ihm nicht gefallen würde, dennoch bereitete mir das dunkle aufgebrachte Knurren hinter mir eine Gänsehaut. Er hatte mich bereits einmal davor gewarnt vor ihm wegzurennen, damals bei unserem ersten Streit. Doch meine Gründe heute waren ganz andere. Während mich an dem Tag die Angst und Panik dazu getrieben hatte zu rennen, war das heute nicht der Fall. Ich wollte meinen Alexander zurück und irgendwie musste ich ihn aus der Reserve locken. Wenn er mich fing, und das würde er, denn ich war nicht einmal ansatzweise so schnell wie es, hatte ich keine Angst mehr vor ihm. Ich wusste, dass Alexander mir nicht weh tun würde. Niemals. Also rannte ich, obwohl meine Beine zitterten und meine Lunge brannte. Meine Kraft nach der Verwandlung war noch nicht wieder zurück, aber ich bemühte mich nicht langsamer zu werden, während ich Bäumen auswich und versuchte nicht zu stolpern. Hinter mir heute ich das Tapsen von Pfoten auf dem Waldboden und mir war klar, dass Alexander dicht hinter mir war. Ich würde ihm nicht entkommen können, aber das wollte ich auch nicht. Mein Ziel war es, ihn mit dieser Jagd von dort wegzuholen. Ihn irgendwie wieder wachzurütteln. Durch unser Band spürte ich seine Verwirrtheit und auch wenn ich erwartete hätte, dass er mich schnell wieder einfing, ließ er sich überraschend viel Zeit. Immer mal wieder schien er seine Schritte zu verlangsamen und mir einen Vorsprung zu geben. Das war eigentlich nicht der Sinn davon. Doch dann war der Punkt für mich erreicht, an dem ich einfach keine Energie mehr hatte. Immer mehr Sterne begannen in meinen Augenwinkeln zu tanzen und bevor ich über die nächste Wurzel stolpern konnte, landete ich auch schon in starken Armen. Menschliche Arme. Endlich. Ich hob mein Gesicht, doch statt in die bronzefarbenen Augen von Alexander zu sehen, sah ich in das Gesicht meines Gefährten, dessen Augen strahlend gelb leuchteten. Auch das Grinsend, welches er mir nun schenkte, war durch und durch wölfisch. Verdammt.

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