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Kapitel 2

Das Auto kam langsam zum Stillstand und ich versuchte verzweifelt gegen die bleiende Müdigkeit anzukämpfen. Price war am Eingang des Hotels zu uns gestoßen und saß jetzt neben dem Beta, während Alexander hinten bei mir und der Kleinen war. Ich hatte meinen Kopf an seine Schulter gelehnt und vor mich hin gedämmert, während die wunderschöne, bunte Herbstlandschaft von Texas an mir vorbeizog. Auch wenn wir eigentlich November hatten, sah man das Texas nicht wirklich an. Die leise Musik aus dem Radio hatte mich schließlich eingelullt. Mein Körper hatte das zurückverlangt, was es die letzten Tage nicht bekommen hatte. Nun rieb ich mir Gähnend die Augen und sah wieder aus dem Fenster. Wir waren in einem kleinen Wald, gut geeignet für die Rudelmitglieder um zu rennen. Der Fahrer öffnete mir die Tür und streckte seine Hand aus, um mir beim Aussteigen behilflich zu sein. Dabei blieb seine Miene vollkommen regungslos, was mich innerlich zum Stirnrunzeln brachte. Irgendwie fand ich das seltsam, konnte aber nicht sagen weshalb. Derweil kümmerte sich Alexander um die Kleine, die auf seiner Brust weiter schlummerte. Sie hatte ihren Daumen in den Mund gesteckt und kuschelte sich an meinen Gefährten. Die weiße Haustür des großen dunkelbraunen Hauses öffnete sich und ein Mann mittleren Alters kam mit einem ernsten Gesichtsausdruck nach draußen. Seine kurzen Haare waren an den Schläfen bereits ergraut und um seine Augen herum konnte ich kleine Fältchen erkennen. Price hatte sich vor mich gestellt und ich konnte spüren, dass er seine Umwelt wachsam beobachtete. Der Alpha von Texas senkte leicht seinen Kopf, während er uns weiter ansah.

»Alpha. Luna, ich hätte mir gewünscht, dass wir uns unter besseren Umständen kennenlernen würden.«

Seine Stimme klang dunkel und ich konnte den Schmerz in seinen Augen sehen. Dieser Mann hatte seine Gefährtin verloren und das sah man ihm deutlich an.

»Hallo Alpha, es freut mich Euch kennenzulernen«, murmelte ich und musste mich bemühen, nicht demütig den Kopf zu senken. »Bitte Luna, Ihr müsst nicht so förmlich mit mir sprechen. Nennt mich bitte Hogan.« Er lächelte mich leicht an und ein Teil meiner Anspannung fiel von mir. »Gerne, aber dann nenn mich bitte auch Elisabeth.«

Ich konnte Alexanders Belustigung deutlich spüren, aber er verkniff sich jegliche Bemerkung. Stattdessen ging er auf den anderen Alpha zu und reichte ihm seine freie Hand. »Hallo Hogan. Es tut mir leid, was passiert ist. Ich kann dir versprechen, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um deine Gefährtin zu finden.« Hogans Gesichtsausdruck hatte nun jegliche Emotionen verloren, während er die Hand seines Alphas schüttelte. Es schien, als wollte er sich seinen Schmerz nicht anmerken lassen. Er tat mir unglaublich leid. »Lasst uns rein gehen, dort wartet bereits Kaffee und Tee auf uns. Ihr habt bestimmt noch nichts gegessen. Ethan, park bitte das Auto und komm dann ebenfalls rein.«

Der junge Beta, der uns hier her gefahren hatte, nickte seinem Alpha zu und stieg wieder in das Auto. Mein Vater hatte nie so respektvoll mit denen gesprochen, die unter ihm gewesen waren. Hogan schien ein richtiger Alpha zu sein, denn er wurde respektiert, nicht gefürchtet. Hogan bedeutete uns, vor ihm ins Haus zu gehen und nach einem unsicheren Blick in Richtung meines Gefährten ging ich voraus. »Soll ich die Kleine nehmen?«, hörte ich Prices Stimme, wusste aber, dass es nicht funktionieren würde. Die Kleine wollte entweder bei mir oder Alexander sein, alle anderen schienen ihr nicht sicher genug und das zeigte sie deutlich. Price hatte schon einige Bisspuren von ihr abbekommen. »Das Haus ist wirklich wunderschön«, sagte ich an Hogan gewandt, während ich mich umsah. Vieles war aus altem Holz gemacht und hatte einen tollen Charme. Das Haus musste sicher ein paar Hundert Jahre alt sein. »Vielen Dank. Meine Gefährtin hat es eingerichtet.« Seine Stimme klang gepresst und ein Teil von mir wollte sich entschuldigen, aber ich biss mir auf die Lippen. Meine Entschuldigung würden ihm nichts bringen, wichtig war bloß seine Gefährtin wieder zu finden. Und das würden wir.

Der Alpha führte uns direkt in das große und geräumige Wohnzimmer, in dunklen Rottönen und wir setzten uns gemeinsam an den gläsernen Tisch. Eine junge Wölfin, mit Besorgnis in ihren Augen, reichte jedem von uns eine Tasse und bevor ich mich bedanken konnte, war sie aber auch schon wieder verschwunden. Auf dem Tisch lagen verschiedene Kekse und Sandwiches und Alexander bediente sich sofort, während er der Kleine einen Schokoladenkeks gab, an dem sie knabberte. Ich selbst schenkte mir einen Früchtetee ein, während ich darauf wartete, dass der Alpha anfing zu sprechen. Ich hatte zwar keine Idee, wie genau wir helfen konnten, aber Alexander hatte mich schließlich auch gefunden. Es war möglich. Hogan selbst saß einfach nur da und sah die Kleine an, die in Alexanders Armen saß. Wir hatten ihm nicht erklärt, wer sie war und er hatte nicht gefragt. Doch es war verständlich, dass er neugierig sein musste. Nun lehnte er sich ein wenig vor und sah die Kleine genau an.

»Und wie ist dein Name«, fragte er in einem freundlichem Tonfall und lächelte sie an. Doch bevor ich ihm sagen konnte, dass sie nicht sprach, hörte ich es. Eine leise unsichere Stimme.

»Mila.«

Sie hatte es nur vor sich hin gemurmelt, aber wir alle hatten es deutlich gehört. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte vor Freude geschrien, aber ich hielt mich zurück. Stattdessen warf ich Alexander einen glücklichen Blick zu, den er erstaunt erwiderte. Sie hatte wirklich gesprochen. Es war nicht viel, aber anscheinend fühlte sie sich endlich wohl genug, um zu sprechen. Ich konnte es mir nicht erklären und ein kleiner Teil von mir war eifersüchtig darauf, dass Hogan ihre ersten Worte entlocken konnte, aber ich war glücklich ihre Stimme zu hören. »Ein wirklich schöner Name. Schmeckt dir der Keks?«

Anscheinend hatte die Kleine, Mila ermahnte ich mich ihren Namen zu benutzen, genug davon zu sprechen, denn sie nickte nur und biss ein weiteres Mal ab. »Ich möchte nicht unverschämt sein, aber darf ich fragen, wer dieses Kind ist?« Hogan wandte seinen Blick von mir zu Alexander. Ich schwieg. Was sollte ich dazu sagen? Was konnte ich sagen? »Du weißt, dass meine Gefährtin, deine Luna, ebenfalls entführt worden ist?«, fragte Alexander und der andere Mann nickte. »Sie war nicht alleine dort gefangen. Dieses Kind war unteranderem mit ihr eingesperrt.«

Alexander schien der Meinung zu sein, dass dies als Antwort reichte, denn er nahm sich einfach sein nächstes Sandwichs. Hogan rieb sich sein Kinn und runzelte die Stirn, während ich Price einen kurzen Blick zu warf, der ruhig an der Tür stand und den Raum genau zu beobachten schien.

»Hogan, wann genau ist deine Gefährtin verschwunden?«, fragte ich schließlich leise und sah dem Alpha in die Augen.

»Maggie ist vor vier Tagen runter in die Stadt gefahren und nicht mehr zurück gekommen. Den Wolf, der mit ihr gekommen ist, haben wir blutend im Wald gefunden. Er erinnert sich an nichts.«

Ähnlich wie bei mir. Mich hatten sie mitgenommen und den kleinen Jungen, den Sohn unseres Betas, dort gelassen. Zum Glück hatten sie ihm nichts weiter angetan. Es war schon schlimm genug so etwas mitzuerleben. Alexander seufzte. »So etwas hätte nicht passieren dürfen. Mein Beta befragt bereits unsere Rudelmitglieder, denn ohne einen Verräter, wäre das nicht möglich gewesen. Du solltest ebenfalls dein Rudel genau unter die Lupe nehmen. Jemand ist verantwortlich dafür, dass unsere Gefährtinnen entführt werden und dieser Jemand wird dafür bezahlen.« Ein Verräter? Wieder sah ich Price an, aber für ihn schien es keine neue Information zu sein, denn er nickte mir nur leicht zu. »Ein Verräter?«, fragte ich leise und sah meinen Gefährten an. »Bist du dir sicher?«

»Ja, leider. Und es sind mit Sicherheit mehrere daran beteiligt. Thomas tut bereits alles, damit wir alle wieder in Sicherheit sind. Auch deine Gefährtin werden wir wiederfinden mein Freund.«

»Und wie sollen wir das tun? Wie hast du deine Gefährtin wieder gefunden?«

»Mit Hilfe eines Hexers.«

Hogan sah mehr als überrascht aus. »Ein Hexer? Ich dachte du hasst diese Wesen?«

»Manchmal muss man mit Leuten zusammenarbeiten, die man verabscheut um das zu erreichen, was man braucht. Meine Priorität war es, Elisabeth zu finden. Egal wie. Ich würde dir das ebenfalls raten. Elisabeth und ich haben vielleicht eine andere Verbindung zu einander, als du und deine Gefährtin, aber wir müssen es probieren.«

Hogan seufzte tief durch und nahm einen Schluck aus seiner Tasse. »Wenn du, mein Alpha, sagst, dass ein Hexer mir helfen kann, dann werde ich ihn in meinem Heim herzlich willkommen heißen.«

»Hast du einen Hexer oder eine Hexe der du vertraust? Jemand, den deine Gefährtin bereits kennt? Das würde den Zauber sicher erleichtern.«

»Es gibt hier eine alte Hexe«, sagte Hogan nachdenklich, während er sich über sein Kinn fuhr »Maggie ist ein paar Mal bei ihr vorbeigegangen und hat ihr Dinge vorbeigebracht. Vielleicht wäre sie tatsächlich bereit, uns zu helfen.«

Mila seufzte einmal laut auf und lehnte sich angestrengt an die Brust meines Gefährten. Sie schien wieder müde zu sein und langsam machte ich mir sorgen, dass sie doch wieder krank werden würde. Die Dinge die sie erlebt hatte, konnten nicht spurlos an ihr vorbeigezogen sein. Alexander strich ihr beruhigend über den Rücken, während er nickte. »Frage sie. Mach ihr bewusst, wie wichtig ihre Hilfe für uns ist. Für dich. Für Maggie.« Hogan schloss die Augen und bevor ich mich zurückhalten konnte, legte ich ihm meine Hand auf den Arm. Ich konnte spüren, wie schlecht es ihm ging. Wie sehr er litt. Und auch wenn ich nicht viel tun konnte, ein wenig Trost konnte ich ihm spenden.

»Es wird alles gut. Deine Gefährtin ist stark. Sie wird das schaffen.« Hogan öffnete wieder seine Augen und sah mich an. »Was werden sie mit ihr machen Luna?«

Durch unsere Verbindung konnte ich spüren, dass die Frage Alexander nicht gefiel, aber er sagte nichts. Ich wollte Hogan die Wahrheit sagen, sagen, was sie mir und Kate angetan hatten, aber was würde es ihm bringen? Er würde sich nur noch mehr Sorgen machen. Außerdem war ich nicht einmal sicher, was genau passiert war. Mein Kopf schien sich nicht daran erinnern zu wollen. Und woher sollte ich wissen, ob seine Gefährtin dieselben Dinge erleben würde wie ich? »Es tut mir leid, aber ich kann es dir nicht sagen. Vieles ist verschwommen und ich habe die meiste Zeit über nur geschlafen. Aber ich habe es durchgestanden und sie wird es auch«, versicherte ich ihm noch einmal. »Ich hoffe es. Meine Frau ist eine mutige und herzensgute Wölfin. Eine starke Omega, wie du.« Eine Omega. Mein Blick wechselte von Price zu Alexander und beide hatten sich nach vorne gelehnt und sahen Hogan nun mit gerunzelter Stirn an. »Was sagst du da?«, fragte Alexander noch einmal mit ruhiger Stimme nach. »Verzeih Alpha, ich wollte nicht respektlos erscheinen, indem ich unsere Gefährtinnen vergleichen.« Hogan senkte den Kopf ergeben, während Alexander nur den Kopf schüttelte. »Nein, dass meine ich nicht. Meghan ist eine Omega?«

»Ja, meine Gefährtin ist eine Omega.« Hogan schien sichtlich verwirrt über die Frage, aber für uns war es eine wichtige neue Information. Noch eine Omega Wölfin war entführt worden. Aber warum? Was wollten sie mit uns anstellen? Wofür brauchten sie Wölfe wie uns? Und wer aus unserem Rudel könnte einem anderen Wolf so etwas antun?

»Hogan, das ist eine verdammt wichtige Information für uns. Price, ruf Thomas an. Er soll sich unter den befreiten Wölfen danach erkundigen, ob jemand ein Omega ist. Es kann kein Zufall sein.« Price nickte und verließ den Raum wieder, sein Handy bereits gezückt. So eines bräuchte ich auch noch. Hogan und Alexander unterhielten sich weiter darüber, wie sie die Hexe der Stadt am besten an Bord holen konnten und mein Kopf schaltete auf Durchzug. Ich war wieder so furchtbar müde. Bevor ich noch einschlief, bei so einem ernsten Thema, stand ich auf. Alexander warf mir einen besorgten Blick zu, aber ich lächelte bloß entschuldigend.

»Kannst du mir sagen, wo die Toilette ist?«, fragte ich Hogan. »Gerade heraus und die Tür links, Luna.«

Innerlich seufzte ich über diesen Titel, sagte aber nichts weiter dazu. Ich hatte ihm meinen Namen angeboten, mehr konnte ich nicht tun, auch wenn ich mich dabei unwohl fühlte. Also ließ ich die beiden Alphas alleine sitzen.

Die verschiedenen Bilder, die an der Wand hingen, zeigten Hogan und seine Gefährtin während verschiedener schöner Momente in ihrem Leben. Auf dem einen Bild konnte ich Hogan und Maggie sehen, wie sie glücklich am Meer standen und einander ansahen. Doch an einem Bild blieb ich besonders hängen. Darauf war Maggie, in einem wunderschönen weißen Hochzeitskleid, während Hogan, in einem tiefschwarzen Anzug, seine Arme von hinten um sie gelegt hatte. Beide hatten freudestrahlende, leuchtende Augen und das Lächeln auf Maggies Gesicht war wunderschön. Sie waren einfach ein traumhaftes Paar. Ob Alexander und ich ebenfalls so für andere aussahen? Ich hoffte es. Wir hatten noch nicht viele solcher schönen Momente gehabt, geschweige denn Bilder davon. Ob wir auch irgendwann einmal heiraten würden? Alexander und ich? Nach den Gesetzten der Wölfe waren wir bereits verheiratet, denn wir waren Gefährten, aber ein Teil von mir wollte mehr. Ein Hochzeitskleid, einen Ring, eine Feier. Doch jetzt war weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit dafür. Vielleicht irgendwann einmal. Obwohl es mir schwer fiel, den Blick von den Bildern zu wenden, tat ich es und ging ins Badezimmer.

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