Kapitel 5: Purple River
LUCA
Das war mal eine Party. Meine Mum stand mit Damien's Eltern Sandra und Thomas und ein paar anderen Nachbarn aus unserer Straße in einer Ecke des Wohnzimmers und führte eine schon sehr lange Unterhaltung. Emilia hatte sich mit dem älteren Bruder von Damien verzogen. Er hieß Corey und war Zweiundzwanzig. Und genau Emi's Fall. Was die Zwei taten, wusste ich nicht und ich wollte es auch nicht wissen.
Ich hing derweil mit Damien in seinem Zimmer ab. Er hatte Musik laufen und unterhielt sich mit mir. Zumindest versuchte er es. Flo und Marty waren im Garten. Lucas und Angelina noch nicht da. Ich war tierisch nervös.
"Willst du was zocken?", fragte Damien mich irgendwann.
Ich schrak zusammen.
"Was?"
"Hast du mir überhaupt bei irgendwas zugehört?", fragte er mich und sah mich Ernst dabei an.
"Ehm, nein. Entschuldige."
Er lachte.
"Das war nur Spaß. Warum bist du denn so abwesend?"
"Oh ich... hab nur nachgedacht."
"Und worüber?"
Kurz dachte ich nach und versuchte in Damien's Blick zu erkennen, ob ich ihm das wirklich sagen sollte. Aber er war immerhin derjenige, der mich immer dabei haben wollte. Also konnte er mich ja doch etwas leiden. Ich seufzte kurz und erzählte ihm dann von dem Gespräch mit Lucas. Damien unterbrach mich nicht und hörte mir aufmerksam zu. Mein Herz wurde direkt etwas leichter.
"Angelina hat mit ihre Aussage schon Recht. Wir wissen alle, dass er homosexuell ist."
"Moment. Homosexuell? Angelina meinte er wäre Bi."
"Ich weiß ganz sicher, dass er schwul ist. Er hat es mir selber gesagt. Vielleicht hat er es ihr gegenüber nur gesagt, damit sie es so weiter erzählt."
Damien zuckte mit den Schultern.
"Aber was soll das heißen, ich soll mich nicht verlieben. Wie kommt ihr darauf, dass ich mich in Lucas verknallen könnte?"
"Er scheint irgendwie eine Wirkung auf dich zu haben. Was bist du denn? Bi? Homo? Hetero?"
"Öh, bisher bin ich davon ausgegangen, dass ich eine Hete bin. Allerdings hatte ich auch noch nie eine Freundin. Und über Jungs habe ich nicht weiter nachgedacht. Also, keine Ahnung. Und ja, er ist interessant. Aber ich bin nicht verliebt in ihn."
"Das ist wirklich besser so. Glaube mir."
Ich sah Damien fragend an, doch er schüttelte nur den Kopf. Er würde mir auch nichts sagen. Ich musste es wohl selber herausfinden.
Nachdem Damien und ich eine Weile gezockt hatten und Lucas und Angelina weiterhin nicht auftauchten, rief seine Mutter uns zum Barbecue runter. Sie hat es echt so genannt. Mittlerweile waren alle Leute draußen im Garten. Auch Emi und Corey. Die Beiden hingen die ganze Zeit zusammen. Ich fragte mich, ob da wohl schon was am Laufen war? Meine Schwester ließ da nix anbrennen und selbst ich als ihr Bruder musste zugeben, dass sie schön anzusehen war.
Später nach dem Essen, musste ich auf die Toilette. Ich stand auf und ging Richtung Terrassentüre, als es auf einmal im Haus klingelte.
"Oh, Luca Liebling. Würdest du eventuell die Tür aufmachen, wenn du gerade rein gehst?", fragte Sandra mich charmant.
"Okay."
Lustlos trottete ich zur Haustüre und versuchte den Drang loszuwerden, dass ich ja eigentlich pinkeln wollte.
"Hi!", grinste Lucas mich an, als ich die Tür aufgemacht hatte.
"Äh.. Hi?"
Meine Begrüßung klang wie eine Frage, weil ich so verwirrt war, dass er doch noch auftauchte. Allerdings ohne Angelina.
"Wo ist denn Ang.."
Lucas zog mich auf einmal in seine Arme und legte meinen Kopf an seine Brust. Ich roch Alkohol in seinen Atem. Viel Alkohol. Offensichtlich hatte er sich gut einen angesoffen.
"Die isch zu Haussse. Is nischt gud undso...", nuschelte er sich einen zusammen.
Scheiße, man! Ich konnte ihn doch nicht so besoffen, hier rein lassen. Kurzerhand schob ich ihn nach draußen und schloss die Haustüre hinter mir zu. Jetzt war ich nicht einmal auf dem Klo. Ich schrieb Damien kurz eine Nachricht. Wir hatten vorhin in seinem Zimmer endlich mal die Nummern ausgetauscht.
>Oh, alles klar. Passt auf euch auf. Ich sag deiner Mum Bescheid.<
Ich schrieb noch schnell ein kurzes >Danke< und zog Lucas dann irgendwie mit mir mit. Ich stützte ihn ein wenig, weil ich nicht wollte, dass er umfiel. Wir schwiegen und liefen einfach.
"Könnnn wiir mal scht...schtobben?", fragte Lucas mich.
Wir waren einfach eine Weile ziellos durch den Ort getorkelt. Also er zumindest, ich nicht.
"Schtobben?", fragte ich doof nach.
"Pause...", antwortete Lucas mir nur kurz.
Ich verstand und er ließ sich einfach fallen. Zu allererst sah ich mich einmal um. Wir waren von Wald umgeben und irgendwo in einer Wiese. Nicht weit von uns glitzerte im Mondschein ein Fluss. In glasklarem Violett. Das musste es sein. Purple River. Der Grund warum diese Stadt so hieß.
"Das ist er...", sagte Lucas und nahm einen Schluck aus einer Wasserflasche.
Wo hatte er die denn nun her? Lucas stand auf und stopfte die Flasche in seine Jackentasche. Damit war meine Frage beantwortet. Er schwankte und ich eilte zu ihm, um den schönen Schwarzhaarigen zu stützen. Am Fluss ließen wir uns nieder und starrten Beide einfach nur eine Weile vor uns hin. Irgendwann ließ Lucas sich ins Gras fallen. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt.
"Geht es dir besser?", fragte ich ihn.
"Etwas. Ich hab es wieder übertrieben."
"Warum knallst du dir den Kopf überhaupt so zu?"
Lucas grinste nur. Aber es war nicht dieses Grinsen, was ich so an ihm mochte. Es war traurig und fraß sich direkt in mein Herz. Meine Frage blieb unbeantwortet. Ich gehörte noch nicht lange dazu. Das stimmte wohl. Dennoch nervte es mich, dass alle so ein Geheimnis aus Lucas machten. Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche und ich zuckte zusammen.
"Hi, Mum."
"Schatz, wo bist du? Wir wollten langsam heim und ich würde ganz gerne, dass du mitkommst. Damien sagte, du bist kurz mit einem deiner Freunde weg?"
"Ja, ich hab ihn getroffen und ihm ging es nicht gut, da sind wir mal schnell woanders hin."
"Okay, aber komm bitte her. Ich will nicht, dass du Nachts alleine hier durch die Stadt geisterst."
Damit legte sie auf. Ich stand auf und klopfte mir Gras von der Hose. Lucas setzte sich auf.
"Was ist los?"
"Meine Mum. Sie will heim und ich soll mit."
"DU SOLLTEST DIESEN BENGEL NACHTS EINSPERREN!"
Lucas und ich schraken zusammen, als auf einmal jemand ganz in der Nähe von uns herum brüllte. Und bei der Stille hier und der Lautstärke dieses Typen, waren wir bestimmt nicht die Einzigen die das hörten.
"Julien... du weißt doch, dass er immer einen Weg findet abzuhauen...", jammerte eine Frau.
"Du hast deinen Bengel einfach nicht im Griff, Freya!", schnauzte dieser zurück.
Jetzt wo er leiser wurde, erkannte ich diese Stimme. Sie gehörte dem Typen der mich heute Nachmittag umgehauen hatte.
"Scheiße...", fluchte Lucas leise. "Komm..."
"Aber ich..."
Weiter kam ich nicht, denn Lucas zog mich in ein Gebüsch, da diese Schritte der Beiden immer näher kamen. Er hielt mir den Mund zu, damit ich nicht ausgerechnet jetzt mit meiner Fragerei anfing und uns somit noch verriet. Ich nahm stark an, dass das Lucas' Eltern waren.
"Bist du sicher, dass wir ihn hier finden?"
"Er geht meistens hierher, wenn er nicht mit seinen Freunden unterwegs ist. Er liebt den Fluss. Das weißt du doch."
"Ich würde es lieben, ihn darin zu ersäufen und..."
Mehr verstand ich nicht, denn die Zwei hatten unseren Weg passiert und waren nun weg.
"Mhh...", machte ich auf mich aufmerksam, damit er mich los ließ.
"Oh... Sorry...", flüsterte er vorsichtshalber.
Es konnte ja auch sein, dass sie wieder zurück kamen.
"Waren das deine Eltern?", fragte ich irgendwann.
Er nickte.
"Meine leibliche Mum ja und mein beschissener Stiefvater. Der kann mich gut leiden, wie du siehst.", witzelte er ironischerweise und grinste wieder so traurig.
"Was ist mit deinem echten Vater?"
"Weiß ich nicht. Meine Mum redet nicht darüber. Aber du ich sollte besser gehen."
"Wieso hast du dich nicht gezeigt vorhin?"
"Weil ich nicht will, dass du seine Ausraster mitbekommst."
"Hab ich bereits."
Lucas zog die Augenbrauen hoch.
"Wie das?"
"Er ist heute Nachmittag in mich hinein gerannt und hat mich als Penner bezeichnet. Hab ihn an seiner Stimme erkannt."
"Typisch. Naja, du musst doch eh los, oder nicht?"
Ich nickte. Wir krochen aus dem Busch raus und klopften uns ab. Lucas zog mich an sich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Mir schoss sofort das Feuer in die Wangen.
"Mach's gut."
Er lächelte mich an. Ich hielt mir die Wange, als sei es etwas kostbares was ich nicht verlieren wollte. Dann sah ich Lucas noch hinterher, wie er in die Dunkelheit des Waldes verschwand.