Kapitel 4.
»Danke nochmal, dass du mich fährst«, sagte ich und lächelte zufrieden. Von Eric kam nur ein undeutliches Grummeln, was mich schmunzeln ließ. Eric war undurchdringlich, und das machte ihn wahnsinnig interessant für mich. Normalerweise hatte ich so eine Wirkung auf Menschen, aber bei Eric prallten meine ganzen Versuche einfach ab. Was mich nicht daran hinderte, es immer wieder zu versuchen.
»Papa fährt uns gerne überall hin wo wir wollen!«, rief Emily vom Kindersitz auf der Rückbank des Autos, was ich mit einem leisen Lachen quittierte.
»Wenn so Begeisterung bei deinem Papa aussieht, dann will ich nicht wissen, wie er schaut, wenn er genervt ist.« Ich beobachtete Eric bei meiner Aussage, und ich bildete mir ein, wie seine Mundwinkel ein kleines bisschen nach oben zuckten. Dann sah ich auf seine Hände, die er fest am Lenkrad platziert hatte. Eric war ein guter Fahrer, und sicherlich doppelt so vorsichtig, weil er Emily bei sich wusste.
Ich musste zugeben, dass ich erst etwas besorgt war, und ich dachte, dass ich durchdrehen würde, wenn ich mich wieder in eine der Blechkisten setzen müsste, aber Emily lenkte mich gut mit ihrer quirligen Art ab. Trotzdem hatte sich meine Hand fest um den Griff an der Tür geschlungen. Eric schien bemerkt zu haben, dass ich mich nicht wirklich sicher fühlte. Das hätte jeder, denn ich klammerte am Anfang so stark, dass man das Weiß meiner Fingerknöchel durch die dünne Haut an meiner Hand blitzen sah. Du Weichei, Jason.
Den Ring hatte Eric tatsächlich abgenommen, wie mir gerade auffiel. Erstaunt hob ich eine Augenbraue, fing das Thema aber nicht jetzt an, nicht hier vor Emily. Da wollte ich später wieder mit einem Stock in der Wunde rumpieksen, bis er mit der Sprache rausrückte. Ich hatte das Gefühl, er hatte sich dahingehend noch niemanden gegenüber geöffnet, was er definitiv sollte, denn es schien ihn doch noch zu belasten.
Schweigend parkte er auf einem freien Parkplatz bei meiner Physiotherapeutin, bevor er das Auto abstellte, den Sicherheitsgurt löste und aus dem Auto stieg. Ich tat es ihm gleich, und öffnete von außen die Tür zu Emily, um sie aus ihrem Sitz zu befreien. Sie streckte mir schon freudig die Arme entgegen, was mein Herz ein kleines bisschen stärker in meiner Brust schlagen ließ. Ich musste gestehen, dass ich sie schon in der kurzen Zeit lieben gelernt habe und alles dafür tun würde, um sie aufwachsen sehen zu können. Eric saß jedoch leider am längeren Hebel.
Vorsichtig hob ich sie aus ihrem Sitz, um sie neben mich auf den Boden zu stellen. Eric hatte schon ihren Rucksack in der Hand, den er dann gleich an mich abdrückte, nachdem ich die Tür zu seinem Wagen geschlossen hatte.
»Dann viel Spaß euch beiden, macht keinen Unsinn. Ich komme dann heute Abend nach der Arbeit vorbei.« Er gab Emily noch einen dicken Schmatzer auf den Kopf, und mir warf er einen »Wehe, es passiert ihr etwas«-Blick zu. Ich grinste nur verschmitzt, was ihn böse die Augen rollen ließ. Emily ergriff meine Hand.
»Viel Spaß auf der Arbeit, Papi«, sagte sie breit lächelnd. Er nickte noch einmal, bevor er wieder in sein Auto stieg und langsam davonrollte. Ems winkte ihm eifrig nach, dann sah sie mich erwartungsvoll an. »Und jetzt gehen wir Sport machen?«
»Jetzt gehen wir Sport machen«, bestätigte ich und lief langsam mit ihr zum Eingang. Ich rechnete ihr hoch an, dass sie nicht mehr so überschwänglich an mir rumzerrte, sondern dass sie schnell registriert hatte, dass Schnelligkeit nicht meine Stärke war. Gelassen trottete sie mit mir zur Rezeption, wo ich schnell meinen Termin durchgab und dann mit ihr im Wartezimmer Platz nahm. Erleichtert seufzte ich auf, selbst diese kurzen Wege strengten mich an einigen Tagen extrem an, und ich war froh, heute Ablenkung durch Emily zu bekommen.
Diese hatte sich schon wieder verselbstständigt, denn sie durchforstete das Bücherregal nach Kinderbüchern, um mir dann eine breite Auswahl von fünf verschiedenen davon auf den Schoß zu legen.
»Guck mal, wir können lesen!«, rief sie freudig aus und kletterte auf den Stuhl neben mir. Ich nahm die Bücher in die Hand, und schon rutschte Emily auf meinen Schoß. Belustigt schmunzelnd platzierte ich vier von den Büchern neben mich, dann legte ich meine Arme um sie und schlug das Buch vor sie auf.
»Okay, dann leg mal los.« Empört sah sie mich an. »Ich kann doch gar nicht lesen!«
»Kannst du nicht?«, fragte ich sie leise lachend, als sie ihre Pausbäckchen aufblähte und die Arme verschränkte.
»Ich geh doch erst nächstes Jahr in die Schule!«
»Stimmt, ich vergaß. Also soll ich dir das vorlesen, oder willst du eine Geschichte zu den Bildern erzählen?« Sie rutschte etwas auf meinem Schoß herum, um es sich gemütlich zu machen, dann fing Ems zufrieden an, ihre eigene Geschichte zu spinnen.
Erst bemerkte ich Esther nicht, die in der Tür stand, doch als sie sich räusperte, schoss mein Blick augenblicklich in die Höhe. Sie nickte fragend in Richtung Emily, die immer noch damit beschäftigt war, den Bildern ihre eigene Theorie aufzubrummen, und ich lächelte nur nichtssagend. Esther fing an zu grinsen, bevor sie mir mit ihrem Zeigefinger deutete, ihr zu folgen.
»Ems«, fing ich an, um sie nicht sofort zu unterbrechen. Sie beendete ihren Satz, bevor sie mich mit ihren süßen Kulleraugen erwartungsvoll ansah. »Wir müssen jetzt Sport machen, danach kannst du mir mehr erzählen, okay?« Sie nickte leicht und schlug das Buch zu, bevor sie von mir herunter rutschte um die Bücher wieder ordentlich in das Regal zu stellen. Eric hatte wirklich Arbeit geleistet, sie zu erziehen. Stolz, als wäre sie mein eigenes Kind, nahm ich sie wieder an die Hand und schritt erhobenen Hauptes mit ihr in Esthers Arbeitszimmer.
»Wer bist du denn, kleine Maus?«, begrüßte sie Emily gleich freundlich und stand von ihrem Stuhl auf, um den Tisch, an dem sie gerade gesessen hatte, zu umrunden. Emily löste sich von meiner Hand, und machte einen kleinen Knicks. Esther lachte leise auf.
»Okay, du bist wohl keine Maus, sondern eine Prinzessin.« Sie machte auch einen Knicks vor Ems, was das kleine Mädchen gleich mit einem breiten Lächeln übers ganze Gesicht rumhüpfen ließ.
»Jason, die Tante ist auch eine Prinzessin!«, rief sie und lief auf Esther zu, um ihre Hände zu nehmen und auf und ab zu springen. Esther musste nur noch mehr lachen, ich setzte mich derweil schon auf die Liege, welche die junge Frau bereits vorbereitet hatte.
»Ja, das ist sie. Und ihr Mann ist ein König«, sagte ich schmunzelnd, während ich Emilys Rucksack unter die Liege stellte.
Mit weit aufgerissenen Mund und Augen sah sie Esther an. »Ein echter König?!«, schrie das kleine Mädchen schon fast, als sie das jedoch realisierte, hielt sie sich eilig die Hände vor dem Mund. »Entschuldigung, nuschelte sie durch ihre Hand, ihre Augen glänzten trotzdem vor Aufregung.
»Ja, so ähnlich«, schmunzelte Esther. Sie lehnte sich lässig an ihren Schreibtisch und sah mich fragend an. »Bist du wieder Babysitter, Greenfield?« Ich nickte zur Bestätigung. Emily hüpfte aufgeregt zu mir und hievte sich angestrengt neben mich auf die Liege, die wirklich hoch eingestellt war. Ich reichte ihr meine Arm, an dem sie sich festhalten konnte, und zog sie neben mich, wo sie sich zufrieden an mich kuschelte. Wer weiß, wo sie gerade mit ihren Gedanken war, sicherlich auf einer Teeparty mit Esther und Davis.
»Schön, das freut mich. Scheint dir wirklich gut zu tun.«
»Ja, ich find's auch toll. Der kleine Wirbelwind hier lenkt mich gut ab«, sagte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf Emily, welche den Raum gerade penibel genau mit ihren Augen inspizierte. »Sie wollte mitmachen, ich hoffe, das geht in Ordnung.«
»Natürlich, wir finden schon was für die Prinzessin.« Esther zwinkerte Emily zu, dann rollte sie mit ihrem Stuhl zu uns ran.
»Also mein Lieber, wie geht's dir denn aktuell?«
»Geht schon besser, heute ist aber ein schlechter Tag. Ich war vom Parkplatz bis ins Wartezimmer schon wieder völlig erschöpft«, gestand ich ihr. Die Physiotherapeutin deutete mir, mich meiner Hose zu entledigen, um sich meine Beine besser ansehen zu können. Emily folgte meinem Beispiel, was mich und Esther leise lachen ließ.
»Emily, du musst deine Hose nicht ausziehen, du hast doch keine Verletzungen«, sagte ich schmunzelnd. Überrascht sah das kleine Mädchen auf meine Beine.
»Oh weia«, entglitt es ihr und musterte meine vernarbten Beine. Ich hatte in der Zeit nach meinem Unfall zu viele Operationen über mich ergehen lassen müssen, und es war zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht gewiss, ob ich jemals wieder laufen konnte. Jedoch hatte ich mich bis hierher vorgekämpft, und ich war so stolz darauf, dass ich die Narben einfach ignorieren konnte.
Esther strich mit ihrem Daumen vorsichtig über meine Beine. »Ich bin immer noch überrascht, wie schnell du dich wieder aufgerappelt hast. Ich kenne Patienten, die sich nach der kurzen Zeit nicht einmal aus ihrem Rollstuhl erheben können.« Ich zuckte mit den Schultern.
»Ich hatte sicherlich nur Glück«, sagte ich leise und strich Emily sanft über den Kopf. Das blonde Mädchen schaute Esther gebannt dabei zu, wie sie meine Beine bearbeitete.
»Tut das weh?«, fragte sie mich, ich schüttelte leicht den Kopf. »Nur wenn Esther böse auf mich ist, dann tut das weh.« Der Besagten huschte ein Grinsen über ihr Gesicht.
»Darf ich auch mal?« Emily löste ihren Blick von Esther und sah mich fragend an. Mein Blick wanderte zu Esther, welche auf meine Beine konzentriert war, bevor ich zum wiederholten Male heute meine Schultern zucken ließ.
Ems wartete keine Antwort ab, sondern legte ihre kleine Hand vorsichtig auf mein Knie. Ich beobachtete sie dabei, wie sie einfach nur darüberstrich, und mit einem von sich selbst überzeugten Blick nickte. Esther lachte leise.
»Siehst du Jason, ich mach dich auch heile. Dann kannst du mit mir auf Ponys reiten.«
»Oh ja, das würde mich freuen.« Ich musste mir ein Lachen verkneifen, als Ems mich freudestrahlend ansah. »Echt?! Papa will nicht mit mir Pony reiten!« Das konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass Eric das nicht wollte.
»Den kriegen wir auch noch auf ein Pony, versprochen.« Das wollte ich mir nämlich auf keinen Fall entgehen lassen. Ems tätschelte glücklich mein Knie, bevor sie sich wieder mit beiden Armen um meinen Arm geschlungen, welcher viermal so breit war wie ihre, an mich kuschelte.
Esther nickte zufrieden, bevor sie meine Beine wieder losließ. »Ich denke, wir machen heute nur ein paar Übungen im Sitzen, das wird auch reichen.«
Emily stand erstaunt in meinem Wohnzimmer, ihr Mund weit geöffnet, und ich hatte Sorgen, dass ihre Augen gleich aus ihren Kopf kullern würden. »Wow«, sagte sie und lief dann aufgeregt zu den großen Glasscheiben, von denen man aus über die Stadt sehen konnte.
»Gefällt es dir?«, fragte ich sie amüsiert und stellte ihren Rucksack auf das Sofa. Sie drehte sich zu mir und nickte wild, dann rannte sie mit einen Affenzahn auf das Sofa zu und ließ sich darauf fallen.
»Das ist soooo toll hier, ich will hier bleiben«, schwärmte sie und kuschelte sich zwischen der großen Anzahl an Kissen ein.
»Glaub mir, das würde mich wirklich freuen.« Ich setzte mich zu ihr und nahm die Malbücher sowie ihr Plüschtier aus Ems Rucksack. Das Plüschtier gab ich ihr vorsichtig, die Malbücher legte ich auf den Glastisch, der vor meinem Sofa stand.
Wenn ich es mir recht überlegte, war meine Wohnung für Kinder wirklich ungeeignet. Ich mochte meine Einrichtung so schlicht wie möglich, viel grau und weiß und genauso viel Glas. Hier hingen kaum Bilder an den Wänden, nur zwei Grünpflanzen zierten mein Badezimmer und Deko war, außer eine silberne Obstschüssel, die ich von Esther geschenkt bekommen hatte, nicht aufzufinden. Doch mit Emily wirkte die Wohnung gleich viel lebhafter, und irgendwie genoss ich das.
»Was wollen wir machen, Ems? Soll ich Mittagessen kochen?«
»Oh ja, Essen ist gut!« Ihr Blick schoss kurz zu meinem Fernseher an der Wand, aber lang genug, dass ich es mitbekam.
»Willst du deine Serie gucken? Ich weiß, der Fernseher ist groß, da fühlt sich das an wie Kino, was?« Sie nickte eifrig, scheinbar erleichtert. Wieso sollte ich böse darauf sein? Verübeln konnte ich es ihr nicht. Zusammengekuschelt in dem Kissenhaufen sitzend seine Lieblingsserie schauen, das reizte selbst mich, und ich war 25 Jahre älter als Emily.
Ich ergriff die Fernbedienung vom Beistelltisch neben der Sofalehne, schaltete den Fernseher an und suchte Emilys Prinzessinnenserie im Programm, dann legte ich die Fernbedienung auf den Tisch. Ich erhob mich schwerfällig und machte mich auf den Weg in die Küche, aber nicht ohne Ems im vorbeigehen den Kopf zu streicheln. Das war mit Abstand das liebste, was ich tat. Und sie schien es ebenso zu mögen, denn sie kicherte herzerwärmend und streckte mir die Zunge heraus. Gott, ich liebte dieses Mädchen.
Kaum war ich in der Küche angekommen, signalisierte mir mein Handy eine eingegangene Nachricht. Ich zog es aus meiner Hosentasche und entsperrte es.
Alles klar bei euch? Eric schien sich zu Sorgen, und ich schickte einen Daumen-nach-oben-Emoji.
Alles gut, wir sind jetzt bei mir. Das schickte ich noch schnell ab, um Eric zu beruhigen, der Daumen hoch allein hätte ihn sicher wieder zur Weißglut getrieben, zumindest wenn ich ihm das schrieb.
Schnell zauberte ich Ems und mir Spaghetti, da ich wusste, dass Emily sich hauptsächlich davon ernähren könnte, wenn sie dürfte. Außerdem war es auch eines meiner Grundnahrungsmittel, weshalb ich nichts gegen täglich Nudeln hatte. Die Italiener haben es einfach drauf.
Ich ging mit zwei Tellern wieder ins Wohnzimmer, wo Ems mich schon freudig die Lippen leckend erwartete. Die Teller stellte ich auf den Glastisch ab, dann schwang ich meinen Hintern wieder auf das Polsterstück und verschlang mit Emily die Spaghetti, während wir ihre Serie schauten. Ich wollte eigentlich nicht zugeben, wie sehr ich mich tatsächlich für das Schicksal der Prinzessin interessierte, und ich hatte das Gefühl, ich würde viel zu sehr in die Materie hineingezogen werden, aber hey, immerhin konnte ich jetzt mit Ems über den blonden Prinzen lästern.
Pappsatt kuschelten wir uns zusammen in die Kissenburg, die das Mädchen auf meinem Sofa gebaut hatte, während ich mich in der Küche vollkommen verausgabt hatte.
»Geräumig ist es hier, Mylady«, lachte ich leise, und sie grinste frech.
»Ich und Mr. Pieksi müssen ja genug Platz haben. Und wenn du mein Prinz wirst, dann doppelt so viel! Weil du bist sooooo groß!« Sie riss die Arme über ihren Kopf um meine Größe zu demonstrieren.
»Oh, ich darf dein Prinz sein? Welch Ehre, Mylady!« Ich versuchte mich an einer Verbeugung, jedoch machte sich das im Liegen, und dann noch auf dem Rücken, eher weniger gut. Damit entlockte ich Ems damit ein Lachen, was mich automatisch einstimmen ließ.
Wir alberten noch ein wenig rum, bis sie müde gähnte. Ich erhob mich etwas und zog eine Decke, unter die selbst ich doppelt passte, zu uns, breitete sie über mich aus und hob eine Seite an, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich darunter zu legen. Sie nahm das Angebot dankend an und kuschelte sich eng an meine Brust. Ich lächelte zufrieden und streichelte durch ihre Haare. Zum Glück hatte ihr Eric heute keinen Zopf geflochten, ich konnte das nämlich nicht. Durcheinander wollte ich die blonde Mähne auch nicht bringen, ohne dass ich sie danach wieder herrichten konnte.
Kurze Zeit später hörte ich ihr rhythmisches Atmen, was mir signalisierte, dass sie eingeschlafen war. Ich reduzierte die Lautstärke vom Fernseher und schloss ebenfalls meine Augen. Ich konnte ja ebenfalls ein bisschen dösen, Eric sollte sowieso in den nächsten drei Stunden nicht auftauchen.
Erschrocken zuckte ich zusammen und riss die Augen auf. Keuchend versuchte ich herauszufinden, wo ich war, aber als ich Emilys warmen Atem an meinem Arm spürte, beruhigte sich mein Herzschlag etwas. Vorsichtig schlug ich die Decke von mir herunter, um aufzustehen, ohne dass ich Ems weckte. Draußen war es mittlerweile dunkel, das heißt, dass Eric sicher bald hier auftauchen würde.
Ich tapste leise in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu nehmen. Ich leerte es in einem Zug, stellte es zurück auf meine Theke und stützte meine Arme auf der Arbeitsfläche ab.
Die Albträume, in denen sich mein Autounfall wiederholte, waren am Anfang furchtbar gewesen. Beinahe jede Nacht durchlief ich Szenen, mit den schrecklichen Geräuschen, den Gerüchen und den Schmerzen. 16 Monate später hatte die Anzahl der Träume schon deutlich nachgelassen, aber es war trotz dessen jedes Mal ein Horrortrip für mich. Das wünschte ich keinem.
Ich fuhr mir durch die Haare, und beschloss, schnell duschen zu gehen, denn mein Angstschweiß hatte sich kaum merklich in meinem Shirt verfangen, jedoch für mich unangenehm genug, um es zu wechseln. Emily schlief währenddessen wie ein Stein, ich versuchte trotzdem so leise wie möglich durch meine Wohnung zu schleichen.
Frisch geduscht und mit neuer Kleidung räumte ich in der Küche den Geschirrspüler ein, als Eric mich kurz anklingelte, dass er jetzt da war und ich ihm die Tür aufmachen sollte. Ich schlurfte zu meiner Tür und drückte den Knopf an der Gegensprechanlage.
»Monsieur, wie kann ich ihnen helfen?«, fragte ich mit einem wirklich schlechten französischen Akzent, und ich hörte Eric nur genervt stöhnen.
»Mach mir doch einfach die Tür auf, du Spinner.«
Ich musste über seine Worte lachen, und drückte den Knopf, damit unten die Tür aufging und er mit dem Fahrstuhl in den 17. Stock fahren konnte. Hey, wenn ich schon erfolgreich meine Firma gegründet habe, dann will ich mir dafür auch etwas leisten. Die Wohnung war auch das einzige, was ich mir erlaubt hatte.
Ich öffnete die Tür und lehnte mich lässig mit verschränkten Armen gegen den Rahmen. Als der Fahrstuhl aufging, grinste ich Eric verschmitzt an. Seine Miene verfinsterte sich augenblicklich, was mich nur erneut lachen lies.
»Guten Abend, Fremder, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte ich gespielt neugierig, doch Eric schob sich schon an mir vorbei in die Wohnung. »Ah, Schuhe aus! Mein Saugroboter ist da gerade erst langgefahren!« Okay, zwei Dinge, die ich mir gegönnt habe. Die schicke Wohnung und den Saugroboter, dem Esther sofort drei Wackelaugen verpasst hatte.
»Du bist ein verwöhnter Bonzen«, sagte Eric und zog sich die Schuhe aus, die er ordentlich auf die Gummimatten stellte.
»Und wenn schon, ich hab' bei euch auch nichts dreckig gemacht!« Widerwillig brummte er und hängte seine Jacke an den Haken, bevor er sich erstmals umsah. Einen erstaunten Blick konnte er dennoch nicht vor mir verstecken.
»Genauso habe ich mir deine Bude vorgestellt. Hast du auch Kashmirbettwäsche?«
»Willst du es herausfinden?« Wenn er so vor mir stand, musste ich einfach seinen süßen Arsch anstarren. So gerne würde ich meine flache Hand darauf niedersausen lassen. Was?
»Witzig, wirklich witzig, Greenfield.« Ich grinste nur breit. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich es auch herausfinden wollen.
»Emily schläft noch«, wechselte ich das Thema. »Es sind noch Spaghetti da, möchtest du was essen?« Eric nickte leicht, aber ich merkte, dass er erst Emily sehen wollte.
»Geh ruhig zu ihr, ich mach dir was warm.«
Ich schlich mich in die Küche, wo ich die Tür anlehnte, um Emily nicht durch das Piepsen der Mikrowelle zu wecken. Dann setzte ich mich auf einen der Barhocker an den hohen Tisch, und wartete darauf, dass Eric zu mir in die Küche kommen würde. Er ließ auch nicht lange auf sich warten.
Er schloss die Tür, nachdem er den Raum betreten hatte, und ging zur Mikrowelle, die just in diesem Moment mit einem lauten Ton die Beendigung ihrer Arbeit verkündete, um ein Essen herauszunehmen. Dann setzte er sich neben mich und begann zu essen, nachdem ich ihm noch eine Gabel und einen Löffel dazugelegt hatte.
»Wie war dein Tag?«, fragte ich ihn mit ehrlichem Interesse. Sein Blick erhellte sich tatsächlich, anscheinend erfreut, dass sich jemand nach seinem Tag erkundigte.
»Gut. Mein Chef hat mir heute gesagt, dass ich morgen meinen Vertrag für die Festanstellung bekomme. Ich bin dann ganz offiziell sein Assistent«, sagte er, den Stolz in seiner Stimme hörte man jedoch nicht so deutlich wie bei Emily. »Das heißt, ich kann meinen anderen Job endlich kündigen, denn in der Firma verdiene ich genug, um alles mit einem Job zu decken."
»Wow, das freut mich wirklich!« Ich lächelte ehrlich und aufmunternd. Das waren doch wirklich gute Neuigkeiten!
»Das Problem ist nur, dass ich sicher noch mehr Arbeit mit nach Hause nehmen muss, und mehr Überstunden werden auf mich zukommen. Ich muss nicht mehr nur Kaffee holen«, meinte Eric besorgt und stocherte mit der Gabel in den Spaghetti rum.
»Meinst du, dass du dann weniger Zeit mit Emily verbringen kannst?« Geknickt nickte er. Obwohl das natürlich eine blöde Situation war, freute ich mich, dass Eric sich mir gegenüber öffnete. »Das wird schon, ich bin ja jetzt auch da. Also, natürlich solange, wie du mich bei ihr haben möchtest.« Wieder nickte Eric.
Erneut wechselte ich das Thema, und erzählte ihm, was Emily und ich den Tag über unternommen hatten. Das hob seine Laune wieder etwas, und ich konnte ihm tatsächlich auch ein Lachen entlocken, was mich wirklich erfreute.
Ich stellte ihm noch etwas zu trinken an seinen Platz, wofür er sich lächelnd bedankte.
Wow, was für ein Lächeln. Ich dachte mir, dass er nicht oft lächelte, zumindest nicht im beisein Fremder, und theoretisch war ich das für ihn. Ich hatte nur die Aufgabe, seine Tochter zu betreuen.
Aber diese kleine Familie war mir mittlerweile wichtiger geworden als es mir lieb war. Er bemerkte mein Starren und sofort verschwand sein Lächeln wieder.
»Was ist? Hab' ich was im Gesicht?« Er fuhr sich hektisch mit beiden Händen über den Mund, um sie dann prüfend anzusehen. »Ich weiß, warum ich Tomatensauce hasse, ich kann das noch schlechter essen als Emily.«
»Eric, gehst du mit mir aus?«
Überrascht ließ er seine Hände von seinem Mund sinken, und ich hatte kurz Hoffnung, weil er nicht sofort so abwertend reagierte wie sonst. Jedoch verhärtete sich sein Blick wenige Augenblicke, nachdem meine Worte zu ihm durchgedrungen waren.
»Nein, Jason, ich sagte doch bereits, ich bin nicht an Männern interessiert. Außerdem habe ich keine Zeit dafür.« Er wandte den Blick von mir ab.
»Ach komm schon«, begann ich flehend. »Es ist nur ein Date, nichts weiter. Meinetwegen sogar mit Emily, wenn es dir darum geht.«
»Nein, verdammt, das ist mir egal, ich will nicht mit dir ausgehen!«
»Aber du hast sogar den Ring abgenommen!«
»Jason, hör auf damit! Ich gehe nicht mit dir aus, du sollst einfach nur auf Emily aufpassen und sie unterhalten, wenn ich das nicht kann!« Ich zog meine Stirn kraus und setzte einen Schmollmund auf. Eric sah mir dabei zu, bevor er seine flache Hand gegen seine Stirn klatschte.
»Jason, wie alt bist du bitte?«, brummte er entnervt und schob seinen Teller von sich. »Nur weil ich meinen Ring abgenommen habe, heißt es nicht, dass ich bereit bin für Dates, schon gar nicht mit einem Mann.«
Mein Schmollmund wurde breiter, jetzt verschränkte ich noch zusätzlich meine Arme vor der Brust.
»Jason.« Seine Stimme wurde immer genervter. »Wenn du ja sagst, würde ich vielleicht damit aufhören«, erwiderte ich gespielt schnippisch.
»Du bist ein Idiot«, sagte Eric und rutschte vom Barhocker. »Ich geh Emily wecken, dann fahren wir nach Hause.«
»Maaaaan«, rief ich gequält aus und ließ meinen Schmollmund wieder verschwinden. Okay, Eric hatte Recht, manchmal verhielt ich mich wie 14. Aber niemand würde jemals etwas dagegen unternehmen können!
Ich hüpfte leicht vom Stuhl und landete auf beiden Beinen, was wesentlich eleganter aussah als Eric, der gerade mehr oder weniger davon heruntergeschliddert war, als wäre er auf einer Wasserrutsche.
»Emily«, sagte Eric leise als er wieder ins Wohnzimmer ging, und sie hob verschlafen den Kopf. Sofort wurde die Müdigkeit gegen Freude ausgetauscht.
»Papa!« Glücklich krabbelte sie vom Sofa und hüpfte in seine Arme. »Du bist ja schon hier!«, stellte sie überrascht fest und drückte sich fest an ihn.
»Ja, du hast ja auch die ganze Zeit geschlafen. Komm, wir fahren nach Hause, da kannst du weiterschlafen.« Sie nickte und ließ wieder von Eric ab, nur um dann zu mir zu springen und mich auch noch einmal zu umarmen.
»Bis Morgen Jason!« Ich beugte mich zu Ems hinab und erwiderte ihre Umarmung.
»Bis Morgen, Prinzessin«, wiederholte ich ihre Worte und strich ihr nochmal über den Kopf, nun konnte ich damit auch etwas ihre Sturmfrisur vom Schlafen bändigen. Sie ließ mich los und steckte ihre Malbücher in den Rucksack, das Einhorn behielt sie in ihren Armen.
»Na dann, auf geht's«, sagte Eric und klatschte leicht in die Hände, dann ging er mit Ems in den Flur und zog sich und dem Mädchen Jacke und Schuhe an. Ich beobachtete die beiden dabei, aber als Erin sich hinkniete um ihr die Schuhe anzuziehen, konnte ich nicht anders, als wieder seinen Hintern zu inspizieren. Ich bin doch auch nur ein Mann!
»Bis Morgen.« Ich lächelte nochmal herzlich, Emily winkte mir mit ihrer süßen kleinen Hand zu. Eric schnaubte nur leise. Griesgram. Dich bekomme ich auch noch öfter zum Lächeln, mein Freund.
Eine halbe Stunde, nachdem die beiden gegangen waren, und ich es mir längst auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte, rief Davis mich an.
»Hey altes Haus«, begrüßte ich meinen besten Freund. Der brummte nur am anderen Ende der Leitung, was mich vergnügt grinsen ließ.
»Hey Jason. Esther hat mir erzählt, du hattest heute ein Kind dabei, und da wollte ich dich gleich mal ausquetschen.« Natürlich hat Esther ihm erzählt, dass ich Emily dabei hatte.
»Klar, was willst du wissen? Immer raus damit!« Ich wusste, dass er es hasste. Er wollte es mir nicht aus der Nase ziehen, sondern dass ich es ihm gleich von alleine erzähle. Den Wunsch erfüllte ich ihm natürlich.
»Ich habe ein neues Kind zur Betreuung, ihr Vater ist alleinerziehend und arbeitet viel. Seit ungefähr zwei Wochen mache ich das jetzt bei ihnen.« Ich streckte mich und sah kurz aus dem Fenster. Es hatte angefangen zu regnen, und das leise Geräusch vom Prasseln an meinen Fensterscheiben genoss ich sehr.
»Stimmt, du hattest gesagt, das das Kind davor mit seiner Familie wegzieht«, gab Davis leise nachdenklich von sich. Das galt nicht mir, sondern eher seinen eigenen Gedanken.
»Genau. Und ich merke, wie gut sie mir tut. Ihr Vater ist eine Nummer für sich, aber irgendwie reizt er mich wahnsinnig. Er ist so kalt zu mir, und im nächsten Moment öffnet er sich mir und lächelt so süß. Und zack, dann zeigt er mir wieder die kalte Schulter.«
»Darauf steht Jason!«, hörte ich Esther laut im Hintergrund sagen. Ich lachte leise auf.
»Ja, irgendwie steh ich darauf, keine Ahnung. Ausgehen will er nicht mit mir, das nervt mich. Aber ich krieg ihn noch dazu!«
»Das glaube ich dir, aber übertreib es nicht wieder. Nochmal sowas wie mit Becky wollen wir alle nicht.« Ich rollte genervt mit den Augen.
»Jaja, das ist mir klar, ich will das auch nicht noch einmal.« Es entstand eine kurze Pause zwischen uns.
»Wie läuft es in der Firma?«, fragte ich leise. Ich vermisste meine Arbeit und meine Angestellten. Sie waren für lange Zeit meine einzige Familie gewesen.
»Die Leute vermissen dich.« Davis seufzte kaum merklich. »Alle vermissen dich. Wir wollen, dass du schnell wieder zurückkommst.« Ich lächelte erleichtert.
»Ich versuche es, aber ein bisschen dauert das alles noch. Vielleicht kann ich bald wieder ein wenig von Zuhause arbeiten, oder für ein oder zwei Stunden in die Firma kommen.«
»Wir würden uns alle freuen. Man merkt, dass ich nur die Übergangslösung bin, und langsam wird mir das auch zu viel. Deswegen habe ich mir einen Assistenten zugelegt, ein netter und gewissenhafter Kerl. Ich denke, du würdest ihn mögen.« Ich musste schmunzeln, als ich mir einen Assistenten in Davis Nähe vorstellte. Wer würde denn bitte freiwillig für solch einen Griesgram arbeiten wollen? Der Kerl musste Nerven wie Stahl haben.
»Ganz sicher, wenn du ihn magst, dann werde ich ihn lieben.« Ich grinste breit, der Gedanke war einfach zu göttlich.
»Witzig, Greenfield.« Zumindest Esther lachte im Hintergrund, das reichte mir.
»Okay, dann lass dich nicht weiter von mir stören«, sagte Davis. Ich nickte leicht.
»Ja, euch zwei noch einen schönen Abend. Und gib Esther einen Kuss von mir!«
»Vergiss es, du Schleimbacke.«
»Ich hab' dich auch lieb, Davis!«