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~| 5 |~ Selena

Schreiend und schweißüberströmt erwachte ich aus dem Albtraum. Einem Albtraum, von dem ich wusste das er real war. Denn ich hatte diesen Tag bereits erlebt, am ersten Tag meiner Gefangenschaft, der Tag des Untergangs der königlichen Familie. Ich richtete mich ein Stück weit auf und stöhnte leise, als brennende Schmerzen meinem frisch verbundenen Arm hinaufjagten. Sofort ließ ich mich wieder hängen, doch alles drehte sich vor meinen Augen und die pochenden Kopfschmerzen wiesen mich darauf hin, dass der Aderlass nicht lange her sein konnte. Ich kniff meine Augen zusammen, doch meine Sicht verbesserte sich nur minimal, aber genug um zu sehen das nur einer der Gefängniswärter einige Meter von meiner Zelle entfernt Wache hielt. Nichts besonderes. Genauso wenig wie mein qualvolles Leben. Ich spürte, dass ich mich bereits vollkommen aufgegeben habe und ich hasste es, dass ich trotzdem niemals der Zelle und der Folter entkommen würde. Und ich würde nie wieder meine Eltern, Frostfell, Luna und Kayley wiedersehen. Selbst sie im Himmel wiederzusehen war mir nicht vergönnt, dafür würde Lex sorgen. Er würde mich niemals sterben lassen, dafür brauchte er mich und mein Blut viel zu sehr. Ich presste meine Lippen zusammen und meine Augen brannten, doch es kamen keine Tränen. Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ich alleine war. Niemand von meinen früheren Bekannten war mehr am Leben, dafür hatte Lex gesorgt und das hatte er mir mit Freuden ebenfalls ins Gedächtnis gebrannt, mithilfe seiner komischen Schattenmagie, die ich immer noch nicht kannte. Ich wollte einfach nur noch für immer aus diesem Leben verschwinden, aber ich konnte mir nicht einmal selbst was antun. Ich war immer gefesselt, man ließ mich nie aus den Augen und Hungerstreik funktioniert auch nicht, dass habe ich bereits ausprobiert. Sie haben mich dann einfach gezwungen was zu essen. Ich würde dieser Hölle nie entkommen. Erschöpft schloss ich wieder meine Augen und lehnte meinen Kopf an die raue Wand. Nie.

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Ein grober Tritt in meine Seite weckte mich und müde öffnete ich die Augen.

"Zeit zum Essen" sagte der glatzköpfige Wachmann, der mir immer das Essen brachte und ein so speckiges und rundes Gesicht hatte, dass es mich unwillkürlich an ein Schwein erinnerte. Ich blinzelte benommen, als er meine Ketten löste und mir so viel Freiheit ließ, dass ich meine Arme runternehmen und nach dem Tablett greifen konnte. Die Ketten rasselten laut in der Stille und bedeckten meine vernarbten Handgelenke nur halb. Auf dem Tablett blickten mir ein hartes Laib Brot, einige vertrocknete Feigen, Käse und ein voller Becher mit kühlem Quellwasser entgegen. Es war besser als das Essen der anderen Gefangenen, aber als ich mit zitternder Hand das Brot nahm und vorsichtig zu meinem Mund führte, fühlte es sich an als würde ich versuchen zehn Ochsen zu stemmen. Der Mangel an Kraft war mir deutlich anzusehen, denn die Wache lehnte an den Gitterstäben und beobachtete mich gelangweilt, die Augen halb geschlossen und mit abwesenden Blick. Selbst der riesige Schlüsselbund an seinem Gürtel verhöhnte mich. Er war nur eine Armlänge entfernt und dennoch kam es mir vor wie Lichtjahre. Es wäre viel zu kräftezehrend danach zu greifen, den Kampf würde ich eh verlieren. Also begann ich resigniert das Mahl zu essen, danach befestigte die Wache direkt wieder die Kette, musterte mich noch einmal abfällig und ging. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und mit einem Klicken fiel das Raster ein und sperrte mich wieder ein. Die Wache nickte kurz dem Gefängniswärter zu und eilte dann mit dem Tablett davon. Ich kauerte mich so gut es ging zusammen, in dem ich meine Knie an meine Brust zog und mein Kinn darauf legte, während meine Arme weiterhin in der Kette über dem Kopf baumelten. Mit dumpfen Blick döste ich vor mich hin bis mich endlich wieder der Schlaf einholte und mich die Schmerzen vergessen ließ.

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Wieder vergingen Stunden, Tage oder nur Minuten, ich wusste es nicht, mein Zeitgefühl hatte sich schon lange verabschiedet und demnach konnte ich nur abschätzen, wie viel Zeit vergeht. Meist erriet ich es nur nach meiner Gesundheit und ich tippte auf zwei, drei Tage die vergingen, da ich spürte wie sich meine Kräfte langsam wieder erholten. Es war immer so und ich wusste mit beklemmendem Gefühl, dass es bald wieder so weit sein würde. Immer wenn ein Viertel meiner Kraft wiederhergestellt war, kam der nächste Aderlass und mit aufgerissenen Augen schaute ich in die Gänge, zuckte bei jedem widerhallenden Schritt zusammen und erwartete jeden Moment zwei Wachen, die mich zu Phalos in die Folterkammer bringen. Meine Kopfschmerzen waren bereits weg und auch schmerzte nicht mehr die kleinste Bewegung meines Körpers. Ab und zu hatte ich sogar das Gefühl, mich hinstellen zu können, doch das war nicht möglich. Also blieb ich wartend und furchterfüllt sitzen. Jede Sekunde die verging bedeutete für mich mehr Kraft und mit meinem Faegehör hörte ich selbst laute Schritte aus den Gängen über den Kerkern, was schon lange nicht mehr gewesen ist und trotz aller Vernunft spürte ich es. Spürte die klitzekleine Wärme, dass winzige Fünkchen Hoffnung in meiner Brust aufflammen und würde mich dafür am liebsten ohrfeigen. Angespannt wartete ich auf die typischen Schrittklänge, die zwei Personen ankündigten, doch es geschah nichts. Ich runzelte die Stirn und rieb mein Kinn an meiner Schulter. Wo blieben sie? Diese Stille machte es noch unheimlicher und als ich den Gefängniswärter genauer musterte, fiel mir auf das er nicht so entspannt wie sonst war. Er stand steif vor den Zellen und tigerte auf und ab, der Blick zuckte immer wieder zur Decke hoch, als wäre er gerade lieber oben als hier unten bei mir. Als er kurz zu mir sah senkte ich hastig den Blick und ließ mich in der Kette hängen. Er beachtete mich nicht weiter und tigerte weiter auf und ab und die Hoffnung wuchs. Ich zerrte probeweise unauffällig an der Kette und bemerkte tatsächlich, dass ich viel stärker war als sonst. Vielleicht hätte ich doch noch eine Chance... Vielleicht wollte die Schicksalsgöttin doch nicht, dass ich sterbe. Die Hoffnung wuchs unauffällig weiter und meine Gedanken rasten, klarer als jemals zuvor. Und dann fasste ich einen Entschluss. Ich würde versuchen abzuhauen, jetzt oder nie. Also rief ich mich zur Geduld, schloss meine Augen und entspannte mich. Irgendwann hörte ich die Schritte der einen Wache und als man meine Zellentür öffnete, zwang ich meine Lider einen Spalt weit auf. Ja, es war wirklich nur der Glatzkopf mit einem Tablett essen in der Hand. Diesmal sah es aus wie pappige Hafergrütze mit nicht mehr ganz so frischen Früchtestücken.

"Aufstehen, Prinzesschen" knurrte er miesgelaunt und wollte mich treten. Als er sah, dass meine Augen bereits offen waren, hielt er inne, spuckte auf den Boden und löste meine Ketten. "Mach heute Mal hinne, habe keine Zeit für nervige Gören" schnauzte er sofort und riss an meiner Kette. Ich fiel nach vorne und schürfte meine Hände an dem unebenen Boden auf, gehorchte aber und nahm mir den Löffel. Ich zitterte am ganzen Körper vor Nervosität und Angst, doch ich wusste es wäre meine letzte Chance. Wenigstens einmal sollte ich es noch versuchen, zu verlieren hatte ich eh nichts. Also rückte ich unauffällig näher an den Wächter heran und griff nach seinem Hosenbein.

"He... was soll das?!" fragte er irritiert, verstummte aber als ich meine Hand genau dort auf die Hose legte, wo sein bestes Stück war. "Was zum...?!" entfuhr es ihm entgeistert, doch der lüsterne Blick war alles andere als unschuldig. Ich schaute herausfordernd auf und massierte die Stelle, was ihn Stöhnen ließ und er sackte ein Stück mehr gegen die Stäbe. Es widerte mich an, aber so bemerkte er nicht wie meine andere Hand zu seinem Gürtel glitt und dann ging es schnell. Ich atmete tief durch und riss ihm den Dolch blitzschnell aus der Scheide. Seine Augen weiteten sich überrascht doch bevor er was sagen konnte rammte ich ihm die Klinge in den Bauch. Er stöhnte auf und umklammerte den Griff, riss den Dolch wieder heraus und drückte seine Hände auf die blutende Wunde, doch die Verletzung ging zu tief. Er ging zu Boden und keuchte auf, während seine trüben Augen mich schmerzerfüllt und hasserfüllt anstarrten.

"Das... wer-de ich di-dir heimza-hl-e..." zischte er und spuckte Blut aus. Ich starrte ihn nur kurz an, riss mich zusammen und angelte mir den Schlüsselbund von seinem Gürtel. Er wand sich und wollte sich aufrappeln, doch ich trat ihm gegen den Bauch, wirbelte herum und schloss mit schwitzenden Händen die Zellentür auf.

"Ilias du Trottel, sie entkommt!" brüllte die Wache und schaffte es irgendwie, das blubbern in seiner Stimme zu unterdrücken und die Wache zu alarmieren. Ich presste meine Lippen fest zusammen und warf hektische Blicke zu allen Seiten, als der Gefängniswärter wie in Zeitlupe zu mir schaute, kurz sichtlich überrascht innehielt und dann realisierte, was passierte.

"Scheiße" fluchte er und rannte los. Ich drehte mich in die andere Richtung und rannte ebenfalls los. Meine Beine zitterten vor Anstrengung und bereits nach zehn Schritten keuchte ich, kein Wunder, ich hatte keinerlei Muskeln mehr. Bewegung hatte ich ja nur zum Aderlass gekriegt. Und das seit was weiß ich wie vielen Monaten. Doch der Adrenalinschub half mir, die Treppe zu finden und dann barfuß hochzustürzen, wobei ich strauchelte und immer langsamer wurde. Schweiß rann mir über den gesamten Körper als ich mich an der Wand abstützte, doch ich trieb mich zur Eile an, denn die lauten Schritte des Soldaten hallten hinter mir und näherten sich schneller als mir lieb war. Sein lautes Gebrüll war auch nicht besser und als ich nach Ewigkeiten endlich die dunkle, polierte Eichentür sah hatte ich das Gefühl, mich bereits völlig verausgabt zu haben. Schwankend und mich wundernd, dass der Soldat mich noch nicht eingeholt hat, stemmte ich sie mit letzter Kraft auf, stolperte hindurch und stieß sie hinter mir zu. Die Tür zum Kerker hatte von außen ebenfalls einen dicken Eisenriegel, den ich jetzt vorschob, genau in dem Moment als jemand von innen dagegenrannte.

"Du Miststück! Komm wieder her, du kannst nicht entkommen!" schrie er wütend und sichtlich panisch. Ich sagte nichts sondern wich zurück, als vier weitere Wachen um die Ecke kamen. Sie plauderten angestrengt miteinander, verstummten aber als sie mich sahen.

"Was ist denn hier los?" fragte die schwarzhaarige Frau und musterte mich ratlos, bis ihr das Gebrüll hinter der Tür auffiel. Ich wartete nicht, als die Erkenntnis in ihrem Blick auftauchte und rannte in die andere Richtung davon. Schon bald aber hatten sie alle alarmiert und gellender Alarm hallte durch den Palast mit den Quarz und Eiswänden, in dem von außen Saphire eingelassen waren, die sich in der Sonne brachen. Meinem Zuhause, oder eher ehemaligem Zuhause. Ich schnappte nur noch nach Luft, rannte aber weiter, durfte nicht aufgeben, die Hoffnung trieb mich weiter an, doch ich konnte nicht ewig so weitermachen, ich fing bereits jetzt an zu straucheln. Und als von vorne und von rechts Soldaten herankamen, blieb mir nichts anderes übrig als in das nächste Zimmer zu flüchten. Ich verriegelte die Tür des verstaubten, alten Gästezimmers und schaute mich verzweifelt um, als ich ein Gemälde entdeckte und mir ein Spruch meines Vaters einfiel.

"Bist du in Not, suche das Kelpie, es wird dir den Weg weisen", damals habe ich gelacht und es nicht verstanden, doch plötzlich schien es mir so simple. Er hatte nicht einfach nur irgendwas gesagt, es war ein Tipp gewesen. Ich ging auf das Gemälde zu, auf dem ein Kelpie prangte und tastete den Rahmen ab. Tatsächlich spürte ich eine Erhebung und drückte verzweifelt darauf, als die Tür bereits unter Schlägen splitterte. Das Gemälde schwang zur Seite auf und muffige Luft schlug mir aus dem Geheimgang entgegen. Kurz schaute ich hinein, warf einen letzten verängstigten Blick über die Schulter und betrat den niedrigen Tunnel. Ohne darüber nachzudenken mobilisierte ich meine letzten Kraftreserven, raffte mich auf und eilte durch die Gänge, dank meinen ausgeprägten Sinne kam ich schneller als meine Verfolger voran und als ich dachte entkommen zu können und dem rauschen näher kam, traf mich der Schock umso härter. Denn der Weg führte zwar zum Wasserfall hinter dem Palast, doch es gab keine Treppe, wie ich erwartet hatte. Mit einem dumpfen Gefühl im Magen trat ich an die Kante der versteckten Klippe hinter dem Wasserfall, die in den Berg eingebauten worden war. Gischt sprühte mir ins Gesicht als ich in die weite Tiefe schaute, alleine bei dem Anblick fror ich erbärmlich. Schlagartig verschwand mein Adrenalin und die eisige Kälte drang in meine Knochen. Bei uns herrschten Minusgrade und ich befand mich nur in einem zerrissenen Unterkleid und barfuß hier. Und dann tauchte die erste Soldatin auf, die schwarzhaarige, die mich fixierte.

"Da bist du ja, hast ganz schön Ärger gemacht. Und wofür?" gespielt mitleidig verzog sie das Gesicht. "Um bestraft zu werden hm? Naja, wenn du jetzt mitkommst bekommst du eine mildere Strafe" lockte sie und kam langsam näher, während ich zum Rand zurückwich und einen panischen Blick nach hinten warf. Ich war wieder in einer Sackgasse, wieder gefangen. Und wenn Lex mich wiederbekommen würde... ich schauderte bei der Vorstellung was er Phalos befehlen würde mit mir zu tun und die Hoffnung verpuffte vollständig. Für mich gab es kein Entkommen, nicht solange ich am Leben war. Also schaute ich langsam auf, erwiderte den Blick der Soldatin und schüttelte langsam meinen Kopf.

"Gar nichts werdet ihr mir antun... nie wieder" hauchte ich und als die Soldatin verstand, was ich vorhatte, war es bereits zu spät.

"NEIN!!" schrie sie entsetzt als ich den Schritt nach hinten in die Leere machte und fiel. Wasser und Luft wirbelten mich in der Luft herum und wie ein Stein sauste ich rasend schnell der grauen Oberfläche des Sees entgegen, in dem Wissen den Aufprall nicht zu überleben. Doch ich schrie nicht, sondern schloss meine Augen und lächelte, tiefer Frieden erfüllte mich. Mutter, Vater, ich komme zu euch. Ich komme zu euch.

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