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~| 2 |~ Neo

Meine Hände ballten sich zu Fäusten, mit wutverzerrtem Gesicht starrte ich auf das Stück Pergament in meiner Hand. Das konnte nicht sein Ernst sein!? Wie sollte ich das alles innerhalb von eineinhalb Wochen schaffen? Dieser verfluchte, beschissene, arrogante König! Warum musste er auch mich als königlichen Jäger einsetzen? Warum nur hatten sein Vater und sein Bruder so früh sterben müssen? Wieder flog mein Blick über die Liste. 15 Hirsche, 12 Eber, 20 Hasen. Das alles sollte er bis zum Mondball erlegen und zum Palast geliefert haben. Der selbst von seiner Jagdhütte in den Firwäldern knappe fünf Stunden entfernt war. Und der alljährliche Mondball fing in eineinhalb Wochen an. Mit einem frustierten schnauben schmiss ich das Stück Pergament auf den Tisch, direkt neben den gebrochenen Siegel, dass das Königswappen zeigte. König Lex von Callacur, neuer König von Saksria, zwang mich Mal wieder, alles für seine Bedürfnisse aufzugeben. Es war ihm scheiß egal, dass ich eigentlich nicht gerne Chrystals verließ. Aber jetzt... würde ich nicht gehorchen, würde ich unweigerlich im Verlies landen, da brachte mir meine Position als königlicher Jäger wenig. Er würde sich einfach einen neuen besorgen. So war er nun Mal, dass volle Gegenteil der ehemaligen Fayerta Königsfamilie. Trauer wallte auf als ich an die gerechte Königsfamilie dachte, enge Freunde meines Vaters. Es war eine Tragödie, dass ausgerechnet sie und die einzige Erbin Opfer einer tödlichen Krankheit wurden, genau wie mein Vater und mein Bruder. Mein Herz verkrampfte sich und ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Hastig verdrängte ich ihre Gesichter, versuchte den Schmerz, der mit dem Gedanken einherging, zu verdrängen und schnappte mir schweren Herzens meinen Mantel. Der dunkle, schwere Stoff legte sich auf meine Schultern und ich verließ mein Zimmer, stieg die Treppe hinunter und schaute in die unordentlichen Räume.

"Bin kurz weg Mutter" rief ich in den Raum, erhielt aber wie erwartet keine Antwort. Mit einem seufzen trat ich in die kalte Abenddämmerung und sank sofort in den pudrigen Schnee ein, der in den Straßen lag. Wie immer. In Saskria herrschte das ganze Jahr Winter, deshalb machte mir die Kälte kaum was aus, als ich der verschmutzten Gasse folgte und zur Hauptstraße lief. Die Häuserreihen reihten sich eng und schief aneinander und überall lagen Bettler herum, die einfachen Bürger priesen ihre Ware in Geschäften an und die reicheren Leute fuhren mit Kutschen durch die ganze Kulisse oder gingen mit Wächtern spazieren, die zum Schutze der Oberschicht da waren. Ich hielt mich im Schatten der engen Gebäude, schlängelte mich geschickt durch die Reihen und versuchte nur durch den Mund zu atmen, als ich an einem Haufen Unrat vorbeikam. Hoffentlich hatte er noch geöffnet... ich wüsste nicht was ich sonst tun sollte. Ich musste Morgen aufbrechen, also musste ich die Kräuter und Medikamente für meine Mutter bereits aufstocken. Aber wer würde sie ihr geben? Wer würde dafür sorgen, dass sie auch wirklich was aß oder schlief? Meine Sorge wuchs immer mehr und als ich Geralds Laden betrat, strich ich mir nervös über meine dunkelbraunen, zerzausten Haare. Die Glocke läutete und aus einem Hinterzimmer kam der junge Mann mit der Halbglatze und silbernen, kleinen Brille heraus.

"Ah, mein lieber Neo. Du bist früh dran" begrüßte Gerald mich mit einem freundlichen Lächeln. Ich erwiderte es gezwungen und bückte mich unter aufgehängten Kräutern durch, um zur vollbeladenen Verkaufstheke zu gelangen.

"Ja, ich muss spontan für mindestens zwei Wochen weg..." erzählte ich vorsichtig und atmete den strengen Kräutergeruch ein.

"Ach ja? Warum denn?" fragte er und wühlte in einigen Unterlagen. Als ihm seine Brille runterrutschte, schob er sie mit seinem Zeigefinger wieder abwesend hoch.

"Im Auftrag des Königs. Für den Mondball", überrascht schaute der Apotheker auf.

"So früh?"

"Sagen wir mal so, der Adel will eben sehr gut feiern" erwiderte ich in neutralem Ton. Auch wenn ich ihm vertraute, er war ein langjähriger Freund meiner Mutter, so durfte ich es nicht riskieren, dass jemand meine wahre Meinung über unseren sogenannten König erfuhr. Jeder andere würde mich mit Vergnügen ausliefern und das Geld kassieren. Alleine schon ein böses Wort über König Lex zu sagen konnte für lebenslange Haft sorgen. So regierte er unser Volk, mit Angst und Schrecken. "Deshalb brauche ich auch das übliche für meine Mutter für die nächsten zwei Wochen" sagte ich. Gerald bedachte mich mit einem schweren Blick.

"Hat sich ihr Zustand vielleicht jetzt... verbessert" hakte Gerald mitfühlend nach und der Schmerz und die Sorge in seinen blauen Augen waren nicht zu übersehen. Nicht nur ich hatte meine Mutter verloren, auch er. Also schüttelte ich stumm den Kopf und mied seinen Blick. Er verschwand nach hinten und es raschelte. Keine fünf Minuten später war alles in einem Stoffbeutel verstaut und er reichte es mir. Ich gab ihm die nötigen Silbertaler und bedankte mich.

"Könntest du vielleicht ab und zu nach ihr schauen? Ich frage zwar auch noch Frau Dompsey, aber... ich wüsste es zu schätzen, dass jemand mit Heilkenntnissen bei ihr vorbeischaut und... vielleicht freut sie sich ja" stieß ich unsicher aus. Ich glaubte es zwar nicht, aber... die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Gerald nickte sofort und lächelte wieder.

"Gerne. Ich freue mich Susan wiederzusehen" versprach er. Ich nickte erleichtert, bedankte mich noch einmal und machte mich wieder auf den Weg nach draußen. Mein nächster Halt war bei einem Viehhändler, von dem ich mir zwei kräftige Ochsen für die zwei Wochen lieh, die ich Morgen abholen würde. Auch ihn bezahlte ich gebührlich und verstaute meine restlichen Silber und Kupfertaler in dem Beutel, den ich in der Innenseite meiner Manteltasche steckte. Der geizige Händler verabschiedete sich nicht und wendete sich direkt an den nächsten Kunden, der einen braunen, etwas mageren Esel betrachtete. Kopfschüttelnd machte ich mich auf den Heimweg. Mittlerweile war es bereits dunkel und die spärliche Beleuchtung der wenigen Laternen half kaum, sich zurechtzufinden. Ich trat zweimal fast in tierische Ausscheidungen, bevor das kleine, schiefergraue Haus meiner Mutter auftauchte. Ich machte den Besuch bei der Nachbarin, die versprach nach meiner Mutter zu schauen, auch wenn ich ihre Missbilligung und Verachtung für unsere Familie ansah. Doch ich musste meinen Stolz herunterschlucken. Es war für meine Mutter. Erschöpft und müde betrat ich wieder das Haus und schlug die Tür hinter mir zu.

"Mutter, bin wieder da, ich mache jetzt essen" informierte ich sie und kochte die Gemüsebrühe im Topf, bevor ich sie in zwei Schüsseln aufteilte, ein Becher Wasser nahm und eine Schüssel mit dem Getränk zusammen in Richtung Wohnzimmer trug. Es war unbewohnt, doch mein Ziel war sowieso die angelehnte Tür dahinter. Wachsam stieß ich die Tür auf und keuchte auf bei der stickigen Luft in der kleinen, fensterlosen Kammer. Doch meine Mutter schien es nicht einmal zu bemerken. Sie saß vor dem selbst gebauten Schrein, starrte auf das Ölgemälde, dass Vater und Kai zeigte und betete. Die Schicksalsgöttin stand auf der umgedrehten Holzkiste, zusammen mit zwei fast abgebrannten Kerzen, die einzigen Lichtquelle hier.

"Susan? Ich habe das Essen. Mach doch eine Pause, nur ganz kurz" flüsterte ich mit weicher Stimme. Meine Mutter reagierte nicht, sondern betete einfach weiter. Völlig verloren stand ich mit eingezogenem Kopf hinter ihr und atmete tief durch.

"Bitte Mutter, du musst was essen. Vater würde es verstehen", jetzt zuckte sie zusammen und mit dumpfen Blick drehte sie ihren Kopf in meine Richtung.

"Nein! Sei nicht so respektlos, schließlich lebst du noch. Also lass mich in Ruhe für ihre Seelen beten, du undankbarer Feigling" zischte sie verärgert und wandte sich wieder dem Bild zu. Wie geschlagen taumelte ich zurück und schnappte nach Luft.

"Mutter, dass stimmt ni..."

"Raus hier, du störst ihren Frieden. Willst du auch noch schuld sein das sie in der Hölle landen?" wisperte meine Mutter vorwurfsvoll.Das ließ mich zusammenzucken und die Schuldgefühle raubten mir beinahe den Atem.

"Ich...", meine Stimme brach und ich gab auf. Stellte das Essen hinter ihr ab und verließ mit hängenden Kopf den Raum. Vermutlich hatte sie Recht aber... ich musste weitermachen. Für sie. Und deshalb durfte ich auch nicht zulassen, dass ich meine Mutter gänzlich verlor. Niemals. Ich räumte die Medikamente weg und legte mich dann schlafen. Ich musste Morgen früh raus. Doch es dauerte lange bis ich Schlaf fand.

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