K 8 - Namen
…damals…
„Konstantin? Hm… auch nicht wirklich ein alltäglicher Name“, entgegnete mir der Falkner, der neben mir her ging und eine angenehme Ruhe ausstrahlte, die mich meine Nervosität vergessen ließ. Also zumindest fast. Jedenfalls brachte ich gerade Sätze heraus und fühlte mich wohl. Und gut und… sicher?
Ich lachte kurz „Na, ja, noch seltener ist wohl Konzi. So nennt mich mein neuer WG-Kollege. Stört mich aber nicht mal, dass er das tut.“
„Nur WG-Kollege, oder ist da mehr?“, musterte er mich mit einem Blick von der Seite und verlangsamte seine Schritte.
„Nö, der Laurenz ist zwar echt heiß, aber grad total verliebt und noch dazu sowas von hetero“, verdrehte ich gespielt genervt die Augen.
„Soll vorkommen“, ertönte es trocken neben mir.
Ich lachte und bekam ein Grinsen geschenkt und wir schritten wieder etwas schneller Richtung Dorf, dessen Häuser am Fuße des Hügels lagen. Etwas schneller schlug nun auch mein Puls, den ich fast hörte weil wir beide schwiegen. Alec genoss wohl einfach die schöne Abendstimmung, die sich über die Landschaft legte als würde sie eine leichte Decke ausbreiten.
Ich mochte die Abende in der Stadt auch, aber das hier war anders. Und so sog ich dieses Bild mit überraschtem Genuss in mir auf.
Wir hatten bestimmt schon mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt, das Gespräch aber nicht wieder aufgenommen. Nicht, dass mich die Stille störte oder gar unangenehm gewesen wäre, aber ich wollte mit ihm reden, mehr über ihn erfahren und hinter die Sully-Kulisse schauen… und okay, vielleicht wollte ich auch ein bisschen seine Stimme hören. Ein bisschen sehr. Und angesichts dessen, was dieser warme Bariton mit mir anstellte, fand ich das völlig legitim.
Also räusperte ich mich kurz und durchbrach die Stille mit „Jedenfalls wurde ich Konstantin getauft, weil meine Mutter damals wohl der größte Konstantin-Wecker-Fan unter der Sonne war. Was sie übrigens immer noch ist“, zuckte ich gelassen die Schultern, weil ich längst akzeptiert hatte, dass man auch mit fast 50 noch ein verrücktes Fan-Girl sein kann. Auch ihn schien das nicht sonderlich zu belustigen, denn er schaute zu mir rüber und lächelte - und dieses Lächeln fuhr mir direkt in den Bauchraum und löste ein Kribbeln aus, das bereits dabei war sich massiv auszubreiten als er erwiderte „Das ist ja ein lustiger Zufall. Ich heiße Alec, weil meine Mutter ein riesen großer Alec-Baldwin-Fan war.“
„War?“, fragte ich vorsichtig, weil sein Gesichtsausdruck plötzlich so ernst war, dass ich sofort wusste, dass das „war“ nichts mit Baldwin zu tun hatte.
„Autounfall. Meine Eltern hatten einen Autounfall als ich 18 war. Geschwister habe ich keine. Seither sind die Vögel meine Familie“, bestätigen seine Worte meine Vermutung. Das wäre der Moment gewesen etwas Einfühlsames zu sagen. Aber mein 22-jähriges ICH brachte nur ein „Verstehe. Sorry“ hervor.
„Ist okay. Ist lange her. Und du? Offensichtlich nicht Einzelkind?“
Unwillkürlich musste ich lachen „Nein. Kein Einzelkind. Auch wenn ich es in meiner Pubertät gerne gewesen wäre. Meine Sis hat mich in den Wahnsinn getrieben! Aber sie hat sich gebessert. Hab ihr die letzten zwei Tage beim Umzug geholfen. Sie studiert bald in Wien. So wie ich damals. Auch wenn Lieschen sicher nicht so schnell sein wird wie ich“, grinste ich nicht ohne Stolz und kurz blitzte das Bild meines Vaters auf und sein anerkennendes Nicken.
„Und heute?“
„Hm?“
„Was machst du heute? Du bist ja offensichtlich nicht mehr am Studieren.“
„München. Ich arbeite in München bei Consulting First.“ Und als ich merkte, dass der Name nicht den erhofften Eindruck schindete, erklärte ich „Die sind ziemlich groß, seit fast 20 Jahren am Markt, beraten Firmen wie Siemens oder Osram, sind international tätig und gerade dabei…“, verebbte mein Geplapper weil ich merkte, wie angeberisch das klang und dass es so gar keine Wirkung auf Alec hatte. Warum auch? Seine Welt waren die Vögel. „Und du? Immer schon im Vogel-Business?“, gab ich den Ball an ihn und brachte ihn damit zu einem lauten Lachen, das mir - oh, welch Überraschung! - SEHR gefiel.
Und als er zu erzählen anfing, wäre mir der Inhalt eigentlich komplett egal gewesen, war er aber dennoch nicht.
„Mein Vater hatte eine Falknerei. Auf einem Hof hier in der Nähe. ‚Vogel‘, also mehr ‚Oel‘, war mein erstes Wort“, lächelte er und ich merkte, dass er gerade gedanklich dort war, auf dem Hof, mit seinem Vater. „Greifvögel waren sein Leben. Eine Leidenschaft, die er mir vererbt hat“, schloss Alec während er mit dem Anhänger an seiner Kette spielte.
„Und weiter?“
„Ich will dich nicht langweilen“, winkte er ab.
„Nein, ernsthaft, erzähl!“, drängte ich ihn, denn ich hatte das Gefühl, noch nie etwas so interessantes gehört zu haben – schon gar nicht erzählt mit einer derart reizvollen Stimme.
Alec schaute mich skeptisch an.
Das ist der Moment wo ich nicht umhinkomme, daran zu denken, wie unglaublich seine Augen waren. Immer noch sind, wie ich heute ja schon festgestellt habe. Jedenfalls im abendlichen Licht wirkten sie dünkler, aber bei Sonnenschein war es ein helles Braun, das sich warm auf einen legte und mit zunehmendem Blickkontakt heißer wurde… so wie damals, als er stehengeblieben war und mich direkt anschaute… und erst recht, als sein Grinsen sie erreichte… Eigentlich hätte ich es da wissen müssen. Hätte, hätte Fahrradkette! Aber zurück zu dem Abend.
Alec fuhr schulterzuckend fort „Wie du meinst. Also, mein Vater war gut zu Vögeln“, zwinkerte er mir zu, lachte kurz, auch ich, und sprach dann weiter „aber Geschäftsmann war er keiner. Der Hof warf so gut wie nichts ab, die Falknerei schon gar nicht. Genau genommen waren die Vögel unser teures Hobby, das wir uns nicht leisten konnten. Nach dem Unfall wollte ich auf dem Hof nicht alleine weiter murksen. Ein Verkauf kam aber auch nicht in Frage. Also verpachtete ich alles und kam mit den Vögeln hier her. Das Tourismus-Management der Region hatte sich damals gerade der Burg angenommen und die Flugvorführungen standen noch ganz am Anfang. Das war ein glücklicher Zufall für mich und die Vögel. Manche von ihnen leben heute noch hier.“
„Die Eule?“, fragte ich reflexartig. Erstaunt nickte er.
„Ja, Nikita war immer Papas Liebling.“
„Und jetzt deiner?“, fragte ich wieder ohne darüber nachzudenken.
„Mh“, bestätigte er lächelnd, aber ich war mir nicht sicher, ob das Lächeln mir oder dem Gedanken an die Eule oder an seinen Vater galt.
„I wish the time I had with you lasted longer” (@regrettales)