K 6 - So nicht
Kaugummi kauend und mit auf und ab wippendem Bein verharre ich auf der Holzbank – deren Ungemütlichkeit sich längst meiner Wahrnehmung entzogen hat. Mein Blick gilt – mit ganz wenigen Ausnahmen – den Vögeln. So schön diese auch anzusehen sind, bin ich froh, als der letzte Flug zu Ende geht, der Grund meines Besuches mit seinem Falken auf dem Arm eine Verbeugung andeutet und wie vorher gebeten, nur sehr leiser Applaus erklingt. Auch meine Hände klatschen mechanisch.
Am liebsten würde ich sofort zu ihm hingehen, denn: I have a mission! Aber mein heldenhafter Auftritt zur Rettung meiner Selbst muss noch warten, weil, wie damals gibt es nach der Show die Möglichkeit Fotos zu machen – von oder mit den Vögeln. Und wie damals wird dies (leider) von vielen genutzt. Also bleibe ich sitzen und warte. Und beobachte natürlich das ganze Treiben – nun vor allem auch IHN.
Kein einziges Mal schaut er zu mir, obwohl er mich aus den Augenwinkeln sehen müsste und ich der einzige bin, der hier noch rumsitzt. Also langsam ärgert er mich!
Endlich ist die Foto-Session zu Ende. Ich springe auf und gehe schnell rüber bevor der werte Herr Falkner abhauen kann, was er, wenn ich sein Verhalten richtig deute, gerade tun will. Hat mir schon den Rücken zugedreht. Will der mich ernsthaft einfach ignorieren?! Er hat mich doch garantiert erkannt! Was soll der unerwachsene Scheiß?!
Schon bin ich hinter ihm, fasse ihm reflexartig an die Schulter und sage laut „Warte!“ Der Zug unter meiner Hand zeigt mir, dass er noch einen Schritt machen will, dann bleibt er doch stehen und dreht sich langsam um.
„Konstantin“, sagt er mit einem Blick, den ich nicht wirklich deuten kann, der mich jedoch nicht viel Gutes ahnen lässt und der dann auf meiner Hand landet als wäre da eine lästige Fliege – irgendwie habe ich es geschafft, dass ich ihn trotz seiner Drehung immer noch berühre, jetzt am Unterarm. Drei schnelle Herzschläge lang hypnotisiere ich diese Berührung, spüre seine vom Hemdärmel befreite Haut überdeutlich. Erschrocken ziehe ich meine Hand ruckartig weg und mein Kopf schnellt nach oben - unsere Blicke treffen sich.
Ich komme nicht umhin, das außergewöhnliche Braun seiner Augen wiederzuerkennen und starre wahrscheinlich ein paar Sekunden zu lange, bevor ein „Hallo“ viel zu leise aus meinem Mund kommt, weil jetzt so direkt vor ihm wackelt meine Courage plötzlich gewaltig.
Aber dass er mich tatsächlich erkannt hat UND meinen Namen noch weiß, scheint mir ein Etappen-Sieg; wühlt mich gleichzeitig dermaßen auf, dass das erstbeste über meine Lippen purzelt „Ist ne Weile her.“
„Kann man so sagen.“ Mehr sagt er nicht, schaut mich forschend an.
„Äh… ja. Richtig. Echt lange“, werden meine verbalen Ergüsse nicht besser, sein Blick nicht freundlicher. Okay, mein Zeitfenster ist wohl nicht mehr groß, also am besten einfach ganz direkt und ich frage „Wollen wir auf ein Bier gehen?“
„Musst du wieder mal dein Wochenende in dieser langweiligen Gegend aufpeppen?“
„Was?!“, bin ich überrumpelt von der Frage, noch mehr von der Kühle in seiner Stimme und stottere meine Antwort „Nein, äh.. nur ein Bier und … reden?“
„Wüsste nicht worüber. Aber egal, ich hab sowieso keine Zeit“, begräbt er meinen Etappen-Sieg unter seinen Lederstiefeln. Aber: I have a mission!
Also zweiter Anlauf mit „Oh. Schade. Vielleicht morgen? Hast du da Zeit?“
„Nein.“
Jetzt trampelt er auch noch herzlos auf dem am Boden liegenden Etappen-Sieg herum! Wie grausam! „Und übermorgen?“, kommt es dennoch aus meinem Mund. Ja, klar, warum auch nicht wie ein Hund um einen Knochen betteln?! Gott, ich hätte in meiner Business-Welt bleiben sollen, da passiert mir so ein erniedrigender Scheiß nicht.
Bevor ich die Peinlichkeit mit einem lässigen ‚Das war ein Scherz, vergiss es!‘ oder so ähnlich weglachen kann, kommt auch schon seine Antwort. „Welchen Teil von NEIN hast du nicht verstanden?“, sagt er mit einer Ruhe, die mich mehr trifft, als es Ärger getan hätte. Egal. ICH war ihm EGAL. Da habe ich meine Antwort…. Wow… das ging schnell… Und ich sollte nicht so überrascht sein…
Es ist wie ich vermutet hatte. Diese ganze Damals-Sache ist ein völlig irrationales Hirngespinst meinerseits.
Okay. Akzeptiert. Aber das ist noch lange kein Grund mich hier dermaßen abzukanzeln! Ich bin wirklich gut im Fehler zugeben, aber dazu muss ich erstmal einen gemacht haben. Ich hab doch nur nach einem harmlosen Bier gefragt. Gut, vielleicht etwas unbeholfen, aber ganz sicher höflich genug!
Ich komme mir also hochgradig unfair behandelt vor. Und Fairness ist etwas wofür ich immer gerne – oft zu unüberlegt – auf die Barrikaden steige. Und der Vogelflüsterer hier, hat meinen Fairness-Button gerade eben nicht nur gedrückt, sondern mit seiner lederbehandschuhten Faust drauf gehauen!
Also straffe ich langsam die Schultern und auch wenn es mich viel Beherrschung kostet, entgegne ich mit der gleichen Ruhe wie er „Keinen. Ich habe jeden unfreundlichen Teil davon verstanden. Aber ich glaube dir nicht. Also werde ich dich morgen wieder fragen. Schönen Abend noch“, warte ich keine Antwort ab und drehe mich zum gehen – nicht ohne noch zu sehen, dass ihm leicht die Kinnlade runterfällt. Chakka! Ich bin Konstantin Baumann, Head of International Business Consulting, ich leite drei Abteilungen mit insgesamt über 100 Leuten, mit MIR springt man NICHT so um! Ha! Betont gelassen schlendere ich von dannen.
In meinem Inneren ist von souveränem Geschäftsmann allerdings wenig zu finden. Welcher neue Wahnsinn hat mich denn da gerade befallen?! Ich will doch nicht tatsächlich morgen wieder kommen und mir noch eine Abfuhr abholen? Wo ich doch meine gesuchte Antwort schon habe. Hirngespinste! Nichts als Hirngespinste! Die ich zu lange kultiviert habe und die meiner gar nicht würdig sind! Over and Out. Definitiv.
Aber morgen nicht auftauchen, kann ich jetzt auch nicht. Nicht, nach dieser Ansage! Das wäre feige. Und ich war lange genug feige gewesen was diese Vogelflüsterer-Sache anbelangte. Ihn Vogelflüsterer zu nennen, tut richtig gut. Nimmt die unverdiente Dramatik aus der Sache. Ich atme tief durch.
Vielleicht ist er ja morgen gar nicht da? Dann wäre er der Feigling und ich hätte gewonnen. Also zumindest wäre ich nicht der, der große Sprüche klopft und dann nichts dahinter.
Ich seufze laut. Also morgen nochmal Greifvogel-Show und nochmal ein Körbchen holen. Gut, hab ja sonst nichts zu tun. Boah, so war das nicht geplant! Ach ja, stimmt ja, ich hatte ja nichts geplant. Wahrscheinlich liegt da der Fehler. Aufgebracht - nein, das kann man schon wütend nennen! - stampfe ich zu meinem Auto, schlage die Türe Übergebühr fest zu und lasse den Kopf aufs Lenkrad sinken.
Der Heiligenschein liegt im Staub des Parkplatzes.
***
Gute 300 Meter entfernt zieht jemand einen Lederhandschuh aus und tippt eine Nachricht in sein Handy:
Hi. Sorry, ich kann heute doch nicht. Ich meld mich. A.
PS: Glaub nicht, ich hab vergessen, dass dein letzter Zug dich in eine gefährliche Position gebracht hat… ;-)
Ohne eine Antwort abzuwarten wird das Telefon ausgeschalten und verschwindet in einem Lederbeutel. Bestimmte Schritte gehen auf einen Käfig zu, die Luke wird geöffnet und ein Arm einladend hingehalten, begleitet von einem leisen Pfeifton und liebevollem „Komm, meine Schöne, wir gehen fliegen“. Wenig später erhebt sich eine Schleiereule in die Lüfte.
„The problem is not the problem;
the problem is your attitude about the problem”
(Captain Jack Sparrow @michelegwin)