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K 5 - Sowas wie ein Plan

„Manchmal will man etwas nicht wissen,

weil man es tief im Inneren schon weiß,

aber keine Ahnung hat,

wie man damit umgehen soll.“

(@visualstatements auf Instagram)

Diese Nacht. Mehr als sieben Jahre ist sie nun schon her. Unglaubliche SIEBEN Jahre! Und noch viel unglaublicher ist, dass ich diese Begegnung, dass ich IHN in all der Zeit nicht vergessen habe. Zeitweise erfolgreich verdrängt, ja. Aber vergessen? Nie.

Und heute sitze ich doch tatsächlich auf dieser scheiß unbequemen Bank! Und mein persönliches Dämlichkeits-Krönchen ist, dass ich noch nicht mal genau sagen kann, was ich überhaupt damit bezwecke. Was zum Henker will ich eigentlich hier?! Schreie ich mit mir, oder mein Herz mit meinem Hirn, oder mein Ego mit …keine Ahnung!

Denn jetzt, wo ich mich entschieden habe mich dieser „Sache“ zu stellen und abzuschließen, frage ich mich einmal mehr, was ich mir da über die Jahre gedanklich so zusammen fabriziert habe. Ob das damals tatsächlich so etwas Besonderes gewesen sein kann und ich es einfach nur grandios verbockt hatte, oder ob es nicht viel mehr eine jugendliche Schwärmerei war, eine verklärte Erinnerung meines damals so unerfahrenen ICHs? Also ein Verheiligen von etwas, das gar nicht so war.

Wie oft habe ich mir in den vergangenen Jahren genau das gesagt?! Zigmal! Und doch…

Jedes Mal, wenn ich jemanden kennengelernt, jemanden interessant gefunden habe, mit jemandem mit nach Hause bin – jedes Mal stellte ich automatisch den Vergleich an. Nie kam es an die Erinnerung heran. Viele hatten längere Haare, die meisten einen Bart, einige irgendein Lederteil an oder eine Kette um. Manchmal war es auch nur die tiefe Stimme, die mich neugierig machte.

Aber keiner war wie ER. Nicht mal annähernd.

Mit vielen von ihnen hatte ich Sex, manchmal auch längere Affären. Das war schon gut und ich hab viel gelernt – war weit spannender als auf der Uni. Aber nie… nie war es wie damals. Keiner hat mich fühlen lassen wie damals, fühlen lassen wie ER. Irgendwie hatte immer etwas… gefehlt. Etwas, das ich nicht mal im Stande bin zu beschreiben!

Boah, wie jedes Mal wenn ich das in der Vergangenheit dachte, schüttle ich fassungslos den Kopf, weil es einfach dermaßen absurd ist.

Mehr als einmal hab ich „Salz auf unserer Haut“ geschaut und gedacht: Fuck, ich lebe diesen verdammten Film! Nur, dass wir beim ersten Treffen mehr als Schwimmen taten und es danach keine heimlichen Wiedersehen gab. Was, wenn ich damals wirklich hollywoodverdächtiges Glück hatte, etwas Außergewöhnliches zu finden?

Ich fahre mir durch die Haare und spüre meinen Herzschlag wieder deutlicher. Was, wenn das hier tatsächlich mehr sein könnte als ein Ende zu etwas, das schon viel zu lange dauert?

Jesus, ich klinge schon wie die Pilcher! Stop! Weil das Leben ist nun mal kein gottverdammter Herz zerreißender Film! Das weiß ich doch! Die Landluft tut mir nicht gut…

Andererseits sehe ich die Dinge auch irgendwie klarer. Denn wenn ich nun hier so sitze, dann frage ich mich, WARUM bin ich nicht viel eher auf die Idee gekommen, hierher zurückzukehren und mir endlich bewusst zu machen, dass ich mir ein imaginäres Ideal erschaffen habe. Ein Ideal, das ich gerade mal ein paar Stunden gekannt hatte, verdammt! EINE einzige Nacht! Nicht mal eine ganze! Und ich Hornochse trauere ihr jahrelang nach und krieg mein Leben, also zumindest mein Liebesleben, nicht auf die Reihe! Aaaargh!

Ich raufe mir wieder durch die Haare, beiße mir auf die Unterlippe und weiß auf einmal ganz genau, warum ich diesen Gegenbeweis so lange nicht angetreten bin.

Aus Angst, dass dieser Erinnerung der Heiligenschein herunter gerissen wird. Dass es doch nicht so besonders und einzigartig war. Dass es so etwas gar nicht gibt und ich… schon jahrelang vergebens danach suche. Fuck! Soll ich noch schnell gehen? Noch habe ich eine Fluchtmöglichkeit.

Nein. Nein, weil es genau das wäre – eine Flucht. Eine Flucht vor der Realität. Und verdammt nochmal, übernächsten Monat werde ich 30! Da sollte man wirklich aufhören, irgendwelchen Fantastereien nachzuhängen!

Aber ich hab fast Angst davor. Ich will eigentlich gar nicht! So muss sich ein Raucher fühlen, dessen Kopf genau weiß, dass er mit dem Blödsinn dringend aufhören muss, aber alles andere in ihm schreit laut, dass er das doch gar nicht will! Und auch nicht weiß, ob er es kann. Und dann wird das Aufhören (wieder) verschoben. Aber ich, ich werde das jetzt nicht mehr verschieben! Ich hab zwar keinen Plan, wie ich es anstellen werde, aber ich werde diese Sucht oder what ever es ist, beenden. Hier und heute. Jawohl!

Ich richte meinen Oberkörper auf, mein Gesichtsausdruck sieht bestimmt so entschlossen aus wie ich mich fühle – kurz bevor alles… ins Wanken gerät,… denn mein Blick fällt… auf IHN, der mit Falken auf dem Arm die ovale Vorführungsfläche betritt. Ach, was heißt hier betreten?! Geradezu erhaben HEREINSCHREITEN tut er!

Er ist es. Er ist es wirklich…

Ich war wohl so in Gedanken gewesen, dass ich gar nicht gemerkt habe, dass die Bänke mittlerweile gut gefüllt sind.

Ob ich es will oder nicht, meine Augen hängen an ihm, mein Herz pocht so schnell, dass mir das Blut in den Ohren rauscht und dann… dann treffen sich unsere Blicke – aber nur ganz kurz, er schwenkt sofort weiter – kommt aber innerhalb weniger Sekunden zu mir zurück (!) und ich sehe Erkennen in seinen Augen aufblitzen und Erstaunen und…Argwohn? Na, toll! Wahrscheinlich will er nicht mal mit mir reden! So viel zu meinem Plan, den ich eh gar nicht habe.

Aber vielleicht genügt das ja schon als Therapie? Also völlige Ignoranz seinerseits? Bei meinem Glück wahrscheinlich nicht. Nein, ich muss, ich muss,… ja was eigentlich? Fuck, ich hätte doch einen Plan machen sollen! Einen guten! Aber wann bitte hätte ich das machen sollen?!

Ich habe ja erst heute Mittag entschieden, dass ich diesen Wahnsinn hier überhaupt tue. Nach einer Nacht in der ich zigmal an damals gedacht hatte – nur weil ich zufällig wieder in die Gegend musste. Meine Schwester lebt längst nicht mehr hier. Ein Geschäftstermin hat mich heute morgen Richtung Wien geschickt.

Ein Termin der extrem spontan abgesagt worden war und am Montag nachgeholt werden soll. Sehr ärgerlich und auch unprofessionell, aber bei einem potenziellen Kooperations-Partner, da zeigt man natürlich (geheucheltes) Verständnis.

Klar hätte ich fürs Wochenende zurück nach München fahren können. Mein Firmenwagen bot alle Raffinessen und Komfort um diese Fahrt angenehm zu machen – nur fahren musste man den Lexus noch selbst. Und genau das tat ich nicht gerne. Ich bin noch nie gerne Autogefahren, bevorzuge den Zug. Aber bei wichtigen Terminen parkt man lieber ein paar viele tausend Euro vor dem Haus der Geschäftspartner, als dass man mit der Bahn kommt.

Da ich, als der Anruf bezüglich Verschiebung kam, schon am Stadtrand von Wien war, warum hätte ich kehrtmachen und mir dieses ungeliebte Autobahnfahren gleich wieder antun sollen? Und dann Montag nochmal? In meiner Wohnung wartet ohnehin nur eine Designer-Couch, die laut Elisabeth nicht mal halb so bequem wie schön ist. Und sie hat Recht.

Nein, da war Wien definitiv die attraktivere Alternative. Also bin ich Richtung Innenstadt gefahren und beim zweiten Versuch hatte ich ein Hotelzimmer.

Arbeiten kann ich auch hier, wenn ich will. Vielleicht werde ich das aber ausnahmsweise mal nicht, weil... weil ich genau das in den letzten Monaten immer wieder infrage gestellt habe bzw. mich gefragt habe, ob das wirklich alles war. Arbeiten. Immer.

Mein nahender 30. Geburtstag hat das in mir ausgelöst. Ich spüre schon seit Wochen etwas in mir brodeln. Genauer gesagt seit ich an dieses eine Gespräch damals in der WG gedacht habe. Als wir am Küchentisch sitzend darüber philosophiert, nein, eher fantasiert hatten, wie unser Leben mit dreißig aussehen würde.

Wir alle hatten dieses Zukunfts-Bild ordentlich mit Farbe und Optimismus ausgemalt. Was an unseren jungen Jahren genauso gelegen hatte wie an der fast geleerten Grappaflasche.

Unwillkürlich denke ich daran, was die anderen damals so gesagt hatten über ihr Leben mit dreißig. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass manche verdammt nah dran sind, an den damaligen Wünschen. Zumindest näher am privaten Glück als ich es je gewesen war.

Beruflich gesehen bin ich wohl der einzige, der sogar über das ohnehin hoch gegriffene Ziel hinausgeschossen ist.

Darauf bin ich auch stolz. Auch mein Vater. Wir reden ja ohnehin nur über den Job. Mein Privatleben existiert für Papa nicht. Nicht mehr seit meinem 18. Geburtstag an dem ich mich geoutet habe. Also eher aus Versehen von meiner Schwester geoutet wurde.

Erst war ich stink sauer, aber ich trug es ihr nicht lange nach. Ehrlich gesagt war ich bald froh darüber, denn ich hätte das wohl noch ewig vor mir hergeschoben – aus einer Befürchtung heraus, die Papa (leider) mehr als bestätigt hat.

Selbst heute schmerzt die Erinnerung noch. Die Erinnerung daran, wie er und ich uns jahrelang elegant aus dem Weg gegangen waren. Hätte ich ihm damals on top noch gesagt, dass ich vom Wirtschaftsstudium nicht ganz so überzeugt war, hätten wir uns wohl vollends entzweit.

Also trat ich in seine Fußstapfen und, wenn auch traurig, aber der berufliche Erfolg schaffte, wozu die väterliche Liebe nicht fähig gewesen war, und schlug eine Brücke. Wir sprachen wieder regelmäßig miteinander und der Stolz meines Vaters war echt. Ist er immer noch. Aber Privates klammern wir nach wie vor aus. Was nicht weiter schlimm ist, denn da war und ist nicht viel Privates – in der jüngsten Vergangenheit schon gar nicht. Und genau darüber denke ich seit einigen Wochen immer wieder nach.

Lieschen freut sich schon gewaltig auf eine große 30er-Party. Wohlgemerkt eine Party, die ich noch in keinster Weise geplant habe – nicht einmal weiß, ob sie überhaupt stattfinden soll. Denn, habe ich Grund zum Feiern? Von außen betrachtet sicher: Ich bin immer noch jung, gesund, beruflich extrem erfolgreich und gut aussehend (behauptet zumindest meine Schwester und mein Spiegelbild läuft auch nicht schreiend davon – so viel gesunde Arroganz darf sein.)

Definitiv ist es Jammern auf sehr hohem Niveau, aber was, wenn das die nächsten Jahre genau so weiterläuft? Für viele vielleicht ein Traum, aber ich kann mich seit neuestem bemühen wie ich will, ich finde das nicht zum Feiern…

Ist das etwa eine verfrühte Midlife-Crisis? Werden so Sachen auch immer früher aktuell? So wie Herzinfarkte?

Vielleicht sollte ich einfach nicht da sein an meinem Geburtstag. Fünf-Stern-Hotel auf den Seychellen – das würde jeder verstehen. Dann könnte ich auch endlich wieder einmal tauchen. Tauchen ist wie eine kurze Freiheit und erinnert mich immer an Fliegen – losgelöst von allem.

Vielleicht fühlen sich so Vögel, wenn sie langsam ihre Kreise ziehen? Eins mit dem Element, sich treiben lassen… So wie der Falke, dessen majestätischen Flug ich während meiner wirren Gedanken immer noch mitverfolge, als mich ein schriller Pfiff zusammenzucken lässt und ich reflexartig zu IHM schaue.

Hat er seinen Blick auch gerade eingesammelt? Etwa von mir?! Ich starre ihn an, will ihn fast zwingen, diese Annahme zu bestätigen und zu mir rüber zu schauen.

Tut er nicht. Schaut konzentriert auf den sich nähernden Falken, streckt ruhig aber bestimmt den Arm aus und das edle Tier landet sicher auf dem Handschuh um sich seine Belohnung abzuholen.

Auch den Rest der Show werde ich ignoriert. Entweder weil Falkner generell nie Kontakt mit dem Publikum halten, eher aber mit voller Absicht, weil an den ein oder anderen Blick damals kann ich mich sehr wohl erinnern. Diese völlige Ignoranz fühlt sich nicht gut an, aber immerhin kann ich ihn so ungestört beobachten.

Immer noch längere, leicht wellige Haare. Immer noch diese komischen Dinger in den Haaren, immer noch braun gebrannte Haut und dieser sexy bisschen mehr als Bartschatten. Auch das Outfit unverkennbar - irgendetwas zwischen Winnetou, Cowboy, den Elfen von Herr der Ringe und all in all immer noch sehr Sully-like.

Mag sein, dass das nicht jedermanns Sache ist, aber meine war es damals und auch heute würde ich ihm eine glatte 10 geben. Mit einer Plus für die Reife, die ihm definitiv steht. Und noch einer Plus, wenn er mal lächeln würde.

Alle meine Körpersignale halten längst das Gefällt-mir-Schild hoch und verursachen mit ihrem Gewedele ein komisches Flattern in meiner Magengegend. Oder vielleicht rührt das Flattern auch von dem Blick her, den ER gerade seinem Falken schenkt, der eine Übung besonders gut gemacht hat. Dieses anerkennende, lobende Nicken, diese tiefe Zuneigung die man sogar auf die Distanz sehen, vielleicht auch spüren kann... Jetzt gerade möchte ich… dieser Falke sein...

Herr im Himmel, wie bin ich erbärmlich! Innerlich haue ich mir eine runter. Fest. Und zwinge meinen Blick in die Hügellandschaft. Ich bin doch nicht hierhergekommen um diesen Wahnsinn noch schlimmer zu machen!!!

Okay, ich habe vielleicht keinen Plan, aber jetzt definitiv ein Ziel: Unverrichteter Dinge gehe ich hier nicht weg. Weil mit noch mehr Hirngespinsten will ich die nächsten sieben oder wer weiß wie viele (!) Jahre definitiv nicht herumlaufen! Das ist doch alles nicht zu fassen! Wahnsinn gepaart mit Irrsinn; dekoriert mit Verrücktheit. Originelle Kombi, das muss ich mir lassen...

Ich kann ein lautes Seufzen nicht mehr unterdrücken und schicke noch ein doch recht gequältes Stöhnen hinterher, während ich den Kopf in den Nacken schmeiße und mir ist scheiß egal, ob ich damit den Vogel störe!

“Du brauchst nicht immer einen Plan.

Manchmal brauchst du einfach Eier.“

(@bodoschaefer)

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