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7. Kapitel

Am nächsten Morgen erwachte Ana mit einem Lächeln auf ihren Lippen. Sie brauchte nur ihre Augen zu schließen, dann konnte sie erneut die Kraft spüren, die sie im Ritual durchströmt hatte.

Als sie in den Klassenraum kam, der an diesem Tag für den Unterricht vorgesehen war, blickte sie auf ihren Stundenplan. Götterkunde. Der alte Mann. Ana seufzte. Sie fürchtete sich noch immer vor Mr. Peters. Denn sie musste wieder und wieder daran denken, wie er sie in ihrer ersten Stunde berührt hatte.

Nur ungern erinnerte sie sich daran, wie schwach sie sich immer nach dem Unterricht fühlte. Ana hatte das Gefühl, als wenn Mr. Peters tief in ihre Seele sehen konnte. Ana schüttelte sich. Sie rieb mit den Händen über ihre Unterarme. Die Erinnerung an Mr. Peters hatte gereicht, dass sich eine Gänsehaut auf ihren Unterarmen gebildet hatte.

Seit dem ersten Tag überlegte sie, warum ihr dieser Lehrer so unangenehm war.. Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie ihre Gedanken für sich behalten musste. Die Geschehnisse im zweiten Ritual gingen niemand etwas an, der nicht dabei gewesen war.

Ana setzte sich auf ihren Platz neben Rina und wartete. Mr. Peters war ein Lehrer, der grundsätzlich den Unterricht fünf bis zehn Minuten später begann. In der Acedemy hatte keine Klasse einen festen Klassenraum, wie Ana es von ihrer alten Schule kannte. Stattdessen hatte jeder Lehrer zwei bis drei Räume, in denen er regelmäßig unterrichtete. Da viele Unterrichtsinhalte sorgfältige Vorbereitungen nötig machten, entschieden die Lehrer selbst, in welchem Raum sie die jeweilige Stunde abhalten wollten. Sie sendeten den Schülern am Tag vor dem Unterricht die jeweils aktuelle Raumnummer auf ihre Neomelder zu.

Mr. Peters trat ein, verdunkelte ohne eine Begrüßung den Raum, dann drückte er auf einen verborgenen Knopf auf seinem Schreibtisch. Die Klasse spürte, dass er ,wie meistens, schlechte Laune hatte. Jeder Schüler und jede Schülerin hoffte, dass der Lehrer sie nicht bemerkte. Wenn er schlechter Laune war, machte es ihm immer besonders viel Freude, die Mädchen und Jungen mit schweren Fragen zu quälen. Er freute sich daran, die Schüler einzeln nach vorn zu rufen und den Unterrichtsstoff der vorherigen Stunde abzufragen. Diese mündlichen Überprüfungen führte er, mindestens zweimal pro Schuljshr durch. Manchmal war es reine Schikane, wie er mit dem einzelnen Schüler umging. Es gab nur wenige, die Mr. Peters mochte. Seine Lieblinge in der Klasse verschonte er mit seinen perfiden Fragespielchen. In dieser Stunde ging der Kelch an allen vorüber.

Eine Leinwand senkte sich langsam von der Decke herunter und entrollte sich. Im Boden öffnete sich eine Klappe. Aus dieser erhob sich eine Säule aus glänzendem Stein, auf der ein Projektor montiert war. Die Säule sah wertvoll aus. Anna vermutete, dass sie aus Marmor war, so wie es ächzte und rumpelte, bis die Säule vollkommen aus dem Boden hinaufgefahren war. Der Projektor sah, im Gegensatz zu den anderen Geräten, die Ana bisher an der Acedemy gesehen hatte, nicht funkelnd und neu aus , sondern man sah ihm an, das er schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hatte. " Genau wie Mr. Peters," dachte Ana. Der Lehrer startete einen Film. Ana seufzte. Sie hatte Filme in ihrer alten Schule meistens langweilig gefunden, warum sollte sich das jetzt ändern. Eine überdimensionale Hand erschien auf dem Bildschirm.

"Hier seht ihr die heilige Fünf, dargestellt durch die eigene Hand. Eure Hände sind ein heiliges Gut," erklärte der Lehrer.

" In ihnen manifestieren sich die Kräfte der Natur. Der Daumen steht für das Wasser." Er hielt seine eigene Hand hoch und zeigte auf seinen Daumen.

"Der Zeigefinger repräsentiert das Feuer, der Mittelfinger steht für die Luft."

Der Lehrer griff nach seinem Ringfinger und fuhr fort:

" Dieser Finger stellt die Erde dar"

Dann griff Mr. Peters nach dem Zeigestock und richtete dessen Spitze auf den kleinen Finger auf der Abbildung.

" Der kleine Finger ist der wichtigste Finger.

Er steht für Äther, das bedeutet Geist. Er repräsentiert das Übernatürliche, aber auch eure Gedanken und den eigenen Geist. Alles, was ihr nicht greifen könnt.

Geist steht auch für den Menschen an sich, für seine Gedankenwelt. Geist bedeutet auch das uralte Wissen, das die Menschheit teilt. Seit dem GAU ist viel davon verloren gegangen. Die neuen Menschen sind vereint im Geist. Öffnet eure Gedanken für das Wissen der Älteren. Den Geisteskräften sind alle anderen Kräfte untergeordnet.

Feuer wird in unserer Welt auch durch den Strom beschrieben.

Das Element Wasser steht für Wasserkräfte.

Luft ist verbunden mit der Sonne und wird durch die Solarenergie repräsentiert.

Erde steht für die Kraft der Atome, verstanden als die Kraft der kleinsten Teilchen.

Das ist das grundlegende Wissen der Menschheit. Diese Kräfte sind die fundamentalen Grundlagen der neuen Welt."

Die Stimme des alten Mannes hallte in Anas Ohren wieder. Sie sah die Begeisterung in seinen Augen. Er strahlte eine derart ansteckende Energie aus, das Ana diesmal das Gefühl hatte, dass das Klassenzimmer erfüllt war von hin und her wabernder Energie. Fast meinte sie, die Schatten wahrzunehmen, die als Energieströme von dem Lehrer durch den Raum flossen und die Schüler erfassten. Ana spürte, wie ihr Körper von einem Kribbeln erfüllt wurde und sich erwärmte.

" Die Kräfte zu kontrollieren und in geordnete Bahnen zu lenken, ist den neuen Menschen gelungen. Jetzt, im dritten Jahrtausend, herrscht Klarheit vor. Die Menschen teilen ihre Gedanken. Die Menschheit hält zusammen. Nur zu unserem Schutz wurden Siedlungen wie die Siedlung 2020 gegründet. Die Menschheit hat Freiheit gewonnen, indem individuelle Alleingänge unterlassen werden. Wir teilen unser Wissen mit dem Kollektiv und sind dadurch stark."

Seine Augen wanderten durch den Raum, dann richtete er sie auf die Schüler - er schaute von einem zum anderen. Sein eindringlicher Blick fixierte jeden von ihnen.

Ana erschauderte. " Jedes Kollektiv kann nur so stark sein, wie sein schwächstes Glied, " flüsterte Rina. Ana nickte leicht, sie hasste alle Gleichmacherei. Nie wäre sie bereit, ihre Individualität zugunsten einer Gruppe aufzugeben.

Etwas miteinander zu schaffen war ja in Ordnung, aber es galt, die unterschiedlichen Fähigkeiten der einzelnen Gruppenmitglieder zu nutzen, um ein Ziel zu erreichen. Gleichmacherei führte zu gar nichts. Das hatten ihre Eltern ihr immer wieder gesagt und Ana glaubte fest an diesen Grundsatz.

Aber sie ahnte, das es für sie besser war, ihre Gedanken zu zügeln. Derartige Gedanken waren in der Schule nicht gern gesehen. Die Lehrer versuchten durch die Bank weg, die Individualität ihrer Schüler zu unterdrücken. " Aber nicht mit mir," dachte Ana kämpferisch. Sie befürchtete, dass es auf ihre eigene Kraft und Fähigkeit ankommen würde, wenn es darum ging, einen Weg zu finden, um Malus zu widerstehen.

Als sie nach Ende der Unterrichtsstunde mit Rina auf dem Weg zum Speisesaal war, kam ihnen Momo entgegen. Sie war ganz aufgeregt. " Habt ihr es schon gelesen? Nächstes Wochenende ist Besuchswochenende. Da können unsere Eltern und Freunde aus dem alten Leben uns besuchen." " Nächstes Wochenende schon?" Rina strahlte.

" Jeder von uns kann drei bis sechs Personen einladen. Ich freue mich darauf, meine Eltern und meinen kleinen Bruder wieder zu sehen. Die Direktorin schreibt unsere Eltern an. Und dann müssen sie mitteilen, mit wie vielen Besuchern die Familie vertreten sein wird. Wegen der Passierscheine müssen sie es rechtzeitig wissen, " Momo sprudelte die Informationen nur so hervor. Sie strahlte über das ganze Gesicht. " Angela," entfuhr es Ana. " Angela ist, äh - war meine beste Freundin in der alten Schule. Ich muss meine Eltern bitten, dass sie Angela mitbringen."

Auch beim Abendessen war der bevorstehende Besuchstag das wichtigste Gesprächsthema. An allen Tischen wurde der Ablauf des geplanten Tages besprochen. Die Schüler hatten gerade ihr Essen beendet, als sich die Direktorin erhob und mit ihrer Gabel an ein Glas schlug. " Ich bitte um Ruhe," begann sie, " inzwischen werdet ihr alle von dem nahenden Besuchstag gehört haben. Denkt daran, eure Gäste anzumelden. Wir haben am schwarzen Brett Listen ausgehängt. Dort tragt bitte ein, wen ihr eingeladen habt. Wenn die Gäste hier sind, wird es Vorführungen geben. Eure Familien sollen sehen, was ihr hier lernt. Und welche Fortschritte jeder von euch seit dem letzten Besuchswochenende gemacht hat. Außerdem wird die Küche ein kalt-warmes Buffet zubereiten. Dazu sind eure Gäste natürlich auch herzlich eingeladen."

Sie blickte noch einmal im Raum umher, so dass alle Schüler das Gefühl hatten, sie hätte sie persönlich angesprochen. "Lasst euch das Essen noch weiter schmecken. Ich werde mich in meine Gemächer zurück ziehen." Die Direktorin erhob sich und segelte aus dem Speisesaal. " Das wird bestimmt ein großer Spaß," überlegte Ana, die sich sehr darauf freute, ihre Eltern und die Freundin wieder zu sehen. "Lasst uns nach dem Essen gleich unseren Familien Bescheid geben," überlegte Momo. " Der Termin ist ja wieder einmal sehr kurzfristig angesetzt worden," fügte Rina hinzu," Das ist hier aber typisch. In der Academy of Power werden Termine immer kurzfristig angesetzt."

Am nächsten Morgen hing ein weiterer Aushang am schwarzen Brett. Als Rina und Ana auf dem Weg zum Speisesaal daran vorbei kamen, hatte sich schon eine große Traube an Schülern darum gescharrt. " Warum denn ausgerechnet jetzt?" "Schon wieder." " Die waren doch gerade erst hier." Ana las eine Bekanntmachung, in der darüber informiert wurde, dass die Regierung wieder einmal die Kräfte überprüfen lassen wollte. Es sollten diejenigen Schüler gefunden werden, die in der Lage waren, ihre Kräfte am besten zu nutzen.

"Fighting Powers heißt, dass da Wettkämpfe stattfinden, wo verschiedene Aufgaben gestellt werden, die wir mit Hilfe unserer Kräfte lösen müssen. Sie wollen die besten Schüler der Schulen ermitteln. Und manchmal werden zu diesen Treffen auch noch andere Menschen eingeladen. Es gibt ja nicht nur uns, die hier mit ihren Kräften an dieser Schule arbeiten. Unter den neuen Menschen leben auch noch einige unerkannte Leiter."

Ana starrte Rina an. " Unerkannte, so wie mich? Ich dachte, die Behörde hat das alles perfekt im Griff?" " Das hätte sie wohl gern." Rina schmunzelte. " Oft ist es eher Glück, wenn ein neuer Schüler entdeckt wird. Die Kontrolleure der Behörde sind längst nicht so perfekt, wie sie selbst meinen." Den letzten Satz flüsterte Rina fast. " Kritik an der Behörde ist nicht sonderlich gern gesehen. Du kannst in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, wenn du nicht aufpasst und die falschen Leute davon erfahren."

Ana staunte. " Ich habe, bis ich im ersten Ritual war, nicht einmal geahnt, dass ich irgendwelche Kräfte besitze." " Das ist auch ungewöhnlich. Die meisten von uns sind von ihren Eltern schon mit dem Wissen über die Kräfte versorgt worden, als wir gerade in die Schule gekommen sind." " Und ich habe erst mit 17 davon erfahren, dass ich anders als die anderen bin...Meine Eltern waren auch überhaupt nicht glücklich, als der Brief der Academy kam." Ana erinnerte sich an die Tränen ihrer Mutter und die Anspannung unter der ihr Vater gestanden hatte, als er ihr den Brief gegeben hatte. "Sie hätten es lieber gesehen, wenn ich bei Ihnen geblieben wäre. " "Für einige Familien ist es ein Privileg, wenn ihre Kinder als Schüler an die Academy of Power aufgenommen werden. Andere wiederum stehen dem System hier sehr kritisch gegenüber," erläuterte Rina. " Meine Eltern konnten es gar nicht erwarten, dass ich endlich alt genug war, dass sie mir von der Academy erzählen konnten. Sie waren sehr stolz, als ich den Brief bekam."

"Und du?" Ana musterte die Freundin. Rina griff nach Anas Arm und zog sie weg von dem schwarzen Brett und bog in einen weniger belebten Flur ab.

" Ich denke, dass die Academy uns überhaupt nicht darauf vorbereitet, was wirklich wichtig ist. Alles was wir über die Kräfte lernen, ist mir viel zu theoretisch. Ich möchte verstehen, wie ich mich verteidigen kann, wenn ich von dem Bösen angegriffen werde."

In diesem Augenblick schoss aus dem Flur vor ihnen ein dunkler Schatten auf die beiden Mädchen zu. Rina riss die Augen auf, dann klappte sie wie ein Streichholz zusammen und sank bewegungslos auf den Boden. Ana krümmte sich im selben Moment vor Schmerzen, als ein gleißend heller Blitz aus diesem Schatten direkt auf sie zu schoß. Ana sah noch, wie der Blitz in ihren Körper eindrang. Sie spürte einen Stromstoß. Dann geschah es. Sie bäumte sich auf, ihre Augen traten aus den Höhlen, die Arme und Beine versteiften sich. Ihre dunklen Augen glühten auf wie Kohlen in einem Kaminofen. Ein starker Windstoß. Anas Füsse verloren den Kontakt zum Boden. Dann brach sie bewußtlos zusammen.

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Anas Leben an der Academy of Power wird nicht einfacher. Die Kräfte wirken auf sie ein und sie hat keine Möglichkeit, dem zu widerstehen. Es wird Zeit, dass sie lernt, ihre eigenen Fähigkeiten zu nutzen. Dazu benötigt sie vor allem Zeit. Aber die kommenden Wochen werden sehr aufregend für Ana und ihre Freunde. Wartet ab, was geschieht. Die nächsten Kapitel werden spannend...

Heute könnt ihr das 7. Kapitel in seiner neuen, überarbeiteten Form lesen. Viel Spaß. Über Kommentare und Sternchen freue ich mich.

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