6. Kapitel
Ana sah von Tom zu Lars. Dann drehte sie sich um und blickte Rina und Elena an. Sie seufzte. " Ich habe mir die Aufgabe nicht ausgesucht. Das könnt ihr mir glauben. Ich möchte nichts besonderes sein. Aber die Göttin hat mich beauftragt. Ich werde ihr folgen und mich dem Bösen in den Weg stellen.
Aber das kann ich nur mit eurer Hilfe. Wollt ihr mich unterstützen? Noch ist Zeit, zu gehen. Ich befürchte, dass der Weg, den ich, den wir vor uns haben, nicht immer einfach sein wird."
Rina nahm Anas Hand."Ich bin dabei. Egal, wie es weiter geht. Die Göttin zählt auf uns. Das wird mein Mantra. Wenn ich es mir oft genug sage, dann gibt es mir hoffentlich Kraft." Elena legte ihre Hand ebenfalls auf Anas, so dass die Frauen einen Kreis bildeten. "Auf mich kannst du zählen." Tom warf Lars einen langen Blick zu, dann nickten beide Männer einander zu und traten ebenfalls in den Kreis und legten ihre Hände in die Mitte. Als alle über ihre Hände verbunden waren, spürten sie, wie die von einer starken Energie erfüllt wurden. Ana merkte, dass von den Händen eine pulsierende Kraft ausging. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie das Richtige taten.
Diese Energie erfüllte Ana auch noch, als das Wochenende vorüber war und sie wieder im Unterricht saß, Mr Cooper unterrichtete die Klasse gerade in Substanzkunde. Ana blickte aus dem Fenster. Schon in ihrer alten Schule hatte sie viel über die sogenannten verbotenen "Substanzen" gehört. Früher hatten die Menschen bestimmte Pflanzen genutzt und aus ihnen bewusstseinserweiternde Substanzen hergestellt. Chemisch hergestellte Pulver waren als sogenannte "Drogen" im Umlauf. Diese Drogen hatten viele Schäden angerichtet und im 20. Und 21. Jahrhundert viele Menschen das Leben gekostet.
Deshalb waren diese "Substanzen" bei den neuen Menschen streng verboten. Ihre Herstellung und Verteilung wurde mit einer Verbannung in die sogenannten toten Kolonien bestraft. Das waren Gebiete auf der Erde, wo die Radioaktivität noch immer schwindelerregend hoch war. Die Menschen wurden dort ausgesetzt ohne Zugang zu den lebensrettenden Strahlenschutzmedikamenten.
Die Immunität, über die die Menschen seit dem GAU verfügten, ertrug nur eine bestimmte Dosis von Strahlen, deshalb waren die Menschen gezwungen, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen, die die Strahlung im Körper neutralisierten. Nur so konnten sie dauerhaft überleben. Die aus den vorigen Jahrhundwrten überlieferte Todesstrafe war als inhuman verboten worden. Ana überlegte. Ihr erschien es deutlich weniger grausam,einen Täter direkt zu töten, zum Beispiel, indem er auf den elektrischen Stuhl gesetzt wurde, als ihn zu verbannen und der Radioaktivität auszusetzen, was eigentlich dasselbe war. Nur, das diese Menschen langsam und qualvoll zugrunde gingen.
Mr. Cooper ging zum Beamer und sofort erschien ein dreidimensionales Bild. Eine Gruppe Menschen, die mit Flaschen in der Hand in einem verqualmten Raum saß und Zigaretten in den Händen hielten.
" Diese Menschen feiern eine der früher üblichen Partys mit Alkohol und Nikotin. Diese Substanzen führten zu rauschhaften Zuständen. Alkohol ist ein Zellgift, das dazu führt, dass Menschen Abhängigkeiten von diesen Substanzen entwickelten. Körperliche und psychische Abhängigkeiten. Unter deren Einfluss waren sie nicht dazu in der Lage, vernünftige, rationale Entscheidungrn zu treffen. Oft führte der Konsum dieser Drogen zu Gewalttaten oder Verkehrsunfällen.
Sie müssen bedenken, dass die damaligen Fahrzeuge noch keine Selbstlenkfunktionen, wie heute üblich, besaßen, sondern sich nur durch die Handlungen des Fahrers fortbewegten. Sie können sich vorstellen, was für verheerende Wirkungen der Alkohol- und Drogenkonsum auf die Menschheit hatte. Viele verloren durch alkoholbedingte Unfälle ihr Leben, viele unschuldig. Als die Welt nach dem GAU neu geordnet wurde, sind sämtliche alkoholischen und bewusstseinserweiternden Substanzen vernichtet worden. Ihre Herstellung oder ihr Anbau sind unter Strafe gestellt worden."
Mr. Cooper blickte streng von einem zum anderen Schüler. " Auch an dieser Schule hat es immer wieder Vorwitzige gegeben, die sich nicht an diese Verbote gehalten haben. Sollte die Schulleitung von einer Übertretung erfahren, wird nicht nur die Substanz beschlagnahmt, sondern die betreffenden Schüler auch sofort von der Schule verwiesen. Unsere Acedemy ist eine saubere Schule.
Anas Blick verweilte auf dem Innenhof. Sie beobachtete andere Schüler, die von einem Gebäude zum anderen liefen und wartete auf den Gong, der das Ende der Stunde ankündigte. Sie war in ihren Unterrichtsstunden zwar körperlich anwesend, mit ihren Gedanken war sie ständig bei ihrem Treffen mit der Göttin. Außerdem überlegte sie: Was wollte Malus von ihr? Warum hielt er sie für stärker als alle anderen? Ana selbst hatte nicht so viel Vertrauen in ihre Kräfte.
Nach dem Abendessen sass sie wieder mit ihren Freunden zusammen. Gemeinsam überlegten sie, was als nächster Schritt folgen sollte. Rina war es, die zum Aufbruch blies " Wollten wir nicht auch noch jemand von den People of Power mit in unsere Gruppe aufnehmen? Deren Kräfte sind stärker als unsere." Ana überlegte. Die People of Power waren in der Lage, Kräfte zu kontrollieren, wenn diese drohten ausser Kontrolle zu geraten. " Wen wolltest du denn fragen?" Tom blickte Ana fragend an. " Ich weiß nicht, ich kenne keinen von ihnen persönlich." Ana blickte Rina überlegend an. Doch Rina brauchte nicht lange nachzudenken. " Jonas und Kylos sind die Richtigen. Ich habe gehört, dass sie die stärksten People of Power sein sollen. Und außerdem sind sie nicht viel älter als wir." Tom blickte zu Lars, dann nickte er. " Von den beiden habe ich auch schon gehört. Sie sollen über sehr viel Kraft verfügen." " Und wenn wir uns dem Bösen entgegenstellen sollen, benötigen wir die Besten," ergänzte Lars.
Am darauffolgenden Abend warteten die Frauen ungeduldig auf das Ende des Abendessen. Sie hatten sich mit den Jungen vor dem Internatsblock der People of Power verabredet. Von dort wollten sie gemeinsam zu den Powers gehen. Das Internat der Denker war ein schlichter Wohnblock mit einer zurückhaltenden Bepflanzung im Vorgarten. Das Haus war mit steinernen Reliefen von wenigen Büchern geschmückt. Alles in allem war es ein schlichter Bau. Dss konnte man von dem Internat der People of Piwer nun wahrlich nicht behaupten. Es war ein protziger Bau. Das Haus hatte die Form einer der in früherer Zeit so verbreiteten Glühbirnen. Das Erdgeschoss war rund mit schmalen, schiessschartenartigen Fenstern. Darüber wölbte sich ein kugelförmiger Bau aus Metall und Glas. Die riesigen Fenster fielen Ana zuerst ins Auge. Dann bemerkte sie die Vielzahl der Leuchtmittel. Es sah so aus, als bestünde das ganze Gebäude nur aus Lichtquellen. Die Lampen leuchteten so hell, dass den Jugrndlichen die Augen brannten. " Mist, ich habe meine Sonnenbrille nicht mitgenommen," schimpfte Rina. " Ich habe auch nicht gedacht, dass das Haus aus der Nähe so blendet."
"Wenn ich aus unserem Fenster schaue, wirkt es längst nicht so hell," stellte Lars fest. Er drehte dich um und wies mit der Hand zu dem Internat der Denker, welches sich auf der gegenüberliegenden Seite befand. Ana zögerte. Rina hatte in den letzten Stunden geduldig auf Ana eingeredet, bis diese eingesehen hatte, dass sie nur dann weitere Mitstreiter gewinnen würden, wenn Ana ehrlich war. Sie musste vollständig berichten, was sie erlebt hatte. Nur dann könnten sie Helfer gewinnen.
Am Eingang des Gebäudes der People of Power blieb Ana noch einmal stehen. Sie blickte zurück zu ihrem Internatsgebäude. Hinter den großen Bäumen, die das Schloss, wie das Internat der Unterstufe genannt wurde, umgaben, schimmerten die beleuchteten Zimmer der Schüler aus den ersten Jahrgängen hervor. Dann wanderte Anas Blick zur Bibliohhek, wo sie schon so viele merkwürdige Dingr erlebt hatte. Das war der Grund, aus dem sie nun hier stand. Um nicht auf falsche Gedanken zu kommen und doch noch zu kneifen, drehte Ana sich um u d öffnete die Tür. Sie fragten sich durch, bis sie die Zimmer der beiden stärksten People of Power gefunden hatten. Kylos und Jonas waren gern bereit, sich mit ihnen zu unterhalten.
Ana unterdrückte ihre Angst erneut und begann zu erzählen. Sie berichtete von den Ereignissen im Ritusl, aber auch davon, dass ihr die Göttin erschienen war. Als sie ihre Erzählung beendet hatte, sagte zunächst keiner ein Wort. Jonas und Kylos starrten Ana ehrfürchtig an. " Du bist doch erst im ersten Jahr?" Ana nickte. " Du solltest noch nicht solche starken Kräfte besitzen," Kylos war sichtlich beeindruckt. " Um wirklich etwas dazu sagen zu können, müsste ich deine Reaktion mit eigenen Augen sehen," erklärte Jonas der verdutzten Ana. Sie hatte nicht erwartet, die beiden Powers, wie die Schüler die besondere Gruppe nannten, so überrascht zu sehen.
" Was muss sie tun, damit du weißt, was das Ganze bedeutet?" fragte Rina atemlos. Jonas atmete tief durch und räusperte sich. Er blickte Ana unsicher an und wandte den Blivk ab. Dann erklärte er: " Wir müssen das Ritual wiederholen. Nur dann kann ich mir ein Bild machen."
Ana starrte den Jungen vor ihr an. Sie erinnerte sich noch zu gut an die Geschehnisse im Ritual. Die Erfahrung, dem Ende der alten Welt so nahe zu sein. Und dann die Stimme dieses Jünglings, seine Anziehungskraft. Die Anziehungskraft des reinen Bösen. Denn das wußte sie jetzt genau. Er war das Böse, so wie die Göttin das Gute verkörperte. Sie hätte dafür keine Erklärungen gebraucht. In dem Augenblick, in dem die Göttin erschienen war, wußte Ana, dass diese das Reine und das Gute war. Das brauchte ihr niemand zu sagen. Die Göttin hatte eine so wunderbare Ausstrahlung, dass sie nur gut sein konnte.
Jonas sah Ana sehr nachdenklich an. " Du musst nicht, wenn du nicht willst, aber es wäre wirklich hilfreich, das Geschehen mit eigenen Augen zu sehen." Ana schluckte. Sie hob ihren Kopf und blickte Jonas direkt in die Augen. " Ich fürchte mich vor dem, was ich erlebt habe. Allerdings bin ich inzeischen ganz sicher, dass ich dem Bösen widerstehen kann. Deshalb bin ich zu einem neuen Ritual bereit. Wann sollen wir es durchführen?"
"Je eher, desto besser. Lasst uns jetzt direkt in die Bibliothek gehen. Im Vorraum ist jetzt niemand. Da können wir ungestört die Kräfte bündeln. Geht ihr schon mal vor. Jonas und ich holen die Leuchter."
Kylos stand auf und bedeutete Jonas, ihm zu folgen. Ana schluckte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, noch einmal an dem Ritual teilzunehmen. Doch sie wußte, dass sie nicht kneifen konnte.
Diesmal sollte das Ritual im Schutzkreis stattfinden. Während sie die Leuchter berührte, würden ihre Freunde aussen herum den Schutzkreis aufrecht erhalten.
Sie dachte an Kylos Erklärung. Solange der Schutzkreis außen um das Ritual aufrechterhalten wurde, würde das Böse keine Chance haben, Ana im Kreis anzugreifen. Es ging diesmal nur darum, das Kylos und Jobas Anas Kontakt mit den Leuchtern sehen wollten. Mit hängenden Schultern folgte Ana den anderen in die Bibliothek. Wenn diesmal wieder alle Leuchter aufleuchten würden, dann wäre das der Beweis, das in Ana ungewöhnlich starke Kräfte kanalisiert seien. Dann sei es wichtig, Ana darin zu schulen, diese Kräfte bewusst einzusetzen und sich gegen den Angriff des Bösen zu wappnen. Viel zu schnell für ihren Geschmack waren die Jungen wieder zurück. Sie stellten die Leuchter auf den Boden. Alles war wie beim letzten Mal. Doch mit einer Ausnahme. Diesmal sah Ana ihre Freunde, die bereit standen, den Schutzkreis zu schließen. Anas Herz klopfte bis zum Hals. Ihr Mund war trocken und ihr Magen rebellierte. Sie rieb sich die schweissnassen Hände an ihrer Jeans trocken.
Ana nahm den ersten Leuchter auf und tatsächlich- kaum hatte sie ihn berührt, leuchtete er auf. Es war auch bei den weiteren Leuchtern wie beim letzten Mal.
Jedoch bevor Ana sich zu dem letzten Leuchter drehte, sah sie aus den Augenwinkeln, wie die Freunde den Schutzkreis schlossen. Ein Gefühl der Erleichterung und Sicherheit durchströmte ihren Körper. Sie spürte auch diesmal wieder einen Stromstoß. Doch in dem Augenblick, als er sie durchfuhr, schoss gleichzeitig ein strahlend helles Licht aus ihrem Leuchter und strömte zunächst auf den Boden vor Ana. Es umfing ihre Füße und strömte zunächst auf den Boden vor ihr. Dann erhob sich das Licht und von ihren Füßen kommend stieg es an ihrem Körper hoch, so dass Ana schnell komplett schneeweiß leuchtete. Dabei spürte sie eine überschäumende Freude in einer solchen Intensität, dass sie ihren Tränen freien Lauf ließ. So ein intensives Gefühl hatte die noch nie erlebt. Sie war eins mit der Freude. Das junge Mädchen hätte für immer im Kreis stehen bleiben können. Die Stimme der Göttin kam aus dem Nichts. " Ana, vertrau mir."
Dann erlosch das Licht so plötzlich, wie es erschienen war und der Leuchter stand wieder dunkel vor ihren Füßen. Ana seufzte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.. Sie hatte einen dicken Knoten im Hals. Das Erscheinen der Göttin in der Bibliothek ...jetzt erneut ihre Stimme.. Ana starrte auf den Leuchter ohne sich zu bewegen, oder einen Ton von sich zu geben. Sie nahm nichts mehr von ihrer Umgebung ausser dem Leuchter und den Boden darunter wahr. Sie spürte den kleinen Stein in ihrem Schuh ganz deutlich, den Linoleumboden unter ihren Schuhen. Sie fühlte sich mit der ganzen Erde verbunden, als wenn lange Wurzeln von ihren Füßen in die Erde reichten. Ana hatte den Eindruck, mit der ganzen Welt,ob Mensch, ob Tier, ja sogar mit den unbelebten Gegenständen verbunden zu sein. Die junge Frau spürte in ihrer unbändigen Freude, dass gerade etwas Wunderbares geschehen war. Ihre Niedergeschlagenheit war wie weggepustet. Sie lächelte, während ihr die Tränen über die Wangen strömten. Ana war erfüllt von einer unbändigen Kraft, die ihr das Gefühl gab, mit allen Problemen fertig werden zu können, die sich ihr in den Weg stellten... Die Freunde beendeten das Ritual. Wie in Trance folgte Ana ihnen, als sie von der Bibliothek zurück zu ihrem Internat liefen.
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Diesmal ist das Ritual für Ana ganz anders verlaufen. Sie ist jetzt mit der Göttin verbunden. Diese Verbindung braucht sie ebenso, wie die Unterstützung ihrer Freunde, um die kommenden Herausforderungen zu meistern. Ana muss sich auf den Weg machen, die einzelnen Puzzleteile zu finden, die ihr die Informationen bringen, die sie benötigt, um im Kampf gegen das Böse bestehen zu können. Was meint ihr, wird sie den richtigen Weg finden?