Kapitel 6 Sinas Welt: Die Party Teil 1
Sinas Welt
Unsere Eltern hatten an diesem Freitag einen Termin im Hexenzirkel um abschließende Dinge für die Hochzeit zu klären. Mein Vater war kein besonders geselliger Mensch, daher würde es nicht allzu lange dauern, bis sie wieder da waren. Also mussten wir so viel Schaden wie nur möglich anrichten, bis es soweit war. Lara, Kevin und ich standen neben der Eingangstür, ein bisschen wie bestellt und nicht abgeholt. Ich trank bereits meinen zweiten Cuba Libre und kam so allmählich in Partystimmung. Für meine beiden Mitstreiter galt das jedoch keineswegs. Es war offensichtlich, dass die Beiden in ihrem Leben noch nie auf einer richtigen Party waren. Nick kam, mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht und zwei Bechern in den Händen, auf uns zugelaufen. Ich würde definitiv nichts von meinem Bruder annehmen. Dafür kannte ich ihn einfach zu gut. Nick hatte nicht viele Hobbys. Die meiste Zeit verbrachte er damit seine Kraft zu verfeinern. Einer seiner beliebtesten Tricks war es, mit Hilfe seiner Fähigkeit, Drogen herzustellen. Normalerweise konnten Hexen bei anderen Hexen ihre Fähigkeiten nicht anwenden, es sei denn sie schafften es diese auf einen Überträger zu projizieren. Mein Bruder vermochte es noch nicht die Wirkung seines Pulvers zu steuern, weshalb es sich bei jedem anders auswirkte. Das Unterbewusstsein wurde zu Tage befördert und das war meist vollkommen unberechenbar. Zögerlich roch Lara an dem Becher. Nein, dort war mit Sicherheit kein Alkohol drin. Ich sollte Lara warnen, immerhin waren wir nun Freunde und beinahe so etwas wie Schwestern.
Doch bevor ich mich dazu durchringen konnte etwas zu ihr zu sagen, rief Lara: „Ach verdammt, gib den Fusel schon her“, und stürzte die Flüssigkeit in einem Zug hinunter. Unsicher lächelte ich sie an. Als würde Kevin sich davon ermutigt fühlen, tat dieser es ihr nun gleich. Man sah ihm deutlich an, dass er das Gesöff eklig fand. Angewidert verzog er das Gesicht, nur um mich im nächsten Moment, so als würde er Beifall erwarten, an zu grienen. Mit großen neugierigen Augen schaute Lara sich um. „Irgendetwas hat sich verändert“, äußerte sie, mit einer plötzlich viel erwachsener klingenderen Stimme. In der Ecke des Aufenthaltsraums befand sich eine große Hibiskus-Pflanze, welche offensichtlich nicht besonders pfleglich behandelt wurden war. Ihre Blätter hingen traurig herunter. Mit besorgtem Blick ging Lara zu ihr und berührte sie mit ihrer rechten Hand. Mit einem Mal erhoben sich die Blätter und viele wunderschöne rosa Blüten bildeten sich um die Pflanze herum.
Zufrieden lehnte Nick sich zu Kevin hinüber und fragte: „Konnte sie das schon immer?“ Beeindruckt schüttelte Kevin den Kopf. Lara kam freudestrahlend wieder zurück getänzelt und schnappte sich Nicks Hand. „Tanz mit mir.“ Ruckartig riss mein Bruder sich von ihr los und sagte: „Auf keinen Fall!“ Ich kicherte amüsiert und warf Nick einen Selber-Schuld-Blick zu. Er tanzte niemals, da er absolut null Rhythmusgefühl besaß. „Na komm schon, genieße den Moment“, säuselte Lara mit verträumten Blick. Doch mein Bruder schüttelte mit versteinerter Miene den Kopf. Nick kritisch musternd, kam Lara ganz nah an ihn heran und murmelte: „Da ist irgendetwas kaputt in dir, ...“ Dann switschte ihre Mimik sofort wieder um zu einem Gute-Laune-Gesicht. „... aber das kriege ich schon hin." Verwundert glotzte Nick ihr nach, während sie fröhlich auf die Tanzfläche tänzelte. „Die ist ja mal Crazy.“ Da kam Kevin auch schon zu mir heran und fragte mit verliebtem Blick: „Willst du tanzen?“ Wow, da ist aber jemand mutig geworden. Was sollte ich denn jetzt tun?
Doch bevor ich ablehnen konnte, zog er mich auch schon auf die Tanzfläche. Und auch Lara schnappte sich irgendeinen Typen. Offenbar schlummerten in den Beiden richtige Partytypen. Wild schleuderte mich Kevin über das Parket. Und ich musste zugeben, ab einem gewissen Punkt machte es mir auch wirklich Spaß. Belustigt fing ich an zu lachen. „Du bist wunderschön“, säuselte Kevin mir entgegen. Seine schönen Worte, gepaart mit diesen durchdringenden grünen Augen, ließen mich sofort erröten. Irgendwie wirkte er plötzlich sehr viel größer und selbstbewusster. Das war mir zuvor überhaupt nicht aufgefallen. Er hatte bestimmt eine Körpergröße von mindestens 1,85m. Und seine roten Haare wirkten nun auch gar nicht mehr abstoßend auf mich. Sie gaben ihm irgendwie etwas Besonderes, was ihn von den anderen Männern abhob. „Du tanzt gut“, äußerte ich schüchtern. „Wo hast du das gelernt?“ „Bei meiner Mutter. Sie hat schon immer großen Wert auf derartige Dinge gelegt", antwortete er. Nun spielte die Band ein ruhiges Lied. Kevin zog mich ganz nah an sich heran und seine Hand wanderte auf meine Hüfte. Mein Herz klopfte wie verrückt. Ich sah meinen Bruder, der mir mit hoch erhobenem Daumen zuzwinkerte. Sicher hatte er sie angewiesen dieses Lied zu spielen. Er war ein unglaublich manipulativer Arsch. Kevin hob seine Hand und streifte mir eine meiner blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht, die zuvor herunter gefallen war. Langsam beugte er sich zu mir hinunter, seine Lippen streiften meine und ...
Was tat ich hier eigentlich? Dieser Typ, mit dem ich gerade tanzte, existierte überhaupt nicht. Ruckartig schob ich Kevin von mir weg. „Es tut mir leid!“, rief ich und verließ fluchtartig die Tanzfläche. Das Pulver meines Bruders produzierte lediglich Was-wäre-wenn-Persönlichkeiten, zumindest hatte mir Nick das so erklärt. Er ist der Meinung, dass durch sein Pulver die Person hervor tritt, die man, ohne die ganzen Regeln und Zwänge unserer überkorrekten Hexengesellschaft, geworden wäre. Ich war gerade an der Eingangstür angelangt, da öffnete doch tatsächlich ein grimmig dreinschauender Jimmy die Tür. Überrascht riss ich die Augen auf. Wie hypnotisiert starrte ich ihn an. Jimmy war tatsächlich der Mann meiner Träume und zwar ohne Pulver. Dieser perfekt geformte, muskulöse Körper und diese sinnlichen mysteriösen Augen. Blöde vor mich hin grienend, ging ich auf Jimmy zu.
„Was ... Was machst du denn hier?“, fragte er verwundert. „Ich wohne hier“, antwortete ich, ohne nachzudenken. Jimmy runzelte die Stirn. „Ich wurde gerufen, weil ungewöhnliche Aktivitäten gemeldet wurden, aus diesem ...“ Er stutzte für einen Moment und musterte mich von Kopf bis Fuß „ ... Hexenhaus. Du bist eine Hexe!“ Sofort trat eine gewisse Kälte in seine Augen. Oh nein, ich hätte es wissen müssen. Er ist ein Jäger. Natürlich ist er nicht zum Feiern hier. Ich sah zu meinem Bruder hinüber, der sich herzlich über Kevin amüsierte, welcher mit drei Mädchen gleichzeitig tanzte. Nick war nicht zu ertragen, wenn er seine Kraft einsetzte. Dann hielt er sich für Gott und sah absolut nichts mehr um sich herum. Ich musste Jimmy irgendwie von Nick fernhalten. „Äh, wollen wir hoch gehen?“, fragte ich, mit verführerischem Augenaufschlag. Doch Jimmy verzog keine Miene. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass wir da weiter machen können, wo wir aufgehört haben. Ich bin ein Jäger und du eine Hexe.“ Misstrauisch musterte er das viel zu klischeehafte Partytreiben. „Und wahrscheinlich auch noch eine kriminelle Hexe, wie es aussieht.“ Na toll, jetzt würde ich mal wieder den Kopf hinhalten, nur weil Nick es wieder übertrieben hatte. „Das ist doch überhaupt nicht war. Ich habe seit neun Jahren nicht mehr gezaubert. Und selbst wenn, meine Fähigkeit ist die des Feuers“, redete ich mich allmählich in Rage. „Siehst du hier vielleicht irgendwo Feuer?“, fragte ich verzweifelt. Leider hatte ich diesen Jungen wirklich gern, was mich unvorsichtig machte. Doch Jimmys Aufmerksamkeit galt bereits schon nicht mehr mir, was mich mehr als beschämte. War ich ihm etwa derart egal, immerhin hatte ich ihm gerade mein Innerstes geöffnet. „Was zum Teufel stimmt denn nicht mit dir? Erst tust du so, als ob du mich magst und wir verbringen zusammen die schönste Nacht auf Erden und nun tust du so, als wäre überhaupt nichts gewesen“, fuhr ich ihn an.
Jimmy schaute mir nicht einmal in die Augen, als er naserümpfend entgegnete: „Das war ein Moment der Schwäche und ich bereue es zutiefst. Das wird nie wieder vorkommen. Ich bin ein Jäger.“ Nun verlor ich vollends die Kontrolle über meine Gefühle. Tränen sammelten sich im meinen Augen. „Wie kannst du nur so gemein sein. So behandelt man eine Frau nicht. Wer hat dich denn erzogen? Du ...“
„Ah, jetzt versteh ich dein Problem“, unterbrach er meinen Ausbruch. „Du denkst ich hätte jemals eine Kindheit gehabt.“ Überrascht starrte ich ihn an. Keine Kindheit, was meinte er denn damit? „Ist dir noch nie aufgefallen, dass Jäger stets zwischen fünfundzwanzig und vierzig Jahre alt sind?“ Natürlich ist mir das aufgefallen, doch ich dachte immer, dass sie irgendwo anders aufwuchsen. Genervt verdrehte er die Augen. „Das kommt davon, wenn man sich mit einem Kind einlässt. Wir werden in großen Reagenzgläsern gezüchtet, bis wir ein kampffähiges Alter erreicht haben und wenn wir vierzig Jahre alt sind, werden wir eliminiert. Es ist uns nicht bestimmt Beziehungen einzugehen.“ Er drehte sich um zum Gehen. „Ich muss weiter arbeiten.“
Wie schrecklich musste dieses Leben sein. Die Jäger wurden wie Vieh behandelt. Nun brach ich gänzlich in Tränen aus. „Es tut mir so leid. Ich habe nie darüber nachgedacht.“ Überrascht drehte er sich wieder zu mir um. „Natürlich nicht, warum solltest du?“ War das sein Ernst? „Ihr habt doch auch ein Recht auf ein schönes Leben. Und niemand interessiert sich dafür“, schluchzte ich. Diese Reaktion hatte er scheinbar nicht erwartet. Immer noch nicht ganz verstehend, was er da gerade gehört hatte, sagte er: „Danke“ Die Härte war aus seinem Gesicht verschwunden und er machte einen Schritt auf mich zu. Es war ihm deutlich anzusehen, dass er mit sich haderte. „Ich ... Ich muss ...“ Als wäre ihm jetzt erst wieder eingefallen, was er an diesem Ort eigentlich wollte, schaute er sich um. „Ich bin hier, weil ..., Ist das dein Bruder?", fragte er und zeigte auf Nick. Oh nein, das durfte doch nicht wahr sein. Ich war mir sicher, mein Bruder hatte die Partygäste so manipuliert, dass sie diesen Abend vergessen würden, aber Jimmy mit Sicherheit nicht. Ich nickte unsicher und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
Jimmy lief schnurstracks auf Nick zu und ich folgte ihm, noch nicht so recht wissend, was ich jetzt eigentlich tun sollte. Als Jimmy bei ihm angekommen war, fragte er sogleich: „Hast du das hier arrangiert?" Mit verschränkten Armen, als wäre er die Ruhe in Person, entgegnete Nick: „Ja, wieso fragst du?“
„Äh, darf ich vorstellen, das ist Jimmy“, äußerte ich, mit gespielter Fröhlichkeit, um meinem Bruder damit zu signalisieren, dass er sich gefälligst am Riemen reißen soll. „Ich weiß, und was will Jimmy?“, plauzte er schroff heraus. Na prima, zieh noch mehr Aufmerksamkeit auf uns. In dem Moment kam Lara von der Tanzfläche zu uns heran getänzelt. „Hallo Jimmy, wir kennen uns nicht sehr gut, aber ich hab schon viel von dir gehört", freute Lara sich und umschlang einen Teil von Jimmys Oberkörper mit ihren Händen. Sehr viel weiter kam sie auch nicht, da Jimmy im Vergleich zu ihr riesig war. Irritiert glotzte er auf sie herunter. „Ist sie betrunken?“ „Selbstverständlich, es ist ne verdammte ...“ Nick hatte hinter uns irgendetwas entdeckt und stockte für einen Moment. „... Party.“ Ich schaute mich um, was Nicks Aufmerksamkeit erregt haben könnte und erschrak sogleich. Ein Jäger mit einem stark lädierten Gesicht und einer Armschlinge betrat gerade den Raum. Das musste der Jäger sein, der wegen Nick die Treppe herunter gesegelt war. Zugegeben hat mein Bruder es mir gegenüber zwar noch nicht, doch seine jetzige Reaktion sprach Bände. Hoffentlich sah Jimmy das nicht auch so.
Jimmy drückte Lara behutsam von sich weg und drehte sich nun ebenfalls um. „Das ist Karl, einer meiner Jäger.“ Genervt äußerte Nick: „Das ist ja alles schön und gut, doch das hier ist eine Privatparty.“ „Wir sehen uns nur kurz um und dann sind wir wieder weg“, antwortete Jimmy in neutralem Ton. Wenn er tatsächlich etwas ahnte, konnte er es gut verbergen.
Karl war mittlerweile bei uns angelangt, und zu meiner Bestürzung galt seine Aufmerksamkeit von Anfang an nur Nick. Abschätzig musterte er ihn. „Kennen wir uns?“ Nick konnte es gut verbergen, doch ich sah die Nervosität in seinen Augen deutlich, als er sich zum Gehen umdrehte. „Nicht, dass ich wüsste. Ich hab noch viel zu tun, aber ihr dürft euch natürlich gerne umsehen. Wir haben nichts zu verbergen.“ Im nächsten Moment drängelte er sich auch schon durch die Menge. Karl ließ Nick noch immer nicht aus den Augen und setzte an, ihm zu folgen. Mein Magen zog sich zusammen. Das anfänglich nur leicht ungute Gefühl, hatte sich nun in Panik verwandelt.