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Der Ruf des Kerns

Ein Beben, das die Welt spaltet

Die Erde erzitterte unter den Füßen der Menschen, Drachen und Wächter. In den entlegensten Winkeln der Welt spürte man die Bewegungen – nicht wie gewöhnliche Erdbeben, sondern als ob die Welt selbst tief durchatmete. Die Tiere in den Wäldern flohen, die Vögel am Himmel schwärmten ziellos umher, und die Flüsse trugen seltsame, leuchtende Partikel mit sich, die niemand je zuvor gesehen hatte.

In Sylvandor versammelten sich die Wächter um Eldara, die in ihrer Chronik blätterte, während das Zittern durch den Boden kroch.

„Es kommt näher,“ sagte Kira, die unruhig neben ihr stand.

„Es ist nicht nur ein Ruf,“ sagte Eldara. „Es ist eine Prüfung. Der Kern ruft uns, aber er wird auch fordern, dass wir etwas zurücklassen.“

Danny, der gerade erst nach seiner langen Reise eingetroffen war, schritt in den Raum. „Was meinst du damit?“

Eldara sah ihn an, und ihre Stimme war ernst. „Der Kern ist keine Macht, die sich von uns vereinnahmen lässt. Er wird uns auf die Probe stellen. Es gibt kein Licht und keine Dunkelheit in ihm – nur Wahrheit. Und Wahrheit fordert Opfer.“

Danny spürte das Gewicht der Sternenlichtklinge an seiner Seite. „Wenn es so ist, dann müssen wir ihn finden, bevor es zu spät ist. Was immer er prüft – die Welt darf nicht zerbrechen.“

Der Kristall der Weisen

Eldara öffnete ein weiteres Buch, das tief in den Archiven des Kreises verborgen gewesen war. Es war alt, die Seiten zerbröckelten beinahe unter ihren Fingern.

„Es gibt Berichte über einen Kristall – den Kristall der Weisen,“ erklärte sie. „Er wurde einst von den ersten Hütern des Gleichgewichts genutzt, um mit den Mächten der Welt zu kommunizieren. Wenn wir ihn finden, können wir vielleicht die Absichten des Kerns verstehen.“

Kira warf Danny einen Blick zu. „Und wo finden wir diesen Kristall?“

Eldara deutete auf eine Karte, die sie auf den Tisch ausbreitete. Ihr Finger zeigte auf eine Insel weit im Süden, umgeben von einem endlosen Ozean.

„Caladrys,“ sagte sie. „Eine Insel, die seit Jahrhunderten verlassen ist. Doch die Legenden besagen, dass der Kristall dort in einer Höhle verborgen liegt.“

Kael’thar neigte seinen Kopf. „Der Süden ist gefährlich. Die Winde dort sind unbarmherzig, und das Meer wütet, wie ich es selten erlebt habe.“

„Dann sollten wir besser schnell aufbrechen,“ sagte Danny entschlossen.

Die Reise nach Caladrys

Die Vorbereitungen dauerten nicht lange. Kira, Danny und Kael’thar machten sich zusammen mit einer kleinen Gruppe erfahrener Wächter auf den Weg. Sie verließen Sylvandor bei Tagesanbruch, ihre Schritte eilig, ihre Blicke wachsam.

Die Reise führte sie durch die Dschungel des Südens, vorbei an Flüssen, die von seltsamem Licht erfüllt waren, und Dörfern, die verlassen schienen. Je weiter sie kamen, desto mehr spürten sie die Auswirkungen des Kerns.

„Es fühlt sich an, als ob die Welt… auseinandergezogen wird,“ sagte Kira, als sie durch einen engen Pfad ritten, der von toten Bäumen gesäumt war.

Danny nickte. „Es ist, als ob der Kern uns nicht nur ruft, sondern auch versucht, uns zu brechen.“

Kael’thar schnaubte. „Er will sehen, wer würdig ist.“

Schließlich erreichten sie die Küste, wo ein kleines Schiff auf sie wartete. Die Überfahrt nach Caladrys war lang und gefährlich. Das Meer war unruhig, und der Himmel war von dichten, grauen Wolken verhangen.

„Das ist nicht natürlich,“ murmelte einer der Wächter.

„Nein,“ sagte Danny. „Es ist der Kern.“

Die Höhle des Kristalls

Als sie Caladrys erreichten, fanden sie eine Insel vor, die in seltsames Licht gehüllt war. Der Boden leuchtete leicht, und die Luft war warm, obwohl kein Wind wehte.

„Das ist… unheimlich,“ sagte Kira und zog ihren Dolch.

„Bleibt wachsam,“ warnte Kael’thar, der über ihnen flog und die Insel aus der Luft beobachtete.

Sie suchten die Höhle des Kristalls, die Eldara beschrieben hatte. Es dauerte Stunden, doch schließlich fanden sie den Eingang – eine große Öffnung in der Felswand, die von fremdartigen Zeichen umgeben war.

„Das muss es sein,“ sagte Danny.

Als sie eintraten, spürten sie sofort die Macht des Kerns. Die Höhle war erfüllt von einem tiefen, melodischen Summen, das in ihren Knochen widerhallte.

In der Mitte des Raumes stand ein Sockel, auf dem der Kristall der Weisen schwebte. Er war klar wie Wasser, doch in seinem Inneren bewegte sich etwas – eine fließende Energie, die immer wieder ihre Form zu wechseln schien.

„Das ist er,“ sagte Kira ehrfürchtig.

Doch bevor Danny näher treten konnte, begann die Höhle zu beben. Der Sockel leuchtete auf, und eine Stimme erklang – tief, mächtig und uralt:

„Nur der, der das Gleichgewicht in sich trägt, darf den Kristall berühren.“

Danny trat vor, das Sternenfeuer in seiner Brust pulsierte. „Ich bin der Hüter des Gleichgewichts. Ich bin gekommen, um zu verstehen, was der Kern von uns will.“

Die Stimme schwieg einen Moment, dann sprach sie erneut:

„Berühre den Kristall. Aber sei gewarnt: Was du siehst, wird dich verändern.“

Danny griff nach dem Kristall.

Die Vision

Als seine Hand den Kristall berührte, wurde Danny von einem grellen Licht eingehüllt. Er wurde fortgerissen, fiel durch Zeit und Raum. Bilder flackerten vor seinen Augen – von der Schöpfung der Welt, den alten Kräften, die sie formten, und dem ersten Gleichgewicht, das zerbrach.

Er sah den Kern, ein pulsierendes Licht, das in der Mitte der Erde verborgen war. Es war keine zerstörerische Macht, sondern eine neutrale Kraft – eine Energie, die die Welt zusammenhielt. Doch jetzt war sie aus dem Gleichgewicht geraten, weil Licht und Dunkelheit zu lange gegeneinander gekämpft hatten.

Eine letzte Vision erfüllte Dannys Geist: Er sah sich selbst. Aber es war nicht nur er – er war Licht, Dunkelheit und etwas Drittes, eine verschmelzende Kraft, die ihn stärker machte als je zuvor.

„Du bist die Brücke,“ flüsterte die Stimme des Kerns. „Doch die Brücke muss entscheiden, ob sie stehen bleibt – oder bricht.“

Mit einem Schrei wurde Danny zurück in die Realität gerissen, der Kristall immer noch in seiner Hand.

„Was hast du gesehen?“ fragte Kira sofort.

Danny sah sie an, seine Augen voller Entschlossenheit – und voller Furcht.

„Der Kern ruft uns nicht, um etwas zu bewahren,“ sagte er. „Er ruft uns, um zu sehen, ob wir es wert sind, die Welt weiterzuführen.“

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