Erste Pause
Zu beiden Seiten erstreckten sich weite Wiesen. Das Gras war gerade mal knöcheltief. Vereinzelt lagen Steine in verschiedensten Größen herum und Felsen ragten wie kleine Hügel und Häuser aus dem Boden. Allerdings warfen sie kaum Schatten. Der Himmel war strahlend blau und nur vereinzelte Wolken unterbrachen die einheitliche Färbung. Die Sonne knallte auf die Gruppe hinunter und Hildegard predigte allen wie wichtig es sei Sonnencreme aufzutragen und eine Kopfbedeckung gegen die gefährliche Einstrahlung zu tragen.
Die Schlucht lag inzwischen einige Meter hinter der Gruppe und war kaum noch zu sehen.
„So, wir machen dann eine Mittagspause!", rief Gustaf und lies sich direkt auf einen etwas niedrigen und flachen, dafür aber großen Stein nieder. Bevor irgendjemand dagegen hätte protestieren können, packte er auch schon eine Tüte mit Backwaren verschiedenster Arten aus.
„Es wichtig sich ausgewogen und regelmäßig zu ernähren ...", setzte Hildegard wieder mit einer ihrer Weisheiten an, allerdings bekam sie keinerlei Beachtung.
Steffi hatte inzwischen endgültig die Schnauze voll. Wilhelm war Tobi immer noch nicht von der Seite gewichen. Entrüstet stapfte sie zu den beiden Männern.
„Können wir mal eben schnell unter vier Augen reden?", fragte sie Wilhelm ohne Tobi auch nur einen Blickes zu würdigen. Sie hatte zwar eine Frage gestellt, aber ihr Tonfall lies nur eine einzige Antwortmöglichkeiten zu.
„Wenn's sein muss", meinte Wilhelm und stand langsam auf. Steffi verdrehte genervt die Augen. Dann ergriff sie ihren Mann am Unterarm und zog ihn sanft aber bewusst ein Stück ins Abseits.
„Was ist denn los?", wollte Wilhelm ahnungslos wissen.
„Was los ist?", entgegnete Steffi entrüstet. „Ich sag dir was los ist: wir haben diesen Ausflug gemeinsam gewonnen! Aber du machst die ganze Zeit nur was mit diesem Tobi!", beschwerte sie sich.
„Och Baby, du musst das verstehen. Er ist eine Weltberühmtheit!"
„Ich muss das verstehen? Also ich verstehe es aber nicht!"
„Das ist eine einmalige Gelegenheit, sowas passiert nie wieder! Diese Chance muss ich ausnutzen!"
„Und was ist mit mir?", hakte Steffi beleidigt nach. Sie fühlte sich nun noch mehr nach hinten geschoben als vorher.
„Wir machen einen netten Ausflug wenn wir wieder zuhause sind!?", schlug Wilhelm vor, klang aber nicht sonderlich sicher dabei.
„Ich will aber auch jetzt wieder mit dir laufen!"
„Du kannst ja bei mir und Tobi mitlaufen", bot Wilhelm an.
„Du kommst dir gerade wohl echt cool vor, oder?"
„Ich verstehe immer noch nicht was gerade dein Problem ist!"
„Dann sage ich es eben direkt. Entweder, du hältst dich von jetzt an von diesem Tobi fern und sagst ihm dass du und ich jetzt zusammen laufen, oder ich sage es ihm. Und zwar so dass es auch alle mitbekommen!"
„Steffi- nicht. Ich wusste nicht dass es dich so sehr stört, aber ..."
„Kein Aber! Sag es ihm, oder ich mache es. Ich gebe dir Zeit bis wir weiter laufen um dir zu überlegen wie du es ihm sagst und um es auch zu machen."
Steffi drehte sich um und stolzierte wieder zu Jochen. Vielleicht würde das Wilhelm eifersüchtig machen. Dann wäre er sofort wieder bei ihr.
„Alles klar?", wunderte sich Jochen über Steffis Anmarsch.
„Was soll schon sein?", entgegnete sie und setzte sich direkt neben Jochen auf den Boden. Sie ignorierte seinen irritierten Gesichtsausdruck und schaute zu Wilhelm. Der ging gerade auf Tobi zu und schien endlich das zu machen was Steffi sich die ganze Zeit über schon gewünscht hatte. Zufrieden beobachtete sie, wie Wilhelm Tobi in ein scheinbar eher unangenehmes Gespräch verwickelte. Dann wanderte ihr Blick wieder zu Jochen. Er hatte sich eine Box mit Gemüse hergerichtet, aber er starrte das Essen nur aus leeren, lustlosen Augen an. Außerdem wirkte er irgendwie müde und schlapp.
„Ist bei dir alles in Ordnung?", hakte Steffi nach. Jochen schaute sie verwirrt an.
„Ja, ich denke schon". Er rieb sich die Schulter.
„Was ist da?"
„Nichts. Wahrscheinlich nur ein Insektenstich", winkte Jochen ab.
„Zeig mal her. Ich hab was, was den Juckreiz lindert", meinte Steffi und zog ein kleines Fläschchen aus ihrer Gürteltasche. Sie schraubte den Deckel ab und träufelte ein paar Tropfen auf ein Taschentusch. Wiederwillig legte Jochen seine Schulter frei. Steffi schaute nach dem Stich, erstarrte aber plötzlich und ihre Augen weiteten sich.
„Was ist los?", wollte Jochen verwundert wissen. Auf seinem Gesicht zeichneten sich Sorgenfalten ab.
„Du...". Steffi schüttelte ungläubig den Kopf. „Du hast da ...". Vorsichtig berührte sie Jochens Schulter. Aber das, was sie entdeckt hatte, lies sich nicht ablösen.
„Was ist denn da?", drängte Jochen auf eine Antwort und versuchte einen Blick auf das zu erhaschen, was Steffi entdeckt hatte. Allerdings war er nicht gelenkig genug.
„Du hast eine graue ... Schuppe ... oder so was in der Art", gab Steffi leise zur Antwort.
„Was?", hakte Jochen irritiert nach.
Behutsam strich Steffi über die harte, graue Fläche, die sich auf Jochens Haut gebildet hatte.
„Spürst du das?", wollte sie wissen.
Jochen schüttelte den Kopf.
„Heinz-Georg!", kreischte plötzlich Karin Wellen-Biedermann über die Ebene und lies fast alle Anwesenden erschrocken zusammenzucken.
„Ich komme schon mein Engel!"
„Ich gehe zum Reiseleiter!", wandte sich Steffi an Jochen,der immer noch vergeblich versuchte seine Schulter zu begutachten.