Einführung in die Berggescichte
„Alle mal herhören!", rief Gustaf über die Köpfe der Gruppe hinweg und räusperte sich. Die Teilnehmer verstummten und hörten dem alten Reiseleiter zu:
„Wir befinden uns in wenigen Schritten an einer Schlucht wieder. Es ist die berüchtigte Sagenschlucht. Und der Name kommt nicht von ungefähr. Tatsächlich gibt es viele Sagen die sich um diese Schlucht ranken."
Gustaf hustete und setzte sich wieder in Bewegung. Er wollte gerade wieder fortfahren, als ihm die mollige Frau Steinbach das Wort abschnitt:
„Die bekannteste Sage, zumindest bei den Einheimischen hier, ist die Sage um den verschollenen König!"
„Ähm, ja. Also ...", versuchte Gustaf das Wort wieder an sich zu reißen. Aber die gesprächige Frau ließ ihn nicht.
„Einer der Könige, die dieses Land regiert hatten, hat es geliebt zu jagen. Deswegen ist er jeden Monat mit seinem Gefolge auf die Rösser gestiegen und losgezogen. Mal wurden Hirsche gejagt, ein andermal ..."
„Die Kurzfassung bitte!", kam es genervt von Max, der Hildegard gegenüber schon etwas aggressiv geworden war. Das wiederum schien Hildegard allerdings ebenfalls ungestüm werden lassen. Sie setzte gerade an, um Max eine mehr oder weniger lehrreiche Standpauke zu halten, als Gustaf seine Chance ergriff und versuchte Hildegard Steinbach zu übertönen:
„Von einer Jagt kam der König nie zurück. Jahre später wurde eine Statue aus Stein von dem König gefunden. Der König mit Gewand und dem Waffen für die Jagd auf seinem Pferd. Es gibt bis heute Leute die behaupten, dass dies der echte König ist, der einem bösen Fluch zum Opfer gefallen sein soll und versteinerte!"
„Und der Fundort war eben diese Schlucht!", ergänzte Hildegard.
„Herr Gott, wann hört die endlich auf zu reden?", murmelte Jochen neben Steffi. „Ich kann ihre Stimme einfach nicht mehr hören!"
Steffi warf dem genervten Mann einen mitleidigen Blick zu.
Der Weg ging etwas nach unten, so dass sich zu ihrer Rechten eine Felswand aufbäumte. Als diese steinerne Wand, auf der gerade mal noch Moose wuchsen, gut an die vier oder fünf Meter hoch war, machte der immer schmaler werdende Weg einen Knick.
„Immer dicht hintereinander bleiben!", mahnte Gustaf, bevor er um die Ecke bog.
„Und immer möglichst weit von der Kante weg bleiben!", ergänzte Hildegard.
Die Gruppe erreichte nun einen Pfad, neben dem der Abhang sehr steil in die Tiefe ging. Mit jedem Meter den sie liefen wurde der Abhang steiler, bis er irgendwann senkrecht war. Ebenso verschwanden die Bäume und sonstige Pflanzen, die auf dem steinigen Untergrund keinen Halt mehr finden konnten. Hintereinander und an die rückwärtige Wand gedrückt folgten die Wanderer Gustaf, der sie zu einer Brücke führte, die über die Schlucht führte. Die Brücke wirkte noch gut in Takt. Anders, als alles was bis jetzt zur Wanderung gehört hatte. Das Metallgerüst glänzte in den Sonnenstrahlen, die sich in die obere Hälfte der schmalen, aber dafür tiefen Schlucht verirrt hatten.
Dann betrat Gustaf als erster die Brücke. Gefolgt von Hildegard und dann allen anderen. Verstohlen lies Steffi ihren Blick zu Wilhelm wandern. Er plauderte immer noch mit dem Rennfahrer.
Plötzlich blieb Gustaf etwa in der Mitte der Brücke stehen und deutete nach unten. Neugierig schauten alle über das Geländer. Unten, etwas im Schattend er hohen Steinwände verborgen, stand eine Reiterstatue.
„Wenn ich vorstellen darf: ...", setzte Gustaf an. Aber wieder war Hildegard schneller!
„Die berüchtigte Statue von König Klaus dem Dritten!", hauchte sie begeistert, während sie sich mit ihrem Schweißband, welches sie am Handgelenk hatte, die Schweißperlen von der Stirn wischte. Sie schnaufte auch schon. Deutlich mehr als alle anderen. Nicht groß verwunderlich, denn sie sah nun wirklich nicht gerade besonders fit und sportlich aus. Die Haut schlackerte mit jedem Schritt an ihrem Körper herum. Es musste anstrengend sein. Aber trotzdem wollte sie nicht die Klappe halten:
„Wenn man genau hinsieht, dann kann man sogar erkennen dass das Gesicht des Königs die blanke Angst zeigt! Wenn es eine einfache Statue währe, würde man den König doch nicht in Panik darstellen. Und auch sein Pferd nicht!", schnaufte sie.
„Wie dem auch sein, wir wollen hier nicht diskutieren ob die Legende wahr ist oder nicht, wir müssen weiter, sonst schaffen wir es nicht mehr rechtzeitig zu der Hütte!
„Wenn wir jetzt weiter gehen, kommen wir dort drüben direkt auf einen Pfad... ". Gustaf deutete auf das andere Ende der Schlucht. „ ...den früher Ganoven genutzt haben um ihre Verfolger abzuschütteln. Für Pferde war es unmöglich dort zu laufen und auch zu Fuß war es sehr gefährlich. Heute ist der Weg mit einem Geländer gesichert und zusätzlich gefestigt, damit der Boden nicht wegrutscht und auch von Wasser nicht davon geschwemmt wird!"
Es ging weiter über die Brücke und auf den Ganovenpfad. Ein enger, schlammiger Pfad der durch ein Geländer mit Stahlseilen gesichert war. Außerdem lagen zerbrochene Ziegelsteine auf dem Boden, die den Wanderern Halt gaben.
„Das hier ist gleichzeitig einer der interessantesten und gefährlichsten Orte auf unserer ganzen Wanderung", erklärte Gustaf und zog sich schnaufend am Stahlseil hoch. Hinter ihm her lief Maximilian. Er hatte keinerlei Schwierigkeiten und benutzte dabei nichtmal das Seil. Dicht gefolgt kamen Oliver und Elvira. Auch die hatten nicht sonderlich viele Probleme. Alle anderen kamen auch nur mit Schnaufen den Pfad hinauf. Und bei Hildegard war es sogar so schlimm, dass Wilhelm und Tobi eine Wette abschlossen, ob sie es überhaupt hoch schaffen würde.