Kapitel 6: Sean
JOEY
Ich spürte jetzt schon, dass ich Elian viel weniger nahe war als mein Bruder. Er hatte sogar dafür gesorgt, dass Niko nicht mehr interessant für Eli war. An sich sollte ich das nicht denken, aber wenn Sean wirklich was von Matt wollte und sich vielleicht heraus stellte, dass er wirklich nur so ein Arsch war, weil er Interesse an ihm hatte dann sollte ich das doch nutzen können, oder? Ich raufte mir die Haare. Nein, das konnte ich Matt nicht antun. Ich wollte Elian auch für mich haben, aber nicht mit solchen Mitteln. Wenn musste Matt selber irgendwie dahinter steigen. Oder Sean netter zu ihm sein.
Matt neben mir war in Gedanken versunken, bis ihm auf einmal ein Zettel am Kopf traf. Leise fluchend drehte er sich um. Dieser kam von Sean. Matti runzelte die Stirn und faltete diesen dann auseinander, nur um ihn knallrot angelaufen schnell wieder zusammen zu knüllen.
"Was ist denn?", flüsterte ich leise.
Wir hatten gerade Geschichte bei Miss Winkels und die war eine sehr strenge Person. Wenn nur einer nicht aufpasste und sie erwischte denjenigen dabei, gab es eine dicke Strafe! Matt schob mir den Zettel rüber und ich faltete ihn auseinander. Auf dem Zettel stand einfach nur ein Wort:
Ficken?
"Mit was beschäftigen wir uns denn hier so intensiv, Mister Evans?", stand Miss Winkels auf einmal neben mir.
Ich bekam den Schreck meines Lebens und wollte den Zettel gerade noch verschwinden lassen, da riss sie ihn mir aus der Hand. Sie sah ihn sich an und runzelte dann die Stirn.
"Wer schreibt denn so einen Schund in meinem Unterricht?", fluchte sie lauthals.
Sean meldete sich sofort. Ihn hatte noch nie die Meinung anderer interessiert.
"Ich war das."
"Sean Foster! Sowas kann ich nicht erlauben und Jonathan Evans von dir hätte ich sowas auch nicht erwartet!", keifte sie mich an.
Ich wollte mich gerade verteidigen, als Sean aber schon einschritt.
"Miss Winkels, dieser Zettel war für den anderen Evans Bruder gedacht.", grinste er heimtückisch und zwinkerte Matt dabei zu.
Matt zuckte zusammen und Miss Winkels sah zwischen uns Dreien hin und her.
"Entschuldige Jonathan, hätte ich mir gleich denken können, dass dieser Schund an Matthew gehen sollte. Du warst schon immer der Vernünftigere von euch Beiden. Und ihr Zwei geht zum Direktor, los!"
"W-Was hab ich denn gemacht?", mischte Matt sich dann auch ein.
"Den Zettel an deinen unschuldigen Bruder weiter gegeben, damit du gut da stehst.", fluchte sie ihn an.
"Miss Winkels, das stimmt aber nicht. Ich wollte diesen haben, weil Matt den gelesen hatte und auf einmal komisch reagiert hatte. Ich hab mir nur als sein Bruder Sorgen gemacht. Mehr nicht.", sagte ich bestimmt.
Ich spürte von der Seite wie Matt mich anlächelte. Wir zofften uns oft, aber wenn es um einen von uns ging der ungerecht behandelt wurde hielten wir immer zusammen. Miss Winkels überlegte nochmal eben und beschloss dann nur Sean zum Rektor zu schicken. Dieser grinste aber nur frech und ging dann aus dem Klassenzimmer. Die Geschichtslehrerin machte dann normal mit ihrem Unterricht weiter und als es zur Pause klingelte verließ sie fluchtartig den Raum. Offenbar wollte sie einfach so schnell wie möglich von uns weg. Matt stützte seinen Kopf in seine Hände und fluchte leise. Ich musste ein wenig darüber schmunzeln. Mein Bruder hatte es noch nie leicht gehabt. Zwar sah man uns an, dass wir Zwillinge waren, aber Matt's Aussehen zog die Leute dann doch ein wenig mehr an als bei mir zum Beispiel. Matt hatte oft Verehrer und auch Verehrerinnen die aber schnell wieder aufgaben, wenn sie merkten, dass er schwul war. Auf einmal vibrierte Matt's Handy. Er zog es aus seinem Rucksack.
"Wer ist es?"
"Keine Ahnung. Die Nummer von der Nachricht kenn ich nicht."
"Dann öffne sie doch mal."
Matt öffnete WhatsApp und las sich die Nachricht durch. Er seufzte.
"Was ist denn?"
"Hier lies."
Hey du kleine geile Schlampe. Lutsch mir den Schwanz!
Kurz darauf kam wieder eine Nachricht.
Matt! Los gib es mir! Ich will deinen Schwanz in mir spüren!
"Hä? Was geht denn jetzt hier ab?", fragte ich ihn.
Matt zuckte mit den Schultern. Auf einmal kam Ben rein gestürmt.
"Matt! Joey! Los kommt mit!"
"Was is'n los?", fragte mein Bruder.
"Jetzt macht schon!", feixte Ben.
Wir sahen uns kurz verwirrt an und folgten ihm aber dann. Er ging voran auf das Jungenklo, was in mir noch mehr Verwirrung aufkommen ließ. Was wollten wir denn hier? Drinnen war eine Schar an Jungs die sich über irgendwas amüsierten. Und dann sahen wir es.
Matt Evans macht es mit jedem! Ruft ihn an! Er freut sich!
Daneben stand noch Matt's Handynummer und alles fett in Edding an die Wand gekritzelt. Ich flippte aus.
"Ihr dämlichen scheiß Arschlöcher! Was bildet ihr euch eigentlich ein?!“
Ich suchte irgendwas um diese Scheiße an der Wand zu überdecken, aber die Möglichkeiten auf dem Klo waren eher gering.
„Ist schon gut Joey.“, versuchte Matt mich zu beruhigen.
„Gar nichts ist gut hier! Die stempeln dich alle als Schlampe hier ab!“
Die Typen lachten. Ich drehte mich zu ihnen und funkelte sie wütend an.
„Was ist denn hier los?“, fragte jemand hinter uns.
Ich sah an Ben und Matt vorbei, die Beiden drehten sich um. Sean.
MATT
Mit hochgezogener Augenbraue stand Sean in der Tür. Das Geschmiere an der Wand war nicht zu übersehen, deswegen blieb uns die Antwort darauf erspart. Ich ging davon aus, dass er nun was sagen würde, doch stattdessen runzelte er nur die Stirn.
„Wer hat das geschrieben?“, fragte er zornig.
Die Jungengruppe sah sich untereinander an und zuckte mit den Schultern. Zwei von denen waren aus der Neuner Klasse. Die Anderen Drei waren aus Ben und Niko‘s Klasse. Sean haute seine Faust gegen die Wand. Wir zuckten zusammen.
„Niko war das!“, feixte auf einmal einer der Typen.
„Niko?“, entkam es Ben.
„Der will sich bestimmt weiter an dir rächen, weil du ihm das mit Elian versaut hast.“, murmelte Joey brummend.
„Nur weil der ne Abfuhr nicht verkraftet.“, knurrte Sean.
Er ging zu der Wand rüber.
„Verpisst euch endlich ihr Pisser!“, schnauzte er die Gruppe an. „und löscht die Nummer, falls ihr sie eingespeichert habt! Oder ihr könnt was erleben!“
Die Fünf zuckten vor Schreck zusammen und flohen dann aus dem Klo. Sean betrachtete die Wand. Dann lachte er.
„Der Idiot hat den Stift hier liegen lassen.“
Er hielt den Edding noch. Der war uns gar nicht aufgefallen. Sean strich den Satz durch, bis man nur noch einen hässlichen schwarzen Fleck sah. Das Klo war eh total verschmiert, da fiel das gar nicht auf. Er steckt den Edding ein und drehte sich dann zu uns.
„D-Danke.“, murmelte ich.
Immerhin hatte er mich aus dieser Misere befreit.
„Kein Ding. Du solltest deine Nummer vielleicht aber lieber noch ändern.“
Ich nickte. Sean machte Anstalten das Klo zu verlassen, hielt aber noch kurz bei mir an und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Zu meiner Schande musste ich aufquietschen. Er grinste nur und ließ uns dann alleine.
„Was ist denn mit dem?“, fragte Ben. „Steht der auf dich?“
„Ehm...“
„Ja offenbar schon, ist uns aber auch erst seit heute bewusst.“, antwortete Joey.
„Boah was? Woah Matti du Schlingel!“
„W-Wie bitte?“
„Na was denn? Sean ist heiß und das sag ich als Hetero. Er ist beliebt, sportlich und auch wenn er immer so dumm tut ist er ganz schön intelligent.“
„Was?“, riefen Joey und ich gleichzeitig aus.
„Ja wusstet ihr das nicht? Seine ganze Familie war in Havard. Das sind alles Richter und Anwälte und er wird diesen Weg auch gehen.“
„Woher weißt du das?“, fragte mein Bruder.
„Lasst uns erstmal aus dem Klo.“, meinte Ben.
Wir verließen diese Kloake dann und stellten uns draußen auf dem Schulhof beiseite. Die Pause dauerte nicht mehr lang, aber hoffentlich lang genug für diese Information.
„Von seinem Bruder Milan. Dieser ist mit meinem Bruder befreundet und Milan studiert dort ja auch bereits.“
„Wieso tut er dann immer so dumm hier in der Schule?“
„Weil das keiner weiß bis auf mich. Seine Eltern sind stinkreich und Sean will einfach nicht, dass die Leute ihn für affektiert halten wegen des Geldes. Er will dass die Leute ihn so mögen und im Grunde ist er nicht so schlecht.“
„Wenn ich darüber nachdenke war er immer nur asozial zu dir.“, bemerkte Joey.
„Na ist ja wohl nun auch klar wieso.“, grinste Ben so sehr, dass ich zusammen zuckte. Er ist in dich verknallt, Matt!“
„Wer ist in dich verknallt?“, ertönte es wieder hinter uns.
Doch dieses Mal war es Elian. Ich schluckte schwer.