Kapitel 7: Zählt als Diebstahl
Seit über einem Jahr war Cheyenne nicht mehr zu Hause gewesen. Als sie vor der Tür stand, verspürte sie einen Anflug von Wehmut.
Sie drehte den Türknauf, konnte aber nicht eintreten. Ihr eben noch strahlendes Gesicht war nun von Schock erfüllt, als sie sah, dass ihr Zimmer als Abstellkammer für Noras Habseligkeiten benutzt wurde.
Seit wann war die Familie Lawrence so arm, dass sie ihr Zimmer als Abstellkammer benutzen musste? Und warum musste es ausgerechnet Noras Abstellkammer sein?
Bis auf das Bett, das immer noch wie ihres aussah, hatte sich alles verändert. Ihr geliebtes Bücherregal aus Rosenholz war verschwunden und durch eine Reihe von Bilderrahmen und Staffeleien ersetzt worden. Der Boden und die Fensterbänke waren mit Wasserfarbenspritzern übersät, so dass es unordentlich und chaotisch aussah.
"Großartig! Einfach toll!" Cheyennes helle Mandelaugen funkelten, als sie kurzerhand die Ärmel hochkrempelte und alle Bilder von Nora in den Flur warf.
"Bum!" Das laute Geräusch hallte durch das ganze Haus und schreckte die drei Leute im Erdgeschoss auf, die alle gleichzeitig aufblickten.
"Oh, mein Gott! Meine Bilder! Cheyenne, verdammt! Rühr meine Sachen nicht an!" Noras schriller Schrei hallte durch den Flur.
"Deine Sachen?" Cheyenne grinste, als sie mit ihren hohen Absätzen auf eines von Noras Bildern trat. Plötzlich war da ein kleiner Fußabdruck auf Noras Sonnenblumenbild, das sie drei Nächte lang gemalt hatte. Es hatte etwas von Van Gogh.
Das beste Bild, das sie je gemalt hatte und mit dem sie an einem Wettbewerb teilnehmen wollte, wurde von Cheyenne zerstört. Sie war so wütend, dass ihr Gesicht rot anlief und sie Cheyenne ohrfeigen wollte. "Du hättest nicht zurückkommen sollen, du Unruhestifterin. Du machst nur Ärger."
"Das ist mein Zimmer. Wer hat dir das Recht gegeben, es ohne meine Erlaubnis zu besitzen oder zu verändern?"
Das Paar, das Nora nach oben gefolgt war, hatte es ebenfalls gehört.
Georges Gesicht zeigte einen Anflug von Unmut. "Es ist doch nur ein Zimmer. Musstest du Noras Bild zerstören? Wir haben noch andere Zimmer im Haus!"
"Wenn es noch andere Zimmer im Haus gibt, warum hast du dann mein Schlafzimmer als Atelier ausgewählt? Du hast nicht einmal daran gedacht, mir Platz zu lassen", sagte Cheyenne scharf und machte allen dreien ein schlechtes Gewissen.
Malaya griff schnell ein, um die Stimmung mit einem Lächeln aufzulockern. "Cheyenne, ich dachte nur, dass dein Zimmer geräumiger und heller ist und sich gut als Atelier eignen würde. Komm, ich habe schon ein anderes Zimmer für dich hergerichtet. Wie wäre es, wenn ich dich dorthin bringe?"
"Das brauche ich nicht! Ich will nur das hier und alles, was in meinem Zimmer ist!" Cheyenne lehnte Malayas Angebot direkt ab.
Mit einem Blick auf die Dinge in ihrem eigenen Zimmer fügte sie hinzu: "Und wo sind meine kleinen Schmuckstücke und Antiquitäten auf dem Bücherregal?"
Diese Dinge waren von Generation zu Generation in der Familie Edwards weitergegeben worden, seit diese vor Jahrhunderten als bedeutende lokale Händler zu großem Reichtum gekommen waren und im Laufe der Zeit viele wertvolle Gegenstände angesammelt hatten.
Als ihre Mutter heiratete, schenkte ihr Urgroßvater seiner Tochter die Hälfte davon zur Hochzeit, die seitdem in Cheyennes Schlafzimmer aufbewahrt wurde.
Jedes einzelne Stück konnte zu einem exorbitanten Preis verkauft werden.
Malaya brachte diese Antiquitäten natürlich in ihr eigenes Schlafzimmer!
Nachdem Cheyenne geheiratet hatte, versteigerte Malaya hin und wieder einen dieser Gegenstände. Ihr Portemonnaie war mit dem Geld aus diesen Auktionen prall gefüllt.
Wenn man sie danach fragte, konnte sie es nicht herausholen und bat ihren Mann um Hilfe.
"Wer weiß, ob das nicht von einem unserer Diener zerbrochen oder weggeworfen wurde? Cheyenne, sei nicht so unvernünftig. Malaya hat ein Zimmer für dich hergerichtet", schimpfte er.
Doch Cheyenne blieb ruhig und erwiderte sarkastisch: "Wenn sie wegen der Diener verloren gegangen sind, dann untersuche das! Egal, ob es sich um Verantwortungslosigkeit oder Diebstahl innerhalb des Haushalts handelt, die Polizei wird sicher etwas finden."
George konterte schnell. "Unsinn! Die Familie Lawrence ist sehr einflussreich. Wir können nicht zulassen, dass die Polizei hier reinkommt und uns in ein schlechtes Licht rückt!"
"Vater, diese Gegenstände sind Antiquitäten, die mein Urgroßvater meiner Mutter vermacht und dann an mich weitergegeben hat. Wenn du Angst hast, unsere Familie in Verruf zu bringen, werde ich das selbst melden."
"Nein! Das kannst du nicht melden, weil wir deine Sachen nicht genommen haben", rief Nora nervös, aber ihre Worte machten Cheyenne nur noch misstrauischer.
Cheyenne richtete ihren kalten Blick auf Nora und bemerkte das Jadearmband, das Selah gehört hatte, an Noras Handgelenk.
Es war ein exquisites Stück - seltene, makellose Jade -, aber es gab nur noch eines, nachdem Cheyenne in ihrer Jugend versehentlich ein anderes zerbrochen hatte.
Sie bewahrte es in einer sicheren Schatulle auf, aber irgendwie war es Nora gelungen, es in die Finger zu bekommen.
Während Cheyenne wie gebannt auf Noras Hand starrte, versuchte Nora das Armband unter ihrem Ärmel zu verstecken, aber es war zu spät.
Cheyenne kam auf ihren hohen Absätzen auf sie zu und griff fest nach ihrem Handgelenk. "Dieses Jadearmband gehört auch mir", sagte sie überzeugt.
George warf einen Blick darauf und erinnerte sich - ja, das war Selahs Ding.
Er sah mürrisch aus, als er sich an Malaya und Nora wandte. "Nora hat es sich ausgeliehen, um es eine Weile zu tragen. Sie war letzte Woche auf einer Prominentenparty und brauchte zufällig ein Armband, also habe ich ..."
"Ausgeliehen? Hast du mich überhaupt gefragt?", fragte Cheyenne wütend.
Malaya biss sich auf die Lippe und rang sich ein Lächeln ab. "Ich war in letzter Zeit sehr beschäftigt, und mein Gedächtnis ist nicht besonders gut, deshalb habe ich es vergessen."
"Wenn du ein schlechtes Gedächtnis hast, wie kannst du dir dann das Passwort für meinen Safe merken, in dem das Armband eingeschlossen war? Wenn jemand in meinen Safe eingebrochen ist, um es zu stehlen, ist das Diebstahl!"
Diebstahl! Das war jetzt anders.
Die Dame der Familie Lawrence war tatsächlich eine Diebin!
Wenn sich das herumsprach, würde Nora nie wieder in eine reiche Familie einheiraten können.
Malayas Gesicht veränderte sich, als sie Cheyennes unfreundlichen Gesichtsausdruck sah. Schnell entschuldigte sie sich: "Cheyenne, ich habe das Armband genommen, aber ich habe es mir nur geliehen."
"Aber ich wusste nichts davon, und selbst wenn ich es gewusst hätte, hätte ich nicht zugestimmt, also zählt das nicht als Ausleihen, sondern als Diebstahl!"
"Das reicht! Wen interessiert schon dein altes Armband? Ich gebe es dir sofort zurück!" Noras Gesicht glühte vor Verlegenheit und Wut.
Wütend streckte sie die Hand aus, um das Armband von ihrem Handgelenk zu ziehen, aber leider war es zu klein. Als sie es am Anfang angelegt hatte, hatte es sie viel Kraft gekostet. Jetzt, wo sie es abnehmen musste, tat ihr die Hand natürlich weh.