Kapitel 2
Erschöpft strich ich mir über die Augen und der Schmerz, der durch meinen Körper ging, ließ mich zusammenzucken. Stirnrunzelnd sah ich auf meinen Arm und betrachtete die frischen Bandagen. Was war passiert?
Ich setzte mich mit ziemlicher Mühe auf und schaute mich in dem fremden Raum um, in dem ich aufgewacht war.
Das Zimmer schien riesig zu sein, auf jeden Fall größer als mein Schlafzimmer zuhause. Die Großen Kissen um mich herum und die weiche Unterlage luden dazu ein, einfach liegen zu bleiben, aber das würde ich nicht tun.
Vorsichtig stand ich also auf analysierte erst einmal die Situation. Das Zimmer war zwar groß, hatte aber nicht viele Möbel. Bett, Sessel, Schrank und Kommode, mehr war da nicht.
Ich selbst trug noch meine Jogginghose, von meinem Pullover hatte ich mich aber verabschieden müssen. Stattdessen hatte ich jetzt ein T-Shirt an. Jemand hatte mich also umgezogen.
Jemand hatte meinen Körper gesehen.
Oh Göttin.
Das Geräusch der sich schließenden Tür ließ mich herumfahren. Ich war mir sicher gewesen, dass sie niemand aufgemacht hatte, trotzdem stand an der Wand gelehnt jetzt ein junger Mann mit rabenschwarzen Haare. Seine Bronzefarbenen Augen auf mich gerichtet lächelte er mich an.
„Du bist wach, das freut mich.“
Seine Stimme klang dunkel, aber auch sehr melodisch.
„Wie geht es dir?“
Mir war klar, dass ich seine Frage besser beantworten sollte, aber ich konnte ihn bloß stumm anstarren.
So eine Präsenz wie seine hatte ich noch nie gespürt.
Ein besorgter Ausdruck trat in sein Gesicht und er stieß sich von der Wand ab um auf mich zu zugehen. Sofort wich ich ein paar Schritte zurück. Es war ein instinktives Verhalten. Wäre ich in meiner Wolfsgestalt hätte ich meine Ohren zurückgelegt und gewinselt. Seine Dominanz war unübersehbar.
Sichtlich bestürzt hob der Mann die Hände und blieb stehen.
„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“
Seine Stimme hatte sofort eine beruhigende Wirkung auf mich, dennoch konnte ich die Macht die er ausstrahlte viel zu deutlich spüren.
Ohne Zweifel, ich stand gerade dem Alpha gegenüber.
„Geht es dir jetzt besser? Ich habe mich ziemlich erschrocken, als einer meiner Männer dich hier her gebracht hat.“
Angestrengt versuchte ich zu schlucken um wenigstens irgendwie meine Stimme wiederzufinden.
„Ja, es geht mir besser.“
Selbst ich merkte wie leise und kratzig meine Stimme klang, aber ich konnte nichts dagegen ändern. Meine Angst ihm gegenüber war nicht gänzlich verschwunden, egal was er mir versichert hatte.
Der Alpha schien nicht unbedingt aggressiv in meiner Gegenwart zu werden, was mich ein wenig wunderte.
Normalerweise waren die Leute, egal ob Mensch oder Werwolf, nicht so nett zu mir.
Er schien sich tatsächlich sehr gut unter Kontrolle zu haben.
Auf seinem Gesicht bildete sich wieder dieses Lächeln und ich konnte einfach nicht ignorieren, dass er wirklich sehr gut aussah. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich jemals jemand getroffen hatte, der so schön war.
„Komm, lass und nach unten gehen. Du möchtest sicher etwas trinken und dort können wir uns dann ein wenig unterhalten.“
Er streckte seine Hand einladend nach mir aus und ich konnte das zusammenzucken einfach nicht unterdrücken.
Dieses Zimmer war mir zwar unbekannt, aber es war sicherer, als mit ihm irgendwo anders hin zu gehen. Aber ich wusste, ich hatte keine Wahl. Wenn er es mir befahl, dann musste ich gehorchen.
„Keine Sorge, wir werden nicht alleine sein, wenn du das nicht möchtest.“
Als ob es das besser machen würde.
Mit einem letzten Blick auf mich verließ er das Zimmer und überließ es mir ihm zu folgen oder nicht.
Welche Wahl hatte ich denn? Also folgte ich ihm langsam aus dem Zimmer.
Wartend stand der Alpha an der Treppe und ging gemeinsam mit mir nach unten. Währenddessen sah ich mich um. Das Haus war, wie nicht anders zu erwarten wirklich groß und kam mir erschreckend bekannt vor.
Als wir unten ankamen bestätigte sich auch gleich meine Vermutung. Ich kannte dieses Haus mehr als nur gut. Es war das Haus meines Alphas. Panik stieg in mir hoch, bevor ich es verhindern konnte.
Wieso hatte er mich unbedingt hier her bringen müssen. Ausgerechnet in dieses schreckliche Haus?
Der Alpha schien meine Panik gespürt zu haben, denn er sah mich mit gerunzelter Stirn an.
„Was ist los? Hast du wieder Schmerzen?“
Eine einfach Frage, die ich aber nicht beantworten konnte. Es war kein körperliche Schmerz, aber meine Seele brannte.
Er hatte es nicht wissen können. Woher auch? Jede normale Person würde nicht in Panik geraten, wenn sie sich in ihrem Elternhaus befinden würde, aber ich war nicht normal.
Ich konnte nicht hier bleiben, auf keinen Fall. Bilder von Männern um mich herum, die mich traten, immer wieder grässlich vor sich hin lachten und meine eigenen Schreie dröhnten in meinem Kopf.
Meine Beine trieben mich nach vorne, weiter zur Tür, aber der Alpha fasste mich an meiner Schulter und hielt mich auf.
„Warte. Wo willst du hin?“
Verzweifelt versuchte ich mich zu befreien, aber es war sinnlos, er war so viel stärker als ich.
Sein Griff wurde sogar eine Spur härter.
„Beruhige dich, es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit.“
Verzweifelt schüttelte ich den Kopf und stemmte mich stärker gegen ihn. Starke Arme griffen um mich herum und zogen mich an eine harte Brust.
„Liebes bitte. Du musst dich beruhigen.“
Mit einem Arm hielt er mich fest, während er mit der anderen Hand zärtlich über meinen Rücken strich. Warme Lippen berührten meinen Kopf und zu meinen Erstaunen schien die Panik tatsächlich etwas nachzulassen. Ich fühlte mich sicher.
War es seine Aura, die sich so auf mich auswirkte?
„Bitte reg dich nicht so auf. Deine Wunden könnten sonst wieder aufgehen.“
Meine Wunden. Das erklärte das höllische Brennen meiner Arme.
Was für ein merkwürdiger Alpha. Wäre ich ein Mensch, hätte ich wahrscheinlich nicht einmal erkannt, dass er ein Alpha war.
Aber ich war kein Mensch und konnte es nicht verhindern auf seine Macht zu reagieren.
Die Panik war zwar weniger, doch sie schlummerte immer noch tief in mir. Es brauchte mehr als ein paar Worte und eine Umarmung um die Erinnerungen, die mich an dieses Haus verbanden, verschwinden zu lassen.
Er strich mir ein letztes Mal über den Rücken und ließ mich dann wieder los. Mit unergründlichen Augen sah er mich an und wartete auf das, was ich tun würde.
Wieder wanderte mein Blick zur Tür und seine Augen folgten meinen.
„Du musst nichts sagen. Komm, ich bringe dich von hier weg.“
Wieder streckte er seine Hand nach mir aus und diesmal zuckte ich nicht zusammen. Er wollte mir helfen. Auch wenn mein Kopf es nicht verstand, wollte mein Körper einfach seine Hand nehmen und verschwinden.
Also ergriff ich zögernd seine Hand.
Als Belohnung dafür erhielt wieder eines seiner warmen Lächeln und meine Hand in seiner begann zu kribbeln.
Wie seltsam.
Ich, eine unwürdige Omega hielt die Hand des mächtigen Alphas, als wäre es selbstverständlich.
Er führte mich in Richtung der Tür. Nicht mehr lange und ich wäre wieder draußen. Einfach raus von hier.
Mein Blick senkte sich wieder auf den Boden, so wie ich immer gelernt hatte. Ich hatte kein Recht den Alpha anzusehen, egal wie nett er gewesen war. Er stand über mir und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er meine ständigen Respektlosigkeiten einfach so stehen lassen würde. Mein Vater hätte es nicht getan.
Der Eingangsbereich war groß und ich konnte es nicht verhindern, dass die Erinnerung daran, wie einer der Männer meines Vater mich damals hier her geschleppt hatte, wieder vor meine Augen trat.
Ich spürte den Blick des Alphas überdeutlich auf meinem Gesicht und gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Ich hatte schon genug Schwäche gezeigt.
Plötzlich spürte ich warme Finger, die über meine Hand strichen.
Oh Göttin. Warum tat er das? Wir waren fast draußen.
Die Tür fest im Blick wollte ich meine Schritte beschleunigen, als mich die tiefe Stimme meines Vater erstarren ließ.
„Wollt Ihr etwa schon gehen Alpha?“
Der Angesprochene strich mir beruhigend üben dem Handrücken und dreht sich dann gelassen zu meinem Vater um.
„Ja, tatsächlich mach wir uns gerade auf den Weg. Aber keine Sorge Richard, wie werden uns vor meiner Abreise noch einmal ausführlich unterhalten.“
Es war merkwürdig zu sehen, wie ein junger Mann, der ein paar Jahre älter zu sein schien als ich, so mit meinem Vater sprach. Und der Mann, vor dem ich mein Leben lang Angst hatte, senkte nur ergeben den Kopf und ließ uns gehen.
Wir verließen das Haus, aber ich wusste, sobald der Alpha wieder abreiste, wäre ich erledigt. Mein Vater würde so eine Beleidigung wie gerade eben mit Sicherheit nicht ungestraft lassen.
Was sollte ich denn jetzt tun?
Wir verließen das Haus und gingen an den Leibwächtern meines Vaters vorbei und ich zog automatisch meinen Kopf noch weiter ein. Ich war es gewohnt, dass sie mich gerne einschüchterten und so überraschte mich das warnende Knurren nicht, doch diesmal stellte es sich als großen Fehler heraus, so mit mir umzugehen.
Bevor ich überhaupt blinzeln konnte, hatte der Alpha ihn schon zu Boden geworfen und drückte ihm seinen Fuß an die Kehle.
„Was war das?“, fragte der Alpha mit leiser kalter Stimme.
Hätte er jemals so mit mir geredet, hätte ich mir wahrscheinlich in die Hose gemacht.
„Verzeiht,“, kam es japsend aus dem Mund des Wächters „Ich habe nicht Euch gemeint!“
Der Alpha lachte kalt.
„Das hatte ich auch nicht gedacht. Was gibt dir das Recht jemanden anzuknurren, der unter meinem Schutz steht?“
Meinte er das Ernst? Es schien tatsächlich so zu sein, denn er sah den Mann unter ihm wartend an.
„Und wo bleibt die Entschuldigung?“
Mit ängstlichem Blick sah der arme Wolf mich jetzt an.
„Tut mir leid.“, brachte er mit Mühe über die Lippen.
Ohne etwas erwidern zu können, sah ich ihn an. Noch nie hatte sich jemand für irgendetwas bei mir entschuldigt.
Schon gar nicht für so etwas.
Der Alpha ließ den Wächter schließlich los und streckte mir dann wieder seine Hand entgegen. Das tat er überraschend gerne.
„Lass und von hier verschwinden.“
Er wirkte kontrolliert wütend, was dafür sorgte, dass ich meinen Blick sofort wieder zu Boden richtete.
Natürlich reichte ich ihm wieder meine Hand, was blieb mir auch anderes übrig?
Er war der Alpha und ich eine Omega. Ich würde immer das tun, was andere mir sagten. Es würde niemals anders werden.