Kapitel 10 Was Mutter zurückgelassen hatte
Jessicas Gesicht versteifte sich, sie sah etwas verärgert aus.
"Wie kannst du so über mich reden? Natalia"
Auch Aleena zwang sich zu einem Lächeln: "Natalia, deine Schwester hat es gut gemeint. Warum redet ihr zwei nicht einfach ehrlich miteinander? Ihr könnt jedes Missverständnis klären, und wir sind immer noch eine Familie."
"Eine Familie? Entschuldigung! Jeder in diesem Raum kann meine Familie sein, außer euch beiden. Außerdem bin ich die einzige Tochter meiner Mutter. Ich habe keine Schwester. Reden Sie keinen Unsinn, sonst fürchte ich, dass meine Mutter Sie eines Tages suchen wird."
"AHH-"
Jessica war schockiert von ihrem grimmigen Blick und stürzte sich in Aleenas Arme.
In diesem Moment ertönte ein strenges Knurren aus dem Treppenhaus.
"Natalia!"
Natalia schaute hinüber und sah Clara mit einem Kran die Treppe hinuntergehen.
Clara mochte alt sein, aber mit ihren scharfen Augen wirkte sie übermütig. Als sie Natalia ansah, setzte sie ihr übliches düsteres Gesicht auf, und obwohl sie noch nicht wirklich wütend war, wirkte sie einschüchternd genug.
Natalia hatte jedoch keine Angst vor ihr und stand einfach kühl da, mit ihren kalten Augen und ihrer edlen Ausstrahlung.
Clara hasste es einfach, wenn sie so war. Ihre Unnahbarkeit, ihr Stolz und ihre Sturheit erinnerten Clare an ihre verstorbene Mutter, als hätte sie das Blut eines unvergleichlichen Adels.
Clara schnaubte kalt: "Was hast du gerade gesagt?"
Natalia machte sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten. Sie ist müde, und all die Jahre des Streits hatten sie bereits bedeutungslos gemacht.
Wäre es ein paar Jahre her, würde sie sich vielleicht mit ihr um ihre Mutter streiten.
Aber jetzt wusste sie, dass sich niemand in dieser Familie jemals um ihre Mutter scheren würde. Warum sich überhaupt die Mühe machen.
Da Natalia schwieg, dachte Clara, dass sie Angst hatte, und beruhigte sich ebenfalls.
Dann schaute sie zu Jessica hinüber, die immer noch in den Armen ihrer Mutter zitterte wie ein aufgeschrecktes Reh, und sie konnte nicht anders, als ihr Gesicht noch ein wenig zu entspannen.
"Gut. Da du jetzt zurück bist, lass uns nicht mehr über die Vergangenheit reden. Lass uns im Speisesaal zu Abend essen."
Daraufhin ging sie direkt in den Speisesaal, ohne auf sie zu warten.
Natalia zog die Augenbrauen zusammen, aber schließlich folgte sie ihr.
"Natalia, da ich weiß, dass du heute Abend zurückkommst, habe ich Frau Kylee gebeten, deine Lieblingsgerichte für dich zuzubereiten. Probier es doch mal!"
Als sie an den Tisch kamen, konnte Aleena es kaum erwarten, ihr einige Gerichte vorzustellen.
Natalia hielt den Ekel in ihrem Herzen zurück, aber sie aß nicht und antwortete ihr auch nicht.
Philip wurde sofort wütend, als er sah, wie kalt sie dasaß.
"Was? Ist es so schwer für dich, etwas zu essen? Du zeigst keinen Respekt vor Aleena. Du solltest dich wenigstens bei ihr bedanken."
Natalia blieb stumm.
Obwohl sie nicht streiten wollte, konnte sie niemals nett zu einer Frau sein, die ihre Mutter in den Selbstmord getrieben hatte, geschweige denn mit ihr einen Tisch teilen.
Sie legte ihre Gabel weg und sagte kalt: "Nicht nötig, ich habe keinen Hunger. Was wollen Sie eigentlich? Kommen wir gleich zur Sache."
Clara sah sie an, und in ihren Augen blitzte ein Hauch von Verschlagenheit auf.
Dieses Mal war sie nicht wütend. Stattdessen sagte sie nur in einem grimmigen Ton: "Ich kann Ihren Hass auf diese Familie sehen. Gut, wir werden dich nicht zwingen. Wir wollen nur, dass du heute etwas erfährst."
"Übermorgen wäre der Geburtstag deiner Schwester. Es wird eine Geburtstagsfeier geben. Wir haben das schon mit der Familie Miller besprochen. Sie werden ihre Beziehung auf der Feier bekannt geben. Und wir brauchen dich dort."
"Sollte jemand fragen, sagst du am Anfang einfach, dass es deine Schwester ist, die mit Shawn verlobt ist. Das wäre auch für dich gut. Jetzt, wo ihr euch getrennt habt, lass die Vergangenheit nicht dein Leben beeinflussen."
Natalia starrte sie schockiert an.
Sie hätte nie gedacht, dass sie sich so sehr bemühen würden, sie nur deshalb zurückzufordern.
Sie wandte sich Aleena zu, und nach einer Weile lachte sie plötzlich mit leiser Stimme.
"Sie meinen also, ich soll ein Schutzschild sein. Ein Sprungbrett für ihre Verlobung?"
Claras Gesicht verfinsterte sich vor Unmut: "Pass auf, was du sagst! Das gilt nicht nur für deine Schwester, sondern auch für dich."
Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: "Du bist sowieso ein Mädchen. Du wirst trotzdem irgendwann jemanden heiraten müssen. Es sieht nicht so gut aus, wenn jeder weiß, dass du verlassen wurdest."
"Und wenn ich mich weigere?"
"Es liegt nicht an dir. Ich habe die Entscheidung getroffen."
"Und wenn ich darauf bestehe?"
Clara grinste kühl. Ein Hauch von Spott trat aus ihren Augen hervor.
"Das wirst du nicht. Es sei denn ... du willst die Sachen, die deine Mutter hinterlassen hat, nicht haben."
In der gesamten Halle herrschte plötzlich Totenstille.
Natalia sprang plötzlich fast auf die Füße.
Mit düsterem Gesicht und eiskalten Augen starrte sie sie einfach an.
Nach einer Weile kräuselte sie kalt die Lippen.
"Gut. Gut für dich. Damit kannst du mir jetzt drohen, aber du kannst mir nicht ein Leben lang drohen."
"Jetzt würde es mir reichen."
Als ob sie ihren Ärger nicht bemerkte, legte Clara Messer und Gabel ruhig nieder.
"Zwei Tage später. Abends um acht Uhr. Hotel Hitz-Hardon. Kommen Sie nicht zu spät."
...
Als ich aus dem Haus ging, war es acht Uhr gewesen.
Der Wind des Spätherbstes war etwas kühl, aber ihr Blut kochte immer noch vor Wut.
Sie hatte immer gewusst, dass Clara Jessica mehr mochte, aber sie hatte nicht erwartet, dass es so weit gehen würde.
Als Großmutter tat sie nicht einmal so, als ob, sondern benutzte nur das, was ihre Mutter ihr hinterlassen hatte, um ihr zu drohen, damit Jessica offiziell mit Shawn verlobt werden konnte.
Wie lächerlich!
Als sie am Straßenrand stand, war sie tatsächlich wütend, aber nach einer Weile beruhigte sie sich wieder.
Vor Jahren, vor dem Vorfall, hatte ihre Mutter, Kiera, einen Anwalt aufgesucht, um ein Testament zu machen.
Das Testament war ganz einfach. Sie hatte einen Safe in der Bank. Und sollte ihr etwas Schlimmes zustoßen, würde alles in diesem Safe Natalia gehören.
Die einzige Bedingung für das Erbe war, dass Natalia warten musste, bis sie geheiratet hatte. Vorher würde der Anwalt es für sie aufbewahren.
In den letzten Jahren hatte die Familie Dawson jedoch mehrfach versucht, sie davon zu überzeugen, das Erbe aufzugeben.
Natürlich würde sie nicht zustimmen. Selbst wenn ihr der Wert der Sachen im Safe egal wäre, würde sie nicht wollen, dass jemand anderes das bekommt, was ihre Mutter hinterlassen hatte.
Außerdem kam ihr immer mehr der Gedanke, dass es sich bei den Sachen im Safe nicht um etwas Gewöhnliches handeln konnte.
Sonst würde die Familie Dawson sie nicht mit ihrem Reichtum beanspruchen.
Als sie darüber nachdachte, fuhr ein schwarzer Audi vor ihr vorbei und hielt direkt vor dem Tor des Anwesens.
Natalia war verwirrt, und in der nächsten Sekunde hörte sie die vertraute Stimme eines Mannes.
"Natalia? Warum bist du hier?"
Sie sah zu dem Mann hinüber, der gerade aus dem Auto stieg. Es war Shawn Miller. Er trug heute einen Armani-Anzug, dessen blaue Farbe seine aufrechte Haltung und seinen Stolz zeigte.
Sie verzog die Lippen mit einem Hauch von Spott und sagte mit kalter Stimme: "Sie sind wohl zu sehr mit Ihren Geschäften beschäftigt, um sich an meinen Namen zu erinnern."
Shawn hielt eine Weile inne, und sein Gesicht versteifte sich leicht.
Er wird sicher nicht vergessen, dass Natalia auch zur Dawson-Familie gehörte und gerade in ihrem Haus stand.
Es ist nur so, dass sie sich schon vor langer Zeit von der Familie getrennt hatte und nie wieder zurückgekommen war. Es war nur natürlich, dass er überrascht war, sie hier zu sehen.