Kapitel 2: Erste Begegnung
LUCA
Innerhalb von einer Woche hatten wir das Haus soweit fertig. Hier und da stand noch ein Karton oder irgendetwas, für das meine Mum noch keinen richtigen Platz gefunden hatte. Aber im Großen und Ganzen waren wir fertig. Mein Zimmer hatte ich alleine zurecht gemacht. Ich fühlte mich einfach wohler, wenn ich wusste, wo was war. Schon seit ich ungefähr Fünf Jahre war, wollte ich alles alleine machen, was mein Zimmer anbelangte. Ich bekam oft Tobsuchtsanfälle, wenn ich gewisse Dinge nicht fand, weil meine Mutter sie aufgeräumt hatte. Seitdem hatte sie dies auch gelassen.
Während ich noch eine Woche Schonzeit hatte, um mein letztes Jahr an der High School anzufangen, musste meine Mum schon morgen anfangen. Gestern hatte sie noch ein Gespräch mit Emi geführt, in dem sie ihr verklickerte, dass sie sich auch bald an die Suche nach einem Job machen sollte. Immerhin hatte sie ja eine Ausbildung fertig. Emi war einfach nur faul. Wie immer hatte sie Mum versprochen, dass sie das tun würde, aber daran glauben tat nun wirklich niemand.
Ich saß gerade an meinem Fenster, als ich aus dem Haus gegenüber einen Jungen bemerkte, der mir irgendwie bekannt vor kam. Das konnte doch jetzt kein Zufall sein, oder? Ich sprintete nach unten in den Flur, zog mir schnell meine Sneaker an, setzte mir meine Lieblingscap verkehrt herum auf den Kopf und ging nach draußen. Der Junge fummelte gerade an seinem Fahrradreifen herum.
"Hey.", sprach ich ihn vorsichtig von hinten an.
Er zuckte und drehte sich um. Vorerst sah er mich ein wenig verwirrt an, aber kurze Zeit später lösten sich die Fragezeichen über seinem Kopf auf und er erinnerte sich an mich.
"Du bist doch der Junge von der Toilette vor ein paar Tagen! Luca, oder?", grinste Damien mich frech an.
Er hielt mir die Hand hin und ich schlug ein und nickte.
"Ja, ich wohne im Haus gegenüber von dir."
Er sah an mir vorbei und grinste wieder frech.
"Das muss wohl Schicksal sein, dass wir Beide zusammen geführt worden sind. Erst treffen wir uns auf dem Klo, jetzt bist du mein Nachbar. Da müssen wir wohl demnächst heiraten."
Da ich wohl etwas bescheuert geguckt haben musste, fing er an zu lachen.
"Du bist nicht so der humorvolle Typ, oder?"
"Nein, eher nicht."
"Naja. Hast du grad irgendwas vor?"
"Ne, ich kenne hier ja noch niemanden."
"Mich halt. Ich wollte mich mit ein paar Kumpels im Park treffen. Bisschen chillen und so. Willst du mitkommen?"
Ich dachte kurz nach und nickte dann aber. Einerseits tat ich es, um mir den Sonntag zu vertreiben und Damien schien wirklich nett zu sein. Andererseits wusste ich, dass es meiner Mum gefallen würde, wenn ich nicht wieder der einsame Wolf werden würde. Ich hatte zwar Felix in unserer alten Stadt, aber der war ja nun mal nicht mehr hier.
"Ich hol eben mein Rad und sag meiner Mum kurz Bescheid, okay?"
"Na, klar!"
Natürlich war sie begeistert, als ich ihr sagte, dass ich mit dem Nachbarsjungen loszog und sie erdrückte mich kurzerhand darauf. Sie wollte ja nur das Beste, so wie jede Mum es für ihr Kind wollte.
Während wir nebeneinander herfuhren, erzählte mir Damien von sich. Ich war ganz froh, dass er die Sprachführung übernahm, denn ich war eher der der lieber zuhörte, als der der viel redete.
Damien lebte schon seine ganzen Sechzehn Jahre hier. Mit beiden Elternteilen aber. Seine Mum war Direktorin an unserer High School und sein Dad schraubte an Autos. Er hatte einen großen Bruder und als ich ihm von Emilia erzählte, war er hellauf begeistert und wollte direkt wissen, ob sie zu haben sei. Da musste ich ein wenig schmunzeln.
Nach ungefähr einer Viertelstunde Rad fahren kamen wir am besagten Park an. Wir ließen die Räder vorne am Tor des Parkes stehen und machten sie dort fest. Schon von weitem hörte man viele Stimmen. Mich überkam ein wenig die Nervosität, doch Damien merkte dies und zwinkerte mir zu.
"Nur keine Panik. Die sind alle total korrekt, okay?"
Ich nickte nur und folgte ihm weiter.
"Eyyy! Damien! Da bist du ja endlich!", brüllte ihn ein blonder Junge mit durchstochenen Augenbrauen an.
Der Kerl war nie und nimmer erst in unserem Alter.
"Hey Jungs! Und Mädels!", grinste dieser.
Er begrüßte außer den Blonden noch drei weitere Leute. Der Blonde hieß Marty und war bereits Neunzehn. Wie ich schnell herausfand war dies der Cousin von Damien. Deswegen hing er immer mit ihnen rum. Dann war da noch der beste Freund von Marty. Ebenfalls Neunzehn und sah eher aus wie so der typische Emo. Aber ich beurteile Leute nicht nach ihrer Optik. Dieser hieß Flo und war aber auch wie ich schnell feststellen musste ein ganz netter Kerl. Das einzige Mädchen in der Runde war eine superhübsche Blondine mit braunen Augen. Sie war Sechzehn und hieß Angelina.
Die Hübsche hing im Arm eines Jungen, für den ich sogar freiwillig schwul geworden wäre. Er war heiß und wunderschön für mich anzusehen. Ich machte mir nichts aus Mädchen und Jungs sowieso nichts. Auch hatte ich bisher keine Beziehung, aber irgendwas an dem Kerl gefiel mir und ich konnte nicht aufhören ihn anzustarren. Als er das merkte, schnippte er seinen Stummel von der Kippe weg und grinste mich an.
"Hey, Damien. Wen hast du uns denn da mitgebracht?"
"Oh, sorry man! Das ist Luca. Er ist neu hergezogen. Wohnt gegenüber von mir."
"Ist das der, den du auf dem Klo getroffen hast?", lachte der unbekannte Schöne.
"Jo! Und das Luca..."
Er sah mich an.
"Ist dein Namensvetter."
"Hä?", entkam es mir etwas blöde.
"Ich bin Lucas. Freut mich. Setz dich zu uns."
Während ich mich niederließ und Damien mit Flo und Marty ins Gespräch kam, kam ich nicht ohnehin weiterhin Lucas zu beobachten. Er zündete sich eine neue Kippe an und seine hinreißende Freundin fing an seinen Hals abzuknutschen. Ich lief rot an und Angelina sah irgendwann zu mir und grinste. Sie flüsterte Lucas etwas ins Ohr, was ihn auf mich aufmerksam werden ließ.
"So?", fragte er sie dann.
Sie nickte. Ich verstand gar nichts.
"Was denn?", kam es auf einmal aus mir.
Angelina lachte und ihre Stimme war glockenklar.
"Ich habe ihm nur ins Ohr geflüstert, dass er wohl einen neuen Verehrer hat."
"Eh, wie?"
Ich sah mich um, dabei wusste ich längst, dass sie mich meinte.
"Was? N-Nein. Ich ehm..."
Die Anderen bekamen spitzen Ohren und fingen dann auch an zu lachen. Ich kam mir selten dämlich vor und beschloss zu gehen. Sicherlich hatte ich ihn angestarrt. Aber sie auch. Die Beiden war ein wunderhübsches Paar und ich konnte einfach nicht wegsehen. Ohne was weiteres zu sagen, stand ich auf und rannte los.
Ich hatte ein Talent dafür mich dauernd zu blamieren oder dass ich das Gespött in irgendeiner Clique wurde. Meistens deswegen, weil ich so eine ruhige Art hatte und die Leute deswegen dachten, ich könnte mich nicht wehren. Im Notfall konnte ich mich schon verteidigen oder derartiges, aber ich hasste Auseinandersetzungen jeglicher Art und deswegen tat ich auch nie etwas dagegen. Gerade deshalb konnte man mir so leicht eines auswischen.
"Luca!", schrie Damien mir noch nach.
Doch ich rannte einfach weiter und hielt erst wieder an, als ich am Tor war und mein Fahrrad hatte. Wie der Blitz schoss ich davon. Kurz sah ich mich noch einmal um und konnte Damien noch erblicken. Er winkte mit dem Arm, um mich wahrscheinlich aufzuhalten, doch ich sah wieder nach vorn und fuhr einfach weiter.
Als ich wieder zu Hause war, war ich selber angepisst von mir. Statt wegzulaufen, hätte ich mit irgendeinem coolen Spruch kontern sollen. Aber das konnte ich nicht. Das tat ich noch nie. Meistens hatte Felix meine Kämpfe für mich ausgetragen oder mich verteidigt, wenn wieder irgend so ein Schläger auf mich drauf hauen wollte. Seufzend ließ ich mich auf mein Bett fallen und mir war klar, dass ich nun bestimmt jegliche Ansichten auf eine Freundschaft mit Damien vergessen konnte. Der hielt mich doch mit Sicherheit jetzt auch für so ein Weichei.
Meinen rechten Arm legte ich auf meine Augen und irgendwann fiel ich wohl in einen tiefen Schlaf. Denn ich wurde von irgendeinem Geklopfe an meinem Fenster geweckt. Irritiert sah ich mich um. Mein Fenster war im zweiten Stock. Wer klopfte dann da? Ich stand auf und ging zu meinem Fenster hin. Draußen war es bereits dunkel und ein Blick auf meinen Wecker, der neben dem Bett stand, verriet mir dass wir bereits weit nach ein Uhr in der Nacht hatten. Offenbar hatte meine Mum mich schlafen lassen, als sie mich sah. Denn mir knurrte auf einmal der Magen. Das Gefühl ignorierend öffnete ich mein Fenster. Auf dem Brett draußen lagen kleine Steine. Das war also das Geklopfe.
"Hier unten.", hörte ich jemanden flüstern.
Derjenige leuchte mit einer Handytaschenlampe in sein Gesicht.
Lucas.