~| Prolog |~
Sie stand nackt in der Mitte ihres Ankleidezimmers und fröstelte in der kalten Luft. Ihre drei Zofen wuselten um sie herum und bereiteten weiter ihr Hochzeitskleid vor, die Wangen vor Aufregung leuchtend rot. Dabei war das Kleid eigentlich viel zu prächtig für den schmalen und jungen Körper der Prinzessin. Als sie dann endlich in dem Kleid steckte, richteten ihre Zofen ihre Aufmerksamkeit auf die schneeweißen Haare. Während Mathilda ihre Haare zu einer eleganten, aber natürlichen Hochsteckfrisur formte, machten die jüngeren Zofen, Greta und Juna, das Make Up. Die ganze Zeit behielt das fünfzehnjährige Mädchen ihre ausdruckslose Miene bei und ließ niemanden ihre richtigen Gefühle sehen. So hatte es ihre Mutter ihr beigebracht, eine Prinzessin, erst recht eine Thronfolgerin, beschwerte sich nicht, sie schrie nicht, sie weinte nicht, sie tat das, was sie für ihr Volk tun musste. Auch wenn es hieß, einen zehn Jahre älteren Prinzen aus einem anderen Land zu heiraten. Doch der Sturm, der in ihrer Gefühlswelt tobte, ließ sich dennoch nicht gänzlich abstellen. Sie hasste ihr Leben, sie hatte das ganze überhaupt nie gewollt, sie wollte leben, nicht gehorchen. Aber das hatte die Königin ihr von klein auf eingetrichtert, dass Volk stand an erster Stelle, ihre Bedürfnisse standen ganz weit hinten, sie durfte nicht egoistisch sein, ihre Pflichten nicht vernachlässigen und sie durfte keine Sicherheitsrisiken eingehen. Sie durfte gar nichts, sie durfte nicht sie selbst sein. Und das machte sie so, so wütend! Sie hatte keine Freunde, keine richtige Kindheit, auch wenn die einzelne Lichtblicke mit ihrem Vater ihr Herz wenigstens manchmal erwärmten. Er war weniger streng als ihre Mutter, aber er war eben auch der König. Er konnte ihr nicht alles erlauben. Und im Moment hasste sie ihr Leben, ihre Hilflosigkeit. Sie durfte nicht mit entscheiden, sollte einen Fremden heiraten.
"Meine Herrin, wir sind fertig" durchbrach Mathilda ihre dunklen Gedanken und schaute die junge Prinzessin mit einem zufriedenen Lächeln an. Sie waren so aufgeregt, freuten sich auf die bevorstehende Vermählung, also zwang sich die Prinzessin zu einem Lächeln und nickte.
"Danke", sie drehte sich einmal schwungvoll im Kreis. "Aber im Moment wäre ich gerne noch einmal allein, geht bitte hinaus" bat sie freundlich und ihre Dienerinnen huschten gehorsam davon. Als die Tür leise ins Schloss fiel, ließ das Mädchen ihre Maske für einen Moment fallen und atmete zittrig durch. Sie hatte so eine Angst, dass sie sich nicht in Lex verlieben könnte. Sie meint, kann sie sich überhaupt dazu zwingen ihren zukünftigen Gemahl zu lieben? Wie ihr Vater ihre Mutter? Sie wusste es nicht und gerade als ihre Augen feucht wurden, klopfte es an der Tür. Hastig blinzelte sie die aufsteigenden Tränen weg und fiel in die Rolle der Prinzessin. Mit geradem Rücken ging sie zur Tür. Dahinter wartete ihr Vater, seine schneeweißen Haare ebenfalls elegant gestylt und die blauen Augen voller Stolz, aber auch Bedauern, da er wusste, wie schwer es ihr fiel.
"Du siehst bezaubernd aus Selena, er wird dich lieben", sie rang sich ein Lächeln ab und hakte sich bei dem König unter.
"Bestimmt Vater", in der Ecke, bei ihren Körben, sprangen die drei Wölfe auf, ihre tierischen, perfekt ausgebildeten Leibwächter. Sie waren besser als jeder Mensch. Frostfell schüttelte sich und tappte auf Selena zu.
"ALLES IN ORDNUNG? SOLLEN WIR MITKOMMEN?" fragte er jaulend und rieb seinen Kopf an dem silbernen, mit Schneeflocken bestickten Kleid, dessen Rüschen kaum Bewegungsfreiheit ließen.
"Nein, bleibt hier" befahl sie leise und streichelte ihn kurz, bevor sie mit dem König weiterging.
"WIR SIND FÜR DICH DA" schickte der Polarwolf ihr traurig hinterher. Ja, sie konnte mit Wölfen sprechen, eigentlich mit allen Tieren. Ihr spezielle Faegabe. Und auch die einzige ihrer Art, denn sie war die letzte Fae, alles Magische war ausgerottet worden und deshalb durfte es niemand erfahren. Man würde sie hinrichten wollen, ihre Eltern hätten keine andere Wahl, auch wenn sie es wussten und ebenfalls vor allen verheimlichten. Niemand sonst wusste es, nicht einmal ihr Kindermädchen. Und so fügte sie sich ihrer Pflicht, durchquerte den Thronsaal als die Musik begann und wurde pünktlich zum Sonnenuntergang auf dem Balkon des Saphirpalastes, vor den Augen des gesamten Volkes, mit Prinz Lex von Callacur vermählt. Der Jubel war ohrenbetäubend und den gesamten Abend feierte sowohl der Adel im Palast als auch das Volk das neue Eheglück, doch hätten sie gewusst, wen sie in ihr Palast gebracht haben, was für ein Monster die Könige ihrer Tochter gegeben hatten, wären sie alle schreiend weggerannt. Die Königsfamilie hätte die Tore geschlossen. Aber so... so nahm die Schicksalsgöttin ihre Fäden auf und webte ein neues Schicksal, legte die Rettung eines versklavten Landes in die Hände eines jungen, gefangenen Mädchens und eines bedeutungslosen, sentimentalen Jägers.