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K 10 - Neue Pläne

„Hör auf so viel über alles nachzudenken. Du brichst dir dein eigenes Herz.“ (@motivationsass)

Ich blinzle ins Sonnenlicht. Mein Kopf ist schwer, meine Augen müde. Ich möchte weiter schlafen. Nein, eigentlich möchte ich weiter träumen. Gerade war alles so leicht… War ich im Traum tauchen? Nein…nein… ich bin… geflogen, oder? Alles verschwimmt.

Gott, so verwirrt und wenig strukturiert war ich schon seit ich weiß nicht wie lange. War ich überhaupt jemals so? Das Vibrieren und Piepen meines Telefons lässt mich leicht hochfahren. Ein Blick zum Display lässt mich die Augen verdrehen und doch grinsen.

Lieschen (vor 15 min.): Und?

Lieschen (vor 5 min.): Und??

Lieschen (jetzt): UND?!?

Wenig überraschend fängt das teure Ding nun laut an zu piepen und vermeldet einen Anruf meiner Schwester. Seufzend schmeiße ich meinen Arm über meine Augen und mich wieder in die Kissen; lasse den Anruf auf die Voicemail gehen. Nur um kurz darauf wieder ein Piepen zu vernehmen. War klar.

Lieschen: Konstantin? Heb ab, verdammt! Das ist nicht fair!

Ich seufze nochmal und tippe: Ich weiß. Geht grad nicht anders.

Ich drücke den Senden-Pfeil und weiß im gleichen Moment, dass das wohl zu wenig gewesen sein wird.

Lieschen: Bist du etwa bei IHM?!? Jetzt sag doch endlich was!!!! Ich dreh durch vor Neugier!

Das „bei IHM“ entlockt mir ein lautes, bitteres Lachen. Und zum Thema „durchdrehen“: Ich dreh auch gleich durch. Auch weil ich miserabel geschlafen habe. Gähnend tippe ich ins Handy:

Bin im Hotel. Allein. Ich weiß, dass du platzt. Sorry. Ich meld mich. Versprochen.

Ich kenn mein Schwesterchen - und sie mich. Daher erwarte ich keine weiteren Nachrichten oder Anrufe. Und so ist es auch.

Warum ich nicht mit ihr sprechen will, hinterfrage ich aufgrund der Müdigkeit nur am Rande. Vielleicht, weil ich meine Erkenntnis(se) nicht von ihr bestätigt brauche. Vielleicht, weil ich nicht will, dass sie sagt, dass er ein Kotzbrocken ist – auch wenn ich das gestern unterschrieben hätte. Nicht nur unterschrieben, Flugblätter hätte ich daraus gemacht! Tausende! Und mit Freude in ganz Wien verteilt! Also so in der ersten Wut.

Heute, jetzt, ist mir nicht nach Drama-Queen. Ich bin einfach nur unausgeschlafen, leicht verkatert und fühle mich nicht nur müde, auch irgendwie genervt und gereizt und…. lächerlich.

Mit einem lauten Stöhnen hieve ich mich aus dem Bett und stapfe ins Bad. Mir ist nicht entgangen, dass die Sonne strahlend durchs Fenster scheint. Dennoch werde ich das hoteleigene Fitnessstudio bemühen. Für Frühstück ist es danach wohl zu spät. Egal. Geh ich halt nochmal in die Stadt was essen – ich hab ja Zeit. Und das hier ist vielleicht die perfekte Übung, wie man ein Wochenende ganz ohne Arbeit verbringt. Außerdem steht mir nach Arbeit gerade weder der Sinn, noch glaube ich, dass ich produktiv wäre.

Zahnbürste bereits in der Hand starre ich wenig begeistert auf mein zerknittertes ICH im Spiegel und ziehe die Augenbrauen noch fester zusammen. Ich sollte etwas tun gegen diese mehr als Kater-Stimmung.

Ich könnte in die Mariahilferstraße shoppen gehen? Wie früher, als Student, auch wenn ich mir mittlerweile die teuren Läden in der Innenstadt locker leisten könnte. Danach im Museumsquartier mit einem Coffee to go ein bisschen chillen und dann noch zum Schwedenplatz auf ein Eis?

Das klingt doch nach einem Plan! Schlagartig verbessert sich meine Stimmung und ich greife beschwingt nach der Zahnpasta. Hätte ich meine Einheit auf dem Laufband und an den Hanteln schon hinter mir, würde ich wahrscheinlich sogar laut pfeifen! Na, bitte. Alles im Griff.

***

Auch wenn ich das kaum fassen kann, aber ja, ich bin wieder hier! Auf der Burg. Die unbequeme Holzbank spare ich mir derweil. Ich stehe oben an den Zinnen. Von hier aus kann ich die Vogel-Arena gut überblicken. Und falls Alec nicht auftaucht, dann kann ich mich aus dem Staub machen ohne die Vorführung zu stören oder sie mir ein weiteres Mal anschauen zu müssen. Sie sind ja schon echt schön die Vögel, aber warum dann noch länger an diesem Ort verweilen, an dem ich schon längst nichts mehr verloren habe?

Wenigstens bin ich heute weniger overdressed als gestern. Dank erfolgreichem Shopping: Graue, washed-out Jeans, unaufgeregtes schwarzes T-Shirt und weiße Sneakers, weil es die coolen schwarzen nicht in meiner Größe gab. Die dunkelgrüne NordBlanc Jacke liegt ungebraucht neben mir. Keine Ahnung, ob die heute noch zum Einsatz kommt. Jedenfalls wollte ich nicht wieder mit Sakko aufkreuzen. Und die Rasur hab ich mir auch gespart. Weil ich mich ja wirklich nicht für ihn „hübsch“ machen will; sicher nicht, weil meine Schwester sagt, so ein bisschen Bart steht mir.

Und weiche Knie hab ich auch keine, sondern verspüre eine gewisse Kampfeslust. Was bildet sich dieser Vogelflüsterer eigentlich ein, mich derart abzuspeisen! Das funktioniert bei Kunden auch nicht, wenn sie meine Ideen schwer umsetzbar, im Klartext also ‚scheiße‘, finden. Da werde ich erst recht angestachelt, mein Konzept inbrünstig zu verteidigen und das Gegenüber davon zu überzeugen, dass das der einzig richtige Weg ist. Und so gut wie immer habe ich damit Erfolg.

Aber meine Überzeugungskunst spielt heute womöglich gar keine Rolle. Denn vielleicht kommt es ohnehin zu keinem weiteren Zusammentreffen. Vielleicht ist Alec heute gar nicht dran mit Flugshow. Oder er geht mir bewusst aus dem Weg?

Das wäre die einfachste Möglichkeit. Dann kann ich quasi auf dem Absatz kehrt machen, morgen einen gemütlichen Sonntag in Wien verbringen, am Montag diesen Deal abschließen und zurück nach München fahren.

Und in ein paar Wochen feiere ich meinen Geburtstag mit Tauchen auf den Seychellen. Und sollte diese Vogelflüsterer-Sache dann tatsächlich immer noch in meinem Kopf rumspuken, dann, ja, dann, for gods sake, dann such ich mir eben echt einen Therapeuten oder Coach oder was man halt für sowas braucht! Ist das nicht heutzutage eh en vogue, sich coachen zu lassen?

Erleichtert seufze ich. Pläne mag ich eben. Dass sich in diesem Plan schon ganz am Anfang eine Unbekannte Größe X befindet, lasse ich vom herrlichen Sonnenschein ausblenden. Nicht ausblenden lassen sich gewisse Erinnerungen. Erinnerungen, die ich gestern ganz bewusst zugelassen, ja sogar heraufbeschworen habe, und die sich jetzt gerade erneut penetrant aufdrängen.

Doch ich bin so beruhigt durch meinen Plan, dass es mir völlig harmlos erscheint, sich hier und jetzt melancholisch noch ein bisschen gedanklich dem Damals hinzugeben.

Zugegeben, damit verschiebe ich das „Aufhören“ gerade wie ein Raucher wieder etwas nach hinten. Aber diesen Gedanken werfe ich elegant in den Burggraben.

Ich lehne meine Unterarme auf die dicke Steinmauer, strecke mein Gesicht dem blauen Himmel entgegen und schließe die Augen.

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