Kapitel 3 - Meine Geschichte
Meine Geschichte fängt wie jede grandiose Geschichte an, vor langer Zeit. Damals gab es zwei Götter, die neun Töchtern hatten. Diese neun Töchter wurden mit dem Gedanken, das Böse und das Leiden aus der Welt zu beseitigen, gezeugt. Sie unterhielten die feiernden Götter mit ihrem Gesang und wurden Musen genannt. Ich bin eine davon. Von den neun schönen und intelligenten Musen personifizierte jede eine bestimmte Eigenschaft.
Klio verkörperte die Geschichtsschreibung, Melpomene war die Muse der Tragödie. Terpsichore wurden Chorlyrik und Tanz zugeschrieben, Thaleia trat als Muse der Komödie auf. Darüber hinaus symbolisierte Euterpe, also ich, die Lyrik und das Flötenspiel, Erato die Liebesdichtung, Urania, Astronomie und Polyhymnia den Gesang mit der Leier. Die neunte Muse, Kalliope, war für die epische Dichtung, der Rhetorik, der Philosophie und der Wissenschaft zuständig.
Alles lief gut, wir sangen und tanzten und erzählten Geschichten für die Götter, aber etwas fehlte. Wir waren so beschäftigt damit, andere Götter zu feiern, dass wir uns selbst vernachlässigt haben, wir wussten nicht, was wir mochten, was wir nicht mochten, wir wussten nicht einmal, welche unsere Lieblingsfarbe ist! Deshalb entschied ich, zu Apollon zu gehen, um ihn zu bitten uns von dieser Aufgabe zu erlösen. Er ist der Gott der Kunst, insbesondere der Musik und des Gesangs und deshalb ist er wie unser Lehrer.
Ich nahm Kalliope mit, weil ich dachte, sie konnte ihn mit ihrer schönen Art zu reden überreden. Was ich aber nicht wusste, war dass die zwei kein gutes Verhältnis hatten, weil sie mal zusammen waren und sie ihn erwischt hatte wie er mit Urania rumgeschmust hatte und, na ja, das ist nicht so wichtig. Als wir da ankamen, war Apollon alles andere als erfreut und die zwei gingen aufeinander los wie zwei Raubtiere, ich hatte noch nie so viele Fluchwörter gehört. Ich war fasziniert, sie sagten Sachen, die ich noch nie gehört hatte ...
Tut mir leid, ich schweife ab. Wo war ich? Ach ja, es ging nach hinten los. Als sie sich an die Gurgel gingen, schlich ich mich davon. Da mein Plan eindeutig nicht gut lief, musste ein neuer her.
Ich ging zu Artemis, bekannt für ihren Männerhass und dass sie die Beschützerin der Frauen ist. Ich erklärte ihr mein Problem, dass ich nicht nur tanzen und singen möchte, sondern auch selbst gefeiert werden möchte. Sie sagte mir, dass, um gefeiert zu werden, ich auch etwas dafür leisten müsse. Ist das zu glauben? Man möchte Anerkennung und muss dafür noch schuften.
Ich nahm mich zusammen und fragte sie, wie ich das schaffen konnte, und zwar auf die einfachste Art. Sie sagte mir, dass der einfachste Weg zur Anerkennung es war , von den Menschen als Gottheit angebetet zu werden. Um das zu erlangen, müsste ich runter auf die Erde, mir eine Gruppe Menschen packen und ihnen weismachen, dass neun unbekannte Frauen Gottheiten sind.
Als ich alles meiner Schwestern erklärt hatte, wurde ich als allererstes ausgelacht. Das sei unmöglich, wir sind nicht einmal bei den Göttern so sehr bekannt, blah, blah, blah. Ich erklärte ihnen, dass ich einen Plan habe. Er lautete: Dolos.
Er ist die Personifikation der Täuschung und des Betrugs. Sie schauten mich fast verängstigt an. Sie wollten meinen Plan gar nicht zu Ende hören. Ich versuchte ihnen zu erklären, dass ich mir sicher war, dass es klappen würde. Statt mir eine Chance zu geben, schickten sie mich weg, ich solle zurückkommen, wenn ich einen echten Plan hätte. Wenn sie mir nicht helfen wollen, mach ich's halt selbst, und mit diesem Gedanken machte ich mich auf dem Weg zu Dolos.
Dolos lebte weit weg von den anderen Göttern, da er eigentlich keiner ist. Er ist nämlich ein Daimon, ein Geisterwesen. Nachdem er das Lügen erfunden hatte, wollte ihn niemand wirklich in der Nähe, also lebte er in einer kleinen Hütte. Auf halbem Weg hörte ich schnelle Schritte hinter mir. Als ich mich umdrehte, sah ich Klio, die auf mich zulief. Ich lachte sie an und fragte sie, wie es dazu gekommen ist, dass sie die Meinung gewechselt hatte. Sie sagte, dass sie immer noch dachte, dass es eine dumme Idee war, aber sie wollte dabei sein, um dann weitererzählen zu können, wie ich gescheitert bin, dann grinste sie. Ich war trotzdem froh, dass ich jemanden an der Seite hatte.
Wir kamen an und wurden von einer verlassenen Hütte begrüßt. Niemand war aufzufinden und Klio fing schon an es in ihr kleines Heft aufzuschreiben. Plötzlich ertönte eine Stimme die uns einlud ins Haus zu gehen. Ohne mit der Wimpern zu zucken, ging Klio rein. Ich brauchte eine Minute, folgte ihr aber trotzdem. Einst drin, merkten wir, dass es im inneren viel größer war als es von draußen aussah. Und in dem Moment erinnerte ich mich, in wessen Haus wir eintraten.
Dolos, der Erfinder der Lügen und Täuschung. Es hatte ein Kamin mit angezündeten Feuer, ein frisch gedeckter Tisch mit Kerzen und alles schien als Holz gemacht zu sein. An einem Ende des Tischs saß eine Gestalt. Ein junger Mann, bleich, mit weißen Haaren und, als er mich ansah, bemerkte ich, dass er farblose Augen hatte, und keine Pupillen und trotzdem nicht den Anschein gab, dass er blind war. Er stand auf und lief zu mir rüber, nun, nicht wirklich, weil er über dem Boden schwebte. Als er bei uns ankam, reichte er mir die Hand und, zu meinem Erstaunen, war seine Hand fast durchsichtig. Als ich ihm die Hand schüttelte, stellte er sich vor. Sein Mund bewegte sich, aber es schien nicht als würde die Stimme aus ihm heraus kommen, sie bewegte sich wie der Wind, man wusste nicht richtig von welcher Richtung sie kam, man wusste nur, dass sie überall war.
«Willkommen in meiner bescheidenen Hütte, meine Damen.»
Seine Stimme, hallte durch den ganzen Raum, was Klio so überraschte, dass sie einen kleinen Schrei von sich gab, was er mit einem schallenden Gelächter antwortete. Das Gelächter war nicht voller Freude, sondern herabsetzend, was mich kurz reizte und deswegen schroff antwortete. Ich sagte ihm kurz und bündig wer wir waren und dass wir da waren und nach seiner Hilfe verlangten.
«Wieso sollte ich euch denn helfen?»
Seine weißen Augen schauten mich an, als würden sie durch mich hindurch sehen. Klio kam dazwischen und erklärte ihm, dass wir gerne als Götter bezeichnet werden wollten, um auch gefeiert zu werden, aber um das zu erreichen, müssen wir von den Menschen als solche gesehen werden. Während sie all das erklärte, sah ich, wie ein hämisches Grinsen auf sein Gesicht auftauchte.
«Und ihr glaubt, dass ich, ein Geisterwesen, das weder ein Mensch noch ein Gott ist, euch helfen sollte, etwas zu erreichen, was ich seit Jahrtausenden nicht erreichen konnte?»
Natürlich würde es nicht leicht werden. Er sah uns an, als würde er im Ernst eine Antwort erwarten. Ich sagte ihm nur, dass er natürlich dafür bezahlt wird, sogar Klio war damit einverstanden. Er sah nicht überzeugt aus.
«Was könnt ihr mir schon geben, was ich mir nicht selbst erschaffen kann? Nimmt dieses Haus als Beispiel, glaubt ihr, es ist echt? Das ist alles erstunken und erlogen.»
Er schnipste mit dem Finger und das Haus war plötzlich spurlos verschwunden und ich und Klio erstarrten. Er fing an, hämisch zu lachen.
«Seht ihr? Ich kann alles haben, und ihr habt nichts, was ich will!»
Klio sah mich an und in ihren Augen sah ich, dass sie etwas im Sinn hatte. Ich wusste nicht, was mich sehr nervös machte. Klio war gut in Geschichten erzählen, aber die waren alle echt und sie musste nicht den Erfinder der Lügen selbst überzeugen. Mit erhobenen Hauptes sah sie ihn direkt in seinen gläsernen Augen. Sie grinste und sagte nur. «Doch, haben wir.»
Sein hämisches Lächeln verschwand. Er sah sie angewidert an. All seine Eleganz schien verschwunden zu sein.
«Wie bitte?»
Klio sah mich an und machte mir ein Zeichen, dass ich sie unterstützen sollte. Ich musste schnell nachdenken. Was konnten wir ihm schon anbieten? Da kam es mir in den Sinn. Er hatte erzählt, dass er seit Jahrtausenden versuchte eine Gottheit zu werden, aber es ihm nie gelungen ist. Da wusste ich genau, was wir ihm geben konnten.
«Anerkennung.»
Er hielt inne. Eine Sekunde lang dachte ich, ein Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehen. Er sah uns beide mit herausforderndem Blick an.
«Und wie beabsichtigt ihr das anzustellen?»
Das hatte er wohl nicht erwartet. Ich grinste Klio an und gab ihr zu verstehen, dass ich übernehmen würde. «Wir sind Musen. Wir besingen Gottheiten und erzählen Geschichten, die bis zu den Menschen gelangen. Wir müssen nur über dich singen und Geschichten erzählen, dann wirst du deinen Namen in den Mündern aller hören!» Seine weißen Augen glühten förmlich vor Aufregung. Doch dann nahm er sich wieder zusammen.
«Bevor ich aber zustimme, wie kann ich sicher sein, dass ihr mich nicht hintergeht. Bei euch Heiligen kann man ja nie sicher sein.»
Sagte er etwas gereizt. Ich gab ihm das Ehrenwort einer Göttin, was bedeutete, dass, wenn ich mein Versprechen nicht halte, ich mit meinem Leben zahlen würde.
«Das hört sich ja richtig gut an! Nun, wann fangen wir an? Was soll ich tun?»
Er sah aus wie ein Kind, dem man gerade eine Schokoladentorte versprochen hatte.
«Ganz einfach, lass den Menschen glauben, dass wir neun Musen Gottheiten sind.» Er fing an lauthals zu lachen.
«Ach, Schätzchen! So funktioniert das nicht! Wenn das so einfach wäre, hätte ich das schon längst gemacht.»
Er fand es anscheinend sehr amüsant, denn er beugte sich vor Lachen. Ich war entgeistert. Klio hingegen sah aus, als würde sie tief in Gedanken versunken zu sein. Als er endlich aufgehört hatte zu lachen, fing Klio an zu reden.
«Was wäre, wenn du einfach etwas erschaffen würdest, das uns helfen würde. Du erschaffst etwas, wir lösen es, retten sie und, Boom, wir sind Gottheiten.» Stille. Dolos sah sie an. Er musterte sie sehr lange, sie starrte in seine Augen, ich bin mir nicht einmal sicher, ob einer von ihnen blinzelte. Mit einem Seufzer sagte er dann:
«So dämlich, wie es auch klingt, es könnte funktionieren. Sobald die Menschen aber herausfinden, dass alles gelogen war, funktioniert der Zauber nicht mehr.»
Wir nickten und er zuckte mit den Schultern.
«Nun gut meine Damen, dann ist es wohl ein Deal.»
Wir schüttelten ihm darauf die Hand und gingen fröhlich von dannen. Wir mussten unseren Schwestern Bescheid geben und sie überzeugen, mitzumachen. Klio sah nicht sehr überzeugt aus. Als wir langsam nach Hause liefen, war sie ganz still. Plötzlich hielt sie an und, mit einem besorgten Gesichtsausdruck, beichtete sie mir, dass sie sich Sorgen machte, Dolos zu besingen. Immerhin war er die Personifikation der Täuschung und des Betrugs. Ich beruhigte sie und sagte ihr, dass ich ein Ass im Ärmel hatte.
Wir haben gesagt, dass wir über ihn singen und Geschichten erzählen werden, wir haben aber nie gesagt, was für Geschichten. Mein Plan war, uns von ihm helfen lassen, Gottheiten werden, ihn besingen, aber wir werden ihn so schlecht besingen, dass die oberen Götter es auch mitbekommen und er dann wegen seinen schlechten Taten eingesperrt wird.
Klio nannte mich ein fieses Miststück, aber mein Plan funktionierte. Wir retteten die Menschheit, wurden von ihnen wie Götter angebetet und als Dank gab uns der Götter aller Götter selbst ein Geschenk. Jede Muse bekam ein Königreich, das sie beschützen sollte und so entstanden Mousiki, Epos, Istoria, Tragodia, Agapi, Agios, Choros, Komodia, Planitis und alle lebten glücklich bis an ihr Lebensende, außer Dolos natürlich. Der wurde eingesperrt und verrottet jetzt irgendwo.