Kapitel 5
Er schaffte es, dem schlafenden Fuchs die Pfote zu verbinden, ohne ihn zu wecken und wir legten ihn aufs Kissen, damit er ruhig weiterschlafen konnte. Wir standen im Türrahmen, Baldrian hatte die Arme verschränkt und sah auf den Fuchs.
«Ist das nicht schön?», flüsterte er mir zu, aber ich verstand nicht, was er meinte. Er zeigte auf den schlafenden Fuchs. «Zu sehen, wie sie so ruhig schlafen kann, nachdem sie so etwas durchleben musste. Man kann ihre Ruhe spüren, den Frieden, die Freude, es überstanden zu haben», sagte er mit einem Lächeln auf dem Gesicht. «Sie sind ein richtiger Poet, mein Herr», sagte ich lächelnd und auch er lachte leise. «Ist das ein Kompliment?», fragte er amüsiert und ich nickte.
«Ja, das war es.» Er lachte nicht mehr und räusperte sich kurz. Ich konnte sehen, wie die Spitzen seiner Ohren rot wurden.
Wir hörten Schritte und sahen wie Dorothy, Matilda und ein sehr gestresster Paul zu uns liefen. «Mein Herr, wieso tun Sie so etwas?» Er wischte sich Schweiß von der Stirn. Dorothy und Matilda legten beide gleichzeitig eine Hand auf Pauls Schultern und funkelten Baldrian böse an.
«Du überarbeitest unseren armen Paul noch», meinte Matilda. «Ja, wisst Ihr, wie sehr er arbeiten muss, weil Ihr Eure Pflichten vernachlässigt.» Paul nickte bei jedem Wort, das die Damen sagten, während Baldrian schweigend vor ihnen stand. «Ihr solltet auch an ihn denken», fügte Dorothy noch hinzu. «Ihr habt recht, ihr habt recht.» Baldrian legte beide Hände auf Pauls Schultern und sagte ernst: «Es tut mir leid.» Paul lächelte erfreut und fragte ihn: «Heißt das, Sie tun das nicht noch mal?»
Stille. Baldrian entfernte langsam seine Hände von den Schultern und verschränkte sie hinter seinem Rücken.
«Mein Herr?», sagte Paul voller Hoffnung, doch Baldrian drehte sich langsam zu mir und fragte mich: «Hast du Lust zu frühstücken?» Ich konnte nicht anders als leise zu lachen, als ich Pauls verzweifelten Ausdruck sah.
Ich nickte erfreut. «Gerne.» Er lächelte lieb und wandte sich dann wieder zu Paul. «Mach dir wegen des Treffens keine Sorgen, ich wäre ohnehin nur ein Dorn im Auge gewesen.» Als er den Satz beendet hatte, sahen die drei ihn traurig an.
«Baldrian …», fing Matilda an, aber er unterbrach sie schnell. «Elias, wollen wir?» Ich nickte leicht, denn ich spürte, dass sich die Atmosphäre verändert hatte. Bevor wir gingen, drehte er sich nochmals um. «Dorothy, bereite bitte etwas zu Essen und Trinken für die Kleine vor.» Sie nickte und ging. «Wenn ich mit dem Frühstück fertig bin, werde ich dem Rat eine schriftliche Erklärung meiner Abwesenheit verfassen, die du dann bitte abschickst», erklärte er Paul, der sofort nickte.
«Matilda, ich möchte gerne, dass du mir eine Liste der wöchentlichen Ausgaben erstellst, damit ich sie vor dem Rat präsentieren kann, um zu sehen, ob wir ein wenig dazu bekommen.» Sie nickte und ging. Ich war so beeindruckt vom plötzlichen Charakterwechsel, dass ich mit offenem Mund da stand und zu ihm hoch sah, bevor er losging und ich hinterher.
Das Frühstück verging ruhig, wir aßen schweigend und genossen das Essen. Ich blickte ihn immer wieder an, natürlich, wenn er gerade nicht hinsah, und war fasziniert. Diese Maske war komisch, sie war unnatürlich, aber aus irgendeinem Grund störte sie mich überhaupt nicht, als hätte ich mich schon daran gewöhnt, dass sie Teil von ihm ist. Die Frage, die sich aber stellte, war: wieso? Wieso versteckte er sein Gesicht? War er wirklich ein Monster so wie alle ihn beschrieben?
«Elias?» Ich riss mich aus meinen Gedanken und hatte überhaupt nicht bemerkt, dass die Teller schon weggeräumt wurden und Baldrian aufgestanden war. «Ich muss nun in mein Büro und mich um einige Angelegenheiten kümmern, falls etwas ist, kannst du ruhig zu mir kommen», sagte er mit einem Lächeln. Ein komisches Gefühl wuchs in mir, als ich ihn gehen sah.
«Mein Herr?», rief ich ihn und er drehte sich sofort um. «Ich muss Ihnen etwas sagen.» Wage es nicht! Nach all dem, was geschehen ist «Wegen Ihres Vorschlages.» Dir ist schon bewusst, dass du ein Klotz am Bein bist, oder? «Ich habe-» Du bist ein misslungener Test, wieso sollten sie dich hier wollen, wenn du gar nicht hier sein solltest? Ich schluckte meine Worte und sagte nur. «Ich wollte nur sagen, dass ich mich noch nicht entscheiden kann, es tut mir leid.» Er schüttelt den Kopf.
«Es gibt nichts, weswegen du dich entschuldigen musst.» Ich sah zu Boden und ohrfeigte mich selbst innerlich. «Zerbrich dir nicht den Kopf, und falls du dich dafür entscheiden würdest zu gehen, wird dir niemand böse sein.» Siehst du? Die wollen dich nicht. Ich biss mir auf die Unterlippe.
«Elias, sieh mich bitte an.» Langsam hob ich meinen Kopf und sah ihn an. Seine Metallmaske versteckte alles, aber dennoch konnte ich seinen lieben Blick spüren. Du steigerst dich da in etwas hinein, das sehr schief laufen wird. «Du bist hier immer willkommen, wir würden dich nie rausschmeißen. Wir haben dich gerne hier. Dorothy ist hin und weg von dir. Paul redet über dich, als wärst du sein Sohn. Sogar Matilda spricht über dich, mit einem Lächeln auf dem Gesicht.» Er machte eine kleine Pause. Es sah aus, als würde er noch etwas hinzufügen wollen, aber nichts kam, was er stattdessen sagte, war: «Du musst dich bei niemandem rechtfertigen, was für Entscheidungen du triffst, solange die Entscheidungen nur dein eigenes Leben beeinflussen.» Er lächelte mich ein letztes Mal an und ging dann. Tränen fingen an, sich in meinen Augen zu sammeln, ich versuchte, sie zurückzuhalten. Willst du etwa heulen, weil jemand mal ein wenig nett zu dir war? Ich riss mich zusammen und konzentrierte mich auf etwas anderes. Was konnte ich tun, um meine Gedanken abzulenken?
«Elias, du bist noch hier?», hörte ich Mara sagen, als sie aus der Küche kam. «Perfekt, ich hätte da einen Auftrag für dich.» Ich bedankte mich innerlich, dass sich etwas gefunden hatte und nickte ihr zu. «Ich möchte, dass du eine Liste erstellst, mit den Essenswünschen von allen hier, dich eingeschlossen.» Ich sah sie mit großen Augen an. «Alle? Wieso?», fragte ich sie. «Nun, heute Abend gibt es ein Festessen, und bei Festessen darf sich jeder etwas wünschen.» Ich war verwirrt. «Wieso gibt es ein Festessen?» Sie lächelte. «Das ist ein Geheimnis, aber eins kann ich dir sagen, der Herr hat sich große Mühe gegeben.» Als sie das sagte, fühlte ich, wie Aufregung in mir wuchs, dass ich kaum still sitzen konnte und ich anfing, breit zu lächeln. Ich lief los.
Wieso gab es dieses Festessen? Wird etwas gefeiert? Aber was? Baldrian hat es organisiert, dann wird es sicher toll. Sie könnten feiern, dass du endlich gehst. Mein Lächeln gefror. Ich musste aufhören, so negativ zu denken. Als Erstes sollte ich Dorothy finden, vielleicht konnte sie mir bei der Liste helfen.
Mit einem Ziel im Kopf machte ich mich auf den Weg. Ich fragte einige Leute, die mir sehr liebevoll erklärten, wo sie sie zuletzt gesehen hatten, bis ich auf Paul traf, der mir sagte, dass sie sich um den Fuchs kümmerte, daher begab ich mich zurück in dieses Zimmer.
Als ich ankam, sah ich, dass die Tür ganz wenig offen war, aber ich hörte keine Geräusche. Ich dachte deshalb, dass es schlief, also öffnete ich die Tür ganz leise, nur um dann, wie eingefroren, im Türrahmen zu stehen und auf die Szene vor mir zu starren. Auf dem Bett saß Dorothy, ihre Ärmel hochgezogen, was mir erlaubte, ihre Hände zu sehen. Ihre Finger waren bis zu den Knöchel schwarz und ihre Nägel lang und scharf. Sie hielt eine Schüssel Suppe in einer Hand, während sie mit der anderen Hand einen Löffel hielt. Sie fütterte nämlich ein kleines Mädchen, etwa fünf, das im Schneidersitz vor ihr saß. Sie hatte rotes Haar, das wie ein Busch auf ihrem Kopf saß. Was aber meinen Atem stocken ließ, waren die Spitzen, roten Fuchs Ohren, die daraus ragten und ein kleiner Schwanz, der hinter ihr hin und her schwankte. Sie trug ein simples braunes Kleidchen und ich konnte einen Verband an einem ihrer Beine sehen. Sie hatte honiggelbe Augen, so wie ein- «Fuchs», flüsterte ich, und ihre Köpfe drehten sich zu mir.
Meine Beine bewegten sich von selbst und ehe ich mich versah, rannte ich den Gang hinunter. Was zum Teufel war das? War das der kleine Fuchs? Aber wieso war es ein Mensch? Noch dazu mit Ohren! Wieso renne ich? Ich blieb stehen und versuchte, meinen Atem zu beruhigen. Vielleicht habe ich falsch gesehen, vielleicht war da nichts. Vielleicht hatte ich zu viele Fantasybücher gelesen, und meine Augen sahen Dinge, die gar nicht da waren. Ich drehte mich wieder um, um zurückzukehren und mich zu vergewissern, dass nichts war, aber im exakt gleichen Moment tauchte Dorothy aus dem Nichts hinter mir auf. Ich schrie laut und stolperte nach hinten.
«Ich kann alles erklären», fing sie an, doch mein Blick schweifte nach unten und ich sah das kleine Mädchen, wie sie sich an Dorothys Rockzipfel klammerte. Ihre Ohren, eindeutige Fuchs Ohren, waren angelegt und sie sah mich mit ihren honiggelben Augen verängstigt an. Ich hielt mir die Hand vor dem Mund, um nicht noch mal zu schreien, doch meine plötzliche Bewegung erschreckte sie und mit einem lauten Kreischen verwandelte sie sich wieder in einen Fuchs und rannte weg. Eine Tür knallte auf und Baldrian lief zu uns. «Was ist passiert?», rief er erschrocken. Die kleine Füchsin rannte zu ihm und verwandelte sich zurück, um sich mit aller Kraft an eins seiner Beine zu klammern. Er sah zu ihr runter und nahm sie ganz sanft in den Arm. Er streichelte ihr zärtlich die Wange.
«Was ist los?», fragte er sie so sanft, dass es mich schmelzen ließ.
«Mein Herr.» Dorothy verbeugte sich kurz vor ihm.
«Was ist passiert?», fragte er noch mal und Dorothy zeigte auf mich. «Er hat uns erwischt», sagte sie und übertönte ihre Nervosität mit einem kleinen Lacher.
«Elias, warst du es, der geschrien hat?» Beschämt nickte ich den Kopf. «Ich wollte nicht laut sein, es tut mir leid.» Er schüttelte den Kopf. «Ist schon gut, du hast besser reagiert als andere Geschöpfe, die ich kenne.» Und dann lächelte er wieder. Die kleine Füchsin musterte mich nun mit Neugierde, aber als unsere Blicke sich trafen, schlug sie ihre Arme um Baldrians Nacken und versteckte ihr Gesicht, daraufhin lachte Baldrian. Sein Lachen war tief und melodisch, mein Herz machte wieder einen Sprung. Das wird langsam lästig!
«Ich sollte dir wohl alles erklären», sagte er dann leise, als würde er mit sich selbst reden. «Dorothy, versammle bitte alle im Speisesaal, Elias und ich kommen gleich nach.» Sie nickte und machte sich auf den Weg. Ich konnte nicht anders als ununterbrochen, bis sie nicht aus meinem Blickfeld verschwunden war, auf ihre schwarzen Finger zu starren. Dann kam mir dieser Moment wieder in den Sinn, als sie wie in Trance auf das Schattenspiel starrte. Ein Kapitel dieses Buches erwähnte doch etwas dergleichen.
«Sie ist ein Schattensucher», flüsterte ich zu mir selbst, doch Baldrian hatte mich gehört. «Matilda hat dir also nachgeholfen.» Seine Stimme war leise. «Komm mit», sagte er, und ich folgte ihm.
Wir gingen in sein Büro, wo er dann die Kleine auf sein Suhl setzte und sie anfing, mit einem Stift zu spielen. Er ging zum Regal und holte ein dickes Buch raus. «Ich möchte, dass du mir jetzt aufmerksam zuhörst.» Ich nickte und er sprach weiter. «Bevor ich dir dieses Buch übergebe, möchte ich, dass du mir versprichst, nichts weiter zu erzählen. Es geht nämlich um das Leben von allen hier.» Ich schluckte schwer und nickte. «Ich verspreche, dass niemand etwas von mir erfahren wird.»
Er schien zufrieden und sprach weiter: «Wie du sicher schon erahnt hast, sind hier sehr wenige Menschen. Die Mehrheit von ihnen sind magische Wesen, übernatürliche Wesen und Kreaturen, die sonst nur in Märchen auftauchen.» Ich sah ihn immerzu mit großen Augen an. Mein Blick schweifte zum kleinen Mädchen, das erfreut spielte und ihr buschiger Schwanz ihre Freude widerspiegelte.
«Ich möchte, dass du sie trotzdem mit Respekt behandelst, denn sie haben das Recht zu leben, genauso wie du und ich.» Heißt das, er ist auch ein normaler Mensch? Er übergab mir das Buch und sagte: «Das ist die Liste mit allen Namen und was sie sind. Du kannst sie dir ansehen und sie somit vielleicht besser verstehen.» Ich nickte und war komplett sprachlos. Niemand hier war ein Mensch, niemand.
«Warte, warte, warte. Heißt das, dass alle Fantasiewesen sind?» Er nickte und lief dann zur Tür. Ich versuchte in meinem Kopf rein zu kriegen, dass ich höchstwahrscheinlich der einzige Mensch hier drin war. Die kleine Füchsin huschte auf einmal an mir vorbei, lief neben Baldrian und hielt sich mit einer Hand an seinem Bein fest. Er hielt kurz an und rief mir zu: «Kommst du?» Ich nickte.
Wie er Dorothy befohlen hatte, waren alle, und ich meine wirklich alle, im Speisesaal versammelt. Ich konnte nur die Typen der Schwarzen Legion nirgends sehen, und es störte mich überhaupt nicht. Die kleine Füchsin stand stolz zwischen Baldrians Beine und schaute mit riesigen, neugierigen Augen auf die Menge. Ihre Ohren spielten verrückt. Mit jedem kleinsten Geräusch zuckten sie in die Richtung, aus der es kam und ihr Kopf folgte.
«Ich habe euch hier versammeln lassen, um euch mitzuteilen, dass Elias…» Er legte eine Hand auf meine Seite und zog mich ein wenig näher. Da, wo seine Hand war, spürte ich, wie die Haut unter dem Hemd richtig warm wurde, als hätte er ein Feuer darauf angefacht.
«Unser Geheimnis herausgefunden hat.» Getuschel konnte man in der Menge hören. «Ihr müsst euch aber keine Sorgen machen, denn ich bin mir sicher, dass Elias es bewahren kann.» Ich nickte energisch, um ihm recht zu geben. Er nahm seine Hand von meiner Seite weg und für eine Sekunde lang vermisste ich die Wärme, die er mir gab, schüttelte dieses Gefühl aber sofort ab. Ist auch besser so, du bist eh nur einer von vielen
«Heißt das, wir müssen uns nicht mehr verstellen?», fragte eines der Dienstmädchen, und Baldrian nickte. Sie seufzte und im Nu wuchsen ihr ein paar grüne Schmetterlingsflügel und sie fing an zu schrumpfen, bis sie so klein war wie meine Hand. Sie war nicht die einzige, viele der anderen Angestellten veränderten ihre Gestalt zu dem, was sie eigentlich waren. Ich sah noch mehr Feen, Menschen mit spitzen Tierohren, Flügel sah ich auch. Ich sah jemanden, der wie ein Reptil aussah. Das war alles zu viel auf einmal für mich. Ich konnte nur da stehen und sprachlos zusehen, wie sich wieder Mal meine ganze Welt veränderte.
«Elias, alles in Ordnung? Gehen wir zu schnell?», fragte mich Baldrian voller Sorge und winkte die anderen wieder zur Arbeit. Sie gingen wie befohlen und nun waren wir allein.
Er wartete auf meine Antwort und mein Blick fiel auf die kleine Füchsin zwischen seinen Beinen. Er hatte recht, es ging mir zu schnell, aber es störte mich nicht, ich fühlte mich überrumpelt, aber wohl. Überfordert, aber erfreut. Ich schüttelte den Kopf. «Es geht, etwas überfordert, aber es geht.» Und schon wieder schenkte er mir dieses atemberaubende Lächeln, das ich so mochte. «Das ist schön zu hören, ich hatte mir schon Sorgen gemacht.» Ich hielt immer noch das Buch in meiner Hand und drückte es fest an mich. «Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich muss studieren.» Und zeigte auf das Buch. Er lachte leise und sagte nur: «Heute Abend gibt es ein Festessen, nicht vergessen.» Ich nickte und dann gingen wir getrennte Wege. Die kleine Füchsin folgte ihm auf Schritt und Tritt. In meinem Zimmer angekommen, sackte ich zu Boden und versuchte krampfhaft mein Atmen zu beruhigen. Sie waren keine Menschen, sondern Zauberwesen, die ich sonst nur in Büchern las. Was sollte ich tun? Ich habe vor Baldrian den Großen gespielt, aber ich machte mir gleich in die Hose. Mit zittrigen Händen öffnete ich das Buch und blätterte es durch. Alle waren draufgeschrieben. Ihre Namen und ihre Rassen. Ich nahm das Buch, das Matilda mitgegeben hatte, und fing an, die Liste zu studieren, und jedes Mal, als ich etwas nicht kannte, schaute ich in das andere Buch. „Dorothy Alden: Schattensucher.“ Ich hatte also recht, aber im anderen Buch stand, dass ihre ganze Haut schwarz sein sollte, wieso also nur ihre Finger? Ich blätterte weiter.
„Mara Doyle: Werwolf. Anmerkung: Alpha des Rudels.“ Meine Augen wurden groß und ich blätterte voller Aufregung weiter. „Matilda Delacour: Vampir. Anmerkung: Kann Gedankenlesen.“ Das ergab Sinn. Ich blätterte durch das ganze Buch, doch ich konnte Baldrians Name nirgendwo finden. Bedeutete das, dass er ein Mensch ist? Wieso dann die Maske? Ich las das ganze Buch durch und versuchte, mir alle Informationen zu merken. Ich fühlte, wie ein Wunsch, den ich schon als kleiner Junge hatte, in Erfüllung gegangen war. Mit Fabelwesen leben zu können.
Die Tür ging hinter mir auf und knallte gegen meinen Kopf. Ich drehte mich um, während ich mir meinen Hinterkopf streichelte. Paul schaute herein.
«Elias, alle warten schon auf Sie.» Ich sah ihn verwirrt an. Dann bemerkte ich mit Schrecken, dass ich den ganzen Tag an diesem Buch gesessen und es draußen schon dunkel geworden war. Ich stand abrupt auf und legte beide Bücher aufs Bett. «Verzeihung», sagte ich nur und richtete ein wenig meine Haare. Aus irgendeinem Grund war ich nervös Vielleicht, weil du der einzige Mensch bist in einem Loch voller Übernatürlichem? Ich sah zu Paul, der geduldig in der Tür stand.
«Paul?» Er sah mich lieb an und richtete seine Brille. «Ja, Elias?», antwortete er sanft. «Verzeiht die Frage, aber was seid Ihr?» Ihn hatte ich nämlich auch nicht gefunden. Er fing an, zu lachen. «Ein ganz normaler Mensch, mein Junge, so wie Sie.» Ich runzelte die Stirn. «Wirklich?», hakte ich nach und er nickte. «Ja, und nun kommen Sie.»
Wir liefen den Gang entlang und ich ließ meine Hand an der Wand entlang gleiten. Ohne es zu wollen oder es zu merken, hatte ich dieses große Schloss voller Wunder schon ins Herz geschlossen. Jeder, der hier arbeitete und lebte, hatte mich ohne Probleme akzeptiert, auch wenn sie wussten, dass ich nicht so wie sie war. Ich fühlte mich geborgen und der Gedanke, zurück zu meinen Eltern zu gehen, hatte ich aufgegeben. Wieso wohl? Weil sie dich nicht wollen oder weil er dich nicht zu ihnen lässt? Was auch immer der Grund ist, ich lebe nun mit dieser Erkenntnis und bin zufrieden damit. Der letzte Schritt war es, Baldrian Bescheid zu geben, dass ich gerne hier bleiben möchte. Wenn er dich überhaupt hier will. Ich hoffte es stark.
Wir kamen zum Speisesaal und ich hielt abrupt vor der Tür an.
«Alles in Ordnung?», fragte mich Paul besorgt. Ich wurde kreidebleich, als ich leise flüsterte. «Ich habe Maras Liste vergessen.» Paul sah mich verwirrt an. Wow, einfach nur großartig. Nutzlos und vergesslich «Ich hätte eine Liste für Mara erstellen müssen, mit all den Speisewünschen. Ich habe es komplett vergessen.» Zu meiner Überraschung lachte Paul. «Dafür wurde gesorgt.» Sogar sie wissen es, wie nutzlos du bist. Ich biss mir auf die Unterlippe. «Gehen wir rein», sagte Paul und öffnete die Tür. Als ich eintrat, stockte mein Atem.
Der Saal wurde mit wunderschönen, farbigen Girlanden geschmückt, die von der Decke hingen. Der Tisch war bedeckt mit Delikatessen. Ballons flogen umher und in der Mitte des Tisches war eine riesige Schokoladentorte.
«Alles Gute zum Achtzehnten!», schrien alle Anwesenden und warfen dann Konfetti. Es wurde geklatscht. Dorothy kam zu mir rüber und zog meinen regungslosen Körper zur Torte mit genau achtzehn angezündeten Kerzen. All die aufgestauten Tränen brachen aus mir aus und liefen mir die Wange runter, als Dorothy laut rief: «Ausblasen!» Ich gab mein Bestes zwischen einem Schluchzer und ein anderer, sie auszublasen. Als die Letzte endlich gelöscht war, gab es noch eine Runde Applaus. «Auf Elias!», riefen sie und ich hörte Gläser klimpern. Ich konnte nicht anders und fing laut an zu weinen. Dorothy kam zu mir und wusch mir lachend die Tränen von den Wangen. Ich weinte einfach weiter. Auf einmal spüre ich eine Hand auf der Schulter und als ich mich umdrehte, stand Baldrian vor mir. Er lächelte mich lieb an und etwas in mir verleitete mich, mich umzudrehen, meine Arme um seinen Oberkörper zu schlingen und mein Gesicht an seine Brust zu drücken. Er war sehr überrascht und bewegte sich kaum. Als ich vor lauter Schreck wieder loslassen wollte, schlang er seine Arme um mich und drückte mich an sich. Ich spürte, wie er langsam und unsicher mein Kopf streichelte. Mein Herz raste und ich hatte sogar aufgehört zu weinen. Was nun? Was soll ich tun? Soll ich loslassen? Er hört sicher, wie mein Herz klopft. Bevor ich irgendeine Entscheidung treffen konnte, löste Baldrian unsere Umarmung und nahm mein Gesicht in seine Hände. Die Lederhandschuhe waren kalt, aber ich könnte die Wärme auf meiner Wange spüren dank der zärtlichen Berührung.
«Nicht weinen, heute wird gefeiert», flüsterte er. Um uns hatten alle angefangen zu feiern und Tortenstücke zu verteilen. Ich hörte Lachen und Reden, jemand sang etwas sehr laut und voller Freude. Mein Herz plusterte sich auf und ehe ich mich versah, sagte ich: «Ich möchte hier bei euch bleiben.»