Kapitel 2. Leben in der Hölle
*Sieben Jahre später*
„Sophia, komm schnell in mein Zimmer.“ Sofia hörte, wie ihre Stiefmutter Emma sie rief. Sie spürte einen Stich des Hungers in ihrem Magen, aber sie wusste, dass sie dem Befehl ihrer Stiefmutter gehorchen musste. Sofia deckte ihren Teller zu und stellte ihn auf die Platte, bevor sie ging. Sie konnte nicht riskieren, die Konsequenzen ihres Ungehorsams gegenüber ihrer Stiefmutter zu tragen.
Nach dem Tod ihrer Mutter wurde ihr Leben zur Hölle. Ihre Stiefmutter versorgte sie weder mit ausreichend Nahrung noch mit angemessener Kleidung. Sofia durfte sich in der Villa ihres Vaters keinerlei Luxus leisten; sie wurde wie ein Dienstmädchen behandelt. Emma, ihre Stiefmutter, rechtfertigte ihr Verhalten damit, dass sie Sofia disziplinieren wollte, weil sie befürchtete, dass Sofia ohne ihre Mutter aufgrund der armen familiären Verhältnisse ihrer Mutter eine Hure werden könnte.
Sofia war ans Haus gefesselt und durfte keine gesellschaftlichen Zusammenkünfte oder Geburtstagsfeiern ihrer Freunde besuchen. Sie durfte nicht einmal Freunde empfangen. Nachdem sie heute alle Essensreste vom Abendessen aufgesammelt hatte, war Sofia erleichtert, genug zu finden, um ihren Hunger zu stillen. Ansonsten musste sie die meiste Zeit mit leerem Magen schlafen. Wenn ihre Stiefmutter sie jedoch rief, musste sie sich beeilen, sonst würde sie mit brennenden Eisenstangen schwer geschlagen werden. Noch heute trug Sofia die Narben und Schmerzen dieser Bestrafungen. Emma war schlau; sie sorgte dafür, dass keine sichtbaren Spuren auf Sofias Körper zurückblieben, und fügte ihr stattdessen Verbrennungen an den Füßen zu. Sofia hatte keine andere Wahl, als den Schmerz zu ertragen und ihre Arbeit mit diesen verbrannten Füßen fortzusetzen.
Sofias Herz raste, als sie zu Emmas Zimmer eilte. Sie klopfte leise an die Tür und öffnete sie langsam, wobei sie versuchte, kein Geräusch zu machen. Sie spähte hinein und sah, dass ihre Halbschwester Kat, ihre Stiefmutter Emma und ihr Vater alle zusammensaßen und in ein Gespräch vertieft waren. Den kalten und gleichgültigen Ausdrücken auf ihren Gesichtern nach zu urteilen, schien etwas Ernstes im Gange zu sein.
„Sofia, komm bitte rein“, sagte ihr Vater mit seiner kalten Stimme.
Sofia kam langsam herein und senkte den Kopf, weil sie ihnen nicht in die Augen sehen durfte.
Ihr Vater trat vor sie und sagte: „Warum hast du so lange gebraucht? Du kennst die Regeln dieses Hauses. Du musst uns und unsere Autorität respektieren.“
Sofia zitterte, nickte stumm, fühlte sich beschämt und klein. Trotzdem wusste sie, dass sie die strengen Regeln ihres Vaters befolgen musste.
„Du wirst in zehn Tagen Leonardo Morelli heiraten. Ich habe eure Hochzeit arrangiert. Du kannst dich glücklich schätzen, Teil einer so wohlhabenden Familie zu werden“, sagte ihr Vater abrupt.
Sofias Augen weiteten sich vor Schock. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Es war, als ob ihre Welt in einem Augenblick auf den Kopf gestellt worden wäre. Sie hatte Leonardo Morelli noch nie zuvor getroffen, geschweige denn daran gedacht, ihn zu heiraten. Sofias Gedanken rasten, während sie versuchte, die Neuigkeiten zu verarbeiten. Sie fragte sich, ob es irgendeinen Weg gab, diese arrangierte Ehe zu vermeiden und ob sie überhaupt etwas zu sagen hatte.
Sofia nutzte die Gelegenheit und fragte: „Sollte Kat nicht seine Braut sein?“
Kat schüttelte den Kopf, während sie ihre Fingernägel betrachtete. „Es tut mir leid, aber ich kann ihn nicht heiraten. Er ist ein Playboy und die Ehe wird nur drei Jahre halten. Auf keinen Fall. Das werde ich nicht tun“, sagte sie entschieden.
Emma seufzte. „Aber wir brauchen diese Allianz, um unsere Unternehmen zusammenzuführen. Deshalb müssen unsere Familien heiraten.“ Sofias Augen weiteten sich vor Schock, als Emma fortfuhr. „… und deshalb haben wir so viel in dich investiert. Damit du eines Tages ein wertvolles Gut bei einem Geschäftsabschluss sein könntest.“
Sofia konnte nicht glauben, was sie da hörte. Ihre Familie besprach einen Handel, in den sie verwickelt war. Ihr Vater war bereit, sie als Verhandlungsobjekt für einen Geschäftsabschluss zu benutzen. Es war entmutigend für Sofia, zu erkennen, dass ihr ganzes Leben nur ein Werkzeug für ihre Geschäftsvorhaben war. Sie fühlte sich wie ein lebloser Gegenstand in ihrem Haushalt und es war eine herzzerreißende Erkenntnis für sie.
Sofia holte tief Luft und nahm all ihren Mut zusammen. Mit zitternder Stimme sprach sie vor ihrem Vater, etwas, was sie noch nie zuvor getan hatte.
„Papa, bitte zwing mich nicht, jemanden aus einer reichen Familie zu heiraten. Ich habe nie darum gebeten. Ich verspreche, dass ich dir nicht mehr zur Last fallen werde. Gib mir einfach eine Chance, mein eigenes Leben zu leben.“ Trotz Sofias inniger Bitte blieb das Gesicht ihres Vaters kalt und unnachgiebig.
„Ich habe eine Entscheidung für dein Leben getroffen. Du hast keine andere Wahl, als Leonardo Morelli zu heiraten. Obwohl ich so viel für dich getan habe, hasse ich dich seit Jahren, weil du die Tochter dieser Hure bist, die mein Leben ruiniert hat. Ich wurde gegen meinen Willen gezwungen, mit ihr zu leben. Betrachte dies also als Wiedergutmachung für die Sünde deiner Mutter. Du musst nicht für den Rest deines Lebens mit ihm leben, sondern nur für drei Jahre. Nach drei Jahren endet der Vertrag und du bist frei“, sagte ihr Vater gleichgültig und sah sie verächtlich an.
Sie fühlte sich hilflos und allein und dachte, dass sich niemand um sie kümmerte. Sogar ihr eigener Vater schien ihr Wohlergehen nicht an erste Stelle zu setzen. Sie begann, das Vertrauen in die Menschen zu verlieren. Es schien, als wäre sie unter einem schlechten Stern geboren worden und dazu bestimmt, diese unglücklichen Umstände zu erleben.
Sofias Halbschwester Kat war zwei Jahre älter als sie. Anscheinend wurde Kat vor Sofia geboren, als ihr Vater noch mit Sofias Mutter verheiratet war. Sofia erfuhr später, dass ihr Vater in Emma, Kats Mutter, verliebt war, sich aber von seinen Eltern unter Druck gesetzt fühlte, Sofias Mutter zu heiraten. Nachdem Sofias Mutter gestorben war, heiratete ihr Vater Emma sofort und holte sie und Kat zu sich.
Mit einer abweisenden Handbewegung signalisierte Emma, dass das Treffen beendet war.
„Du kannst jetzt gehen“, sagte sie und fügte hinzu: „Wir werden morgen mit den Hochzeitsvorbereitungen beginnen. Du sollst dankbar sein, in eine so reiche und einflussreiche Familie einzuheiraten.“ Sie konnte das selbstgefällige Grinsen auf ihrem Gesicht nicht verbergen, als sie das sagte.
Emma wusste nicht, dass Sofia kein Interesse daran hatte, einen reichen Mann zu heiraten, nicht jetzt und niemals. Nachdem sie das Leiden und den letztendlichen Tod ihrer Mutter miterlebt hatte, war Sofia zu dem Schluss gekommen, dass alle reichen Männer böse und herzlos waren. Sofia ging zurück in die Küche und bemerkte, dass ihr Teller nur halb leer war. Aber ihr Hunger war zusammen mit ihren Gedanken gestorben.
Sofia warf einen Blick auf die Wanduhr und sah, dass es Mitternacht anzeigte.
Sie war gerade achtzehn geworden und niemand sonst war da, um ihr alles Gute zum Geburtstag zu wünschen, nicht einmal ihr Vater hatte daran gedacht. Sofia zog sich in ihr Zimmer zurück und schnappte sich den Fotorahmen ihrer Mutter, den sie an ihre Brust drückte, während ihr die Tränen übers Gesicht strömten. Die Nacht schien endlos, während sie über die Ungerechtigkeit ihres Lebens weinte.