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Teil 4 Flucht

NEIN, STOP, HÖR AUF, SCHLUSS MIT DEM KOPFKINO!

Gehirn! Bitte arbeite, spring wieder an. Funktioniere!

Fuck, hatte ich das tatsächlich geträumt, während ich wach war? Von meiner früheren Lehrerin? Es war seltsam. Es war so real gewesen. Ich fühlte noch immer ihre Lippen auf meinen. Verrückt! Ich ertappte mich dabei, wie ich sie immer noch anstarrte. Hoffentlich war es niemanden aufgefallen. In diesem Augenblick drehte sie sich zu mir und unsere Augen trafen sich. Hatte sie etwas bemerkt? Ich spürte, wie ich rot wurde und riss meinen Blick von ihr und zwang mich dem Gespräch der Gruppe zu folgen, bei der ich saß. Mein Herz - es raste noch immer und wenn ich äußerlich doch gefasst wirkte, stand ich innerlich kurz vor einem Infarkt. Ich hörte Schritte und dann das leise Kratzen von Stuhlbeinen auf dem Boden. Eine schlimme Ahnung befiel mich. Ich wollte nicht hinschauen, tat es dann aber doch. Sie lächelte mich an und setzte sich zu uns. Ihre Augen waren noch immer sanft auf mich gerichtet. Ein kleines Lächeln lag auf ihren Lippen und eine zarte Röte auf ihren Wangen. Bevor noch irgendjemand von uns beiden etwas sagen konnte, war bereits die Aufmerksamkeit der anderen auf sie gerichtet und man bombardierte sie mit Fragen: "Wie geht es ihnen? Arbeiten sie noch hier in der Stadt als Lehrerin? Sind sie verheiratet?" Unsere Blicke hatten sich getrennt und ich versuchte sie nicht wieder anzustarren, aber ihre Antworten interessierten mich doch. Ich nahm ein Schluck von meiner Cola und hörte zu. Ihre Stimme trug noch immer soviel Sanftheit und Freundlichkeit in sich, dass ich spürte, wie sich eine Wärme in meiner Brust ausdehnte, die ich schon einmal erlebt hatte, damals vor über 5 Jahren. Es war eine schmerzliche Wärme, die mein Herz umgab. Nie wieder hatte ich soetwas fühlen wollen. Doch ich konnte nichts dagegen unternehmen. Es breitete sich immer weiter aus und nahm von meinem ganzen Körper Besitz. Es fühlte sich an wie ein Fieber. Ein Fieber gegen das es keine Medizin gab.

"Mir geht es sehr gut. Seit einem Jahr bin ich wieder in der Stadt und unterrichte an der Realschule die 7. und 8. Klassen. Das macht mir wirklich Spaß. Und nein, ich bin nicht verheiratet." Bei dem letzten Satz blickte ich kurz auf und sah sie an. Sie schaute auch für einen Moment zu mir und es schien ein Schmunzeln auf ihren Lippen zu liegen. Ihre Lippen ... oh nein. Ich musste hier weg, bevor ich gar nicht mehr klar denken konnte.

Also stürzte ich den Rest meiner Cola hinunter und erhob mich. "Ich muss leider schon gehen. Ich habe noch einen Termin." log ich und winkte in die Runde. Dann ging ich an die Theke um zu zahlen und suchte an der Garderobe nach meiner Jacke. Als ich sie endlich fand, verließ ich den Raum und das Lokal ohne mich noch einmal umzusehen.

Ja, ich war auf der Flucht. Auf der Flucht vor ihr, auf der Flucht vor mir selbst. Ich trat in die Dunkelheit hinaus und atmete die kühle Nachtluft ein. Endlich wieder Atmen. Der feste Griff um meinen Brustkorb löste sich langsam. Ich wollte nach Hause und lief los.

Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her und fand keinen Schlaf. Was war nur mit mir los? Wieso brachte mich diese Frau so dermaßen durcheinander? Sie war nur meine Lehrerin. Ich hatte für sie geschwärmt. Sie hat mich nicht weiter beachtet. Die Schule war vorbei. Wir sahen uns nicht wieder. Ich vergass sie und plötzlich tauchte sie wieder auf. Diese Gefühle damals, die ich nicht einordnen und verstehen konnte, waren schlimm für mich gewesen. Da war niemand gewesen, mit dem ich hätte reden können. Mit niemanden, auch nicht mir ihr. Ich dachte wirklich, ich hätte alles vergessen, hätte sie vergessen. Aber diesmal war es anders. Es war schlimmer. Wieder kehrten diese Gefühle zurück. Es war, als würde eine kalte Hand mein Herz packen und fest drücken. Fast panisch sprang ich aus meinem Bett und wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser. Was sollte das nur? Ich hatte sie angestarrt und in meinem Tagtraum mir vorgestellt, wie wir uns küssen und beinahe ...  Wieso verdammt, hatte ich nur soviel Phantasie? Ich gab mir eine heftigte Ohrfeige und sah im Spiegel, wie meine Wange glühte. Es musste enden, bevor es überhaupt begann. Denn ich hatte mir geschworen, dass ich nie wieder diesen Schmerz spüren wollte.

Gerade als ich in mein Bett zurück gekehrt war, vibrierte mein Handy auf meinem Nachtisch. Eine Nachricht von Unbekannt?

"Hey Sam, hier ist Carol. Schade, dass du schon weg musstest. Ich hätte gern noch mit dir gesprochen und gewusst, wie es dir geht und was aus meiner kleinen Schriftstellerin geworden ist. ;-)"

Ungläubig starrte ich auf mein Display. "Meine kleine Schriftstellerin?" Ich atmete langsam ein und aus. Woher hatte sie meine Nummer? Und sie wollte mit mir reden? Mit mir? Der gewöhnlichen, langweiligen Samantha Pierce?

Carol: "Vielleicht können wir das ja morgen bei einer Tasse Kaffee nachholen. Wie wäre es 16 Uhr im Cafe Helm?"

Niemals würde ich mich mit ihr treffen. Niemals.

Sam: "OK. Bis Morgen." Senden - erfolgreich versendet - gelesen.

Carol: "Super. Freue mich. Schlaf gut."

Hatte ich das wirklich gerade getan? Ich konnte es nicht glauben. Noch immer wie in Trance legte ich mein Handy weg und fiel bald darauf in einen traumlosen Schlaf.

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