Bibliothek
Deutsch

Wolfswispern - Das zweite Jahr

119.0K · Laufend
Anastasia 170
66
Kapitel
964
Lesevolumen
9.0
Bewertungen

Zusammenfassung

In den weiten Wäldern der St. Wolfram Akademie startet das zweite Jahr für die nun 13-jährige Akemi. Nichts ist wie zuvor und sie hat nicht nur gegen die Herausforderungen des Schulalltags, sondern auch gegen die Schatten ihrer Vergangenheit zu kämpfen. Nach einem traumatischen Vorfall, der sie noch tiefer in die Welt der Gestaltwandler katapultierte, ist Akemi entschlossen, ihre Ängste zu überwinden und ihren Platz in dieser neuen Realität zu finden. Als das Vier-Mond-Turnier, ein Wettkampf zwischen verschiedenen Schulen, naht und sie tatsächlich Teil des Teams wird, sieht Akemi ihre Chance, sich zu beweisen und endlich von ihren Mitschülern akzeptiert zu werden. Doch der Druck wächst, und die Rivalität zwischen den Schulen ist intensiver als gedacht. Während sie sich mit ihren Fähigkeiten und einer neuen, dunkleren Seite an ihr selbst auseinandersetzt und neue Freundschaften schließt, muss Akemi lernen, dass wahre Stärke nicht nur im Kämpfen liegt, sondern auch im Vertrauen zu sich selbst und anderen. Doch wird das genug sein, um ihre inneren Dämonen zu besiegen und ihren Platz in der Gemeinschaft der Lykanthropen zu finden?

entführtVerratAnführerinErbeWerwolfGood girlmagische WeltFreundschaftGeheimnisvollAbenteuer

Kapitel 1

"Achtung!", schreit eine vertraute Stimme und erschrocken stolpere ich zurück. Gerade rechtzeitig, denn die stumpfe Klinge des Stabes saust nur einen Zentimeter an meiner Wange vorbei. Ich spüre den scharfen Windhauch auf meiner Wange und weiche weiter zurück, um mich zu sammeln. Mein Herz rast, mein Atem geht schwer. Bethanys Augen blitzen verärgert auf, als ich ihrer Attacke entgehe und einen Ausfallschritt zur Seite mache. Gerade so weit, um noch auf der Matte zu stehen, aber außerhalb der Reichweite ihres Degens.

"Das war geschummelt", knurrt sie wütend, Herr Shaw sagt nichts und blickt so ausdruckslos wie immer zu den kämpfenden Schülern. Dylan hat Liam bereits besiegt und meinen Kampf besorgt beobachtet. Ich verstehe es, denn Bethany ist definitiv darauf aus, mir die Augen auszustechen, registriere ich, während ich mich unter ihrer Stabspitze wegducke und jetzt selbst einen Satz nach vorne mache. Etwas steif stoße ich meinen Degen vor und spüre, wie er gegen die weiche Haut unter Bethanys Shirt stößt.

"Punkt für Akemi. Sie ist die Siegerin", verkündet Dylan triumphierend und kommt herbeigeschlendert, ein drießlich dreinschauenden Liam im Schlepptau, der sich über seinen rot gewordenen Kiefer reibt. Ich lächele leicht und trete mit heißen Wangen zurück. Einige helle Strähnen hatten sich aus meinem Zopf gelöst und hängen mir nun schwer vom Schweiß im Gesicht.

"Herr Shaw, sie hatte Hilfe", beschwert sich Bethany sofort zornig und starrt mich fassungslos an. Es ist das erste Mal, dass ich einen Fechtkampf gewonnen habe. Denn ja, anstelle für Fußball hatte ich mich Anfang des Schuljahres, vor zwei Wochen, für den neu entstandenen Fechtkurs eingetragen. Genauso wie fast die Hälfte meines Jahrganges, darunter Dylan und Alice.

"Bethany, reiß dich zusammen und sei nicht so eine schlechte Verlieren", meint unser Sport- und Fechtlehrer scharf. "Ihr seid immer noch ein Rudel, so Kleinigkeiten sollten euch nicht spalten." Das tun sie auch nicht, denke ich mir finster. Spalten tut uns was ganz anderes. Beths Augen zeigen mir, dass sie an Ähnliches denkt, denn der Hass mit dem sie mich betrachtet, ist ziemlich alarmierend. Wenn wir vorher schon auf Kriegsfuß gestanden haben, dann jetzt erst Recht, seitdem Barron gegen Alice verloren und sie ihn so vor allen gedemütigt hat, um mich zu verteidigen. Es ist über ein halbes Jahr her, aber seitdem ist der Hass von Barrons Schergen auf das Zehnfache gewachsen. Auch, wenn sie mich nicht mehr angreifen oder richtig hänseln wie früher, blöde Sprüche und Sticheleien, wenn meine Freunde nicht in der Nähe sind, lassen sie trotzdem auf mich los. Und manche schmerzen mir mehr, als ich je zugeben würde. Aber mit sowas will ich Alice nicht belästigen. Ich ziehe an meinem Zopf, bis es an meiner Kopfhaut ziept und lege die stumpfe Übungswaffe ab. Herr Shaw klatscht energisch in seine Hände.

"Der Kurs ist in fünf Minuten vorbei, räumt auf." Ich drehe meiner Feindin den Rücken zu und gehe auf den grinsenden Dylan zu. Er hat seine Haare über die Ferien wachsen lassen und nun sind sie zu einem rabenschwarzen Knoten in seinem Nacken gebunden. Offen reichen sie ihm bis knapp an die Schultern.

"Du wirst immer besser", lobt er. Ich grinse zurück.

"Danke, es fühlt sich gut an, sich verteidigen zu können", murmele ich verlegen. Da weiten sich Dylans eisblauen Augen überrascht und er öffnet den Mund, ohne das ein Laut hervorkommt. Eine Vorwarnung überkommt mich, heiß und prickelnd. Wie ein elektrischer Schub, der über meinen Nacken in den Rücken schießt. Ich wirbele schnell herum, reagiere aber dennoch zu spät. Mit einem gehässigen Lächeln hat Bethany sich angeschlichen und lässt die Klinge auf meinen Kopf zu sausen. Ich zucke zurück und hebe abwehrend meine Hände. In Erwartung eines Schlages schreie ich auf, aber er kommt nicht. Ein lautes Klirren klingelt in meinen Ohren und baff starre ich auf die schmale Klinge, die Bethanys kreuzt.

"Das ist nicht sehr ehrenvoll, Beth", erklingt Alice Stimme eisig. "Einfach von hinten anzugreifen. Erbärmlich. Und dann auch noch jemanden, dem du Fernbleiben sollst. Sie gehört zu meinem Rudel." Alice klingt ruhig, aber die Drohung schwingt hörbar mit. Bethany zieht hastig ihre Waffe weg und reibt sich über ihre Arme.

"Das war doch nur Spaß", entgegnet sie gelassen und lässt ihre Waffe in der Hand kreisen. Ihr Blick ruht dabei unaufhörlich auf mir. Ein Schauer rieselt über meinen Rücken und ich weiche ihrem intensiven Blick aus. "Akemi weiß das doch, nicht wahr?", richtet sie sich zuckersüß an mich. In dem Moment tritt Dylan leise knurrend neben mich, was selbst in menschlicher Gestalt durchaus gefährlich klingt.

"Nein, weil sie es nicht wollte. Lass deine Spielchen sein und krieche winselnd vor Barrons Füßen, dass machst du doch auch sonst." Ein warmes Gefühl durchströmt mich und die Kälte lässt nach. Ich darf mich so nicht behandeln lassen. Ich muss mich wehren. Also stelle ich mich etwas aufrechter hin und halte Dylan mit einem Arm sanft zurück.

"Schon gut. Sie weiß, dass es dumm war." Ich schaue zu dem blauhaarigen Mädchen, an derem Ansatz bereits ein dunkles blond durchkommt. "Nicht wahr, Beth?", füge ich mit einem Hauch Belustigung hinzu. Es kostet mich Überwindung, bei ihrem Blick nicht zusammenzuzucken wie ich es sonst getan hätte. Ich bin nicht so schwach wie alle denken. Also verziehe ich meine Lippen zu einem falschen Lächeln, das mir schmerzt, weil es nicht meine Art ist.

"Nenn mich nicht so. Du hast das Recht nicht verdient." Sie funkelt meine zweite beste Freundin (nach Carla) an. "Genauso wenig wie du, Blutsverräter", keift sie. Wieder knurrt Dylan, Alice wirft Bethany einen gelangweilten Blick zu.

"Bist du fertig, Beth? Wir wollen jetzt Abendessen", ignoriert sie ihre Aussage einfach. Bethany öffnet abermals ihre herzförmigen Lippen, als Herr Shaw wiederkommt und die Degen einsammelt. Mit einem falschen Lächeln gibt die schwarzhaarige Schönheit mit den Saphiraugen ihren Degen gemeinsam mit meinem ab und hakt sich bei mir unter. Ich bin erleichtert, als sie mich von Bethany wegzieht, an die sich nun Chester anschleicht. Wahrscheinlich, um mit ihr über mich abzurotzen.

"Du musst in ihrer Nähe besser aufpassen. Sie wird jede Gelegenheit im Fechtkurs nutzen, um dir wehzutun", murmelt Alice mir zu und hat aufgehört zu lächeln. Ich schneide eine Grimasse.

"Ich weiß. Tut mir leid, dass du mich immer retten musst", gebe ich geknickt von mir. Sie stößt mich mit ihrer Schulter an und lächelt wieder matt.

"Das mache ich gerne, aber nach allem was passiert ist, will ich einfach nicht, dass dir wieder was geschieht." Bei ihren Worten wandert ihr Blick wie automatisch zu meinen Handgelenken, die wegen Sport heute nackt sind. Die verblassten, kreisförmigen Narben leuchten uns an beiden Handgelenken weiß entgegen. Ich presse meine Lippen zusammen und drehte sie nach innen, sodass sie nicht zu sehen sind. Ich schäme mich nicht für sie, aber es ist mir unangenehm, sie zu präsentieren.

"Aber so was kann nicht nochmal passieren. Alles ist wieder ruhig, sie - sie werden Frau Chapman und die Hexe finden." Ich werde leiser. Meine Kehle brennt, wenn ich daran denke, dass unsere Entführer immer noch auf freiem Fuß sind. Sie sind spurlos verschwunden. Und die andere Hexe, Tina, ist kurz nach ihrer Gefangenschaft einfach... verstorben. Aus heiterem Himmel. Jeder ahnt, dass ihr Tod nicht natürlich war. Es war wahrscheinlich die Notlösung, damit sie nichts verraten konnte.

"Mag sein. Aber immer wachsam zu sein, kann nie schaden", erwidert Alice nur. Dylan läuft voraus und wirft einen schelmischen Blick zu uns.

"Ach komm schon. Ich kann mich erinnern, dass du auch nicht immer wachsam bist. Oder hast du die Geschichte mit der Maus vergessen?", fragt Dylan mit gespielter Neugier. Verwirrt blicke ich zu Alice und erkenne überrascht, dass ihre Wangen einen zarten Rosaton angenommen haben. Ungewöhnlich, weil sie sonst kaum zu solchen Regungen neigt.

"Was ist das für eine Geschichte?", hake ich neugierig geworden nach. Alice feuert Dylan einen bösen Blick zu, der lachend ihrer Faust ausweicht.

"Pass auf, ich..."

"Nein, gar nichts tust du", murrtel Alice, löst sich von mir und stürzt sich knurrend auf Dylan. Der rennt vor ihr weg und mir bleibt nichts anderes übrig, als den beiden lachend hinterher zu hetzen.