Kapitel 01
Engel sind gut. Dämonen sind böse.
Diese zwei Fakten waren die ersten, die jedes Kleinkind bei uns lernte. So war es schließlich auch in jeder Geschichte, die man jenen Kindern abends vorlas, Engel verkörperten das Gute, Dämonen das Böse. Man fragte nicht wieso oder warum, es war einfach so, zu lange schon herrschte Streit und Misstrauen zwischen diesen beiden Spezies. Einst war dies anders gewesen, doch diese Zeit lag schon so lange hinter uns, dass sich kaum noch einer an sie erinnerte. Ich hatte von dieser Zeit in einem alten Buch gelesen, welches ich in einem geheimen Raum in unserer Bibliothek fand. Ich war ein sehr neugieriger Engel und kannte jedes Versteck, jeden Raum und jeden geheimen Gang im Schloss, den Raum mit dem Buch hatte ich allerdings erst vor wenigen Wochen entdeckt. Ich nahm es mit auf meinem Zimmer, doch bevor ich über das 1 Kapitel gekommen war, schlief ich ein. Am nächsten Tag war das Buch weg. Vermutlich hatten es meine Eltern gesehen und es an sich genommen. Noch Tage danach, ärgerte ich mich für diese Dummheit, was letzten Endes mit dem Buch geschehen ist, weiß ich bis heute nicht.
Mit zusammen gekniffenen Augen starrte ich die weiße Decke über meinem Bett an. Von dem vielen nachdenken, bekam ich üble Kopfschmerzen, die schwüle Luft im Raum verbesserte meinen Zustand gewiss auch nicht. Stöhnend richtete ich mich auf und ging zum Fenster am anderen Ende des großen Zimmers. Doch auch draußen war die Luft nicht viel besser. Der Sommer erreichte an solchen Tagen seinen Höhepunkt und es würde noch Wochen dauern, bis es sich wieder deutlicher abkühlte und man nach draußen gehen konnte, ohne in seinem eigenen Schweiß zu baden.
Ein Seufzten entwich meinem trockenen Mund, gedankenverloren strich ich mir eine hartnäckige rot braune Haarsträhne hinters Ohr, doch es dauerte nicht lange, da fiel sie mir wieder ins Gesicht. Während ich auf den imposanten und liebevoll gepflegten Garten guckte, welcher lauter steinerne Staturen beinhaltete, die mehrere Engel darstellten, fragte ich mich, ob ich jemals etwas anderes sehen würde und sich mein Herz bei dem Anblick für immer von Fernweh schmerzlich zusammen ziehen würde. In ihren Händen hielten die Statuen Schwerter, Bögen und andere erdenkliche Waffen, von denen mir zwar der genaue Umgang verborgen blieb, doch auch mir war durchaus klar, dass sie nur eins konnten, töten.
Die kleinen Edelsteine, mit denen die Waffen verziert waren, brachen das Sonnenlicht und ließen es auf dem Boden tanzen. Eigentlich war dies absolute Verschwendung, zumindest aus meiner Sicht, so verstand ich doch nicht, warum mal als Engel den Umgang mit Waffen beherrschten soll, wenn man doch seine Kräfte hat. Gut bei manchen waren sie weniger stark ausgeprägt, wie bei anderen, aber warum sollte ich als Prinzessin von Esposa bitteschön das lernen? Ich hatte nicht vor irgendjemanden den Kopf abzuhacken, mal davon abgesehen, dass ich nicht einmal die Gelegenheit dafür bekommen würde, zumindest nicht für die nächsten 4 Jahre. Schließlich saß ich nun schon 16 Jahre in meinem goldenen Käfig, denn nichts anderes war mein zu Hause, eine großer goldener Käfig, der mir mit all seiner Schönheit meine Gefangenschaft geschmackvoller machen sollte. Bis jetzt ohne Erfolg, jedem anderen wäre ein Palast vermutlich nicht wie ein Gefängnis vorgekommen, und er ließ sich nun wirklich nicht mit einem düsteren Gefängnis vergleichen, doch ich sehnte mich nach Freiheit.
Die silberne Uhr an meinem Handgelenk erinnerte mich daran, dass es an der Zeit war sich zu meinem Geschichts-Unterricht zu begeben, die letzte Stunde für heute. Ja auch Engelsprinzessinnen wurden unterrichtet. Leider! Sonst wäre mein Prinzessinnen Dasein, wenigstens nützlich. Aber so? Manchmal wünschte ich mir, meine Eltern wären nicht König und Königen von Esposa. Ich könnte mit meiner Familie irgendwo in einem kleinen Haus leben. Wir würden Ausflüge machen und die Welt sehen. Ein einfaches, aber glückliches Leben.
Als ich einen langen Flur entlang eilte, schenkte ich den vielen Bildern an der Wand nur wenig Aufmerksamkeit. Alte, junge, hübsche, weniger hübsche, große, kleine, dünne, und dicke Engel blickten mir entgegen, sie waren auf den ersten Blick alle unterschiedlich, doch waren sie alle große, mächtige Personen gewesen. Ich habe mich schon immer gefragt, wann man zu so einer großen Person wurde.
Würde je ein Bild von mir an dieser Wand hängen ?
Wie sonst auch schweiften meine Gedanken im Geschichts-Unterricht ab, mein Lehrer Mr. Creshork, bemerkte davon allerdings nie viel. Er war immer viel zu sehr in seinem Stoff vertieft, welchen er mir begeistert versuchte beizubringen, als das er darauf achtete, ob ich ihm auch wirklich zuhörte. Mr. Creshork's Haare, die er stets stark nach hinten gegelt trug, waren in seinen jungen Jahren einmal blond gewesen, doch jetzt nahmen sie bereits einen starken Graustrich an. (Was ihn weniger zu interessieren schien, anders als meinen Kampfsport Lehrer Herr Olik. Sollte er jemals ein graues Haar auf seinem Kopf finden, wird er vermutlich erst in einem Schockzustand fallen und es sich danach sofort färben lassen.)
Wie alt mochte er wohl sein 500, 600, 700 Jahre? Es war schwer einem Engel sein Alter anzusehen, da wir, nachdem wir das Erwachsenenalter erreicht hatten, langsamer altern, was es uns ermöglicht mehrere hunderte Jahre zu leben. Ich glaube mich erinnern zu können, dass der älteste Engel 1256 Jahre alt wurde, was mich betrifft, so ist das eine ziemlich lange Zeit, um in einem Palast gefangen zu sein.
Noch nie war ich hinter der grauen, hoch in den Himmel aufragenden Mauer gewesen. Ich versuchte meine Aufkommende Traurigkeit zu verdrängen, indem ich meine Gedanken auf ein anderes Thema lenkte, das half meistens, wenn auch nicht immer.
Vielleicht hätte ich auch Mr. Creshork, der vor mir saß und wild mit seinen Händen gestikulierte, zuhören sollen, aber das meiste wusste ich schon, da ich aus Langweile die zwei folgenden Kapitel des Unterrichtsstoffes bereits gelesen hatte. Aus tödlicher Langeweile.
Fast jeder Engel besitzt eine besondere Fähigkeit, die auf die jeweilige Person abgestimmt ist. Sie konnte stärker oder schwächer sein und sie entwickelt sich meistens, wenn man zwischen 15 und 20 Jahre alt ist. Meine hatten sich leider noch nicht gezeigt, was mich Tag für Tag und Woche für Woche ein bisschen ungeduldiger machte.
„Miss geht es ihnen gut?" riss mich die Stimme meines Gegenübers unsanft aus meinen Gedanken.
„Mhm was?", antwortete ich weniger intellektuell. Mr. Creshork wiederholte seine Fragen geduldig und ich versicherte ihm, dass alles gut sei. Vermutlich hatte ich aus Frustration geseufzt und ihn aus seinem Monolog gerissen. Allerdings ließ er sich davon nicht lange abhalten und er redete unbekümmert weiter, wenngleich er mich jetzt ein wenig in den Unterricht einbrachte und hin und wieder Fragen stellte.
Ein kühler Luftzug bahnte sich durch das offene Fenster, ließ die in weiß gehaltenen Gardinen ein wenig flattern und suchte sich schließlich einen Weg ins Zimmer, dankend schloss ich kurz die Augen. Draußen am Himmel zogen ein paar Wolken auf, noch sahen sie wie Zuckerwatte aus, doch in weniger als einer halben Stunde, hatten sie sich zu einem düsteren Vorhang verwandelte, welchen den Himmel vollends bedeckte.
Der Tag neigte sich langsam zu Ende und in meiner Magengrube machte sich ein komisches Gefühl breit, wie eine düstere Vorahnung. Ich zwang mich jedoch es zu ignorieren, ein Gewitter war zu dieser Zeit zwar ungewöhnlich, aber keinesfalls Besorgnis erregend. Ich wendete meinen Blick wieder ab und starrte stattdessen meine Uhr an. Noch 5 Minuten dann war ich frei, naja mehr oder weniger.
„Gut, das war's für heute. Morgen beschäftigen wir uns mit dem Krieg, welcher vor 3000 Jahren zwischen Dämonen und Engel ausbrach." Beendete Mr. Creshork die Stunde. Er sah aus, als könnte er dem morgigen Unterricht kaum noch erwarten, was mich überhaupt nicht überraschte. Gerade als ich aufstand, grollte der erste Donner, Blitze durchzuckten den Himmel, machten Nacht zu Tag.
Mit einer leisen Verabschiedung verließ ich das Zimmer, während das schlechte Gefühl in mir stetig wuchs und ging Richtung Speisesaal.
Dort traf ich auf meine Eltern, die bereits am großen Tisch saßen und in ein Gespräch vertieft waren.
Dieses unterbrachen sie jedoch sofort, als ich mich zu ihnen setzte.
Aus Höflichkeit, oder weil es in dem Gespräch um etwas ging, was nicht für meine Ohren bestimmt war, wusste ich nicht, doch ich tippte auf letzteres.
Plötzlich ging die große Tür, links neben mir, mit einem lauten Krachen auf, fast wäre sie aus ihren Angeln geflogen. Meine Eltern reagierten sehr ungehalten, wenn sie beim Essen gestört werden und ich machte mich auf eine Predigt ihrerseits gefasst, doch der Mann, der hineinstürzte ließ ihnen keine Zeit dafür.
„Wir werden angegriffen. Sie haben bereits den Ostflügel eingenommen. Wir müssen sie sofort in!" die laute Stimme des Wächters, die noch zu vor den Raum durch hallte, verstummte und er viel mit ausgestreckten Gliedmaßen die Länge nach auf den Boden. Da wo sein Herz saß, steckte nun ein großes, mit Blut besudeltes Messer. Geschockt starrte ich die Leiche an, unfähig auch nur einen Schritt zu machen.
Ein Mann stieg über die Leiche, seine schmalen Lippen zu einem siegreichen Lächeln verzogen, hauchte er kaum hörbar „Sieh an, sieh an, die ganze königliche Familie versammelt und kein Wächter in Sicht, was haben wir für ein Glück, es wird viel leichter euch zu töten als erhofft."
Ein verzweifelter Schrei mischte sich mit einem Donner und erst Sekunden später, bemerkte ich, dass es meiner war.