4. Die Kunst des Versteckens
Lucien starrte den Comte an, dessen Gesichtsausdruck von Hochmut in eine Mischung aus Verwirrung und leichter Beleidigung umschlug.
„Natürlich trägt meine Tochter keine Perücke!" donnerte der Comte. „Was für ein absurder Vorschlag!"
Lucien zuckte mit den Schultern. „Nun, Monsieur, bei dem Schmuckstück auf Ihrem Kopf dachte ich, vielleicht sei es ein Familienmerkmal."
Der Comte schnappte hörbar nach Luft, als hätte Lucien ihm ins Gesicht gespuckt. „Wie wagen Sie es?!"
„Ich wage vieles," antwortete Lucien mit einem unschuldigen Lächeln, während er sich auf den Tisch lehnte. „Was ich nicht wage, ist, meine Kunden zu belügen. Also, nein, ich habe Ihre Tochter nicht gesehen."
Der Comte funkelte ihn an, doch bevor er eine weitere Beleidung aussprechen konnte, flog die Tür seines Ladens auf, und Céleste stolperte herein – mit hochrotem Gesicht, einem Korb voller Brote und der panischen Energie einer Frau, die gerade versucht hatte, einer unerwünschten Verlobung zu entkommen.
„Ah, da ist sie ja," sagte Lucien lässig und nickte ihr zu. „Monsieur, darf ich Ihnen Ihr Brot zurückgeben?"
Céleste blieb abrupt stehen, als sie ihren Vater erblickte, der nun aussah, als hätte jemand seinen gesamten Stolz in den Fluss geworfen.
„Céleste!" rief der Comte, seine Perücke schwankte gefährlich. „Was machst du hier? Und warum... trägst du ein Brot wie ein Verbrecher?"
Céleste, die ihre Haltung sofort wiederfand, hob das Brot mit einer Würde, die nur sie aufbringen konnte. „Ich bringe Brot zum Buchhändler, Papa. Seine Regale sind fast so leer wie Ihre Argumente für eine Monarchie."
Lucien, der fast einen Lachanfall bekam, tat sein Bestes, es zu unterdrücken, indem er sich umdrehte und einen imaginären Staubfleck auf dem Regal entfernte.
„Das reicht!" donnerte der Comte. „Du wirst mit mir zurückkommen, sofort! Wir haben über diese Rebellion gesprochen – sie ist keine Angelegenheit für Frauen!"
Céleste trat einen Schritt zurück, das Brot immer noch wie ein Schild vor sich haltend. „Ich werde nicht gehen! Ich habe Verpflichtungen, Papa. Wichtige Verpflichtungen!"
„Verpflichtungen?" Der Comte schnaubte. „Zu diesem Halunken?"
Lucien wandte sich endlich um und hob die Hände. „Monsieur, ich bin sicher, Ihre Tochter hat mehr Verpflichtungen als nur zu einem Buchhändler zu fliehen. Aber wenn ich mich in Ihre Familienangelegenheiten einmischen darf – sie macht sich hervorragend als Botenmädchen."
Céleste warf Lucien einen tödlichen Blick zu. „Hervorragend? Das ist alles, was dir einfällt?"
„Besser als ‚brotbewaffnete Rebellin'," entgegnete Lucien trocken.
Der Comte warf die Hände in die Luft. „Ich habe genug von diesem Unsinn! Céleste, du wirst dich heute Abend mit Monsieur Bouchard treffen – deinem zukünftigen Ehemann."
Célestes Gesicht wurde blass. „Was? Nein, ich werde mich nicht mit diesem aufgeblasenen Idioten verloben!"
Lucien hob eine Augenbraue. „Monsieur Bouchard? Der mit dem Schnurrbart, der aussieht wie ein schlafender Dachs? Herzlichen Glückwunsch, Mademoiselle."
„Lucien, hilf mir!" zischte Céleste.
„Ich? Oh nein, das ist eindeutig eine Familiensache," antwortete er und verschränkte die Arme.
Doch in diesem Moment traf ihn der Blick des Comte, der sich wie ein Messer durch seine entspannte Haltung bohrte. „Und wenn ich herausfinde, dass dieser Buchhändler in deine Angelegenheiten verwickelt ist, Céleste, dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass sein Laden niedergebrannt wird!"
Lucien lächelte gezwungen. „Haben Sie zufällig Feuerholz dabei, Monsieur? Ich schätze, meine Regale könnten ein wenig Wärme vertragen."
Der Comte funkelte ihn an, wandte sich dann aber an seine Tochter. „Du hast bis heute Abend Zeit, dich wie eine vernünftige Dame zu benehmen. Andernfalls... werde ich handeln."
Mit diesen Worten drehte er sich um und stürmte hinaus, seine Perücke nur knapp vor dem Abrutschen bewahrend.
Die Verzweiflung einer Rebellin
Kaum war der Comte aus dem Laden, ließ Céleste sich auf einen Stuhl fallen und legte das Brot vor sich auf den Tisch.
„Das war's," sagte sie mit gespielter Tragik. „Mein Leben ist vorbei. Heute Abend bin ich Madame Bouchard, Ehefrau eines Dachs-Schnurrbarts."
Lucien setzte sich gegenüber und musterte sie. „Nun, wenn du mich fragst, könntest du schlimmer dran sein. Immerhin bist du dann sicher vor der Garde – und dein neuer Ehemann wird dich sicher nie finden, wenn du dich hinter seinem Schnurrbart versteckst."
Céleste warf ihm ein Brotstück an den Kopf, das er mit erstaunlicher Eleganz abwehrte.
„Du verstehst das nicht!" sagte sie. „Ich habe eine Mission. Ich kann keine Dame der Gesellschaft sein, während ich für die Revolution arbeite!"
„Nun," sagte Lucien, „wenn du heute Abend Monsieur Bouchard heiratest, werde ich persönlich dafür sorgen, dass die Revolution dich als Märtyrerin feiert."
Céleste stand auf und warf die Hände in die Luft. „Warum rede ich überhaupt mit dir? Du hast keine Ahnung, wie ernst die Lage ist!"
„Oh, ich verstehe sehr gut, wie ernst sie ist," sagte Lucien. „Dein Vater will meinen Laden niederbrennen, die Garde sucht mich wegen deines dämlichen Manuskripts, und ich habe immer noch keine Antwort auf die Frage, warum ich dir überhaupt helfe."
Céleste blieb stehen, ihre Augen funkelten. „Weil du es magst, mit mir zu streiten. Und vielleicht, nur vielleicht, möchtest du nicht, dass ich Monsieur Dachs heirate."
Lucien öffnete den Mund, um zu protestieren, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Schließlich lehnte er sich zurück und seufzte.
„Also gut," sagte er. „Was ist dein Plan?"
Céleste lächelte triumphierend. „Ich habe keinen. Aber wir werden einen finden."
Lucien stöhnte. „Das wird großartig."