Kapitel 5 (Blakes POV)
Nach meiner Aussage hat mich die Kleine wütend angesehen und war aus der Kammer gestürmt. Ich konnte nicht anders, als zu grinsen. Das dürfte lustig werden.
Vor dem Fluch hätten die Frauen nie so mit mir geredet und diese Krankenschwester hatte ziemlich viel Power. Auch wenn es dumm von ihr war, mich anzulügen. Es war nicht möglich, dass sie die Anwesenheit einer anderen Magierin nicht spüren konnte. Oder selbst nicht wusste, dass sie eine war. Dafür hatte sie viel zu locker auf mich reagiert. Ich konnte sie einfach nicht einschätzen. Noch nie war ich jemandem wie ihr begegnet.
Ohne die Tür zu beachten, ging ich einfach durch sie hindurch und sah mich nach der Kleinen um. Sie war sauer gewesen, weil ich sie von der Arbeit abhielt, und leider hatte sie recht. Sie war Krankenschwester und ihre Patienten brauchten sie, also würde ich sie jetzt einfach nur weiter beobachten. Nach drei Jahren war ich es nicht mehr gewohnt, wenn die Leute um mich herum mich sehen konnten, und ich tat einfach, was ich tun wollte.
Das konnte ich jetzt nicht mehr tun.
Die Seherin sprach gerade mit einer Patientin, eine junge Frau, die an einem Tropf lag. Wenn ich mich nicht täuschte, und das tat ich selten, dann war es die von vorhin. Angeblich hatte sie sich beim Schwimmen verletzt, aber mir war sie beim See nicht aufgefallen. Hatte ich sie wirklich nicht gesehen? Ich musste aufmerksamer meinem Umfeld gegenüber sein. Nur weil ich unsichtbar war, hieß es noch lange nicht, dass ich nachlässig sein durfte.
Die Kleine, Ady hatte der Arzt sie genannt, stellte der Frau ein Glas Wasser auf den Tisch und tätschelte ihre Schulter.
„Dr. Hoffman wird gleich noch einmal nach Ihnen sehen und mit Ihnen die Ergebnisse besprechen. Wie geht es Ihnen? Haben Sie noch starke Schmerzen.“
Adys Stimme war weich und fürsorglich und die Frau lächelte leicht.
„Ja, vielen Dank. Was auch immer Sie mir gegeben haben, hat definitiv geholfen. Wie konnte ich nur so dämlich sein und ausrutschen.“
Beschämt vergrub sie ihr Gesicht in ihren Händen und wieder tätschelte Ady ihre Schulter.
„Machen Sie sich nicht verrückt deswegen. Unfälle passieren. Glauben Sie mir, Sie sind da nicht alleine. Das nächste Mal wissen Sie es besser. Ich habe Ihnen noch ein Schmerzmittel hingestellt. Sollten Sie noch etwas brauchen, zögern Sie nicht uns zu rufen.“
Wahrscheinlich war es ihr nicht klar, aber ich konnte die leichten Schwingungen ihrer Magie spüren. Sie gab der Frau tatsächlich Zuversicht und nahm ihr die Schmerzen. Das war eine Fähigkeit, die unglaublich selten war. Normalerweise war unsere Magie dafür da und im Kampf gegen die dunklen Geister zu helfen. Wir konnten nicht die Gefühle und Empfindungen von Menschen beeinflussen. Aber sie schon. Die einzigen Personen mit solchen Fähigkeiten waren die vom Malcom Clan.
Deshalb konnte sie mich wahrscheinlich auch sehen. Sie spürte mich auf einer anderen Ebenen.
Verstand sie überhaupt, was sie da tat? Konnte es möglich sein, dass sie mit Clair verwandt war? Konnte sie ihre Tochter sein? Ich erinnerte mich dunkel an ein Kind, aber es war ein Junge gewesen. Aber natürlich, warum war ich nicht früher darauf gekommen? Clair Malcom war verschwunden und hatte eine neues Leben begonnen. Natürlich hatte sie eine neue Familie gründen können. Ein neues Leben beginnen. Das würde auch erklären, warum Ady nichts von unserer Welt wusste. Clair hatte ihr bestimmt ihre Vergangenheit verschwiegen, um sie zu schützen. Sie hat ihr Erbe aufgegeben um für die Sicherheit ihrer Familie zu sorgen. Irgendwie beneidete ich sie. Ady hatte ein normales Leben, eine normale Kindheit führen können. Nichtsdestotrotz konnte ich nicht auf sie verzichten.
Ich brauchte sie.
Und dafür musste ich ihr Leben, so wie sie es kannte, zerstören. Vielleicht machte es mich zu einem Arschloch, aber es tat mir nicht leid.
Ady verließ das Zimmer der Patientin und ich folgte ihr natürlich. Sie schaffte es wirklich gut, mich zu ignorieren, das musste ich ihr lassen. Sie sah nicht einmal in meine Richtung.
„Ady“, die Stimme des Arztes ließ sie innehalten und sie drehte sich um.
„Die Ergebnisse von Miss Mendoza sind da. Es sieht alles gut aus. Ich werde ihr das mitteilen und dann kann sie entlassen werden. Kümmere dich darum. Und die Patientin in Zimmer 4 hat noch ihr Tablett stehen. Räum das auf.“
Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er wieder.
Was für ein Arschloch.
Ady verdrehte ihre Augen.
„Wieso lässt du dich so von ihm herumkommandieren“, fragte ich abfällig, während ich dem Arzt hinterher sah.
„Weil er der Arzt ist. James ist einfach so, wenn sein Ego gekränkt ist. Außerdem ist es nun mal meine Arbeit.“ Sie murmelte es so leise, dass ich Mühe hatte, sie zu verstehen, aber immerhin redete sie mit mir. Ich hasste Männer wie ihn. Wie konnte er sich selbst einen Mann nennen, wenn er Frauen so behandelte?
Wie sie wohl sein Ego gekränkt hatte? Bestimmt wollte er mit ihr ausgehen und sie hatte ihn abblitzen lassen.
„Dennoch sollte er nicht so mit dir reden.“
Die Einzige Reaktion, die ich von ihr erhielt, war ein Schulterzucken.
„Ich bin es gewohnt. Außerdem kann es dir egal sein.“
Sie hatte recht, es sollte mir egal sein. Warum also, wollte ich diesem schmierigen Arzt eine reinhauen?
„Und jetzt lass mich weiter arbeiten. Du hast Dr. Hoffman schließlich auch gehört.“
Ich wollte noch etwas sagen, aber sie ging schon weiter ins nächste Zimmer.
Diese Frau würde mich noch wahnsinnig machen.
So ging das weitere zwei Stunden und langsam wurde mir ziemlich langweilig. Sie hetzte von einem Patienten zum nächsten, nahm neue auf und befolgte die Anweisungen des schmierigen Arztes. Ab und zu konnte ich sehen, wie ihre Blicke länger als nötig an scheinbar leeren Stellen im Raum hängen blieben. Wahrscheinlich sah sie dort die Geister, die sich öfter an solchen Orten aufhielten. Nicht das ich sie jetzt sehen konnte. Dank des Fluches konnte ich nicht einmal mehr die Toten sehen. Oder sie mich.
Ich war einfach nutzlos, aber das würde bald vorbei sein.
Ady machte ihre Arbeit wirklich gut, aber ich langweilte mich zu Tode. Was selten war. Normalerweise hatte ich viel zu tun und nur der kleinen Krankenschwester hinterherzulaufen, war verdammt öde.
Vor allem wenn sie mich so konsequent ignorierte.
Vielleicht sollte ich ein Nickerchen machen. Wenn ich Glück hätte, dann würde ich meine Schönheit wieder sein. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, bevor ich es verhindern konnte. Wäre es falsch, wenn ich Ady verführen würde, während die Schönheit irgendwo auf mich wartete? Vielleicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie in meinem Zustand jemals finden würde, war sehr gering. Um hier rauszukommen brauchte ich die Seherin. Und wenn ich sie so überzeugen könnte, mir zu helfen, dann würde ich es tun.
Nicht, dass es mir besonders schwerfallen würde, schließlich sah sie gut aus und ihr Charakter schien auch nicht schlecht zu sein. Auch mein Körper schien auf sie zu reagieren, was seit Ewigkeiten nicht mehr passiert war. Ich zog meine Hose zurecht und sah mich nach der Kleinen um. Sobald ich wieder der Alte war, würde ich sie großzügig für ihre Hilfe belohnen.
Ady stand an der Wand gelehnt und hielt sich die Stirn.
Nach einem kurzen Blick auf die Uhr war klar, dass ihr Arbeitstag wahrscheinlich noch nicht so bald beendet sein würde. Mit schnellen Schritten ging ich zu ihr und lehnte mich zu ihr runter. Sie war deutlich kleiner als ich und ging mir gerade bis zur Schulter und es war schwer ihr Gesicht zu erkennen. Dennoch konnte ich sehen, dass sie trotz ihrer hellen Haut unglaublich bleich war.
„Was ist los“, fragte ich sie leise, um sie nicht zu erschrecken, und trotzdem zuckte sie zusammen. Beinahe, als hätte sie meine Anwesenheit vergessen.
Sie schüttelte leicht ihren Kopf.
„Alles okay. Mein Schädel dröhnt nur ein wenig.“
„Bullshit. Ein wenig? Du solltest dich hinlegen.“
Trocken lachte sie auf und genervt biss ich die Zähne zusammen.
„Hinlegen? Ich musste noch zwei Stunden arbeiten. Danach habe ich noch andere Dinge geplant. Ich habe keine Zeit mich hinzulegen.“
Wenn sie eine Katze wäre, hätte sie mich nun angefaucht. Dabei wollte ich ihr nur helfen. Gerade konnte ich aber nichts tun, außer mit ihr zu sprechen.
„Und wie willst du arbeiten, wenn es dir so schlecht geht, dass du nicht einmal stehen kannst, ohne dich abzustützen? Niemand wird sterben, wenn du dich ein paar Minuten ausruhst.“
Ich konnte sehen, dass sie etwas erwidern wollte, doch die Eingangstür unterbrach uns.