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Kapitel 4 Doppelzüngig

Fiona war verblüfft über ihre plötzliche Dreistigkeit.

War sie immer noch ihre schüchterne Schwiegertochter Lyra?

"Also hast du vorhin nur geschauspielert!"

Je mehr Fiona darüber nachdachte, desto wütender wurde sie: "Ich werde dich heute nicht davonkommen lassen. Ich werde es Melvin sagen und ihn zwingen, sich von dir scheiden zu lassen! Und selbst wenn du mich auf Knien anflehst, werde ich dich aus meiner Familie werfen!" Fiona biss die Zähne zusammen und drohte.

Lyra grinste, und die Verachtung stand ihr ins Gesicht geschrieben.

"Oh, ich habe ganz vergessen, dir etwas zu sagen. Vor zehn Minuten haben Melvin und ich, wir uns gerade scheiden lassen. Selbst wenn du mich auf Knien anflehst, werde ich das Freeman-Anwesen nicht mehr betreten."

Geschieden? Gerade eben?

Das gibt's doch nicht! Dieser Tölpel wollte doch unbedingt in der Freeman-Familie bleiben. Hatte sie endlich aufgegeben?

Fiona betrachtete Lyras abwesenden Rücken misstrauisch, und um sich zu vergewissern, was Lyra sagte, rief sie Melvin sofort an.

"Melvin, hast du dich wirklich scheiden lassen?"

Melvin antwortete mit einem "Ja" und runzelte plötzlich die Stirn: "Ich habe gerade den Papierkram erledigt. Wer hat dir das gesagt?"

"Wer sollte es sonst sein? Auf dem Weg dorthin bin ich Lyra begegnet. Dieses Miststück hat mich gerade angeschrien!"

Ihr Gesicht glühte vor Wut. Doch als sie sich besann, brach sie in Gelächter aus: "Aber toll! Endlich bist du geschieden. Sie ist nur eine beliebige Frau, die der alte Mann aus dem Waisenhaus aufgelesen hat. Wie kann sie meines hervorragenden Sohnes würdig sein? Sie hätte schon längst aus der Familie geworfen werden müssen ..."

Melvin schürzte die Lippen. Seine Stimmung war jetzt das genaue Gegenteil von Fionas Ausgelassenheit.

Da war sogar ... ein Hauch von unerklärlicher Irritation und Schuld.

Vor dem heutigen Tag hatte er eigentlich gedacht, dass Lyra nicht so einfach in die Scheidung einwilligen würde, also hatte er im Voraus drei Millionen Euro und eine Villa als Entschädigung vorbereitet. Aber schließlich war sie es, die um die Scheidung gebeten hatte, und sie nahm keine Entschädigung von ihm an.

Nach der Scheidung hatte sie kein Geld und keine Verwandten in ihrem Umfeld. Wovon sollte sie in Zukunft leben?

Wie auch immer, wenn sie verzweifelt war, kam sie einfach zu ihm.

...

Lyra nahm ein Taxi zurück zu der Villa, in der sie und Melvin allein lebten. Dieser Ort war Zeuge all ihres Leids in den letzten drei Jahren gewesen.

Die Erinnerungen waren so überwältigend, dass sie sie nicht wieder heraufbeschwören wollte.

Nach einem kleinen Garten vor der Villa ging sie die Treppe hinauf, um ihr Gepäck zu packen. Nachdem sie gepackt hatte, wollte sie nicht eine Sekunde länger in der Villa bleiben.

Doch gerade als sie in den ersten Stock hinuntergegangen war, schien eine Frau im Flur sie bemerkt zu haben und drehte sich um.

Es war Charlotte in einem schneeweißen Kleid. Sie lächelte herzlich: "Lyra, wir sehen uns wieder."

Lyra erstarrte. Sie hatte nicht erwartet, Charlotte hier zu treffen.

Sie hatten sich gerade scheiden lassen, und Melvin hatte Charlotte den Schlüssel zur Villa gegeben. Sie war also bereit, dort einzuziehen?

Offenbar hatte er Charlotte wirklich so sehr geliebt.

Lyra fühlte sich in ihrem Herzen angewidert, aber dennoch lächelte sie, als sie anmutig die Treppe hinunterging.

Als sie ihre eleganten Manieren sah, hielt Charlotte inne und lächelte dann wieder: "Lyra, es ist erst ein paar Jahre her, und du wirst Frau Freeman immer ähnlicher."

"Ups, ich habe das Falsche gesagt." Charlotte bedeckte ihren Mund mit den Händen und lächelte verlegen: "Ich habe vergessen, dass du dich gerade von Melvin hast scheiden lassen. Du bist nicht mehr Frau Freeman."

Lyra wusste genau, dass sie hier war, um zu prahlen. Sie war überhaupt nicht wütend und setzte stattdessen ein strahlendes Lächeln auf.

"Ich habe einfach genug von Melvin. Wenn du ihn magst, dann kannst du ihn haben. Aber versuch das nächste Mal ein bisschen geduldiger zu sein. Du machst dich stattdessen zur Mätresse."

Als sie diese Worte hörte, verblasste das Lächeln auf Charlottes Gesicht schnell und sie sah Lyra finster an.

"Melvin und ich lieben uns sehr. Wenn du nicht wärst, wären wir beide schon längst zusammen. Du bist eine schamlose, verachtenswerte Geliebte!"

Lyra warf ihr einen sarkastischen Blick zu. "Du wirst bald herausfinden, wer die Geliebte ist."

Nachdem sie das gesagt hatte, wollte sie nicht mehr länger bleiben. Sie ging an Charlotte vorbei und wollte gerade gehen, als sie plötzlich von einer Hand am Handgelenk gepackt wurde.

Sie drehte sich um und sah in das mitleidige Gesicht von Charlotte. Ihre Augen waren so rot wie die eines Kaninchens, als hätte sie sehr gelitten.

"Lyra, es tut mir leid. Ich habe dich immer wie eine gute Freundin von mir behandelt. Ich wollte dich nur besuchen. Ich wollte dir nichts Böses. Ich wusste nicht, dass du dich gerade hast scheiden lassen. Ich meine es wirklich nicht böse. Sei nicht böse auf mich, okay?"

"Was soll die Schauspielerei?"

Sie schnaubte und war im Begriff, Charlottes Hand abzuschütteln. Doch plötzlich folgte Charlotte ihrer Bewegung und fiel sanft zu Boden, während sie vor Schmerzen schrie.

Wenn jemand sie aus der Ferne beobachtete, musste es so aussehen, als hätte Lyra Charlotte zu Boden gestoßen.

Oh, das war interessant.

Lyra beobachtete kalt dieses von ihr selbst inszenierte Drama. Wenn sie Recht hatte, musste Melvin gerade jetzt zurück sein und an der Tür stehen, um sie zu beobachten.

Wie erwartet, hörte sie hinter sich einen plötzlichen Wutschrei.

"Was machst du denn da!?"

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