Kapitel 2
Alles war dunkel. Außer ein paar Umrisse konnte ich nichts erkennen und trotzdem hielt ich nicht an. Denn ich wurde gejagt. Ein großer bedrohlicher Schatten raste auf mich zu und trotz dessen das ich so schnell rannte wie ich konnte, kam es immer näher. Ich wagte einen kurzen Blick nach hinten und bereute es sofort. Zwei leuchtende rote Augen starrten mir direkt in die Seele und es schien zwei riesige Flügel zu haben, die über ihn (oder es) hinausragten. Der Schatten war dunkler und schwarzer als alles, was ich je gesehen hatte, und er wollte mich. Ich sah es in seinen gruseligen Augen, er wollte mich und wenn er mich kriegen sollte, würde er mich töten. Also blickte ich nach vorne und versuchte entlang den ebenfalls dunklen Umrissen zu kommen. Dann verschwand der Boden und mit einen lauten Schrei fiel ich in einen bodenlosen Abgrund. Ich bewegte panisch meine Arme und Beine, doch da war nichts, nur Schwärze und die roten Augen des Schattens in der Dunkelheit.
***
Mit rasendem Herz schreckte ich hoch. Mein Atem ging sehr schnell und mein gesamter Körper war nass mit Schweiß. Immer noch erschrocken knetete ich meine Hände und versuchte meinen Atem zu beruhigen. Ich schlug die Bettdecke weg und ein kalter Windzug wehte über mich. Zitternd strich ich meine klebenden Haare aus meinem Gesicht und stand auf. Ich brauchte einen Moment, bis der Raum aufhörte zu drehen und schloss meine Augen für einen kurzen Moment. Sofort blickten mich die zwei roten leuchtenden Augen entgegen und erschrocken riss ich sie wieder auf. Der Wind brachte mich zum zittern und ich strengte mich an, nicht zusammenzubrechen. Warte mal, der Wind? Das Fenster. Ich hatte wohl vergessen, es zu schließen und deswegen war es so verdammt kalt in mein Zimmer. Mit schnellen Schritten trat ich an das Fenster heran, auch die Gardinen waren offen und wehten Horrorfilm-mäßig hin und her. Gruselig. Mit einen Knall schloss ich das Fenster und zog die Gardinen wieder zu. Ich erlebte im Schlaf schon genug Horror.
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich diese Nacht nicht wieder einschlafen konnte, ohne das mich diese roten Augen verfolgen würden, also zog ich meinen Bademantel und meine Jacke an. Solche Albträume hatte ich jetzt schon seit mehreren Wochen und sie schienen immer schlimmer zu werden. Meistens wurde ich gejagt, nicht immer konnte ich sehen von was, aber ich war in jeden Albtraum auf der Flucht.
Draußen war es noch kälter als die Nacht zuvor und ich bereute es nicht meine Handschuhe mitgenommen zu haben. Ich beschloss jedoch die Kälte zu ignorieren und stopfte meine Hände in meine Jackentaschen. Nachdem ich einige Minuten gelaufen war, hatte ich mich ein wenig beruhigt. Der Traum saß mir zwar immer noch in den Knochen, doch zumindest war ich heruntergekommen. Ich blieb kurz stehen und atmete einmal tief durch. Plötzlich bemerkte ich das an der Kreuzung zum Wald stehen geblieben war. Nur einen kurzen Moment zögerte ich, doch dann nahm ich mir schon mein Handy aus der Tasche und machte die Taschenlampe an. Irgendwie sehnte ich mich danach, zwischen den hohen Bäumen auf dem alten Pfad zu laufen.
Der Weg war bereits sehr alt, also ragten es keine Wurzeln aus, über die ich stolpern könnte. Es war sehr still hier, schon fast zu still. Außerhalb des Waldes entlang der Häuser hatte ich das Gefühl, jeden Menschen zu hören, doch hier war absolut nichts. Nur einzelne Laute von den unzähligen Nachttieren, die jetzt zum Leben erwachten. Es wehte auch kein Wind und die alten Bäume gaben nicht das bekannte Knarzen von sich. Ich war so verzaubert von der Umgebung um mich, dass ich alles andere vergaß. Doch dann spürte ich plötzlich eine Kälte, kälter als Eis an mein rechtes Bein. Es kroch immer höher und bevor ich realisieren konnte, was passierte, verlor ich mein Gleichgewicht und fiel nach hinten auf den Boden. Ein lauter Schrei hallte durch den dunklen Wald und meine Taschenlampe war auch aus. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich panisch um mich herum. Doch ich sah nichts, ich versuchte mich aufzurichten und erst dann sah ich, was so kalt war. Ich war in eine Pfütze getreten. Deswegen war ich auch ausgerutscht und der Schrei war mein Eigener gewesen. Kopfschüttelnd lachte ich kurz. Ich stellte mich echt an.
Da ich jetzt nass, kalt und dreckig war, beschloss ich zurück nach Hause zu kehren. Meine Taschenlampe starr vor mich gerichtet verließ ich den Wald, ohne noch einmal zurückzuschauen. Den Schlüssel für die Tür fand ich beim ersten Mal und ich rannte die Treppen hoch, riss meine Tür auf, zog mich aus und schmiss mich in mein Bett. Genug Aufregung für eine Nacht.
***
Dieses Mal war kein Albtraum, sondern ein lautes, nerviges Klingeln, was mich weckte. Müde rieb ich in meine Augen, bis alles nicht mehr verschwommen war. Das nervige Klingeln war aber nicht mein Wecker, sondern mein Handy. Es war Samstag. Ein wenig motivierter sprang ich also aus dem Bett und griff nach mein Handy. Es klebte immer noch ein bisschen Erde an der Rückseite, aber ich schenkte es kein Beachten und nahm den Anruf an. Ich erwartete schon fast meine Mutter, die mich ausschimpfen wollte, dass ich so spät noch Bett lag. Am Wochenende gönnte ich es mir aber immer auszuschlafen.
„Guten Morgen Frau Biesel, Dr. Jung hier, ich rufe an wegen den Testergebnissen" Verwirrt nahm ich mein Handy von meinem Gesicht weg und schaute auf die Nummer. Dort war kein Bild, aber unten stand Dr. Jung. Natürlich! Ich schlug meine Hand gegen meine Stirn. Man war ich wirklich so vergesslich geworden? Ich war letztens bei meiner Frauenärztin gewesen und sie hatte zur Kontrolle Blut abgenommen. „Frau Biesel? Sind sie noch da?" Schnell hielt ich das Handy wieder an mein Ohr „Ja! Ich bin noch hier, Entschuldigung. Was hat sich denn ergeben?" Ein bisschen komisch war es ja schon, musste sie mich denn unbedingt anrufen für die Ergebnisse? „Ich habe die Ergebnisse hier, aber es wäre gut, wenn sie kurz vorbeischauen und ich sie ihnen persönlich mitteile" Persönlich? Wieso denn das? Das ist doch unnötig, es sei denn ... „Sollte ich mir Sorgen machen?", einen kurzen Moment sagte sie nichts. Aber das war Antwort genug. Ich sollte mir Sorgen machen. „Kommen sie einfach vorbei, ich bin noch bis vierzehn Uhrgeöffnet", ich hörte das Zögern in ihre Stimme und meine Gedanken rasten. „Ich bin gleich da", sagte ich noch knapp und legte auf. Gehetzt zog ich mich um, trank ein Schluck Wasser, schnappte mir mein Portemonnaie und ließ die Tür hinter mich zuknallen. Draußen versuchte ich nicht zu rennen und da die Ärztin nur etwa 15 Minuten von meiner Wohnung entfernt war, konnte ich laufen. Ich hätte jetzt echt nicht still sitzen können. Während ich zügig durch die kleine Stadt lief, versuchte ich meine Gedanken zu beruhigen. Es gab eigentlich keinen Grund zur Sorge. Ich bekam meine Periode eigentlich immer regelmäßig und außer die üblichen Schmerzen hatte ich nie Beschwerden. Einen Freund hatte ich nicht, also brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, aus Versehen schwanger zu sein. Es lag wahrscheinlich ein Fehler vor, dass einzig wirklich Schlimme, was es sein könnte, wäre eine Schwangerschaft und da das nicht möglich war, konnte ich mich beruhigen. Etwas langsamer durchquerte ich jetzt die Straßen und nach einigen Minuten stand ich bereits vor der Praxis.
Ohne ein Zögern stieß ich die Tür auf und betrat das Wartezimmer. Die Sekretärin von Dr. Jung lächelte mich freundlich an. Wir waren die einzigen Personen im Raum. „Guten Tag, ich hatte mit Dr. Jung gesprochen?", die junge Frau schaute kurz auf ihren Computer und lächelte mich dann wieder offen an „Sie erwartet sie bereits, treten sie einfach ein" Ich nickte ihr kurz dankend zu „vielen Dank" murmelte ich noch, bis ich die weiße Holztür öffnete. Dr. Jung saß auf ihren Schreibtischstuhl vor ihren Computer und schien etwas auszudrucken. Wie immer roch es sehr steril und ich klopfte kurz an der offenen Tür. Wie ertappt drehte sie sich um und mit großen Augen sah sie mich an. Sie war für eine Frau in ihrem Alter noch recht hübsch und außer die einzelnen grauen Haare hätte man nie gedacht, dass sie bereits 45 war. „Frau Biesel! Schön, dass sie so schnell kommen konnten" mit einer Handbewegung bat sie mich, ihr gegenüber zu setzen. Sie war mir immer schon sympathisch gewesen und als meine Mum mich mit 18 gezwungen hatte, bei ihr einen Termin zu machen, hatte sie mir echt geholfen. Seitdem hatte ich zwei Mal im Jahr einen Termin und es war eigentlich immer gut gelaufen.
Sie rieb ihre von Falten überzogene Hände aneinander, bis sie nach einigen Papieren griff, dessen Inhalt ich von meinem Platz nicht lesen konnte. „So, wie sie wissen, habe ich eine Blutuntersuchung gemacht und im Anfang sah es normal aus ...", ich lehnte mich etwas in den gemütlichen Stuhl zurück „Ich bin aber nicht schwanger oder?" Fragte ich belustigt. Nicht zu glauben, wie sehr ich mich angestellt hatte. „Nein ... ganz im Gegenteil. Die Blutuntersuchung hat ergeben, dass ihr Hormonhaushalt nicht gut verläuft." Traurig schaute sie mich an. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen „Und was bedeutet das?" Sie holte kurz Luft, bis sie wieder meinen Blick begegnete.
„Frau Biesel, die Testergebnisse haben gezeigt, dass die unfruchtbar sind. Sie sind also nicht in der Lage, schwanger zu werden."