Prolog
Der Mond schien blutrot durch die schwarzen Wolken, die den Himmel wie ein undurchdringlicher Schleier bedeckten. Der Wind zerrte an den kahlen Ästen der Bäume, die wie verzerrte Gesichter in der Dunkelheit wirkten. Alles war still, bis auf das leise Rauschen der Blätter, das wie ein wisperndes Flüstern klang. Ein Flüstern, das Jenny immer wieder in ihren Träumen hörte. Es war eine Nacht wie jede andere, und doch spürte sie es diesmal intensiver – das Unbehagen, das sie nicht abschütteln konnte. Eine seltsame Präsenz lag in der Luft, ein Gefühl von Nähe, als würde etwas in der Dunkelheit auf sie warten. Jenny trat auf die kleine Veranda ihres Hauses und blickte in die finstere Nacht. In ihrem Inneren brodelte eine Mischung aus Angst und Neugier. Etwas war anders. Seit Wochen hatte sie von diesem Ort geträumt, einem Reich, das sich im Schatten verbarg – das Schattenreich. In ihren Visionen war sie immer wieder an einem dunklen Ort, von dem sie nichts verstand. Der Boden war hart und kalt, die Luft war schwer, und die Schatten, die sich dort bewegten, schienen einen eigenen Willen zu haben. Sie kannte diesen Ort, obwohl sie nie wirklich dort gewesen war. Und doch war er so vertraut, dass sie sich manchmal fragte, ob er nicht irgendwo tief in ihr selbst existierte. Heute jedoch war der Schatten nicht nur in ihren Träumen. Es war real. Jenny wusste, dass sie diesem Ruf nicht mehr entkommen konnte. Die Schatten hatten sie gefunden, und sie wusste, dass sie sich ihnen stellen musste. Mit einem tiefen Atemzug betrat sie die Nacht. Ihre Schritte waren fest, doch ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Der Weg führte sie tiefer in den Wald, den sie immer gemieden hatte – einen Wald, der in den letzten Jahren von einem seltsamen Nebel umhüllt war. Niemand hatte gewagt, dort zu wandern. Doch Jenny konnte nicht anders. Irgendetwas zog sie in den Wald hinein, als ob das Schattenreich sie rief.
Die Dunkelheit schien sich um sie zu schließen, als sie weiterging. Die Bäume standen wie stumme Wächter, ihre Äste knarrten im Wind, doch Jenny fühlte, dass sie nicht allein war. Etwas beobachtete sie, wartete auf sie. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte eine Silhouette vor ihr auf. „Du hast gewartet", sagte eine Stimme, die gleichzeitig vertraut und fremd war. Jenny hielt den Atem an. „Was ist das? Wo bin ich?" „Du bist im Schattenreich", flüsterte die Gestalt. „Und du bist gekommen, um dein Erbe anzutreten." Ein kalter Schauer lief Jenny über den Rücken. Sie wusste nicht, warum, aber sie hatte das Gefühl, als hätte sie diesen Moment schon tausend Mal erlebt. Die Dunkelheit war nicht mehr nur ein Teil ihrer Träume. Sie war real. Und jetzt war es zu spät, zurückzukehren. „Bist du bereit?", fragte die Stimme, während die Dunkelheit sich um sie schloss. Jenny atmete tief ein, ihr Herz pochte schneller, aber sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte. Sie hatte das Schattenreich betreten. Und dort, im Dunkeln, lag ein Geheimnis, das nur sie lösen konnte. „Ja", sagte sie schließlich, ihre Stimme fest, obwohl der Zweifel in ihr nagte. Die Gestalt nickte, und ohne ein weiteres Wort trat sie in den Nebel, der sich um sie legte. Jenny folgte, ohne zu wissen, was sie erwartete, aber tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie etwas entdeckte, das sie für immer verändern würde.